Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

32 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Sie waren so freundlich, Ihrem ersten Bericht den zweiten sofort folgen zu lassen, und wir danken Ihnen sehr für Ihren Eifer. Wenn wir aber den Abdruck unterließen. so liegt dies einfach daran, daß Ihr Eifer leider ein allzu großer war. Denn Sie senden uns als Ihren zweiten Bericht eine Beschreibung der bereits vollzogenen Kaiserkrönung, und Sie konnten doch nicht im Ernst annehmen, daß wir Lust haben würden, uns durch eine Veröffentlichung derselben einem ganz unerhörten Skandal auszusetzen. Blinder Eifer schadet eben nur.

Nun hätten wir Ihren Bericht gern sofort nach erfolgter Krönung, und zwar als Telegramm zum Abdruck gebracht, wenn Sie denselben nur halbwegs glaubwürdig gestaltet haben würden. Das ist aber leider nicht geschehen. Denn Sie 33 schildern einfach die Scenen aus dem Propheten von Meyerbeer, in welchen Johann von Leyden gekrönt wird, und halten sich derart genau an den Scribe'schen Text, daß wir beim Lesen unwillkürlich den bekannten Krönungsmarsch zu pfeifen anfingen. Aber laut auflachen mußten wir, als Sie am Schluß sogar eine »peinliche Scene« schilderten, in welcher eine Dame vom Hof im Moment der Krönung»Mein Sohn!« ausruft und dann behauptet, sie sei die Mutter des Zaren. Obschon Sie anfügen, daß diese Scene »wie üblich« auf Befehl der Polizei vertuscht worden sei, so hätte doch jeder Leser sofort bemerkt, daß Sie sich für die Fides in der genannten Oper ein nur zu gutes Gedächtniß bewahrt hatten.

Wir bitten Sie nun, uns recht bald einen anderen interessanten Bericht zu schicken und grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

34 Bernau, den 24. Mai 1883.

So hätte ich denn richtig den Zaren pour le Roi de Prusse gekrönt, indem Sie mir die mit allem Pomp ausgestattete Feierlichkeit in den Papierkorb warfen. Als ich den Selbstherrscher aller Reußen völlig gekrönt in den Briefkasten steckte, sagte ich mir gleich auf den Kopf zu, daß Sie den wahrhaft glänzenden Akt wahrscheinlich als hyperzeitig betrachten und ihn auf die Bank, wo sie am längsten ist, schieben würden. Ich hatte mich nicht getäuscht, Sie haben den Bericht beim Schopf gepackt und ihm die Veröffentlichung umgedreht. Und das zeigen Sie mir in einer so großen inneren Erregung an, daß ich deutlich merke: Wenn ich jetzt persönlich bei Ihnen erschiene, so würden Sie mir das Loch des Zimmermanns vor der Nase zuwerfen, und zwischen uns wäre Ihnen kein Tischtuch heilig, Sie würden es, wie Goethe seinen Faust, in zwei Theile zerschneiden.

Ich muß aber wiederholen, was ich Ihnen in meinem Werthen vom 10. sagte, daß ich nämlich kein geborener Berichterstatter für Friedensereignisse bin. Was den Krieg betrifft, so weiß ich wohl, daß viele meiner Collegen nicht werth sind, mir die Schuhriemen aus fremder Leute Leder zu schneiden. Für Berichte vom Friedensschauplatz aber bin ich – verzeihen Sie das harte Wort! – ein Neuling. Ich machte mich trotzdem an die Arbeit, rief stolz befriedigt aus: Hutten, ich hab's gewagt! und schickte Ihnen den fertig gekrönten Romanow. Was aber thun Sie? Statt sich zu 35 sagen: Es fällt kein Meister vom Stuhl! lesen Sie in einem scheelen Augenblick meinen Bericht und erklären denselben einfach für Blechsinn.

Warum das? Was habe ich denn gethan? Das, was jeder gewissenhafte Own (sprich: Own) thun sollte: ich salbte dem Zaren die längst bereit liegende Krone auf das Haupt, damit Ihr Blatt um mehrere Nasenlängen früher als jedes andere den Artikel bringen konnte. Und ich that dies um so bereitwilliger, als ja bekanntlich nur wenige Berichterstatter fremder Zeitungen zum 27. Mai, also zum 8. Juni, dem Tage der Krönung, ein Passepartout erhalten, ein solches vom Billethändler zu kaufen aber zu theuer finden werden. Diesen Collegen wird also nichts übrig bleiben, als entweder Alles mit keckem Muth zu maßen, oder sich von einem Zuschauer das Geschehene in die Dinte dictiren zu lassen. Sie werden also, so sehr sie ihre Hühneraugen anstrengen mögen, nicht mehr als ich von der Haupt- und Staatsaktion zu sehen kriegen, und so besann ich mich nicht lang. Ich nahm ohne Weiteres den 27. nach dem Julianischen Abreißkalender und krönte Ihnen den Zaren am 15. genau nach dem Programm. Konnte ich bonafider handeln?

Doch – ich rede ja in den Aeolus. Einliegend sende ich Ihnen eine Generalprobe der Krönung. O wie beneide ich Jeden, der jetzt, wo der Laubfrosch auf der höchsten Sommersprosse seiner Leiter sitzt, in das kühle Sibirien 36 transportirt wird! Und da der Neid eine blasse Sünde ist, so möchte ich mit der nächsten Eisenbahn meinen Transport ins Freie bewerkstelligen, wo ich etliche Wochen lang mich in's Gras nach der Decke strecken kann. Zu dieser Decke erbitte ich mir einen Vorschuß von 40 Mark. Oder empfehlen Sie mir eine theurere?

* * *

Moskau, den 22. Mai 1883, jüngerer Zeitrechnung.

W. Von der langen Reise noch sehr ermüdet, denn der Zar ist bekanntlich entsetzlich weit, war Ihrem Correspondenten bis jetzt doch kein Schooß gegönnt, in den er die Hände hätte legen können. Kaum schreit der Hahn vom Thurm, so tritt die Wirthin in ihrem vielbesungenen rothen Sarafan ins Zimmer, bringt eine Flasche Wutki, trinkt sie aus und mahnt zum Aufstehen. Flugs ist man auf meinen Beinen, macht Toilette, fährt in den Pelz, eilt hinunter und springt in den nächsten Schlitten. Die Straßen sind von fremden Fürsten und Correspondenten überfüllt. Kaum hört man eine andere Anrede als »Majestät« oder »Herr Doctor.« Dazwischen spähen die Polizeibeamten unablässig nach Nihilisten. Wehe Jedem, der beim Graben einer Mine betroffen wird! Er käme nicht mit geraden Gliedern nach Sibirien, wo schon die Zobel seiner harren, um von ihm gefangen zu werden. Eigentlich steht hier Jeder im Verdacht, nur nach 37 Moskau gekommen zu sein, um dem Ende der Herrschaft der Romanöwe einen Anfang zu machen. Die Preise für Wohnungen sind womöglich noch gestiegen. So ist z. B. der Preis für ein Paterrezimmer drei Etagen hoch. Wie freut es mich, daß ich einen Heerd gefunden habe, auf den ich mein Haupt legen kann!

Die Correspondenten waren außer sich, als ihnen eröffnet wurde, daß alle Plätze zur Krönung vergeben seien, denn der Festraum werde so voll, daß kein Reichsapfel zur Erde fallen könne. Wie bedauerten wir bereits, niemals auf dem Thron geboren zu sein! Da erhielten wir eine Einladung zur Generalprobe, welche heute stattfand. Es galt festzustellen, ob der Metropolit von Nowgorod so gut gelernt hatte, daß er den Zaren auswendig krönen konnte.

Es mochte ungefähr Punkt zehn Uhr sein, als uns der Kreml geöffnet wurde. In der Vorhalle wurden wir bis auf die carne pura ausgezogen und untersucht, ob wir nicht etwa Sprengwaffen bei uns trügen. Nur ein einziger College, der Berichterstatter der »Tataren-Nachrichten«, wurde, weil er sich nicht entkleiden wollte, abgewiesen, während wir Anderen eingelassen wurden. Der Saal, in welchem die Probe stattfinden sollte, war überfüllt. Vorne saßen die gekrönten Häupter, Purpur an Purpur. Es war ein bezaubernder Anblick, diese hohen Herren einmal nicht regieren zu sehen, man merkte es ihnen an, wie beatus ille sie waren, sich dem süßen procul negotiis ganz überlassen zu 38 können. Unter den Trompetenstößen dieser Freude stürzte das Jericho der Standesunterschiede zusammen. Hier plauderte ein König mit einem simplen Fürsten, dort hob ein Herzog die Verfassung auf, welche ein Sultan hatte fallen lassen. Alte Herrscher mit graumelirter Krone plauderten gemüthlich mit Landesvätern, welche höchstselbst noch das Gymnasium besuchten und den Eindruck machten, als könnten sie noch nicht allergnädigst geruhen. Die besseren Thronhälften saßen in den Logen und musterten mit ihren Krönungsguckern die glänzende Versammlung. Sie und neben ihnen die Botschafterinnen und anderen Staatsdamen grüßten das Publikum in der höheren Gallerie sehr herauflassend, während ihre Diamanten ihr reinstes Wasser ausströmten und so das elektrische Licht fast unter den Scheffel stellten. Auch in diesen Logen herrschte der ungezwungenste Verkehr, indem Königinnen, in denen die Sonne nicht unterging, mit Landesmüttern sich unterhielten, welche kaum 20,000 Kinder hatten. Den übrigen Theil des Saales füllten die Staatsmänner, die Diplomaten, die Schlachtendenker, die Adjutanten und Onkel der Fürsten, die Hofkavaliere und die obersten Gerichtshöflinge, indem sie bunte Reihe bildeten. Jedes Herz schlug unter einer Fluth von Orden, Medaillen und anderen Zeichen der Gnade aller Klassen. Hinter ihnen saßen die Correspondenten. Dieselben waren in Frack und weißem Notizbuch erschienen. Leider war uns die Aussicht auf die Bühne durch die üble Gewohnheit einiger Herrscher, ihre 39 meist sehr hohen Kronen auf dem Kopf zu behalten, beeinträchtigt.

Plötzlich gähnte ein Kanonenschlund drei Schüsse. Es trat der bekannte Rest Hamlet's, das Schweigen, ein, mit ihm der Kaiser und die Kaiserin, gefolgt von den Ceremonienmeistern und Gesellen, die sich nebst den unter ihrer Last keuchenden Würdenträgern hinter den Thronen von Michael Fedorowitsch und Alexei Michailowitsch aufstellten. Die Probe begann alsbald. Von brausendem Applaus unterbrochen, ergriff der Kaiser die Regalien und setzte sie sich auf's Haupt, nachdem er den ihm vortrefflich sitzenden Purpurmantel angelegt hatte. Daß der hohe Herr dies Alles selbst that, ist ein Beweis dafür, daß er, wo es das Wohl des Volkes gilt, vor keiner Arbeit zurückschreckt. Und wie that er es! Ich habe selten so vorzüglich krönen sehen. Das Publikum war mit Recht sehr befriedigt, und es wurde kein Zeichen des Mißfallens laut, obschon ja auch Männer, welche gern Alles benörgeln, anwesend waren. Als der Kaiser die Krone hinter sich hatte, setzte er sie auch der Kaiserin auf, nahm sie aber dann wieder ab und krönte sie mit einer kleineren Krone. Auch diese Ceremonie klappte durchweg, das Ensemble war geradezu musterhaft.

Die Salbung folgte, während die Glocken läuteten und die Kanonen feuerten. Als Salbader fungirte der Metropolit von Nowgorod, welcher dem Kaiser Stirn, Augen, Nasenlöcher, Mund, Ohren, Brust und Hände salbte. Diese Scene 40 könnte etwas gekürzt werden. Meines Erachtens müßten z. B. die Nasenlöcher fortfallen, denn als der Metropolit mit der Salbe die Nase betrat, nieste der Zar allerhöchst, so daß sich ein brausendes Prosit! jeder Brust entrang. Der Kaiser dankte huldreich. Hierauf salbte der Metropolit der Kaiserin die Stirn. Als dann das kaiserliche Paar sich in das Innere seiner Gemächer zurückzog, folgte ihm ein nicht endenwollender Beifall.

Höchst befriedigt verließ das glänzende Publikum den Schauplatz, überzeugt, daß am 27. Alles wie ein Haar durch die Milch gekrönt werden wird. Bevor ich den Kreml verließ, sah ich mir die betreffende Salbe an. Es ist eine einfach weiße wohlriechende Mischung. Mit Erlaubniß des Metropolitaners salbte ich mich damit, ich kann sie auf das Beste empfehlen.

Der Probe folgte ein Galadiner in der Granovitaja-Palata, von dem wir Correspondenten aber die Hofgesellschaft ausschlossen.


 << zurück weiter >>