Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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60 Die Niederlage der Franzosen in Tonking.

Herrn Wippchen in Bernau.

Selten ist uns Ihre eigenthümliche Passion, außerhalb der Reichshauptstadt zu wohnen und fern vom Centralpunkt der politischen Welt journalistisch thätig zu sein, störender erschienen, als da wir Ihren letzten Bericht lasen. Sie beeilen sich nämlich, in dem kalten Wasserstrahl, der sich eben aus dem Reichskanzleramt über die Pariser Hetzpresse ergossen hat, eine förmliche Kriegserklärung zu erblicken, ja, Sie gehen sogar einen Schritt weiter und beschreiben ein, wie Sie beruhigend versichern, unbedeutendes Geplänkel zwischen deutschen und französischen Truppen bei Saarbrücken. Mit einem Wort: Sie scheinen nicht übel Lust zu haben, den großen Krieg von 1870 noch einmal anzufangen. Aber Herr Wippchen!

61 Lebten Sie in Berlin, so wäre in Ihnen eine solche Idee ganz gewiß nicht aufgestiegen. Man legt hier dem Warnungsruf, den die Norddeutsche Allgemeine Zeitung ertönen ließ, nicht mehr Werth bei, als er in Wirklichkeit besitzt. Unsere Regierung ist es müde, die Pariser Presse fort und fort das Volk an das Spielen mit dem Feuer gewöhnen zu sehen, und hat ihr den Wasserstrahl geschickt, damit die Pariser zur Abwechselung einmal mit dem Wasser spielen können. Das ist Alles. An einen Krieg denkt hier Niemand.

Einen besseren Stoff bieten Ihnen Frankreichs Operationen in China, und wir bitten Sie, sich desselben mit gewohntem Geschick zu bemächtigen.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 30. August 1883.

Ein kalter Wasserstrahl, das ist Alles! so schreiben Sie, und es dauerte einige Zeit, bis ich von der Haut, aus der ich gefahren war, wieder zu mir selbst kam. Denn so eine sancta simplicitas vom Lande bin ich denn doch nicht, daß ich Ihnen sofort klein beipflichte. Ich gebe ja zu, daß ein 62 kalter Wasserstrahl noch kein Blutbad ist, aber ich weiß, was aus Kleinem entstehen kann. Mit Kleinem fängt eben Alles an, wie Goliath, aber wie wird das Ende sein oder nicht sein? fragt Hamlet sehr richtig. Als Paris – ich meine den, der den Ton aus der ersten Silbe hat – dem Menelaos mit der Helena aus der Nase ging, ahnte wohl Keiner, daß dieser einfache Roman mit dem Untergang Trojas enden würde, – es bedarf eben häufig nur eines Tropfens, und das Pulverfaß fliegt in die Luft. In meinen Augen ist der kalte Wasserstrahl solch ein Tropfen. Alles sieht im Anfang harmlos aus, wie etwa der Drachen, mit dem ein Knabe spielt. Aber man breche dem Drachen wie Kadmos die Zähne aus und pflanze sie ein, und es werden dieser Saat geharnischte Männer entsprießen.

So betrachtete ich den kalten Wasserstrahl und erblickte darin den Grundstein zu einem neuen Mars. Sie aber sehen vor lauter Mastbäumen die Flotte nicht, die in diesem Augenblick vielleicht schon den deutschen Küsten die Segel zubläht, Sie sind wie der Vogel Strauß, der seinen Kopf seitwärts in die Büsche schlägt und nun denselben darauf wettet, daß er nicht gesehen wird, weil er selber nicht sieht. Ich aber habe, – verzeihen sie das harte Wort! – nicht Lust, ein Strauß zu sein, der blinde Kuh spielt.

Wenn ich Ihnen einen erregten Brief schreibe, so schieben Sie ihn gefälligst in Ihre eigenen werthen Schuhe. Daß Sie meinen Bericht nicht reiflich geprüft und in Ihren ad 63 acta-Korb geworfen haben, hat mich schwer verletzt, und deshalb konnte ich auch meinen reinen Mund nicht halten. Holen Sie mein Manuscript nur wieder hervor, es wird eines Tages gebraucht werden, wenn die Franzosen sich aufmachen, um ihre Rosse in dem kalten Wasserstrahl zu tränken. Als ich den Bericht verfaßte, hatte ich nicht etwa zu tief in den Bacchus geguckt, ich war vollkommen nüchtern, bin überhaupt kein Scribifaxenmacher, den man vergeblich wie einen beliebigen Sisyphos arbeiten läßt. Die Franzosen wollen den Krieg. Man reiche ihnen den Zaun, und sie brechen ihn von demselben. General Thibaudin hat bereits erklärt, daß Frankreich kriegsbereit ist, es fehle nicht das Tüpfelchen auf dem Jota. Ein Anstoß, und die Lawine steigt drohend aus der Tiefe empor. Von dieser Ueberzeugung geleitet, habe ich meinen Bericht verfaßt.

Um Ihnen indeß zu zeigen, daß ich Ihnen Ihren Papierkorb nicht nachtrage, sende ich Ihnen des lieben Friedens willen die Niederlage der Franzosen in Tonking. Ich habe dieselben so ziemlich aufgerieben, so daß ihnen wohl nichts als eine Hand voll Soldaten und die Rückkehr nach Frankreich übrig bleiben wird. Werde ich nun eine Zeit lang Ruhe haben?

Denn sonst würde mir der Vorschuß wenig nützen, dessen ich Sie schon jetzt entledigen will, obschon ich heute wie Matthäi erst am Vorletzten bin. Aber der Sommer ist eine theure Jahreszeit, und das Geld hintergeht uns, indem es sich für irgend etwas Anderes ausgiebt, als es nöthig ist. Sollte alles Geld so sein? Bitte, stillen sie meine Neugier durch die Zusendung von 50 Mark.

* * *

Hanoi, den 16.August 1883.

W. Wir sind verrathen! heult es durch die Gassen von Hanoi. Und es ist so: Gestern sind die Franzosen von den Chinesen vollständig auf's Haupt verrathen worden.

Wir sind verrathen! so brüllt es auf allen Märkten, in allen Thee mit Rumhäusern, wir sind unter der Hand, unter dem Fabrikpreis, zu Schleuderpreisen verkauft! Der Sieg der Chinesen gilt nicht!

Ich bin noch ganz betäubt von diesem Geschrei. Mir ist, als hätte man mir das Trommelfell über die Ohren gezogen. Indeß will ich nun, nach einem kurzen Nachmittagsmorpheus, versuchen, das, was gestern geschehen, in Dinte zu kleiden.

Vor Allem: Die Franzosen haben den Feind über und über unterschätzt. Sie glaubten wahrscheinlich, er würde bei der ersten Windrose, die sie ihm zeigten, nach allen Richtungen derselben auseinander stieben, sie brauchten ihm nur ein Hasenpanier zwischen die Beine zu schleudern, gleich würde er es ergreifen. Das war ein Fehler. Gestern sahen sie ein, daß ihnen die Hand, in deren Umdrehen sie den Feind vernichten zu können glaubten, gänzlich fehlte. Denn, wie gesagt, sie wurden in die Flucht verrathen.

65 Gestern Morgen um 2½ Uhr – noch wackelte keine Pagode mit dem Kopf – verließ die französische Streitmacht unter dem Befehl des Generals Bouet (sprich Bouet) die Stadt. Ihr Zweck war, das Land von der schwarzen Flagge bis Son-Tai zu säubern und dann diese Stadt zu belagern. Weshalb die Franzosen das Land von der schwarzen Flagge säubern wollten, das sagte der General nicht. Ich denke mir, daß dies geschehen sollte, weil die Chinesen das Land von der französischen Fahne säubern wollten. Wer zuerst säuberte, hatte natürlich gewonnen.

So lange kein Feind zu sehen war, siegten die Franzosen fortwährend, von den Kanonenböten kräftig unterstützt. Plötzlich erhob sich vor ihnen eine Schanze. »Franzosen«, rief der General, nachdem er mit seinem Fernrohr eine Bresche in die Schanze geguckt hatte, »die Chinesen sind Barbaren, sie fröhnen dem Aberglauben, daß ihre Schanzen nicht von uns genommen werden dürfen. Belehren wir dieses verkrüppelte Fußvolk eines Schlechteren. Auf zum Sturm!«

Aber alles Bitten war umsonst, die Chinesen schlugen ihnen den Sturm ab. Unter dem Geschrei: »Hurrah, Verrath!« stürmten die Franzosen zurück. Die Wuth der Kanonenböte war in Folge dessen uferlos, und sie eröffneten ein derartiges Bombardement auf die Schanze, daß die letzten Kugeln kaum noch einen Stehplatz zu finden vermochten. Dann folgte der zweite Sturm der Franzosen, um die vorige Schießscharte auszuwetzen. Unmöglich! Die starrköpfigen Chinesen 66 wichen nicht und wollten von keinem Korn wissen, in welches sie ihre Flinten werfen sollten. So stürmten die Franzosen dreimal, aber dreimal kamen sie nicht weiter als in's Wanken und Weichen, bis denn endlich der Oberst Revillon (sprich: Revillon) sich entschloß, seine Truppen nicht weiter zu verrathen. Dieselben hatten furchtbar gelitten, fast jeder Mann war decimirt. Aber ihr Muth war nicht gebrochen, rauchend marschirten die Trümmer der Armee nach Hanoi zurück, woselbst sie, während Victoria geschossen wurde, ihren Einzug hielten.

Noch an demselben Abend telegraphirte der General Bouet nach Paris den Befehl, daselbst solle ein Panorama »Der Sieg der Franzosen bei Hanoi« angefertigt werden.

Unter den Chinesen herrscht große Freude. Die Straßen werden von Musikcorps durchzogen, welche, während das Volk auf den Kaiser von Annam fortwährend Hochs ausbringt, diese Rufe mit den weltberühmten chinesischen Tuschen begleiten. Auch eine Amnestie steht in Aussicht. Mehrere Prinzen, welche, als sie sich um die Prinzessin Turandot bewarben, nicht deren Mitgift, die drei Räthsel, zu lösen vermochten und ihren Stumpfsinn mit dem Block büßen sollten, werden wahrscheinlich mit dem Exil davonkommen.

Ich erwarte von der Klugheit der Franzosen, daß sie, nachdem sie ihre lange Nase erst völlig gemessen haben, mit derselben abziehen werden. Qui vivra, nous verrons!


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