Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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123 Die Einnahme von Sontay.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir sind Ihnen für Ihre Bemühungen sehr dankbar, uns durch besonders sensationelle Berichte zu dienen. Aber der letzte derselben, so überraschend er gewirkt haben würde, erscheint doch fast als ein Carnevalsscherz. Deuten Sie unsere Offenheit nicht falsch. Uns hat der Bericht sehr gefallen, ob wir ihn nun als einen ernsten, oder, wie gesagt, als einen carnevalistischen betrachten. Aber wir haben doch unseren Lesern, wie überhaupt der Oeffentlichkeit gegenüber gewisse Verpflichtungen. Und diese gestatten uns unter keiner Bedingung, einen Bericht zum Abdruck zu bringen, in welchem Sie – es ist unglaublich! – die Spannung zwischen den Regierungen von Deutschland und Nordamerika wegen des Schweinefleisches ausführlich darlegen, den Ausbruch eines 124 ungeheuren Seekrieges ankündigen und schon schildern, wie sich die ersten »Vorpostenpanzer« beider Flotten einander »in die Segel gerathen« sind. Ein meisterhaftes Feuilleton für die Festzeitung des Prinzen Carneval, aber nichts anderes!

Indem wir Sie bitten, die chinesischen Vorgänge nicht aus den Augen zu verlieren, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaction.

* * *

Bernau, den 17. Januar 1884.

Als ich Ihren werthen Brief gelesen hatte, war es mir, als müßte ich ausrufen: »Unser Tischtuch sei vernichtet!« Ein Carnevalsscherz? Ich bin ein ernster Mann, der Sie sehr bitten muß, seine Arbeiten nicht mit denen eines Komikers über Einen Leisten zu barbiren. Ich suche niemals dem Zwerchfell eines meiner Leser ein Lächeln abzugewinnen, und wenn Jemand meine Artikel mit vollem Halse liest, so lacht er aus demselben ganz gewiß nur gezwungen. Das Kriegsberichterstatten ist ein ernstes Handwerk, und wenn ich mich plötzlich einem vor Lachen ausgeschütteten Leserkreis gegenüber befände, so würde ich mich lieber an dem nächsten Purzelbaum, den ein Leser schlüge, aufknüpfen, als mit dem 125 mir gänzlich fremden Kalbe weiterpflügen. Ich will damit nicht sagen, daß ich dem Humor abhold bin, ich bin – verzeihen Sie das harte Wort! – kein Spaßverderber, kurz, kein Laripharisäer, im Gegentheil, ich kann lachen wie baar Geld und singen wie ein Kessel auf dem Heerd und springen wie ein Lampenglas. Alles hat seine Zeit, aber beim Arbeiten habe ich zu scherzen keine.

Ich will zugeben, daß ich Nordamerika gegenüber etwas voreilig war, indem ich annahm, daß die beiden Reiche aus Schweinefleisch einen Zankapfel machen werden. Aber ist denn jedes Phantasiegebilde gleich ein Carnevalsscherz? Hamlet der Onkelmörder ist doch wahrlich darum kein Prinz Carneval, weil Shakespeare ihn aus seinem Pegasus gegriffen hat, und ebensowenig ist Lear der genannte Prinz, obschon jeder Zoll kein König war, da er niemals gelebt hat, also auch keine drei Töchter haben konnte, so daß das ganze Stück mit demselben Recht »Viel Lärmen um Lear« zu nennen wäre. Wohl weiß ich allerdings, daß das Quod, welches einem Jovi erlaubt ist, nicht jedem beliebigen Bovi gestattet werden kann, immerhin habe ich Ihnen doch an einem vollgültigen Beispiel klar gemacht, daß es sehr unvorsichtig ist, eine ernste Arbeit mit einem Carnevalsscherz in einen Topf zu werfen und denselben dann zuzudecken. Umgekehrt soll man zu Werke gehen.

Doch meine Nägel, auf denen das Feuer brennt, drängen zur Eile. Einliegend sende ich Ihnen einen entscheidenden 126 Sieg der Franzosen über die Chinesen. Aus zwei Gründen. Erstens glaube ich, daß die deutsche Presse die Gefühle der Franzosen, welche so ehrgeizig sind, daß man sie Ehrharpagons nennen darf, schonen muß, und zweitens kommt es mir vor, als interessire man sich in Deutschland sehr wenig für den jetzt über Frankreich und China gespannten Fuß. So habe ich denn die Einnahme von Sontay zu einer für Frankreich entscheidenden gemacht, so daß sie der von Paris in der liebenswürdigsten Weise die Stange hält.

Da ich gerade von einer Einnahme spreche, so bitte ich Sie um einen Vorschuß von 2, oder, da aller guten Dinge 60 sind, von 3 Zwanzigmarkscheinen. Der Carneval beginnt, und ich wäre ein Narr, wenn ich ihn nicht mitmachen wollte.

* * *

Sontay, den 5. Januar 1884.

W. Wie ich Ihnen bereits durch den Teledraht am 17. Dezember Abends meldete, fiel an diesem Tage dieses chinesische Jericho unter den Trompetenstößen der Franzosen in deren Hände. Heute sende ich Ihnen die Details.

Sontay ist eine kolossale Festung an den Ufern des rothen Flusses, dem kein anderer das Wasser reicht. Obschon der Grund dieses Flusses so seicht ist, daß kein Schiff in denselben gebohrt werden kann, so waren doch die französischen Kanonenboote nahe genug herangekommen und hatten 127 die Festung derart bombardirt, daß nach einigen Stunden nur noch etliche Breschen aufrecht standen. Wir hatten schon gehört, daß sich die Besatzung in der schlimmsten Lage befand. Sie lebte bereits von trockenen Murmelthieren, und schon seit Wochen fehlte es ihr an Butter zum Papagei. Brot wurde aus schlechtem Mehl mit Indiafasern hergestellt. Auch Pferde wurden gegessen, doch verstand man nicht, dieselben zu bereiten. Die reicheren Bewohner lebten von Schnepfenunrath und Zibethkatzen. Als Getränk wurde uns der Tintenfisch bezeichnet. Dies alles verrieth uns ein Mongole, der sich bis zu den französischen Schiffen herangeschlichen hatte und dem Feinde für etwas Meerrettig Alles sagte, was er wissen wollte.

Der Commandant der Belagerungs-Armee glaubte nun den Moment gekommen, der Besatzung der Riesenfestung das letzte Stündlein zu schlagen. Ein gewagtes Unternehmen, aber was ist einem Franzosen gewagt? Wo sich nemo obligatur dünkt, da erblickt er nur eine Ultraposse. Er ist ein Herkules, der gleichzeitig den Kerberos auf die leichte Achsel nimmt, im Vorübergehen die Pferde des Diomedes breitschlägt, daß sie ihm willig folgen, der Hydra im Fluge die Köpfe verdreht und die Ställe des Augias spülend reinigt. Er kennt in großen Aufgaben kein Mais, wie das Lamm. Als er Sontay zu belagern begann, war die Festung nur noch eine Frage der Zeit.

Am 16., als Aurora graute, wurde das Zeichen zum 128 Sturm gegeben. Das war kein Sturm, das war eine Windhose. Die algerischen Tirailleurs hatten bald die chinesische Mauer hinter sich, welche sich vom Ocean bis tief in die prähistorische Zeit hineinzieht. Jeder Mann that Wunder der Tapferkeit. Die Schwarzflaggen zitterten, die Annamiten machten Beine, so gut dies mit ihren kleinen chinesischen Füßen möglich war. Pardon wurde nicht gegeben, sondern nur gesagt, wenn ein Franzose, höflich wie er ist, einen Chinesen auf's Korn nahm. Die Granaten von den Schiffen rasirten die ohnehin wackelnden Pagoden vom Erdboden. Selbstverständlich war den Chinesen bald keine Flucht zu wild, sie ergriffen sie, kein Weites zu entfernt, sie suchten es. Ihr Verlust war ungeheuer. Die Franzosen haben keinen Todten und 1762 Verwundete, die sie gefangen nahmen. Am andern Morgen fand der Einzug statt. Ungeheure Vorräthe an Tuschen, Thee, Chinasilber und Rinde fielen in die Hände der Franzosen. Die Stadt ist völlig zerstört, in erster Reihe die Zopffabriken und die Bambusrohrleitung. Die chinesische Armee befindet sich auf dem Rückzug nach Peking, wohin ihr die Franzosen folgen, um, wie sie hoffen, den Kaiser zu fangen. Gelingt ihnen dies, – und den Franzosen gelingt Alles – so ist China auf der Landkarte von Asien frisch gestrichen.


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