Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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25 Die Krönung in Moskau.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir glauben, Ihren Wünschen entgegenzukommen, wenn wir Ihnen den folgenden Vorschlag machen. Die Unthätigkeit, zu welcher Sie der allerorten herrschende Frieden nöthigt, ist Ihnen, wie wir annehmen, lästig, und wir ersuchen Sie daher, uns mit Berichten aus Moskau über die Krönung des Zaren zu versorgen. In Moskau haben wir keinen Correspondenten, und wir möchten doch etliche direkte Nachrichten von dort her veröffentlichen, ohne uns auf den Abdruck solcher aus anderen Journalen angewiesen zu sehen. So hoffen wir denn, Sie für diesen Gegenstand zu gewinnen. Bestärkt werden wir in dieser Hoffnung durch die Erwägung, daß die ganze Krönungsfeierlichkeit ja gewissermaßen etwas Kriegerisches in sich 26 birgt, indem sie durch die Nihilistenbewegung als nicht ganz ungefährlich erscheint und Sie deshalb von Ihrer Lieblingsbeschäftigung, der Kriegsberichterstattung, nicht sonderlich weit entfernt.

Indem wir Ihrer zusagenden Antwort entgegensehen, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 10. Mai 1883.

Nun denn, es sei, Sie sollen mir ein Auge zugedrückt haben, obschon mir die Aufgabe nicht zusagt. Mehr als je fühle ich in diesem Augenblick, daß ich nur als Kriegsberichterstatter in meinem esse delendam bin und mich nur im Marsgetümmel wie ein Hahn im Karpfenteich befinde. Alles Andere ist gegen mein Contrecoeur, vornehmlich weil mir da das Tohu nicht bohu genug ist. Wo sich ein Ereigniß nach einem Programm abspielt, fühlt sich meine sonst so broschürte Phantasie gebunden. Ich weiß, Sie riechen das Eigenlob nicht gern, aber ich muß doch trotzdem sagen, daß mir in der Kriegsberichterstattung Mancher wohl den Wein, aber nicht das Wasser reicht, während ich auf anderen 27 Gebieten der journalistischen Thätigkeit häufig genug wie ein Berg kreise, dem der Storch eine Maus bringt. Im Kriege dagegen stehe ich Ihren Mann. Da ist Leben. Da ist mir keine Flucht zu wild, ich treibe den Feind in dieselbe, da rasire ich die widerhaarigsten Festungen, da halte ich jeden diem perdidi für einen verlorenen, wenn ich nicht wenigstens 500 Mann auf dem Platz lasse. Was aber bietet mir eine Krönung?

Doch, wie gesagt, es sei. Ich liefere Ihnen den Zaren gekrönt in Ihr werthes Blatt, es mag kommen, was da wolle. Gefällt Ihnen meine Krönung nicht, so werfen Sie sie in den Papierkorb und schreiben mir die Leviten. Ich werde – verzeihen Sie das harte Wort! – nicht mucksen.

Wie immer bei außergewöhnlichen Gelegenheiten habe ich mich auch jetzt wieder als Eingeborenen photographiren lassen. Einliegend finden Sie mich als Russen. Die Ausführung des Bildes läßt Manches zu wünschen. Der Photograph besaß keinen guten russischen Hintergrund. Schnee fehlte ihm gänzlich, und statt eines Caviarfäßchens stellte er mir eine Tonne hin, welche groß genug war, um ein ganzes Diogenest zu beherbergen. Nun wollte ich mich als Mazeppa darstellen lassen. Aber der Photograph hatte weder ein Pferd, noch Wölfe, auch hätte ich mich müssen nackt wie ein Splitter ausziehen. So blieb ich denn, wie ich war.

Schicken Sie mir doch einen Julianischen Kalender älteren Datums.

29 Ich kann den Brief nicht schließen, ohne Sie um ein Zeichen Ihres werthen Vertrauens zu bitten. Noch hat der Generalbriefmeister Stephan das Ei des Columbus nicht ausgebrütet. durch welches die Geldbriefträger vor jedem Ueberfall zu sichern sind. Aber eben deswegen ersuche ich Sie, mich mit dem Besuch eines Geldbriefträgers zu beehren, indem Sie mir einen Vorschuß von 30 Rubeln in Banknoten (zum Course von 202,50) senden. Solch ein Akt des Vertrauens thäte mir heutzutage wohl.

* * *

Moskau, den 8. Mai 1883.

W. Ich bin heute, also vor 12 Tagen, am 26. April, hier angekommen. An der Grenze welche Belästigungen! Man fragte mich: Haben Sie Dynamit zu versteuern? Ich paschollte. Das nützte aber nichts. Die Beamten, wahre Hetmänner, stellten meinen Pelz auf den Kopf, unterwarfen meinen Koffer einer gründlichen Quarantaine, zerbrachen meine Cigarren und leuchteten in alle Ecken meiner Hutschachtel. Ich bot ihnen nun ein Thrantrinkgeld an, sie verweigerten aber die Annahme, bis ich sie durch Bestechung dazu bewog. So groß ist die Furcht, daß irgend ein Fremder mit Bomben die russische Grenze oder irgend ein anderes Unglück passiren könnte.

Ich war recht verdrießlich. Aber ich hing meine üble Laune an den nächsten Purzelbaum und setzte meine Reise 30 fort. In Moskau wurde ich abermals über- und untersucht. Eine Wohnung zu finden, war schwer. Die dicksten Wirthe werden mit Gold aufgewogen. Alte Fenster sind theurer, als sie neu gekostet haben Die Stadt ist so überfüllt, daß sogar das Orchester geräumt werden mußte, welches während der Krönung die russische Nationalhymne begleiten sollte. Die Preise der Lebensmittel sind kaum zu erschwingen. Eine Portion Marder oder gar echten Zobels kostet 10 Rube1, ein mit Hermelin belegtes Butterbrod: 1 Rube1 30 Kopeken, eine Unschlittkerze: 50 Kopeken, ein Fuchs, gefüllt: 15 Rube1, eine Portion Newa-Eis: 90 Kopeken, u. s. w. Man glaubt, in einer belagerten Festung zu sein.

Endlich fand ich ein Zimmer in einer Bodenkammer und zwar in einem von Finnen besetzten Hause. Als ich den Preis zu hoch fand, meinte der Wirth in seinem Moskauderwelsch, der Boden sei die erste Etage, weil man von oben am Besten sehen könne. Erst später erfuhr ich, daß hier gar nichts vom Zaren zu sehen sei, doch hat meine Kammer einen separaten Ausgang, so daß ich jeden Augenblick nach dem Kreml gelangen kann.

Moskau wird unter solchen Umständen reich werden, und wenn sich der Zar wenigstens quartaliter ein Mal krönen ließe, so würde jeder Bürger bald jeden Sonntag sein Talglicht im Topf haben.

Die Stadt bereitet sich emsig auf die Krönungsfeierlichkeiten vor. Alle Spuren des Brandes, durch welchen 31 Rostopschin (sprich Rostopschin) in den Septembertagen des Jahres 1812 die Stadt in Asche aufgehen ließ, sind vertilgt. Die Häuser sind beflaggt, viele Zeitungsartikel werden frisch gestrichen, und hinter jedem Fremden sieht man einen festlich gekleideten Spion. Jeder Eisenbahnzug pfeift Schaaren neuer Gäste aus allen Ländern der Windrose in die alte Krönungsstadt, in welcher schon so viele Selbstherrscher das Scepter ihrer Väter bestiegen haben. Das Volk wird fürstlich bewirthet werden. Ungeheuere Mengen von Wild- und Zahmpret werden zubereitet, um in dem Augenblick genossen zu werden, wo der Zar sich den Reichsapfel auf's Haupt setzt. Dazu sind viele Oxhöfte heißen Punsches kalt gestellt, um das Mahl zu würzen.

Trotz alledem fällt Einem aber doch dann und wann das Herz wie Espenlaub in die Unaussprechlichen, wenn man an das denkt, was geschehen kann. Wie, wenn die Nihilisten dennoch hoffen, daß der Zar mit einem Tropfen demokratischen Sprengöls gesalbt würde? Allerdings ist die Polizei vorbereitet, jeden Augenblick vom Juchten zu ziehen, dann aber ist es schon zu spät. So ist der Aufenthalt hier denn ein unheimlicher, und Jeder wünscht, erst wieder seine heile Haut zum heimathlichen Markt tragen zu können. Wer die Lage der Dinge anders schildert, schildert sie der Unwahrheit gemäß.


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