Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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111 IV.

Herrn Wippchen in Bernau.

Mit aufrichtigem Bedauern ersehen wir aus Ihren jüngsten Briefen, daß Sie, mit Leib und Seele Kriegscorrespondent, dennoch wegen des in Tunis eingetretenen Stillstands der Begebenheiten und weil augenblicklich nirgends ein Krieg in Sicht sei, die Lust an der Berichterstattung verloren haben. Wir können leider an der Lage der Dinge nichts ändern und wünschen auch nicht, daß Sie wieder auf Ihre Absicht zurückkommen, einen fürchterlichen Krieg zwischen England und Irland entstehen zu lassen und vorläufig die einleitenden Feuilletons zu verfassen. Auch Ihre Idee, einen Indianerkrieg zu erfinden, da ein solcher, wie Sie meinen, gar nicht controlirbar sei, gefällt uns ebensowenig. Aber wir hoffen trotz alledem, daß Sie, um uns schleunigst 112 aus der Verlegenheit zu helfen, bei reiflicher Ueberlegung rasch einen interessanten Kriegsbericht aus Tunis zu Stande bringen. Wir vertrauen Ihrer oft bewährten Geschicklichkeit, die uns stets hilfreich zur Seite stand, und grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 8. November 1881.

Ich brach in ein zwerchfellerschütterndes Lächeln aus, als ich Ihre werthen Zeilen las. Sie wollen also, daß ich mir ein Blutbad aus den Fingern sauge, wollen, daß, wo Nichts ist, der Kaiser sein Recht gefunden haben soll. Das ist aber doch wahrlich nicht so leicht, ganz abgesehen davon, daß es falsch ist, einen Kriegsbericht zu schreiben, wenn, wie jetzt in Tunis, sich kein Pulverdämpfchen regt und überall das Schwert ungezogen in der Scheide ruht. Ich schwöre niemals, aber wetten will ich bei Allem, was mir heilig ist, daß keiner meiner Collegen im Stande wäre, unter solchen Umständen auch nur eine einzige Quartseite mit Leichenhaufen zu füllen. Da Sie indeß, wie Sie schreiben, in Verlegenheit sind, so lasse ich mich – verzeihen Sie das harte Wort! – erweichen und mache mich sitzenden Fußes an die blutige 113 Einnahme von Keruan, obschon diese Stadt sich den Franzosen ohne Schwert- oder Kanonenstreich – man entschuldige dies sit venia verbo – übergeben hat. Diese harmlose Uebergabe ist es eben, welche mich so verstimmt hatte. Ich kann es nun einmal nicht leiden, wenn in einem Kriege der Hahn in Ruh bleibt, anstatt daß, wenn er Morgens kräht, das Bombardement beginnt und nun bis zur Nacht eine Bombe in die Fußstapfen der anderen platzt. Mit Einem Wort: Was nützt mir das Rad der Zeit, wenn es nicht gerollt ist! Es ist mir geradezu schrecklich, wenn eine Festung besetzt wird, indem, während der Feind den Einzug hält, die Wache in's Mausergewehr tritt, anstatt froh zu sein, das unbekleidete Leben zu retten. In solchen Fällen ist meine erste Sorge eine Mücke, aus der ich einen Elephanten machen kann, selbst wenn weit und breit kein solcher zu sehen ist. Erlauben Sie mir, daß ich jeder weiteren Beschreibung spotte.

Ich kann nicht von einer unblutigen Einnahme sprechen, ohne Derjenigen zu gedenken, welche ich von Ihrer Seite erwarte. Ist es mein Verdienst, daß Ihr Gebet: »Gieb uns unser toujours perdrix!« erhört wird, so lassen Sie auch, wie Büchmann es nennt, dem Verdienste seine Kronen, und schicken Sie mir deren fünf als Vorschuß. Ich bin so knapp, daß ich wie der Glaube Berge versetzen würde, wenn hier solche wären.

* * *

114 Keruan, den 26. October 1881.

W. Schlag fünf Minuten vor sieben Uhr kam ich heute Morgen vor dieser Stadt an, um gegenwärtig zu sein, wenn die Franzosen den Widerstand ihrer Feinde vom Zaune brechen würden. Daß dies heute geschehen sollte, das hatte mir der Oberbefehlshaber Saussier unter der tiefsten Rose der Verschwiegenheit mitgetheilt. Die Truppen bereiteten sich vor. Die Feldgeistlichen hatten alle Hände voll zu segnen. Die höheren Offiziere ließen sich das Maß zum Lorbeer nehmen, der ihre Stirn heute Abend schmücken sollte, und sprachen über den Verrath, dessen sie angeklagt werden würden, wenn sie heute unverrichteter Siegespalme den Rückzug antreten müßten. Hier sandte ein Regiment seinen Eltern einen schriftlichen Abschiedsgruß, dort zählte ein anderes die heute auszuwetzenden Schießscharten der nahen Citadelle. Dazwischen schmetterten die Bramarbässe der Musikbanden ihre Siegesfanfaren und erdröhnten überall die Marseillaise und das alte Lied: Partant pour la Syrie. Was die Franzosen da wollen, das weiß ich allerdings nicht.

Es war unerträglich schwül geworden, der Staub kaum zu schlucken, als das Zeichen zum Sturm gegeben wurde. Ein ohrbetäubendes Bombardement begann, und die Kanonen gähnten ein Lied, von dem der Dichter sagt:

»So ein Lied, das Gassen hauen,
Menschen rasend machen kann.«

115 Die Citadelle stimmte mit weißglühenden Kugeln ein, welche in den Reihen der Franzosen Lücken rissen, wo solche vorhanden waren. Aber dem Elan der stürmenden Truppen vermochte die Festung nicht zu widerstehen, denn immer neue Regimenter wälzten sich im Staube heran. Um 3 Uhr streckte die Citadelle die weiße Fahne. Es war ein großer Moment. Kein Soldat blieb thränenleer. Die Bataillone konnten kaum bis drei zählen, um Hurrah zu schreien, und ich selbst, der ich doch an derlei Scenen gewöhnt bin, konnte mich – hol' mich die Geierwally! – der Rührung nicht erwehren. Der Einzug begann.

Die Stadt bot einen schrecklichen Anblick, die Sieger wurden mit offenen Wunden empfangen und waren selbst tief erschüttert. Kein Haus war auf dem andern geblieben, die Thürme waren niedergesunken, so daß man hinabsehen mußte, um auf die Uhr zu schauen. Die ältesten Soldaten erinnerten sich nicht, in diesem Jahr einen solchen 26. October erlebt zu haben.

Die Eingeborenen, und dies sind fast alle Keruaner, schauten finster drein. Ich sah keinen lächeln. Tröstend sagte ich zu Einem die Raimund'schen Verse:

»Scheint der Mensch auch noch so schön,
Einmal muß er untergehn«,

er lächelte nicht. Natürlich gab es weder Trank, noch Speise. Vergeblich bat ich um ein den Abend füllendes Stück 116 Kalbsbraten, nichts war zu haben. Lucull hungert bei Lucull! sagte ich, als ich mich ermattet in's Bivouac streckte.

Man glaube nur nicht, daß die Tunesen durch dies Ereigniß unterworfen sind. Es wird noch manche harte Aufgabe zu knacken sein, bis die Franzosen gezwungen werden, den Rückzug anzutreten.


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