Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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80 Athen vor dem Kriege.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir sagen Ihnen für Ihre liebenswürdige Gratulation unseren besten Dank und erwidern dieselbe herzlichst. Ihren Wunsch aber, wir möchten Ihnen, da Sie nicht nach Berlin kommen wollten, unseren Hut und eines unserer Fenster dorthin senden, damit Sie uns ersteren angetrieben und letzteres zertrümmert retourniren könnten, brauchen wir wohl nicht ernst zu nehmen. Sie scheinen zu glauben, daß dem Berliner ein Neujahrswunsch ohne solche und ähnliche Verwüstungen kein vollgültiger sei, das aber ist doch nur in einem kleinen Kreis unserer Mitbürger der Fall, die Mehrzahl, zu der wir gehören, begnügt sich noch immer mit einem »Prosit Neujahr!« und einem Druck der Hand.

81 Es thut uns aufrichtig leid, Ihren ersten diesjährigen Bericht nicht verwenden zu können. Denn derselbe enthält ein ausführliches Protokoll des europäischen Schiedsgerichts, in einem Augenblick, wo die Idee eines solchen als völlig aufgegeben zu betrachten ist. Alle Zeitungen bestätigen dies, und die griechische Deputirtenkammer hat in ihrer Sitzung am letzten Tage des alten Jahres deutlich genug gesprochen. Und nun wollen Sie unseren Lesern erzählen, was das Schiedsgericht beschlossen hat? Unmöglich!

Indem wir hoffen, daß Sie bald mit einem anderen Bericht Ihre Thätigkeit im neuen Jahre beginnen, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 6. Januar 1881.

O es ist abscheußlich! So betrete ich denn abermals den neuen Sylvester mit der Aussicht, mich immer wieder bei jedem meiner Berichte mit Ihnen wie Katzen um den heißen Brei streiten zu müssen, anstatt, wie ich hoffte, für frühere Unbill in allen Sätteln gerächt zu werden. 82 Jedesma1 ist es mir, als schnitten Sie muthwillig Tisch und Bett zwischen uns entzwei, und ich sollte mir endlich eine andere Stellung suchen, um nicht unausgesetzt pour le roi de Prusse die Danaidenfässer mit Eulen füllen zu müssen. Aber immer wieder bin ich milde gestimmt, denke, daß sich Alles zum Guten wenden wird, und – das ist der Fluch der guten That – komme dann wieder auf Sie, wie ein rechter Hammel auf meine ersten revenons, zurück. Zumal jetzt, wo das neue Jahr eben von dem Storch der Ewigkeit gebracht worden ist. Freilich war das vergangene Jahr kein gutes, seine Räthsel sind schlecht gerathen, es hat uns nicht weiter als aus dem Häuschen gebracht, und was es versprach, ist ungehalten wie wir. Um so hoffnungsvoller ging ich mit dem Kopf durch die Jahreswende, und als ich in der Sylvesternacht Morgens durch die alterthümlichen Straßen dieser Stadt mein stilles Heim aufsuchte, da sang ich das alte Lied:

»Freut Euch des Lebens,
Weil noch das Eisen glüht,
Schmiedet die Rose,
Eh' sie verblüht!«

Leid thut es mir trotzdem, daß Sie mein Schiedsgericht abgelehnt haben: es lag in der Luft, und ich griff es aus derselben. Ich kann nicht oft genug wiederholen, daß es, wie Oktavio sagt, kein Heldenstück ist, über eine vollzogene Thatsache zu berichten. Alle Welt sprach von dem Schiedshufeisen, und das Begehren des Publikums nach Neuem ist 83 ein Moloch, welches man stopfen muß. Sie sind anderer Meinung, und ich – verzeihen Sie das harte Wort! – füge mich. Um so willkommener wird Ihnen ein Bericht aus Athen sein, von welcher Stadt man so wenig weiß. Ich halte es aber für wichtig, jetzt etwas aus dieser Stadt zu bringen, denn der Mars zwischen Sr. Majestät dem König Basileus und dem Sultan ist doch nur noch eine Frage der Zeit.

Sie sehen mich fragend an? Nun denn: Ja, die Sylvesterbowle hat meine Casse ganz verschlungen, und ich bitte Sie daher um einen Vorschuß von 65 Drachmen. Die an 50 Mark fehlenden 2 Drachmen weniger 23 Pf legen Sie gefälligst in Freimarken bei.

* * *

Athen, den 2. Januar 1881.

W. So bin ich denn in der klassischen Stadt, die ich schon in der Schule als Alpha-Beta-Gamma-Schütze hoch verehrte.

Es ist heute Sonntag. Trotzdem ist der Janustempel geöffnet. Das ist ein Zeichen, daß die Stimmung eine sehr kriegerische ist.

Ich wohne im Hôtel »Zu den vier Kerberosköpfen,« und als mir heute Morgen das Stubenmädchen Amphitrina den Thee brachte, vergoß sie heiße Seufzer, denn ihr 84 Bräutigam, ein Friseur, Namens Perikles, war gestern zum Militair eingezogen und machte heute schon die Uebungen im Speerewerfen mit. Sie hatte, wie sie sagte, ¼ Talent (etwa 500 Thaler) auf der Sparkasse, und wollte den Geliebten, einen talentlosen Schlucker, eben heirathen, als die Mobilmachung kam. Ich strich ihr, so gut ich konnte, die düsteren Falten vom Halse und tröstete sie, indem ich mich bereit erklärte, hundert Rinder gegen eine Hekatombe zu wetten, daß ihr Geliebter wiederkäme. Sie aber sagte energisch: »Nicht ohne Kreta! Trägt unsere Armee über die türkische nicht die Nike davon, so mag ihn der Zeusseibeiuns holen!« So stürzte sie fort.

Ich würde dieses nicht so ausführlich erzählt haben, wenn ich an diesem Epopöechen nicht zeigen wollte, wie hier Alles in den Krieg treibt und nicht eher ruhen wird, bis sich Constantinopel dem hölzernen Pferde beugt.

In den Straßen merkt man das so recht. Ueberall toben die Wilden an den Mauern. Die dorischen Säulen sind mit aufrührerischen Plakaten bedeckt. Ein gewisser Pelasker, welcher in einer öffentlichen Versammlung gegen den Eroberungskrieg sprach, entging nur mit Mühe der Lynchthemis. »In die Skylla mit ihm! Stoßt den Helotensänger in den Styx! Zeigt ihm das Gorgonenhaupt!« schrie das Volk durcheinander, und fast wäre er durch einen Diskoswurf verwundet worden.

85 Die Auffindung der Statue der Pallas Athene goß natürlich Oel in diese Stimmung, die ich eine minervöse nennen möchte. Man hält die Statue bona phidias für echt. Dem sei nun, wie ihr wolle, jedenfalls sehen die jungen und alten Griechen in ihr einen Wink des Olympos und sind nun überzeugt, daß ihnen der Sieg gewiß sei. So wuchern sie mit ihrem Funde!

Flanirend stieß ich auf die Controlversammlung eines Bataillons Helden. Es fand der Namensaufruf statt. Das klang:

»Andra!« Hier! »Moi!« Hier! »Ennepe!« Hier! »Musa« Hier! »Polytropon!« Hier! »Hos!« Hier! »Mala!« Hier! »Polla!« Hier! So ging es fort. Man sieht sich wirklich in die Zeiten der Odyssee zurückversetzt[»Andra moi ennepe, Musa, polytropon, hos mala polla«, in griechischer Schrift ’Άνδρα μοι έννεπε, Μου̃σα, πολύτροπον, ὸς μάλα πολλὰ, ist der erste Vers von Homers Odyssee.].

Nun: Alpha-Delta! Nächstens mehr.


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