Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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129 Die Engländer und die Boers.

Herrn Wippchen in Bernau.

Sollen wir uns noch ausdrücklich entschuldigen, daß wir Ihre letzten Berichte zurücklegten? Sie scheinen es zu verlangen. Wir glaubten aber, Sie hätten sich mittlerweile selbst von der Unmöglichkeit überzeugt, Ihre Mittheilungen zu veröffentlichen. Seit dem St. Petersburger Attentat schickten Sie uns fast täglich aus einer anderen Stadt Näheres über aufgefundene Sprengbomben, entdeckte Pulververschwörungen und andere abscheuliche Unternehmungen gegen Schlösser, Rathhäuser und Parlamente. Ueberall wollen Sie Augenzeuge einer Auffindung von furchtbaren Geschossen gewesen sein: in Wien, in Ludwigslust, in München, in Madrid, in Rom u. s. w. Sie können sich jedoch leicht denken, daß wir nicht Lust hatten, alle Welt zu beunruhigen, abgesehen 130 davon, daß schon von anderer Seite genug, oder zuviel nach dieser Richtung hin geschieht. Wozu noch kommt, daß jeder Bericht stets die Wiederholung des vorhergehenden war und nur Ort und Geschoß änderte, wodurch der Leser ermüdet und gelangweilt werden mußte.

Wie wäre es denn, wenn Sie sich einmal dem Transvaallande zuwendeten?

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 5. April 1881.

Ich habe nichts dagegen, daß Sie meine Attentatsberichte zurücklegten, aber ich hätte geglaubt, daß Sie mir meine Bomben mit etwas mehr Berserkermilde vor die Füße werfen würden. Denn zuvörderst kann doch der Leser nicht wissen, ob die Bomben leichtsinnig von mir ausgesprengt, oder wirklich gefunden waren, und dann habe ich sie ja eben nur finden, nicht auch explodiren lassen. Nicht einem einzigen Menschen habe ich das Lebenslicht unter den Scheffel gestellt, obschon ich mit leichter Mühe Hunderten und noch weniger den Ganzundgaraus machen konnte. Darauf aber kommt es doch in erster Linie an. Freilich wenn Sie wünschen, 131 daß bei Auffindung von Bomben nicht nur keine Menschen vernichtet, sondern auch deren zur Welt kommen sollen, dann müssen Sie sich nach einem anderen Correspondenten umsehen, nach einem, der leichtsinnig genug ist, dem Grundsatz zu huldigen: »Mundus vult decipi, ergo bibamus«, der, mit Einem Wort, bei Ihrem geschätzten Blatt sein Jahr ablügt. Für derlei Stellungen eigne ich mich nicht. Ich achte den Leser denn doch zu hoch, als daß ich ihn der Gefahr aussetzen möchte, daß Jeder hinter ihm herläuft und: »Haltet den Dupe!« schreit. Niemals werde ich der Lüge die Ehre geben, stets bedenkend, daß Wahrheiten lange Beine haben und nur einer Bahn bedürfen, um sich dieselbe zu brechen.

Weshalb ich Bomben auffinden ließ und meine Betrachtungen an sie knüpfte, das liegt doch auf der Hand, wenigstens auf meiner. Wenn es nicht auch auf der Ihrigen liegt, so bin ich über und überrascht. In einer Zeit, wie der jetzigen, wo die Bombe zu allen Tagesgesprächen den Sprengstoff liefert und die Nihilisten fortwährend gute Minen zum bösen Spiel graben, kann doch ein gewissenhafter Berichterstatter wie meinereins nicht über Chokoladefabriken und dergleichen berichten. Das wäre nicht nur nicht spitz-, das wäre geradezu stumpffindig. Glauben Sie mir, nur ungern tauche ich meine Feder in die Dinte, in der heute die Machthaber sitzen. Viel lieber berichtete ich aus einer friedlichen, idealen Welt, in der ich ein Haus mit Lachgasleitung bewohnte, hinter welchem ein Austernpark läge, in dem ich 132 lustwandelnd meiner Cigarre nachgehen könnte zwischen Rosen und Vogelhecken am Arm der Schwester eines Anderen. Ich wäre – verzeihen Sie das harte Wort! – selig. Wir leben aber leider in keiner solchen Halbkugel. Nirgends herrschen Eintracht und Frieden, und kein Störenkrieg meidet sich, und es erscheint kein heiliger Georg, der den Drachen des Hasses steigen läßt. Häufig genug wünsche ich, recht viel Zeit zu haben, aber nur nicht die jetzige, die so schrecklich ist. Habe ich nicht recht? Aufrichtig gesagt: Wenn ich diese Zeit betrachte, so empfinde ich nichts als Katzenjammer, und ich wünsche mir jeden Morgen nur einen doppeltkohlensauren Häring. O tempora, o mutantur! Und Sie werfen meine harmlosen Bomben in den Papierkorb?

Doch – fort mit den trüben Betrachtungen! Zwischen mich und meine Redaction soll kein Blatt Papier kommen, außer einem Fünfzigmarkschein, den ich als Vorschuß erbitte.

* * *

Captownstadt, den 1. April 1881.

W. Heute erhob ich mich ganz früh, bei tagschlafender Zeit, um Ihnen zu schreiben. Denn der Mars zwischen den Boers (sprich: Boers) und den Engländern neigt sich seinem Ende entgegen, und ich möchte Ihnen schleunigst das Nähere hierüber mittheilen.

England ist und bleibt ein Springinsschlachtfeld. Ohne zu bedenken, daß ein Krieg auch ein schlimmes respice finem 133 nehmen kann, gehen die Engländer mit dem Kopf und Kragen durch die Wand und unterschätzen den Feind. So auch gegenüber den Boers, mit denen sie eigentlich ohne Grund ein Quarante sept anfingen. Aber die Boers sind ein tapferes herrliches Volk, welches für seine Unabhängigkeit wie ein Löwe kämpft und es gar nicht begreifen kann, mit welchem Recht die Engländer so große Rosinen in Sack und Asche haben. Es hat denselben denn auch eine harte Nuß auf's Auge gedrückt. Und nun heißt es in den englischen Coursberichten: Boers fest.

Man reize den Elephanten nicht, den man, wenn man ihn sanft behandelt, um den Finger wickeln kann. Wenn er auch kein so geriebenes Thier ist, wie z. B. der Floh, so ist er doch klug und weiß genau, ob man gut oder schlecht mit ihm umgeht.

Als die Engländer angriffen, glaubten sie nichts als einen hohlen Zahn nöthig zu haben, um das Transvaalland in denselben legen zu können. Ja, Prost die gesegnete Mahlzeit! Sie machten einige Chausseen dem Erdboden gleich, steckten etliche brennende Kornfelder in Flammen, nahmen viele an den Bergen stehende Ochsen weg und trieben ähnlichen Unfug. Aber die Boers verstanden keinen Ernst. Mit großer Kühnheit stellten sie sich zur Wehre und zwar, wie wir sehen, mit glorreichem Erfolg.

Die Engländer wollen dies freilich nicht zugeben. Sie lassen im Gegentheil die Boers ihre Untermacht fühlen und 134 wissen die Schlappen ihrer Heerführer rücksichtslos auszubeuten. Bereits verlangen sie, ein für alle Mal das Transvaalland zu räumen, und um keinen Preis wollen sie den Boers gestatten, etwas von ihren Forderungen abzulassen. So stehen sie auf den Hinterbeinen ihrer siegreichen Feinde, denen sie nunmehr den völligen Verzicht Englands auf den ferneren Besitz des Transvaal dictiren werden. Es wird natürlich den Boers nichts übrig bleiben, als der Rückzug der Engländer. Besonders empfindlich wird ihnen die Kriegsentschädigung sein, zu deren Annahme die Engländer sie unerbittlich zwingen dürften. Und so stürmen denn die Briten unaufhaltsam und unter tausendstimmigen Sauve qui peut-Rufen ihre Flotte, nachdem sie die Waffen erfolgreich gestreckt haben.

Mit diesem Ende hätte dann England abermals die Lehre empfangen, seine Nase nicht in fremde Völker zu stecken und über dieselben nicht das Bockshorn seiner Gnade ausschütten zu wollen. Ob diese Lehre etwas nützen wird?

Den Boers aber wünschen wir das beste Gedeihen. Sie sind fleißige, ehrliche und tapfere Menschen, welche nur wollen, daß das Härchen, welches sie Keinem krümmen, ungeschoren bleibe, sie sind friedlich und so nüchtern, daß sie häufig ein Glas unter den Durst trinken. Man gönne ihnen den pax vobiscum!


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