Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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41 III.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihr uns eben zugehender Bericht – und wir sagen dies in der Hoffnung, daß Sie darin keinen Tadel für ihre übrigen Arbeiten erblicken – ist wohl einer der besten und interessantesten, die Sie für uns geschrieben haben. Er ist spannend, fast dramatisch, geradezu erschütternd. Wenn wir ihn trotzdem unseren Lesern vorenthalten, so liegt dies einfach daran, daß er den Stempel der Erfindung allzudeutlich zur Schau trägt, denn Sie schildern Ihren Transport nach Sibirien!

Daß Sie, wie Sie erzählen, im Besitz einer Apfelsine in den Verdacht geriethen, mit einer Sprengbombe den Kreml betreten zu wollen, und verhaftet wurden, klingt vielleicht glaubwürdig. Daß aber die Kosaken, welche Sie ergreifen, mit Ihnen anstatt zum Untersuchungsgefängniß direkt nach Sibirien abmarschiren, ja, wie Sie jammern, 42 Ihnen nicht einmal erlauben, Ihrer Braut (?) ein »Schöne Minka, ich muß scheiden!« zuzurufen, das klingt so unglaubwürdig, daß wir recht sehr bitten, nicht auf Ihrer Verbannung nach Sibirien zu bestehen, so viel Aufsehen diese Thatsache hervorgerufen hätte.

Wir erlauben uns, Ihnen einen Vorschlag für ihren nächsten Brief zu machen. Die Krönung ist vollzogen, und es bleibt ihnen nichts zu berichten, was Ihre Leser nicht schon wüßten. Nun machen Sie sich daran, uns eine Reihe von Anekdoten von dem Krönungstage mitzutheilen, wie sie ja zweifelsohne von allen Correspondenten werden erzählt werden. Hier können Sie Ihrer Phantasie die Zügel überlassen und sehr pikante Einzelheiten bieten.

Denken Sie, bitte, gleichzeitig an den zwischen Frankreich und Tonking ausgebrochenen Conflict, der Ihnen hoffentlich oft Gelegenheit zu interessanten Berichten verschaffen wird.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

43 Bernau, den 31. Mai 1883.

Mein Kopf ist starr. So, wie mir, muß der Frau Lot zu Muthe gewesen sein, als sie um sich blickte und sich durch eine Salzsäule verewigt sah. Wie Columbus den Ocean, durchkreuzen Sie mit einer wahren Schadenwonne meine schönsten Pläne und stoßen dieselben in den Orkus, von dessen Cerberus kein Wanderer wiederkehrt. Es wäre schon besser, ich spräche zukünftig meine Berichte direkt in Ihren Papierkorb hinein, dann sparte ich das schöne Papier und die Mühe, dasselbe bis an den Rand mit Dinte zu füllen. Ja, ich glaube, wenn ich Ihnen eines Tages Goethe's Faust schriebe, so würden sie denselben, ohne ihn auch nur bis zum Gretchenwalzer zu lesen, nicht abdrucken, indem Sie sagen, der Leser glaube nicht an den Gottseibeiihm. Das geht mir aber denn doch – verzeihen Sie das harte Wort! – über den Spaß.

Wenn ich so frei war, meine Verbannung und meinen Transport nach Sibirien zu beschreiben, so hätte Niemand den Kopf dieser Ente geschüttelt, und wenn mir der Leser nur Einen Finger reicht, so sauge ich mir aus demselben die ganze Hand. Weshalb sollte auch der Leser zweifeln? Er weiß leider nur zu gut, daß in diesem Rußland nichts unmöglich ist: Unschuldige müssen in den sauren Minen Sibiriens den Zobelfang ausüben, während der Beamte, mit Unterschleifen geschmückt und geschützt durch einen diebstählernen Panzer, die höchste Verwaltungsleiter erklimmt. Keine 44 Themis der Welt spielt so wenig, wie die russische, blinde Kuh, mit offenen Augen läßt sie der Zunge ihrer Wage freien Lauf. Und nun sollte man nicht glauben, daß ich plötzlich den Wanderstab nach Sibirien im Tornister trug und verurtheilt war, niemals wieder das Licht der Welt zu erblicken?

Dazu kommt, daß ich gar nicht die Absicht hatte, das Ziel zu erreichen, oder spurlos zu verschwinden. Kaum zehn Werst (sprich: Werst) hinter Moskau wollte ich durch und durchbrennen und das Weite finden. Bei Nacht und benebelt wollte ich der Eskorte ein solches Schnippchen schlagen, daß ihr Hören und Sehen vergingen, und mit Gefahr meines Lebens, ja selbst mit Gefahr meines Todes auf und davon gehen. Das würde ich dann in einem folgenden Bericht so haarklein geschildert haben, daß man es nur mit bewaffnetem Auge hätte lesen können. Diese Freude haben Sie mir nun gründlich verleidet, meine Verbannung war ein schöner Alp, und meine Flucht werfe ich zu den frömmsten pia desideria.

Dixi et salvavi animam injuriandi!

Dagegen gefällt mir Ihr Rath, eine Anekdoten-Nachlese zu halten, sehr gut, und ich mache mich sofort an die Arbeit. Doch ehe ich's vergesse. Wenn man sich, wie ich, tage- und stundenlang mit einer Krönung beschäftigt hat, so sehnt man sich förmlich nach Fürsten, welche mit unbedecktem Haupt dargestellt sind. Daher bitte ich Sie um drei Zwanzigmarkstücke, diejenigen der freien Städte selbstverständlich ausgeschlossen.

* * *

45 Moskau, den 27. Mai, Abends, jüngerer Zeitrechnung.

W. Von einem leichten Gewitterregen begünstigt, hat heute die Krönung in schönster Ordnung stattgefunden. Kein Mißklang störte das seltene Fest. Sie werden mittlerweile den Wolff'schen Draht erhalten haben. Die Schwarzseher, welche zugegen waren, sahen Alles, nur nicht schwarz. Die großen Rosinen, welche die Nihilisten in den Säcken verborgen hatten, waren sauer.

In diesem Augenblick schwimmt die Stadt, vom Kreml bis hinaus zu den endlosen Kirchhöfen, auf denen der Eine russische Todte begraben liegt, in einem Meer von Licht, so daß man vor lauter Flammen die Illumination nicht sieht. Bei dem Scheine derselben theile ich Ihnen einige Anekdoten aus den Festtagen mit.

* * *

Als die Krönung ihr Ende erreicht hatte, drängte der ganze Kreml zu den Garderoben. Hier wurde das Tohu überbohutet. Da waren denn Verwechselungen und Irrthümer unvermeidlich. So bekam Heinrich V. von Frankreich einen falschen Purpur und zwar den des Königs von Dänemark, und merkte dies erst, als Er vor der Thüre war und in der Purpurtasche ein dänisch-russisches Dictionär fand. Er eilte zurück und traf den dänischen König, der außer Sich war. Als Er Ihm aber nun den Purpur zurückgegeben hatte, 46 lächelte der König von Dänemark höchstselbst und sagte mit bekannter Leutseligkeit: »Am Ende hätten Ew. Majestät Unseren Thron bestiegen und Wir wären gezwungen gewesen, die französische Republik zu stürzen, um nicht zu kurz zu kommen!« Das Gelächter der umstehenden Fürsten kann man sich denken.

* * *

In der Garderobe bemerkte der Fürst von Bulgarien zu Seinem Verdruß, daß Ihm Sein Scepter vertauscht war. An dessen Stelle fand Er einen Regenschirm. Er klagte dies dem Prinzen Heinrich von Hessen. »I«, sagte Dieser fein, »es ist schlechtes Wetter, und unter Umständen ist ein Regenschirm besser als ein Scepter.« Der Bulgarische Fürst verbeugte Sich nachdenklich.

* * *

Vor dem Kreml stolperte der Dänische Gesandte, Graf von Toll, indem er dem König von Rumänien ausweichen wollte, und fiel zu Boden. »In Ungnade gefallen, Majestät?« fragte der Gesandte. Der König hob ihn mit starken Armen auf, indem Er sagte: »Im Gegentheil, Wir erheben Euch in den Fürstenstand.« Der Gesandte wußte sich kaum zu fassen und ließ sich sofort huldigen. Wie Recht hat das Glas Wasser: Kleine Ursachen, große Wirkungen!

* * *

47 An der Galatafel sagte der Fürst von Montenegro zum König von Griechenland: »Wir möchten gerne mal nach Athen kommen, um die Residenz Ew. Basileusität kennen zu lernen.« Der sehr galante König bat Ihn, Ihn im nächsten Winter auf ein Löffelchen schwarze Suppe zu besuchen und bei Ihm zu wohnen. »Ach«, sagte der Fürst, »im Winter sind die Tage so kurz.« Dies hörte der König von Spanien und rief: »Dann kommen Sie nach Madrid, in Meinem Reiche geht die Sonne nicht unter!« Da blieb kein Bauch vor Lachen ungehalten.

* * *

Der Zar waren durchaus nicht so ernst gestimmt, wie die Correspondenten, welche nicht in den Kreml eingelassen wurden, aus Aerger melden. Er waren sogar heiter. Am Sonntag Morgen sagten Er zu dem Metropoliten von Nowgorod: »Nun nimm Dich in Acht und verkröne und versalbe Dich nicht!« Die umstehenden Fürsten wie der Geistliche waren sprachlos über so viel Herablassung des Selbstherrschers.

* * *

Zu welcher Vertraulichkeit des Ausdrucks die Fürsten sich hier hinabschwangen, beweist das folgende Geschichtchen. Die Krönung des Zaren sollte eben ihren Anfang nehmen und die Musik beginnen, als einer der Parterre-Könige, dessen 48 Name mir auf der Zunge schwebt, von einem seiner hinter ihm sitzenden Minister darauf aufmerksam gemacht wurde, daß doch nicht alle Anwesenden die Krone oder den Stammbaum mit der Wiege eingesogen hätten, es seien auch Männer gegenwärtig, deren Storch bürgerlich gewesen und die nur ein unfürstliches Licht der Welt erblickten. Dabei zeigte er auf die Zeitungsberichterstatter und andere niedrig geborene Zuschauer, welche im Hintergrunde des Krönungssaales saßen. Als dies der König vernahm, geruhte Er, sich zu erheben und zu sagen: »Nun, nun, die Leute mögen dableiben. Alle Menschen können unmöglich Könige sein, es muß ja auch Unterthanen geben.«

Die umsitzenden Fürstlichkeiten waren von diesen liebenswürdigen und wohldurchdachten Worten ganz entzückt.

* * *

In den spanischen Hofkreisen herrscht heute noch die wundervolle Grandezza wie damals, als die Ketzer das Autodafé bestiegen. So geschah es in der Galaoper des Moskauer Theaters, daß der Infant von Spanien, Don Carlos, die Prinzessin Eboli in seine Loge befahl. Die noch immer sehr reizende Dame erschien. Der Infant blickte sie eine Weile an, um dann zu niesen. »Zum Wohlsein!« hauchte die Prinzessin mit einer tiefen Verbeugung. Der Sohn des mächtigen Königs aber fing sie auf und sagte mit 49 mildem Lächeln: »Ja, ja, Eboli, Ich kann noch immer nicht niesen, wenn Ich nicht in die Sonne sehe.«

Als dann die Prinzessin die Loge verließ, wurde sie von Marquis Posa, Herzog Alba und anderen Würdenträgern des spanischen Hofes herzlichst umarmt und beglückwünscht.

* * *

Der Hofball, welcher am Abend nach der Krönung stattfand, war äußerst elegant. Das Eis floß in Strömen, vollwichtige Goldfische wechselten mit echten Silberfasanen ab, und kostbare Weine wie Châteaux en Espagne und andere riefen die reizendsten Aeffchen hervor. Kein Wunder, daß auf dem dem Souper folgenden Ball die Beine der hohen Herrschaften nicht immer der Musik gehorchten, – Terpsichore drehte sich im Grabe um. Der Zar hatte das vorher geahnt und ein Arrangement dadurch getroffen, daß er für den Cotillon nur echte russische Orden befohlen hatte. Da nämlich fast alle Gäste bereits sämmtliche russische Orden besaßen, so hatten sie eine gute Ausrede, die Damen, welche mit einem solchen Orden auf sie zukamen, abzuweisen.

Der Zar selbst tanzte aus einem anderen Grunde nicht. Die Königin von Holland erzählte beim Fortgehen, sie habe ihn zwar flehentlich um die Ehre gebeten, ein einziges Mal mit ihr um den Kreml herumzutanzen, er habe aber sehr 50 ernst und gravitätisch geantwortet: »Ich tanze nur auf einem Vulkan!«

* * *

Als der Hofball zu Ende war, riß einer der Könige, den ich aus naheliegenden Gründen verschweige, ein reizendes Citat. Er hatte nämlich mehrere Flaschen Liebcliquotmilch getrunken und fürchtete daher, das Pferd zu besteigen, das ihn nach Hause traben sollte. Als er nun sah, daß ihm das Pferd vorgeführt wurde, rief er lallend aus: »Kein Pferd, kein Pferd, mein Königreich für kein Pferd!«

Unter dem lauten Gelächter seiner Mitkönige suchte er dann zu Fuß das Gesandtschaftshotel aus, in welchem er bekanntlich wohnte.

* * *

Selbstverständlich gingen die Gäste des großen Balles, den der Botschafter des Deutschen Reiches gegeben, nach dem Schluß des Festes direkt in irgend ein Wirthshaus, um sich bei einem Seidel kühlen Gambrinusses von den Anstrengungen des Abends zu erholen. So saßen denn mehrere Herrscher um einen runden Tisch herum in dem berühmten Bierhaus »Zum Zar und Zimmermann«, bunte Reihen bildend, indem immer ein constitutioneller zwischen zwei absoluten Monarchen saß. Man war sehr lustig, man rieb sich vergnügt die Salamander, man trank sich unter den Zurufen: »Ich komme 51 Ew. Majestät die Blume!« und »Ich komme nach, Großmächtigster!« den schäumenden Trunk zu. Da bemerkten sie plötzlich, wie ein Purpurmarder mit einem der Hermeline, welchen er abgehakt hatte, das Lokal verlassen wollte. Aber im nächsten Nu waren die Fürsten schon über den frechen Menschen hergefallen, hatten ihm den Purpur – es war der des Königs beider Italien – wieder abgenommen, und nun bewarfen sie ihn mit Silberrubeln, welche der kecke Inflagrantus, allerdings unter heftigen Schmerzen, aufsammelte und in die Tasche steckte.

So lynchen Könige.

* * *

Eine recht peinliche Scene spielte sich in der Garderobe des Kreml ab und zwar am Ballabend. Hier standen mehrere Frauen, welche den ankommenden regierenden Herrscherhäusern den Winterpurpur, die Scepter, die Kronen, Aepfel und andere Insignien abnahmen, die beim Tanze nur stören. Da erschien denn auch ein schwarzer König, welcher nicht nur seine Lanze, seine Pfeile und seinen Bogen ablegte, sondern sich alsbald unter dem herzzerreißenden Geschrei der Garderobefrauen derart entkleidete, daß er nur noch einen Nasenring und eine Schürze mit einem Orden trug. Das Geschrei der Frauen nahm er für Hochrufe der Loyalität, welche er mit liebenswürdigen Verbeugungen beantwortete. Die immer röther werdenden Frauen holten endlich einen 52 der Dolmetschersprache mächtigen Beamten herbei, welcher dem afrikanischen Tyrannen zu verstehen gab, daß er in solcher Untracht unmöglich den Ball des Zaren mitmachen könne. Darüber wollte denn der uncivilisirte Monarch aus der Haut fahren, womit aber der herrschenden Sitte noch weniger gedient sein konnte, und schon wollte er den Anwesenden an die Skalpe, als zum Glück ein russischer Großfürst hinzutrat und ihn in der schonendsten Weise wenigstens nothdürftig bekleidete. So betrat der schwarze König, der, beiläufig bemerkt, ein Menschengourmand ist, den Ballsaal, wo er der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit war und sich im Uebrigen sehr anständig betrug.

Von diesem Tage an aber sah man auf den Korridoren aller Festsäle Moskaus ein Plakat mit der Aufschrift: »Nackten Königen ist der Zutritt nicht gestattet.«


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