Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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74 Der deutsch-chinesische Conflict.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir brauchen Ihnen nicht zu sagen, mit welchem Bedauern wir uns genöthigt sehen, auf Ihre werthen Berichte seit längerer Zeit verzichten zu müssen. Es ist dieser Verzicht auch mit einem wirklichen Schaden für unser Blatt verknüpft. Die Leser wollen Kriegsberichte. Ohne zu bedenken, daß Sie solche absolut nicht liefern können, wenn nicht irgendwo ein Völkerstreit zum Ausbruch gekommen, überschütten sie uns mit Fragen nach dem Verbleib Ihrer aufregenden Referate, als ließen wir selbe absichtlich fort. Und wir vermögen natürlich nur mit bedauerndem Achselzucken zu antworten. Eine Zeit lang beruhigt sich das Publikum, dann aber wendet es sich zu solchen Blättern, welche sein Sensationsbedürfniß rücksichtsloser als das unserige befriedigen.

75 Nun wir abermals vor einem Quartalsschluß stehen, wenden wir uns an Ihre Freundlichkeit mit der Bitte um irgend einen Bericht. Ihr so oft bewährter Scharfsinn wird hoffentlich einen Stoff finden, wo wir solchen nicht zu entdecken vermögen, und so grüßen wir Sie hoffnungsvoll und

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 15. März 1883.

Oft schon, wenn ich schlaflos in Morpheus' Kissen lag, suchte ich emsig nach irgend einer Bellona. Umsonst. Ueberall gezogene Kanonen, aber keine gezogene Degen. Ueberall Kriegsdrommeten, aber Niemand stößt hinein. Ueberall bereitet man sich zum Para bellum, aber nur parabolisch. Wenn ich einer der ältesten Leute wäre, so würde ich mich einer so tiefen Friedenszeit, wie der jetzigen, nicht zu erinnern wissen. Die Läden des Janustempels sind geschlossen, und dem Nervus der Völker fehlt das nöthige Rerum. Es ist, um aus dem Harnisch zu gerathen.

Ich gebe zu, daß ich oft diese Zeit herbeiwünschte, um meine Hände in den Schooß der Bärenhaut legen zu können, 76 heute bereue ich es. Aber was hilft die Reue? Damit kann man keinen der drei Männer aus dem feurigen Ofen locken. Meine arme Dinte kann warten, bis sie schwarz wird, und meine schlafende Stahlfeder kommt nicht aus den Posen: ich habe keinen Krieg. Vergeblich sehe ich mich nach einem Zaun um, von dem ich einen Krieg brechen, vergeblich nach einem Daumen, aus dem ich ihn fangen könnte. Was nützen auch Zaun und Daumen? Dem Publikum würde doch nur zu bald ein Licht, hinter das ich es geführt hätte, aufgehen, und es würde glauben, ich sei über und über geschnappt. Oder, was noch schlimmer ist, es würde von Betrug, vom Corriger le malheur reden, es würde behaupten, ich hätte einen Beutel geschnitten und allzu hoch gestapelt. Und das wäre mir – verzeihen Sie das harte Wort! – nicht angenehm.

Damit aber ist Ihnen nicht geholfen. Sie wollen gewissermaßen von einem Leiden geheilt sein und haben mir dies nicht geschrieben, um einen Quack salben zu sehen. So sende ich Ihnen denn einliegend den deutsch-chinesischen Conflict, welcher wohl geeignet erscheint, Ihre werthe Lücke zu büßen. Ob ich einen Krieg daraus werde machen können, das weiß ich diesen Augenblick noch nicht. China liegt doch zu sehr in Asien, als daß ich glauben könnte, Deutschland denke ernstlich daran, es mit einem Mars zu überziehen und »Die Wacht am Yang-tse-kiang« ertönen zu lassen. Und wie sollte auch eine deutsche Armee dorthin gelangen? Sie 77 könnte nur über Breslau und Nan-king die Hauptstadt Pe-king erreichen, und das wäre ein colossaler und beschwerlicher Weg. Diese und andere Bedenken sprechen gegen den Ausbruch eines Krieges, und ich würde dem Conflikt nicht näher, als Sie glauben, getreten sein, wenn der Moment nicht anderweitig günstig wäre. Wir haben in Bronsart von Schellendorf einen neuen Kriegsminister, und der Prinz von Wales (sprich: Wales) ist mit dem Generalfeldmarschall im Knopfloch von Berlin nach England abgereist. Ich denke nicht daran, Zungen zu dreschen, Sie wissen auch, daß ich eher ein Klein- als ein Großthuer bin, aber Ereignisse, wie die eben geschilderten, geben doch zu denken.

Schließlich glaube ich Ihnen die Nachricht nicht vorenthalten zu dürfen, daß ich zum Bimetallismus übergegangen bin. Um Ihnen dies zu beweisen, bitte ich Sie um einen Vorschuß von 40 Mark in Gold und 35 Mark in Silber, oder umgekehrt: 35 Mark in Gold und 40 Mark in Silber. Können Sie dort einige Schnüre voll Kupfermünzen auftreiben, wie sie in China so viel getragen werden, so legen Sie sie gefälligst bei.

* * *

Nan-king, den 1. März 1883.

W. Da wäre ich denn in Nan-king, in der vielgenannten Stadt also, deren Bewohner in den berühmten Sommerbeinkleidern, die von ihr den Namen haben, so 78 Außerordentliches leisten. Die Reise war recht beschwerlich, doch bin ich, Buddha sei Dank! wohl und munter hier angekommen und im »Goldenen Theekessel« abgestiegen.

Ich habe mich sofort davon überzeugen können, daß die Stimmung gegen Deutschland eine sehr erregte ist. In einem Wiener Thé (Cafés giebt es hier natürlich nicht) hörte ich sogar den Ruf »Nach Berlin!« ausstoßen. Man meinte, die chinesischen Hafenstädte Swatau (sprich: Swatau) und Amoy (sprich: Amoy), welche die deutschen Marinetruppen betreten haben, könnten nur mit Blut abgewaschen werden. Sie denken ohrenscheinlich, man müsse das Eisen fressen, so lange es heiß ist, sie werden aber wohl wieder ruhiger werden, wenn sie sich sagen, daß China im Grunde ein Coloß auf thönernem Rhodus ist, der sich nicht mit Deutschland messen kann. Diese Kahlköpfe werden also sehr bald froh sein, wenn wir sie ungeschoren lassen.

Nichtsdestoweniger ist die chinesische Mauer mit kriegerischen Plakaten förmlich beklebt, und in allen Pagoden wird Confucius angefleht, er möge den Chinesen beistehen, daß sie den Zopflosen (den Deutschen) die verkrüppelten Füße auf den Nacken setzen. Gestern zogen Kulis, vom Opium schwer beraucht, vor das Palais des Kaisers Sing-Sang, um denselben durch den Vortrag des Nationalliedes »Tschahi, Tschaho« eine Ovation darzubringen. Der durchaus friedlich gesinnte Monarch ließ sich aber nicht sehen. Bemerken will ich noch, daß die deutsche Kriegskorvette »Elisabeth«, 79 deren Mannschaft gelandet war, Swatau wieder verlassen hat und durch das bekanntlich so gelbe Meer in den Wendekreis des Krebses zurückgegangen ist.

Ich glaube trotzdem nicht an eine Störung des Friedens. Nicht etwa, weil es der Staatskasse an Chinasilber fehlt. Aber China wird der Landung der 40 Mann von der »Elisabeth« nicht auf die schwere Achsel nehmen und aus der Mücke keine Salzsäule machen. Auch wird Deutschland ohne Zweifel Alles thun, um den Erisapfel beizulegen.

Eben höre ich, daß die Absicht besteht, einen stillen Ocean-Kongreß zusammentreten zu lassen.


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