Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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13 III.

Herrn Wippchen in Bernau.

Nehmen sie unseren besten Dank für Ihr Portrait, so sehr fatal es uns sein muß, daß nach Ihrer Angabe unser jüngster Brief Sie veranlaßt hat, sich im Costüm des Posa photographiren zu lassen. Wir nehmen an, daß dies nur scherzhaft gemeint ist, da wir ja Ihre Passion kennen, Ihre Portraits dem Charakter des Landes, dem Ihre Berichte gelten, anzupassen.

Wir glauben, Ihnen einen Gefallen zu erweisen, wenn wir Ihnen das gewünschte Textbuch der Oper Carmen nicht senden. Wir fürchten nämlich, daß Sie dasselbe zu stark für Ihre Berichte benutzen würden. Dies wäre insofern eine verlorene Mühe, als das Publikum das genannte Opernlibretto genau kennt, und wir demselben den betreffenden 14 Bericht aus naheliegenden Gründen vorenthalten müßten.

Wir grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 29. November 1883.

Die Lunte, welche Sie gerochen haben, war denn doch nicht – verzeihen Sie das harte Wort! – der Braten, den Sie meinen. Ihr Eifer hat Ihnen einen schlimmen Streich gespielt und denselben verloren. Ich wollte den Operntext Carmen haben, um Näheres über das Stiergefecht zu erfahren, da ein solches in Madrid stattfinden soll. Nun muß mir die Phantasie ihren kühnsten Daumen leihen, damit ich mir aus demselben das sauge, was ich zu berichten habe. Ich wandte mich hier an einen Schlächter mit der Bitte, mir etwas über die Art und Weise mitzutheilen, wie Stiere fechten. Er dachte eine Weile nach und sagte dann, ich sollte machen, daß ich hinauskomme, sonst würde er mich an die Luft setzen. Das war Alles, was ich von ihm über die Stiergefechte erfahren konnte, und ich machte mir daher Beine. Hätte ich mir etwas Anderes gemacht, wer weiß, welchen Kürzeren ich gezogen haben würde! Ich war froh, ohne blaues Auge davon gekommen zu sein.

15 Wie lange ich den Besuch am spanischen Hof dauern lasse, weiß ich heute noch nicht. Doch habe ich die Absicht, ihn in der nächsten Nummer zu beenden, um den Leser nicht zu ermüden. Eine fortwährende Variatio ist ja das ganze Delectat der Leserwe1t. Sobald ich also merke, daß das Interesse erschöpft ist, lasse ich den deutschen Kronprinzen unter dem unbeschreiblichen Jubel der Bevölkerung die Heimreise antreten und wende mich wieder dem französisch-chinesischen Krieg zu, der längst nicht mehr in spe, sondern in Wirklichkeit wüthet.

Schließlich bitte ich Sie, doch gefälligst in einem iberischen Wörterbuch nachzusehen, wie Vorschuß auf Spanisch heißt, und mir dann einen solchen von 40 Mark zu senden. Auf der Einzahlungskarte findet sich wohl ein Plätzchen für das Wort, das ich so sehr liebe.

Gute Nacht, schlafen Sie recht munter!

* * *

Madrid, den 26. November 1883.

W. Seit der deutsche Kronprinz in Valencia eingetroffen ist, sind Rand und Band, aus denen Spanien ist, unbeschreiblich. So habe ich es nie gesehen. Madrid kommt mir geradezu spanisch vor. Das Volk bemüht sich bis in die späte Nacht, seine Freude an den Tag zu legen und seinem erhabenen Gast Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, an den Augen abzusehen. Hinter- und Vornehme 16 wetteifern in Huldigungen, und vor Allem sind es die gebildeten Spaliere, deren Jubel unbeschreiblich ist. Aus den Spalten sämmtlicher Journale dringt der Weihrauch in dichten Wolken hervor, und Jeder wird für einen Don Quixote (sprich Don Quixote) gehalten, der nicht mit einstimmt.

Gestern Nachmittag begann um 2 Uhr in dem mächtigen vor den Thoren Madrids gelegenen Circus das Stiergefecht. Das Haus war ausverkauft und bot einen herrlichen Anblick. In den Logen saßen die Don Juan, Don Pedro, Don Ramiro und wie alle diese Döne heißen mögen. Im Parquet läßt sich die noch immer sehr schöne Prinzessin von Eboli neben dem greisen Flottendenker Medina Sidonia nieder. Dort der Mann mit dem ernsten Gesicht, der dann und wann seinen grauen Bart schwarz streicht, ist der Herzog von Alba mit dem rothen Vließ erster Classe, dem vornehmsten Orden Spaniens, den nur diejenigen Würdenträger erhalten, die ihn nach ihrem Tode zurückgeben. Jener geistreiche Kopf mit der gelockten Tonsur neben Alba ist der Großinquisitor, der wegen der Strenge, mit der er das Seinige thut, allgemein gefürchtet ist. Eben beugt er sich zu Donna Diana nieder, die heute ganz Stolz und Liebe ist und eine köstliche Mantille trägt, die den Neid der Oberhofmeisterin, Herzogin von Olivarez, erweckt. Diese ist mit einem Fächer bekleidet, der von Edelsteinen starrt, wie diese Dame denn überhaupt einen Luxus treibt, welcher schon viele Männer an das spanische Bettelrohr gebracht hat. Dabei 17 sieht es bei ihr zu Hause recht pauvreselig aus, und reine Bettüberzüge sind so selten, daß sie mit Insektenpulver aufgewogen werden. Recht charakteristisch! In einer Loge des ersten Ranges sitzt rückwärts Don Rodrigo, während die Marquisin von Mondecar unverwandt nach der Königsloge sieht und sich fast das Opernglas ausguckt.

Doch . . es klingelt. Der Vorhang fliegt in die Höhe. Das Stiergefecht beginnt. In demselben treten die drei besten Rindviehfechter Spaniens auf. Das Schauspiel ist nicht neu, aber für Menschen, welche gerne Ochsen fallen sehen, ein klassisches. Mir ist es schrecklich. Im Theater verlange ich ein Stück, das mit einer Verlobung und nicht mit dem Geistaufgeben eines Hornviehs endet. Da sehe ich wohl Knoten, aber keine Schürzung und Lösung derselben. Die spanischen Zuschauer waren entzückt, und wenn der Torero (deutsch: Torero, eine Partie, die bei uns von Krolop gesungen wird) besonders gut stach, so wollten die beifallspendenden Hände kein Ende nehmen. Das Ensemble war vortrefflich, die Fechter brachten ihre Stiere wie am Schnürchen um, und die Ochsen klappten gut zusammen. War einer der Stiere wegen Sterbens verhindert, weiter zu fechten, so trat sofort ein anderer auf, so daß die Vorstellung keine Störung erlitt. Endlich fiel der letzte Ochse, und als auch der Vorhang gefallen war, mußten sich die Toreros noch oft dem Publikum zeigen, das mit seinen Lebehochs auf das getödtete Rindvieh nicht geizte. Für Deutschland 18 dürften sich indeß diese Schauspiele selbst in guten Uebersetzungen und Bearbeitungen nicht eignen, wir werden an den Werken Calderons, Moretos und Lope de Vegas stets mehr Gefallen finden.

Morgen geht es nach Toledo. Ich wäre gern nach Lissabon gefahren, um dort die Folgen des Erdbebens, von dem ich soviel gehört habe, zu bewundern. Einer meiner dortigen Freunde hat mich auf ein Löffelchen Milreis, ein portugiesisches Nationalgericht, eingeladen. Doch ich glaube nicht, daß ich Zeit dazu finde.


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