Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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117 V.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir danken Ihnen herzlichst für Ihre freundliche Zuschrift zu den Feiertagen, speciell für den beigefügten Wunschzettel, welcher eine große Anzahl von Gegenständen aufzählt, von denen Sie hoffen, daß man sie uns schenken wird. Der Einfall hat uns sehr unterhalten. Während sonst der Wunschzettel stets die vom Schreiber gewünschten Geschenke namhaft macht, enthält der Ihrige nur eine Liste von solchen Dingen, die Sie uns wünschen. Selbstverständlich harren wir noch umsonst auf das Eintreffen auch nur eines einzigen dieser Dinge, denn Sie haben uns Kostbarkeiten gewünscht, welche, wie das Manuscript des Othello von Shakespeare's eigener Hand, nicht existiren, oder, wie die französischen Krondiamanten, etwas allzu kostspielig sind. Doch danken wir Ihnen trotzdem nicht minder herzlich für Ihren guten Willen.

118 Das Manuscript, das Sie uns gleichzeitig zum Abdruck schicken, konnten wir aber leider nicht verwenden. Denn aus der Beschießung des Risikopfes haben Sie einen in der Schweiz zum Ausbruch gekommenen Bürgerkrieg gemacht! Die Arbeit ist ein Meisterwerk schrankenloser Phantasie, besonders da Sie die Tellsage hineinflechten, dem Knaben Tells den Namen Risi beilegen und nun den Apfelschuß als Bombardement des Risikopfes behandeln. Sie sehen wohl ein, daß derlei nichts als eine Kuriosität ist, die doch wahrlich nicht in den ernsten Theil eines politischen Blattes gehört.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 27. December 1881.

Das herrliche Weihnachtsfest! Ein Siedler wie ich würde sich am Abend des 24. doppelt verlassen fühlen, wenn er ihn verlebte, ohne von einem Tannenbaum umgeben zu sein. Freilich, die Zeiten sind leider hin, wo ich als einer der schwersten Nöther meines Elternhauses die Spielsachen vom Tannenbaum pflückte und niemals nöthig hatte, mich dahin 119 zu wünschen, wo der Pfefferkuchen wächst. Der hing, beleuchtet vom Stearin, massenhaft in den Zweigen, und ich brauchte nur zuzugreifen, um ihn im Magen zu haben. Dazwischen tannenbaumelte Allerlei, was mir die Eltern gewünscht und unter den theuersten Gegenständen im 50-Pfennigladen ausgesucht hatten. Nun sind meine Kinderschuhe vergangen, und meine braunen Locken sind der kahlen Platte gleichgemacht, welche meinen Schädel nur spärlich bedeckt. Aber wenn auch, ich feiere doch das Weihnachtsfest fröhlich wie ein Backfisch im Wasser. Könnte ich das nicht, so wäre das Leben für mich nichts mehr, als was die Katze auf dem heißen Brei forttragen kann; es wäre langyant. Und ich mag noch so alt werden, in mir wird immer wieder das Kind lebendig. Wenn ich übertreibe, so soll mich, – verzeihen Sie das harte Wort! – der Waldteufel holen!

Am Sonnabend Abend – es mochte in zehn Minuten fünf Minuten vor acht Uhr sein – stand denn nun auch mein Tannenbaum wieder in hellen Wachskerzen. Ich selbst beugte mich unter der Last einer neuen Weste, die ich mir hatte machen lassen, während um den Baum herum andere nützliche Sachen, die ich mir gekauft hatte, standen und lagen: ein Alpenstock, ein Kalender vom Jahre 1879, ein Gasuhrschlüssel, eine Erbswurst, ein ausgestopfter Kanarienvogel, welchem der Kopf fehlt (große Seltenheit!), ein Kameelsattel, eine Donnerbüchse, ein leeres Caviartönnchen, ein Mosquitonetz, die Pfeife einer Lokomotive, kurz, lauter Dinge, die man sich 120 sonst nicht anzuschaffen pflegt und die man auch nicht geschenkt bekommt. O, ich war so glücklich, daß ich sprang wie eine Fensterscheibe im Feuer, ich hätte einen Wald von Purzelbäumen schießen mögen! Und dazu hatte mir meine Wirthin noch mein Leibgericht (Klops à la Stadt der reinen Vernunft) bereitet, so daß ich bei lebendigem Leibe selig war.

In dieser Stimmung nahm ich mir auch vor, über Ihren Brief nicht böse zu sein, wie überhaupt das Eisen nicht wieder so heiß zu essen, wie es geschmiedet wird. Mit dem Schweizer Kriege, den ich durch das Bombardement des Risikopfes eröffnete, wollte ich Ihnen und Ihren Lesern ein Weihnachtsgeschenk machen, – Sie lehnten es ab, und ich verliere und finde nichts darin. Ich müßte ja mit dem Blinddarm geschlagen sein, wollte ich da eine Feindseligkeit erblicken.

Einliegend das Ende des franzö-tunesischen Krieges. Ich möchte im nächsten Jahr nichts mehr mit demselben zu thun haben.

Ohne Weihnachtsgeschenk sollen Sie mir aber doch nicht entwischen. Ich habe Ihnen eine Postquittung über 80 Mark zugedacht, die Ihnen natürlich nichts kosten soll. Darum bitte ich Sie, mir einen Vorschuß von 79 Mark 80 Pf. zu schicken und mein Conto mit 80 Mk. zu belasten.

Zum neuen Jahr wünsche ich Ihnen noch alles mögliche Profit, das Sie sich selbst wünschen.

* * *

121 Tunis, am Bord des »Gambetta«, den 22. December 1881.

W. Ich habe Ihnen die frohe Botschaft zu bringen, daß die Friedenstaube, also der lieblich am ruhigen Bach gelagert liegende Knabe Schillers, dem Abschluß nahe ist. Während ich dies in dem engen Dachstübchen des Dampfers, der mich nach Paris tragen soll, schreibe, erinnern sich am Ufer die ältesten Leute nicht, sich jemals so freudig umarmt zu haben, als in Folge der Nachricht, daß kein Blut mehr über die Klinge springen soll. Auch das Militär freut sich, daß Eris nunmehr den Apfel der Eintracht zwischen die Streitenden warf und daß Bellona endlich ihr Gorgonenhaupt zur Ruhe legt. Wenn Krieg von kriegen herkommt, was konnten denn hier die Franzosen kriegen? Die Tunesen gewiß nicht, denn diese flüchteten stets in die Berge der Wüste und kamen nur hervor, um ein wohlassortirtes Zeltlager zu zerstören, oder die Besitzungen in Asche zu stecken. Der französische Adler (Glo-Aar) fiel, als er endlich dahinter kam, förmlich aus den Wolken. Länger hier Heldenthaten zu vollbringen, so sagten sich die Franzosen, hieße: Caviar vor die Säue werfen. Das Nichtsthun war ihnen schrecklich, und das ist ja begreiflich: Dolce et farniente est pro patria mori.

So kam's. Der Krieg ist zu Ende, die Armee vertauscht das Kameel, das Schiff der Wüste, mit dem Dampfer, dem Kameel des Meeres. Heute noch stechen die Schiffe in 122 See, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Der Jubel der Soldaten spottet jeder Freude. Die Kanonen gähnen ihre Salutschüsse. Noch einen Blick werfe ich aus meinem Kriegsoperngucker auf das Ufer, und dann: Adieu, Tunis! nicht ohne daß ich mich umdrehen und Frankreich zurufen möchte: Wenn Du wieder einen Quidquid agis anfangen willst, thue es nach reiflichem Prudenter agas und bedenke das Respice

Finem.


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