Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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153 Hartmann und Europa.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wenn wir in die unangenehme Lage versetzt werden, einen Ihrer Artikel zurückzulegen, und wenn wir Ihnen dies dann ohne Umschweife anzeigen, so sind Sie außer sich und schildern uns das Unrecht, welches wir Ihnen zufügen. Aber wir brauchen Ihnen hoffentlich nicht weitläufig auseinanderzusetzen, daß wir wahrlich nicht leichtsinnig auch nur eine einzige Zeile aus Ihrer Feder ungedruckt lassen. Stets sind es unabweisbare redaktionelle Bedenken, welche uns nöthigen, zu verfahren, wie es in gewissen Fällen geschieht.

Wir glauben Ihnen dies nochmals betheuern zu müssen, wenn wir Ihnen mittheilen, daß wir auch Ihren jüngsten Artikel ungedruckt lassen mußten. Denn Sie haben in einem uns ganz unerklärlichen Eifer auf Grund der augenblicklich 154 zwischen Frankreich und Rußland bestehenden Differenz, welche durch die Nichtauslieferung Hartmanns hervorgerufen worden ist, und die Abreise des Botschafters Orloff in ihrer Bedeutung überschätzend, einen Krieg zwischen den beiden genannten Mächten entbrennen lassen. Ihr erster Bericht schließt mit einer Schilderung der in St. Petersburg herrschenden Aufregung, des Geschreis der Russen: À Paris! à Paris!, der Abreise des französischen Botschafters und des Ausmarschs der Truppen. Ja, Sie wissen sogar von einem ersten Gefecht zwischen Zuaven und Kosaken zu erzählen!

Sie werden uns nach ruhiger Ueberlegung zugeben, daß wir für Sensationsnachrichten solcher Art keine Verwendung haben, so gerne wir bereit sind, der Leichtgläubigkeit und Neuigkeitssucht der Leser das Möglichste zuzumuthen.

Wir bitten Sie, nicht ungehalten zu sein, und erwarten einen anderen Beitrag.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

155 Bernau, den 25. März 1880.

Ich brauche Ihnen kaum noch zu sagen, daß mir Ihr geschätzter Brief ziemlich wurstgiltig gewesen ist. Es gab freilich eine Zeit, wo ich anders war und jeden Tadel für Tusch hielt, den ich mir nicht ungestraft blasen ließ. Aber nach und nach gewöhnt man sich ja an Alles, und schließlich wird man der Danaidenarbeit müde, leeres Stroh zu füllen. Was nützte es auch? Ich bin ja schon froh, daß Sie mir Ihre herbe Nase brieflich und nicht etwa in Gegenwart des ganzen Coram populo ertheilen.

Indeß kann ich doch meinen letzten Artikel nicht mit einem einfachen: Sanft ruhe sein Phönix! im Papierkorb begraben lassen. Der Krieg zwischen Frankreich und Rußland ist in meinen Augen – verzeihen Sie das harte Wort! – unausbleiblich. Man braucht, um denselben vorauszusehen, kein dreifüßiges Delphi zu sein. Rußland ist auf das Tiefste gekränkt. War es schon Seitens dieses Herrn Alias Hartmann kein schöner Zug, einen solchen in die Luft zu sprengen, so war es geradezu falsch, dies Verbrechen für ein politisches zu erklären und diesen Attentödter unter den Schutz des Völkerrechts zu stellen, anstatt ihn der Binde der Gerechtigkeit zu überliefern. Ein solcher Vogel ist frei.

Mißverstehen Sie mich gefälligst nicht. Ich bin Demokrat. In meinen Adern rollt die rothe Fahne, und ich will, daß ein Mann links sein soll. Aber meuchlings darf er nicht sein. Sie kennen die Schillersche Ballade: die 156 Bürgschaft des Ibykus. Da schleicht Möros zu Dionys, um ihn mit dem Dolch im Gewande zu tödten: Aug' in Auge, Zahn in Zahn. Das lasse ich gelten. Auf die Frage, was er da mit dem Dolche im Gewande herumkrauche, gesteht er offen ein, daß er dem Tyrannen die Krone ausblasen wollte, und wird unter Annahme mildernder Umstände zum Bereuen am Kreuze verurtheilt. Anders Hartmann, der, beiläufig bemerkt, nicht mit dem gleichnamigen Mitglied des Wiener Burgtheaters zu verwechseln ist. Wie ein Mundwurf gräbt er unter der Erde, das Dynamit im Gewande, einen Gang bis zum Bahnkörper und sprengt denselben in den Tag hinein, auf's Geratheschlecht hin, nicht wissend, ob er nicht das ganze Eisenbahnpersonal, das an den Fehlern der Romanoff gewiß unschuldig ist, tödtet. Dann flieht er unter dem festlichen Geläute des Schlittens, und nicht etwa, um, wie Möros, Schwager zu werden, sondern um sich als Schäfchen ins Trockene zu bringen. Ein solcher Mann – er heiße nun Hartmann oder Meyer – ist kein politischer Verbrecher.

Wenn ich also in der Nichtauslieferung dieses Mannes ein Hühnchen erblicke, welches der Zar mit Frankreich zu pflücken haben wird, so glaube ich nicht, mich auf dem falschen Holzwege zu befinden. Es kommt dazu, daß der Zar nervös geworden ist, so nervös, daß er den Löwen nicht krähen hören kann, ohne zu erschrecken. Ueberall sieht er die Fliege an der Wand, die ihn ärgert, überall glaubt 157 er sich von einem Dorn im Auge umgeben, überall wird sein Herz von irgend einem Crève erschüttert. Und solchen Thatsachen gegenüber sollte ein Berichterstatter, der etwas auf sein Qui-vive hält, zögern?

Nehmen Sie den einliegenden Artikel. Ihnen zu Liebe habe ich die französisch-russische Kriegsfurie nunmehr nicht eröffnet, indeß können wir immerhin in die Lärmtrommel stoßen, denn eine Verstimmung ist vorhanden, und es bedarf nur eines Wortes, und die Lawine steigt drohend empor. Und vor Allem – denken Sie an die Krieg-in-Sicht-Artikel der Nordpindter Allgemeinen Zeitung und rechnen Sie mit pupillarischer Sicherheit auf ein großes Aufsehen.

Wenn Sie schließlich glauben, daß ich Sie um einen Vorschuß ersuchen werde, so kann ich dies in allen Theilen bestätigen. Ja, senden Sie mir gefälligst, da, wie ich lese, Canossamünzen dort nicht geschlagen werden, 25 Papierrubel zum Course von 214,60.

* * *

St. Petersburg, den 12./24. März 1880.

W. Seit jede Hoffnung verschwunden ist, Hartmann aus Gallien zurückgebracht und an einem solchen hier hängen zu sehen, hat sich die Verstimmung gegen den bisherigen Alliirten bis zur Feindseligkeit verstärkt. Wenn auch die bekannte in London auf apokryphischem Wege veröffentlichte Erklärung nicht von Hartmann herrührt, – ich erkannte dies 158 natürlich sofort, – so hat er doch in seinem Widerruf erklärt, daß er in Moskau die Hand im Dynamit gehabt habe, und Rußland ist jetzt natürlich um so außer sicher.

Ich war auf dem Bahnhof, als der französische Botschafter daselbst seine Pässe packte, während der russische Botschafter aus Paris ankam. General Chanzy und Graf Orloff reichten sich stumm die Hände und sprachen etwa eine Viertelstunde zusammen. Weiter wurde kein Wort gewechselt. Aber es war mir doch möglich, einige Worte zu erhaschen, und diese lauteten: Guerre . . . Bataille . . . Batterie . . . Beresina . . . Erbswurst . . . Waterloo . . . Levée en masse . . . Ich will keine Schlüsse aus diesen Worten ziehen, aber sie klangen doch wie ebenso viele Flöhe in meinen Ohren.

Aus Moskau höre ich heute, daß dort für den Fall, daß Grévy seinen Einzug hielte, Rostopschin erneuert werden und kein Haus auf dem andern bleiben sollte.

Der »Golos« macht heute aus seiner Front gegen Deutschland kein Hehl, indem er meint, Deutschland habe hinter der Nichtauslieferung gesteckt, um aus Frankreich und Rußland zwei Pole zu machen, die sich den Rücken kehren. Dahin ist es schon gekommen!

Sie sehen, Europa tanzt aus einem Pulverfaß. Ein Funken, und es läuft über! Gebe der Himmel, daß ich Sie täusche!


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