Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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93 Der französisch-tunesische Krieg.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir haben Ihnen bereits mitgetheilt, wie erfreut wir waren, als Sie uns eine Reihe von Berichten aus Tunis ankündigten. Dann aber machten Sie uns durch Ihr räthselhaftes Verzögern ungeduldig, oder spannten uns durch allerlei Zuschriften förmlich auf die Folter. Durch einen Brief verlangten Sie eine Specialkarte von Tunis, obschon selbst der französische Generalstab keine solche besitzt. Wozu nun Sie eine derartige Karte haben wollen, ist uns unerklärlich. In einem zweiten Brief bestellen Sie sich ein Abdelkader-Costüm, in einem dritten gar einen Kameelsattel. Wir sind Ihnen die Antwort schuldig geblieben, weil unsere Redactionsgeschäfte uns wirklich zu solchen überflüssigen Unterhaltungen 94 keine Zeit übrig lassen, und behalfen uns mit bearbeiteten Auszügen aus größeren Journalen. Soll dies auch ferner geschehen, so bitten wir Sie, uns kurz zu sagen, daß Sie nicht Lust haben, uns mit tunesischen Berichten zu versorgen.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 26. April 1881.

Sie sind außer sich, aber ich werde Sie rasch wieder in das Häuschen bringen, oder besser: Sie werden auf's Neue in die Haut fahren, nachdem ich Ihnen Alles erklärt haben werde, und zwar, wie der laurige Horatius sagt, ab ovo. Dies ist wörtlich zu nehmen: vom Ei aus, wie die Entdeckung Amerika's.

In meiner Einsamkeit ist es mir ein Trost, an hohen Festen mich in meine Jugend zurückzuträumen, indem ich dieselben feiere, wie ich es als Kind gethan. Weihnachten überrasche ich mich mit einem Tannenbaum, am Fluchttage Mohammed's mache ich eine Spritz-Hedschra in die Umgegend, und zu Ostern verstecke ich Eier und suche sie dann, bis ich sie gefunden habe. So auch diesmal. Aber denken Sie sich meinen panischen Aerger, als ich mich nicht erinnern 95 konnte, wohin ich das letzte Ei gelegt hatte. Ich suchte wie eine Stecknadel, aber, wie ich auch brütete, das Ei war nicht zu finden. So vergingen die Tage. Gewiß, Sie halten dies für haus- und hofbacken und rufen mir zu: »Sonderbarer Posa!« aber mein Gemüth bewahrte sich nun einmal – verzeihen Sie das harte Wort! – seine Naivetät, ohne welche mein Leben leer und meine ganze Thätigkeit ein Travailler pour une omelette wäre.

Bald freilich fing Tunis an, mir auf den Nägeln zu brennen, und ich erinnerte mich, daß ich Ihnen versprochen hatte, die Kriegsfurie zu entfachen. Mein erstes also war, daß ich mich wie gewöhnlich photographiren lassen wollte. Das aber war in dieser Stadt nicht leicht. Ich bat Sie zwar um einige wichtige Requisiten, aber das Wichtigste fehlte: das Kameel, das tägliche Brod des Tunesen. Was hätten Sie wohl gesagt, wenn ich mich als tunesischer Kriegscorrespondent zu Pferde, zu Strauß, zu Maulthier, oder gar zu Fuß hätte photographiren lassen? Endlich lächelte mir eine durchreisende Menagerie, welche ein Kameel mitführte. Es war freilich ein wahres Trampelthier und hatte leider einen Buckel, im Uebrigen aber war es wohlgebaut, und so miethete ich es denn für eine Sitzung und ließ es in den Garten des Photographen bringen. Der Aufstieg war beschwerlich, oben aber wurde ich durch eine herrliche Aussicht belohnt und – hier ist das Bild. Betrachten Sie es, wenn nicht als ein großes Scherf, so doch wenigstens 97 als ein Scherflein zu dem Album Ihrer Redaction, unter deren Mitarbeitern ich ja doch das älteste, das Nestorküchlein, bin.

Nun an die Arbeit. Zum zweiten Mal soll ich Ihnen aus Afrika, dem Erdtheil, welcher bekanntlich so dunkel ist, daß man die Hand vor Augen nicht sieht, meine Berichte senden. Die Concurrenz ist diesmal größer. So lese ich, daß der Lyoner »Républicain du Rhône« anzeigt, sein Correspondent habe einen Kadi zum Freunde, der ihn mit Nachrichten unterstützen wolle. Verbreiten Sie also die Nachricht, daß ich mit drei Kadis befreundet sei. Einer ist mir zu wenig, aller guten Kadis sind drei. Aber seien Sie überzeugt, auch ohne Kadis werde ich wieder der Hecht im Sauerteig sein.

Schließlich nehme ich an, daß Sie vielleicht tunesische Piaster und Karuben liegen haben, die Sie in Berlin nicht ausgeben können. Um Ihnen nun gefällig zu sein, bin ich bereit, sie anzunehmen. 1 Tunesischer Piaster hat 16 Karuben und ist 54 Pfennige werth. Senden Sie mir nur dreist für 50 Mark und notiren Sie sie mir als Vorschuß.

* * *

Tunis, den 21. Joumada-el-Oula 1298 (22. April 1881).

W. Die Sanduhr der nahen Wüste schlug zehn Uhr, als ich gestern Abend von einem Besuch an der Grenze nach 98 einem förmlichen Löwenritt hier wieder eintraf. Mein feuriges Dromedar ließ sich um keinen Preis zu einer langsamen Gangart anspornen, da es von den Mosquitos arg belästigt wurde und sich nach dem Stall zurücksehnte. Auch war am Wüstensaum wenig Speise und Trank zu finden: es hatte lange kein Manna geregnet, und vergeblich schlug ich an einen Felsen, es kam kein Wasser heraus. Die Palmen rauschen eben nicht ungestraft über den Häuptern einsamer Reiter.

Ich habe mich nun überzeugt, daß die Tribus mit dem Bey unter Einer Decke Ernst machen, von »spielen« kann nicht die Rede sein. In einem Kauder, welches nicht welscher zu denken ist, sagte mir ein Khrumir (sprich: Khrumir), die Tunesen seien bis an die Haare auf den Zähnen bewaffnet, mit ihnen sei schlecht Datteln essen, die Franzosen würden bald die Engel im Himmel läuten hören und nicht wissen, wo. Als ich dann etwas erwiedern wollte, sagte er in der bilderreichen Sprache der Orientalen zu mir: Sie sind ein Schaf! Ich brach das Gespräch ab. Den fanatischen Tunesen guten Rath geben, heißt wirklich, Caviar vor die Säue werfen.

Das Ereigniß des Tages ist die Einnahme der Insel Tabarka durch die Franzosen. Von hier aus hatten nämlich die Tunesen auf französische Fahrzeuge geschossen, was ausdrücklich verboten war. Kaum hatten die Franzosen den Rücken gekehrt, als die Tunesen auch – das scheint die 99 Regel de Tribus – wie die Mäuse waren, die, wenn die Katze nicht zu Hause ist, auf dem Vulkan tanzen. Sie schossen haarscharf. Diesen Casus betrachteten die Franzosen als belli, und nicht gewillt, gute Miene zum bösen Beyspiel zu machen, erschienen sie heute Morgen mit einer Schwadron Kanonenböte an der Küste. Ich stand in einer nicht zu weiten Entfernung, so daß ich mit bewaffnetem Fernrohr Alles gut erkennen konnte. Da die Franzosen einen Grund haben müssen, die Insel zu annectiren, so griffen sie die Beysoldaten, welche sofort die Friedenspfeife hißten, tapfer an, konnten sie aber nicht hindern, die Waffen in's Korn zu strecken und sich in wildes Fersengeld aufzulösen. Nachdem dieses Bild des tiefsten Friedens zwei Stunden lang gewüthet hatte, nahmen die Franzosen unter dem Schwenken der Marseillaise von der Insel Besitz.

Ich schließe, das Kameel geht ab.


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