Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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105 III.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihre jüngsten Versuche, uns mit sensationellen Kriegsnachrichten zu versehen, waren keine besonders glücklichen. Jedes Ereigniß, an welchem Bürger verschiedener Staaten betheiligt sind und das einen irgendwie feindseligen Charakter annimmt, gestaltet sich in Ihrem Geiste zu einem Kriege, und alsbald eröffnen Sie denselben durch einen blutigen Zusammenstoß der Armeen. So haben Sie den Conflict zwischen den Franzosen und Italienern in Marseille sofort zum Ausbruch eines französisch-italienischen Kriegs aufgebauscht und muthen uns zu, den Lesern aus Ihrer werthen Feder die Schilderung des ersten Scharmützels aufzutischen. Was sollen wir dazu sagen? Wir glauben ja an den Ernst, der Ihnen einen solchen Bericht in die Feder dictirt, aber mit demselben Recht könnten wir auch glauben, daß Sie uns 106 zum Besten haben wollen, oder unser Blatt dazu mißbrauchen möchten, sich über die Leichtgläubigkeit des Publikums lustig zu machen.

Wir sagen: wir könnten dies glauben. In Wirklichkeit verkennen wir Ihren Eifer nicht, und um Ihnen dies zu beweisen, bitten wir Sie, uns einmal wieder über den in Tunis spielenden Krieg einen möglichst interessanten Bericht zu senden.

Ergebenst

Die Redaction.

* * *

Bernau, den 25. Juli 1881.

Während ich dies schreibe, donnert es in Strömen, und wenn mich nicht alle Blitze täuschen, so haben wir ein Gewitter, welches endlich die Luft von dem auf's Höchste gestiegenen Quecksilber reinigen wird. Die Schwüle der letzten Tage war so groß, daß ich wirklich den jüngsten derselben nahen glaubte. Auch im Schatten war die Hitze so enorm, daß ich mich nicht gewundert hätte, wenn ich am Schattenstich zu Grunde gegangen wäre. Wie sehnte ich mich nach Kühlung, – am liebsten hätte ich mich in einen Sturm gestürzt, wo er am aequinoctialsten ist! Der Sommer, den ich sonst so sehr liebe, war mir, wie der Engländer sagt, nun eine 107 Last, not Lust, ja wenn ich den Laubfrosch auf der höchsten Sommersprosse seiner Leiter sitzen sah, dann wollte ich immer meinen Wanderstab packen, um nicht mehr wie Diogenes vor meinem Dintenfaß zu liegen, sondern an der Seite eines mit ewigem Schnee bedeckten Führers in den Alpen, oder an den Ufern schöner Meernixen Kühlung zu suchen. Aber das waren – verzeihen Sie das harte Wort! – fromme Wünsche. Ich kannte meine Pflicht und ertrug den schwülsten Réaumur.

Wenn ich mir aber die Arbeit etwas erleichtert habe, ist das ein Grund, daß Sie in der Weise, wie es geschehen, diesen meinen Mond anbellen? Der Sessel des Schreibtisches ist in dieser Hitze wahrlich kein Lotterstuhl, und zum Unglück habe ich noch eine Weckuhr, welche Morgens so eintönig abläuft, daß ich vor Langeweile wieder einschlafe und daher mich erst spät aus Morpheus' Posen losmache. Solche und andere Gründe veranlaßten mich, das Leichteste zu ergreifen und den Krieg zwischen Frankreich und Italien zu entfesseln. Kommen wird er ja doch, die Zeit ist nicht mehr fern, wo wir ihn mit leibeigenen Augen sehen werden, und dann werden Sie es gewiß bedauern, den übrigen Blättern nicht das böse Prävenire gespielt und ihnen den schönen Stoff fortgenommen zu haben. Wenn ich Ihren geschätzten Brief läse, ohne mich zu kennen, so würde ich glauben, daß ich ein Mann sei, der seinen Nagel vor lauter Bäumen nicht sieht und sich fortwährend nach einer Brust umschaut, in die 108 er sich werfen kann, von seinem Fach aber nichts versteht. Sie sollten aber doch endlich einsehen, daß Sie mich verkennen und daß Sie stets zu Ihrem eigenen Schaden mir eins über die Schnur hauen.

Selbst in ganz unbedeutenden Dingen machen Sie mir Opposition, und wenn ich Sie hiermit um 50 Mark Vorschuß bitte, so werden Sie etwas dagegen haben und mir das Doppelte schicken. Nun, thun Sie, was Sie nicht lassen können.

* * *

Sfâkes, den 16. Juli 1881.

W. Seit heute Vormittag existirt Sfâkes (sprich Sfâkes) nicht mehr, das französische Geschwader hat diese osttunesische Hafenstadt so vollständig rasirt, daß kein Härchen auf dem andern blieb, und heute Nachmittag hat der Einzug des französischen Corps stattgefunden. Ich bin von dem Bombardement noch ganz betäubt. Dasselbe dauerte zwei volle Tage und glich einem förmlichen Kugelplatzregen.

Die Operation war eine höchst schwierige. Thurmtiefer Schlamm verhinderte die Schiffe, das Ufer mit Sturm zu nehmen, so daß der Oberkommandant der Flotte lange Zeit, das Fernrohr bei Fuß, dastehen und ruhig mit ansehen mußte, wie die Schiffe keine Bresche nach der andern in die Festungsmauern schossen. Es war weit und breit kein Erdboden, dem man Sfâkes hätte gleichmachen können, während 109 das Wasser keinen Grund hatte, in den die aus Arabern bestehende Besatzung der Festung die Flotte schießen konnte. Endlich aber hißten die Franzosen einen Trompeter, welcher die Uebergabe der Festung ankündigte. Nun landete das Schiffsvolk, und mit dem Geschrei: »Es lebe Frankreich, eins, zwei, drei, Hülfe!« wurde die Festung genommen.

Diese bot einen schrecklichen Anblick. Die Häuser lagen in Sack und Asche. Ueberall sah man die gestrecktesten Waffen. An ein Unterkommen war nicht zu denken. Erst gegen Abend fand ich eine zum Glück nicht in die Luft geflogene leere Pulverkammer, in welcher ich Quartier nahm.

Damit aber ist der Aufstand der Tunesen noch keineswegs gedämpft. Die Aufständischen ziehen sich in die Wüste zurück, wohin ihnen die Franzosen nicht folgen, da sie sich dort leicht im Sande verlaufen können. Dazu kommt noch, daß der Insurgentenchef Bu Amena (sprich: Bu Amena) ein Zauberer zu sein scheint, welcher die Franzosen zum Allerbesten hat, ihnen hier eine Schlacht, dort ein Schnippchen schlägt, sie mitten im Juli in den drei Monate früheren April schickt und sie, wo er nur ihre Nase erblickt, an derselben herumführt. Glauben die Franzosen, ihm im Nacken zu sitzen und sich ein X von ihm machen lassen zu können, so macht er ihnen ein U, marschirt mitten zwischen ihnen durch und geht ihnen aus der Nase. Er ist ein Zehntausendsassa, ich möchte ihn einen Bellonachini nennen, der den 110 Feinden den Boden, auf dem sie stehen, zu einem doppelten macht. Das ermüdet und reibt den Geriebensten auf.

Es ist daher nicht anzunehmen, daß die Franzosen in diesem Kriege keine Lorbeeren spinnen, vielmehr glaube ich, daß sie bald mit Tunis den Friedens-Tschibuk rauchen werden. Warum auch nicht? Pax schlägt sich, Vobiscum verträgt sich.


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