Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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67 Der Ulan.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir erlauben uns, Ihnen Ihren Artikel, den wir soeben erhielten, mit der Bitte zurückzuschicken, denselben gefälligst einer Umarbeitung zu unterziehen, und wenn dies sofort geschehen kann, so würden Sie uns einen wesentlichen Dienst leisten. »Der Ulan« war uns zwar sehr willkommen, aber Ihre Auffassung des ganzen Ereignisses führte Sie doch zu weit. Denn Sie lassen den König von Spanien derart beleidigt sein, daß er Frankreich den Krieg erklärt, und gleichzeitig wissen Sie auch schon von kleinen Reibereien, Scharmützeln und Vorpostengefechten zu erzählen, welche an der französisch-spanischen Grenze bereits vorgefallen seien. Eine solche Ausnützung des im Großen und Ganzen doch 68 ziemlich episodischen Pariser Vorgangs können wir, die wir die Verantwortung gegenüber dem Publikum tragen, doch nicht zulassen. Sie werden daher unser Ersuchen gerechtfertigt finden und Ihrem Artikel möglichst rasch eine andere weniger fragwürdige Gestalt geben. In dieser Erwartung grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 11. October 1883.

Immer und immer wieder zwingen Sie mich, daß ich mich dann und wann als fünftes Rad am Pfau betrachten muß. Gerade dann, wenn ich meinen Kopf so recht angestrengt habe, um den Nagel auf denselben zu treffen, geben Sie mir zu verstehen, daß ich wieder einmal irgend etwas allzu toll patschte, indem Sie mir nachzuweisen suchen, daß ich die Weltgeschichte wie ein Hans in allen Sackgassen aufgefaßt habe. Wenn ich dann so in Ihren werthen Brief wie in einen Eulenspiegel blicke, dann reißt mir – verzeihen Sie das harte Wort! – die Geduld, und ich möchte Ihnen Valet schreiben. Wenn ich es thäte, wie froh würde ich locken!

69 Wer Ihren jüngsten Brief liest, muß glauben, ich hätte nichts als meine fünf Blödsinne beisammen, und es sei in meinem Oberstübchen eine Schraube verbohrt. Diese Betrachtung könnte das härteste Gehirn erweichen! Denn gerade das, was Ihnen einen so großen Griesgram bereitet, giebt meinem Bericht den Werth. Ich sehe in der Alphonzerei, welche die Franzosen getrieben haben, den Samen, aus welchem ganz gewiß die Flinten zweier Nationen emporschießen werden, ich höre schon die spanischen Reiter daherrasseln, und ich halte es für unmöglich, daß das gesalbte Haupt lange ungerochen bleibt. Ja, noch weniger: alle Könige des Weltballs fühlen sich allerhöchst verletzt, und sie werden nicht eher geruhen, bis die ihnen angethane Scharte mit Blut ausgewetzt worden ist. Ich kenne die Könige. Flickt ein Volk irgend einem Monarchen etwas am Purpur, so sind sie Alle aus dem Palästchen. Wie die Glocken in Schillers herrlicher Kindesmörderin zusammenhallten, so die Fürsten: wenn Einer im Stich ist, so läßt ihn der Andere nicht darin, und krümmt man dem Einen ein Haar, so wird es sich dem Andern sträuben. Oft suchen sie wohl Händel unter einander und finden sie auch, und wehe dem Hühnchen, welches ein Herrscher mit dem andern pflückt, und am Ende hat jeder Herrscher nicht nur am Sonntag solch ein Hühnchen im Topf, aber wenn in einem Gekrönten das monarchische Princip verletzt ist, dann ist keine Lanze sicher, von dem einen König für den anderen gebrochen zu werden. Und 70 daher sage ich Ihnen schon heute: Kommen die Franzosen für das, was sie dem König von Spanien gethan, mit braunem und blauem Auge davon, dann haben sie mehr Glück als me comprenez-vous?

Dazu kommt noch der Harnisch, in den ich persönlich gerathen war. Ich gehöre wahrlich nicht zu der Schaar von Wenzeln, welche sich eines Königs aus Eigennutz annehmen. Aber Alphonso war Gast, und Paris, welches doch mit seiner Bildung niemals dünnthut, verletzte das Gastrecht, indem es den König mit Heulen und Zähneklappen empfing, mit überreifen Cigarren und Aepfeln bewarf und in anderer Weise die Rohheit auf die Spitze der Civilisation trieb. Und alles das, weil er in Deutschland mit einem Ulanenregiment dekorirt worden war!

Wäre ich der König gewesen, ich hätte mit dem Schwert um mich gehauen und dem Pöbel gezeigt, was das Scepter für eine Harke ist.

Und all' diesem gegenüber streichen Sie mir den Ausbruch der Feindseligkeiten an den Pyrenäen! Ich kann mir mit dem besten Willen diesen Oerindur nicht erklären. Wenn Sie mich aber ferner so in die Enge treiben, so suche ich das Weite.

Nun, da ich frei von der Leber, die mich drückte, gesprochen, bin ich wieder ganz der Alte. Beweisen auch Sie mir, daß ich Ihnen nicht böse bin, indem Sie feurige 50 71 Vorschußmark auf meinem Haupt sammeln. Denn es wird kalt, und ich brauche Kohlen.

* * *

Paris, den 10. Oktober 1883.

W. Fast 14 Tage sind seit dem Hexensonnabend den 29. September vergangen, seit dem Tage, an welchem in der Hauptstadt Frankreichs ein Treiben wie auf einem Haberfelde stattgefunden hat. Der König ist auf seinen Thron heimgekehrt und hat die Zügel seines Volkes wieder ergriffen, nachdem dasselbe ihm ein so glänzendes Betreten der Hauptstadt bereitet hat als Balsam in die Wunde, die ihm das Pariser Pflaster geschlagen.

Werfen wir einen Blick auf die Ereignisse zurück.

Als die Nachricht eintraf, der König von Spanien sei zum Chef eines deutschen Ulanenregiments ernannt, befand ich mich gerade im Café Revanche in der rue de Strassbourg. (Mit Recht liest man hier das Wort rüde an allen Straßenecken.) Das war ein Hiobstelegramm. Die ältesten Leute trauten ihren Ohren nicht. »Wir sind verrathen!« schrie Alles, »aux armes!« (sprich: aux armes!). Man war wie vom Donner zu Thränen gerührt. Wer sich irgendwie wälzen konnte, wälzte sich zum Bahnhof. Die Fama, welche bekanntlich aus jedem Elephanten einen Dickhäuter macht, hatte den Irrthum verbreitet, der König komme an der Spitze des verliehenen Ulanenregiments nach Paris. 72 Aengstliche Eltern brachten ihre zwei Kinder in Sicherheit. Auf den Straßen rannte Alles wie in einem Irrenhause wild durcheinander, kurz, es herrschte ein unbeschreiblicher Thurm von Babel.

Denn der Ulan versetzt den Franzosen in Angst, ohne ihn wieder einzulösen. Im Kriege war er ihm ein crève-guerre (sprich: crève-guerre), der Ulan war, ein Zieten ex machina, überall und machte ihm den Rhein, den er erobern wollte, zu Wasser, denn gegen den Ulan war aller élan umsonst, und der Franzose konnte von Allem, was er erobern wollte, nichts nehmen als Reißaus. Seit jener Zeit kann sich der Franzose des Espenlaubs nicht erwehren, wenn er den Ulan nennen hört. Sehr begreiflich!

Als nun der König sich zeigte, stieg den Parisern das Blut in den Kopf, den sie völlig verloren hatten, und es erhob sich ein Lärm, der des Königs, seines Gefolges und jeder Beschreibung spottete. Es war horrüpelhaft. »à-bas avec le Uhlan!« schrie Jeder aus tausend Kehlen, von allen Seiten flog Unrath in den Wagen, und wenn man den König ergriffen hätte, wie er es im Innern war, so hätte man vielleicht sein letztes Stündlein geschlagen. Die Kreide in seinem blassen Antlitz verbarg nur schwer seine tiefe Erregung. So fuhr er nach dem Hotel der iberischen Halbinselbotschaft.

Der Rest ist, wie Hamlet sagt, Ihnen bekannt. Alles in Allem: Frankreich hat das monarchische Europa beleidigt, 73 und dieses wird sich der König von Spanien hinter die Ohren schreiben. Das Weitere bleibt abzuwarten. Ohne Zweifel aber wünscht Frankreich schon heute, Europa vergäße, was vorgefallen, und sagte: »Champignon là-dessus!« Europa denkt nicht daran.


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