Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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100 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir sagen Ihnen für Ihren jüngsten Bericht unseren besten Dank, senden Ihnen denselben aber hiermit zurück, weil wir meinen, daß Sie ihn später, wenn auch in einem anderen Krieg, mit den dann nöthig werdenden Aenderungen vortrefflich werden verwenden können. Uns ist, aufrichtig gesagt, die geschilderte viertägige Schlacht zu blutig. Wer soll an eine solche in dem gegenwärtigen Kriege glauben? Sie haben Ihren Bericht augenscheinlich in sehr verdrießlicher Stimmung abgefaßt, sonst wäre es ganz unbegreiflich, daß Sie ein so furchtbares Blutbad unter den Franzosen und Krumirs anrichten und z. B. den Letzteren mehr tödten, als überhaupt in Tunesien existiren. Ein wahres Waterloo, das Sie mit der Gefangennahme des Bey und dessen Abführung nach St. Helena beenden! Das geht am 101 allerwenigsten in diesem Kriege, der ja eigentlich gar keiner ist. Auch begehen Sie die Unvorsichtigkeit, Abdelkader an die Spitze der Krumirs zu stellen, trotzdem der Genannte bekanntlich mit Frankreich liirt zu sein scheint.

Wir erwarten nunmehr einen andern, etwas glaubwürdigeren Bericht und grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 17. Mai 1881.

Ich will nicht wie Shylock eigensinnig auf meinem Pfund Fleisch stehen, sondern Ihnen Recht geben. Nachdem ich meine Schlacht noch einmal durchflog, finde ich sie selbst zu blutig, und ich werde sie daher liegen lassen, bis mir ein anderer Krieg ein Tapet bietet, auf das ich sie mit den nöthigen Aenderungen bringen kann. Freilich wird sich wegen dieser Unterschlagung das contre-coeur unserer werthen Leser im Leibe umdrehen, denn ihnen ist nichts schrecklicher als ein Mars, der, wie der gegenwärtige, ein Vegetarianer, nicht Fisch, nicht Fleisch ißt. Ich kenne das Publikum, das ich wohl auch etwas verwöhnt habe. Wenn es Morgens beim ersten Frühstück den noch feuchten Krieg 102 entfaltet, so sollen dessen Würfel weithin den Himmel röthen, so soll ein Handgemenge dem andern auf dem Fuße folgen und die Pfanne, in welche die Regimenter gehauen werden, in Strömen fließen. Das Publikum ist nun einmal so und – verzeihen Sie das harte Wort! – nicht anders, es verlangt, daß ihm in einem Kriege von den Zeitungen Schlachten geliefert werden, und verliert die Geduld, wenn Mars, wie dies in Tunesien der Fall ist. gleich dem Esel in der Fabel zwischen Scylla und Charybdis hin und her pendelnd, zwar erklärt ist, aber nicht ausbricht. Seit die Franzosen in Tunesien sind, haben sie noch keinen einzigen Krumir gesehen. Es wimmelt förmlich von Freunden. Die ältesten Zuaven erinnern sich nicht, jemals so wie in Tunesien den Hahn in Ruh gelassen zu haben, denn wenn sie mal zum Schuß kommen, so ist es gewiß ein Hexenschuß im Biwak (sprich Bivouac).

Da riß mir der rothe Faden der Geduld, der sich durch alle meine Handlungen zieht, und ich schrieb eine jener Schlachten, wie sie, seit Berthold Schwarz erfunden worden ist, wohl selten geschlagen worden sein mag, und zwar, weil dies Mode, eine viertägige, eine Tetralogie, auf welche mich die Bey-Reiter, die ich völlig aufrieb, brachten. Damit wäre denn mein jüngster Bericht erklärt, für den ich Ihnen einliegend einen anderen schicke.

Der Mai ist bis zur Mitte gekommen, und alle Bäume schlagen aus. Daß auch ich auf einen grünen Zweig komme, 103 bitte ich Sie um einen Vorschuß von 5 Grévydors zum Course von 81,10.

* * *

Tunis, den 13. Mai 1881, Abends.

W. Nach einem ermüdenden Ritt und hungrig – ich hatte den ganzen Tag nur eine Kokosnuß getrunken und etwas Kameelspeise (das tunesische Nationalgericht) genossen – kam ich gestern Morgen nach einer wahren Götterdämmerung vor Tunis in Manoubia an. Mit mir die von General Bréard geführte französische Armee. Unterwegs hatte die Armee, ohne ein Schwert zu streichen, einen Berg erstürmt und auf demselben den alten Krumir, welcher dort als Wächter einer berühmten Moschee vorgefunden wurde, auf's Haupt geschlagen. Der Greis wurde umzingelt, worauf General Vicendon Besitz von ihm nahm und eine Ansprache an die Truppen hielt, in der er den Einsiedler den Mont Valérien der Tunesen nannte, der für unbezwinglich gehalten worden sei. Aber der Tapferkeit der französischen Truppen habe er doch nicht zu widerstehen vermocht. Da erscholl aus jeder Soldatenkehle ein tausendstimmiges Vive la République, daß sich der Einsiedler kaum auf den Beinen halten konnte.

Heute nun fand der Einzug in Tunis statt. Am Thor wurde dem General Bréard ein Strauß von prachtvollen Federn überreicht, welche Huldigung der Feldherr mit dem 104 Wunsche erwiederte, es möchte der Frieden, welcher seit der Kriegserklärung nicht getrübt worden sei, auch ferner ungestört bleiben.

Hier sahen die Franzosen zum ersten Mal einige Krumirs und begrüßten dieselben auf das Herzlichste. Alsdann begab sich der General zum Bey. Der Bey war vollzählig erschienen. Der General las ihm sofort einen Vertrag vor, den der Bey nicht verstand, und dieser antwortete mit einem Protest, den der General nicht verstand.

Damit war die Annexion Tunesiens vollzogen.

Die Stadt ist ruhig. Kein Freudengeschrei stört die tiefe Stille. Heute Abend findet im Hauptquartier ein Festessen statt, zu welchem der General Bréard sämmtliche Kanonen hat laden lassen.

Der Bey zog sich verstimmt in den Harem zurück, wo er mit seinen zwanzig besseren Hälften allein speiste.


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