Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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7 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Der Bericht, den Sie Ihrem ersten folgen ließen, konnte leider nicht verwerthet werden. Der Stoff reißt Sie hin. Wir finden dies begreiflich, Land und Leute verführen die Phantasie des Berichterstatters zu Extravaganzen. Aber es ist doch die Frage, ob der Leser sich gleichfalls verführen läßt, und da wir dies für Ihren jüngsten Brief bezweifelten, so druckten wir ihn nicht ab. Sie beschreiben einen Ausflug nach Granada. Das wäre ja sehr hübsch gewesen, wenn Sie nicht ein Abenteuer schilderten, das Sie daselbst erlebt haben wollten und das dem durch Kreutzer's Nachtlager allgemein bekannten überraschend ähnlich sah. Man begreift gar nicht, warum Sie denn eigentlich incognito reisten und sich als einen Schützen in des Regenten Sold vorstellten.

8 Uebrigens hat der Wegfall dieses Briefes keine fühlbare Lücke zurückgelassen. Erst jetzt, mit der Ankunft des Kronprinzen, beginnt ja Ihre eigentliche Aufgabe, deren Sie sich mit bekannter Virtuosität entledigen werden.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 22. November 1883.

Ihr Esse, in welchem Sie sich befinden, wenn Sie mir einen Fehler nachweisen zu können glauben, spottet, wenn nicht jeder, so doch meiner Beschreibung. Weshalb, frage ich Sie, soll ein Liebesabenteuer, welches einem Fürsten zustößt, nicht auch einem Mann begegnen, den ein bürgerlicher Storch gebracht hat? Glauben Sie, daß Amor lieber einem Fürsten als einem Bürger einen Floh ins Herz setzt, oder wollen Sie mir gar schwarz auf weiß machen, daß der genannte Liebesgötze seinen Köcher vorzugsweise auf das Wohl solcher Männer leert, welche eine Krone mit der Muttermilch eingesogen haben? Dann lassen Sie sich eines besseren Cupido belehren. Ob Ober- oder Unterthan, die Liebe fragt nicht nach Rang und Parquet, sie kommt, sieht nicht und – verzeihen Sie das harte Wort! – siegt. Keine Spanierin ist so grausam, kurz kein Torquemädchen, daß sie ihr Herz 9 nur einem Gekrönten und Gescepterten schenkt, es wäre dies auch, unter uns gesagt, sehr traurig. Sollte also mir das Nachtlager von Granada verschlossen bleiben und nur dem Regenten von Spanien bereitet sein?

In dieser Stimmung ließ ich mich als Posa photographiren. Ich konnte nicht anders. Es regte sich in mir, als ich Ihren Brief las, der Geist des spanischen Ritters, der auf die Gefahr hin, von der Inquisition mehr als seinen Mund verbrannt zu sehen, den Muth hatte, zu den ganz in der Nähe befindlichen Füßen des Tyrannen niederzustürzen und demselben den Ausruf »Sonderbarer Schwärmer!« abzutrotzen. Hier ist das Bild. Es war mir unmöglich, ein freundliches Gesicht zu machen, so sehr mich der Photograph bat, nicht immer von verbrannten menschlichen Gedankenfreiheiten zu sprechen, sondern lieber meine Stirn zu entfalten. Und wenn sich der Photograph auf meinen Kopf gestellt hätte, es wäre mir nicht möglich gewesen, so sehr war ich außer mir, daß Sie mein Nachtlager von Granada in den Papierkorb geworfen hatten.

Und auch ein Geständniß habe ich Ihnen zu machen. Als ich Ihre Sendung von 40 M. erhielt, brach ich in laute Beifallszeichen aus und rief Dacapo! und nun werde ich nicht eher ruhen, bis Sie Ihre wirklich vortreffliche Leistung wiederholen.

* * *

11 Genua, den 19. November 1883.

W. Der Ankunft des Kronprinzen beizuwohnen, bin ich hierher geeilt. Die ganze Stadt war gestern Abend auf den Beinen einer freudigst bewegten Menge. Genua ist eine interessante Stadt. Man kann keinen Schritt thun, ohne daran zu denken, daß hier Columbus 1436 in einem auch heute noch nicht aufgeklärten Dunkel geboren worden ist, um Amerika zu entdecken, und daß Fiesko hier fünf Acte lang die Schiller'sche Verschwörung anzettelte, bis er als Mantelträger in den Wellen das Zeitliche gewaltsam segnete. Gestern Abend bildete der Perron des Bahnhofs eine großartige glänzende Gesellschaft, deren Mittelpunkt der Doge von Genua, der italienische Generalkonsul Dr. Bamberg und unser Botschafter v. Keudell war. Als dann um Mitternacht ½ Uhr der hohe Gast dem Coupé entstieg, ihm zur Seite ein Mann über Hünengröße, General Carava, der Adjutant des Königs Humbert (sprich Umberto), da erdröhnte die Nacht von huldigenden Ausdrücken der Sympathie. Um ein Uhr fuhr der Kronprinz durch die taghell erleuchtete Menge, während von allen Balconen die Damen mit ihren Taschentüchern begeisterte Evvivas wehten, nach dem Palazzo Reale, vor welchem noch bis zum Anbruch des ersten Hahnenschreis die Menge unter Gesang und Hochrufen auf- und niederwogte.

Ich habe die ganze Nacht keinen Morpheus geschlossen, so sehr hatte mich das wundervolle Schauspiel des Empfangs 12 aufgeregt, so übertönte der von der Straße heraufschallende Jubel meine Augenlider. Es war herrlich zu sehen, wie drei Nationen sich die Hände schüttelten. Voll Neid, dieser siebentesten aller Todsünden, blickt Frankreich auf diese Dreitracht, aber alle Versuche, diese Kette mit Scheidewasser zu sprengen, werden nichts sein als ein Handgemenge mit Windmühlen, und die dem Bunde bereitete Grube wird selbst hineinfallen.

Um 2 Uhr 20 Minuten landete der Kronprinz auf dem von dem Capitain Mensing präsidirten Adalbert, welches Schiff den hohen Gast nach Valencia führen wird. Die Nixen des Hafens erzittern unter den Salven der Flottille. Die Batterien am Lande bleiben die Antwort nicht schuldig. Die Tambours an Bord wirbeln durcheinander. Ein donnerndes Hurrahgeschrei erfüllt die Wolken. Das Wetter ist heiter, auch der Wind. Die Masten sind von den Matrosen überfüllt, auch die Raaen sind ausverkauft. Um 2 Uhr 25 Minuten setzt sich der Zug in Bewegung. Auf nach Valencia!


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