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XXV.

Als Lady Vere's Kammerjungfer in der Nacht vor ihrer Herrin Thür geschlichen war, weil sie die Angst um das bleiche entstellte Gesicht nicht schlafen ließ, hörte sie drinnen lautes Lachen und dann Weinen und Schluchzen. Sie weckte ihre Cameradin; und beide hielten eine leise Zwiesprach in dem Corridor, bevor sie endlich einzutreten wagten. Lady Vere lag halb entkleidet auf ihrem Bette; ihre sonst so bleichen Wangen brannten; sie hatte die Augen fest geschlossen; ihre Hände rissen ungeduldig an einer der Flechten ihres Haares, das sich gelöst hatte, und in weichen, dunklen Wellen über sie hinfloß; sie murmelte unverständliche Worte durch die krampfhaft geschlossenen Zähne. –

Die Gesellschaft unterhielt sich am nächsten Morgen flüsternd über die beiden großen Ereignisse der letzten Nacht: die Abreise des Herzogs, und die Erkrankung ihrer schönen Wirthin. Die beiden hellsten Sterne an ihrem Himmel waren verschwunden; und es war doch ein gar wunderbarer Zufall, daß sie beide in einer Nacht erloschen waren.

Da man schon immer eine engere Verbindung zwischen diesen Beiden vorausgesetzt, vermuthet und zuletzt als ausgemacht angenommen hatte, so versteht es sich wohl von selbst, daß der Scharfsinn der Gäste sich darin gefiel, diese zwei zusammenfallenden Ereignisse aus einer Ursache herzuleiten; trotzdem, daß der Herzog selbst der versammelten Gesellschaft als Grund seines Aufbruchs die plötzliche schlimme Wendung, welche der Zustand seiner kranken Mutter in London genommen habe, angegeben hatte; und Lady Vere's Krankheit in der Aufregung der letzten Tage, der ungewohnten Anstrengung des Spiels, der gestrigen Reise, – die freilich von dem schönsten Wetter begünstigt gewesen war – eine sehr natürliche Erklärung fand. –

Aber dann hatte des Herzogs Mutter doch auch wieder seit langer Zeit gekränkelt, und man hatte ihm nie eine übergroße Bekümmerniß angemerkt, und der Bote von gestern Abend kam ja regelmäßig die Woche zweimal von London; und Lady Vere war gestern noch sehr munter gewesen, und hatte außerordentlich wohl ausgesehen. –

Wie dem auch immer sein mochte, die Gesellschaft war äußerst verstört. Man fand, daß der Besuch auf Schloß Vere schon über die Zeit gedauert habe, und daß die beste Jagd vorüber sei. Man erinnerte sich anderer Einladungen, die man bisher unberücksichtigt gelassen hatte; man dachte an manche Geschäfte, die außerordentlich dringend waren, und durchaus keinen längeren Aufschub duldeten – und nach einigen Tagen war Schloß Vere so öde und verlassen, wie damals, als die letzten Strohhalme von dem Rasenplatz gefegt wurden, und der Maler im Garten die Sandsteingötter anstrich.

Lord Vere beruhigte sich über das massenhafte Desertiren seiner Gäste um so leichter, als die Krankheit seiner Tochter schon nach einigen Tagen eine günstige Wendung nahm, und die herbeigerufenen Aerzte Lady Vere außer aller Gefahr erklärten. Aber ob auch die Krankheit gehoben war, so schien der Geist der schönen Patientin noch immer wunderlich aufgeregt und eine innere Unruhe zurückgeblieben zu sein, gegen die alle Mittel fruchtlos waren, und die mit ihrer sonstigen Ruhe und Kälte in einem seltsamen Widerspruch stand. –

Lady Vere hatte in den ersten Tagen in einem heftigen Delirium gelegen; aber sie hatte in ihren Phantasien nur deutsch gesprochen; und so verleugnete sie, die in gesunden Tagen die Worte so genau zu berechnen wußte, ihre stolze überlegte Natur selbst im Fieber nicht; wenigstens hatte sie weder Georgs, noch des Herzogs Namen genannt – sie, die es sich zur Aufgabe gemacht zu haben schien, Alle um sich herum zu durchschauen, hielt selbst in den Momenten, wo sich das wahre Gesicht so schwer verbergen läßt, die Maske fest.

Unter allen den Ueberraschungen der letzten Zeit war es für Lord Vere sicher nicht die geringste gewesen, als an dem Tage, an welchem die alte Margareth auf dem Kirchhofe der Kapelle zwischen Gatte und Sohn beigesetzt war, Georg ihm in einer längeren Unterredung seinen Entschluß mittheilte, die Stelle, die er bisher bekleidet, niederlegen zu wollen, sobald es nur irgend die Umstände gestatten würden. Er erbat sich zugleich für die nächsten Tage Urlaub, um Helene nach T. bringen und seine Angelegenheiten soweit ordnen zu können, daß hernach seiner Uebersiedlung nach Amerika nichts mehr im Wege stehe. Er versicherte Lord Vere, daß der Tod seiner Pflegemutter den längst gehegten Plan nur zur Reife gebracht habe; und der alte Herr glaubte gern, daß Helene sich darnach sehne, einen Ort zu verlassen, wo sie in kurzer Zeit Bruder, Vater und Mutter verloren hatte. Er war über Georgs Entschluß aufrichtig bekümmert, und bat den jungen Mann dringend, von seinem Vorhaben abzustehen.

Lord Vere hatte in dieser Zeit Georg sehr lieb gewonnen, der es ihn nie hatte merken lassen, wie weit er ihn an Einsicht und Kenntnissen überragte. Die durchgebildetste Kunst konnte den berechnendsten Höfling nicht zarter und rücksichtsvoller auftreten machen, als Georg seine Gutmüthigkeit und Menschenfreundlichkeit, Er hatte Mitleiden mit dem Dummen, wie mit dem Schwachen; er mäßigte gern seinen schnellen Schritt, damit der Andere mitkommen könne, und unterstützte seines lahmen Gefährten schwankenden Gang, als ob er es sei, der Hülfe suche. Lord Vere wußte selbst nicht, wie es zuging, daß er in Georgs Beisein scharfsinniger und unterrichteter war, als zu anderen Zeiten; und er war zu der Einsicht gekommen, daß Georg ihn viel schneller und besser verstehe, als selbst sein Kellermeister und der Pastor, die in der ersten Zeit sein ganzes Vertrauen besessen hatten. – Er war in Verzweiflung, daß seine Tochter gerade jetzt krank sein mußte, und hoffte noch im Stillen von ihrer Ueberredungsgabe das Beste. –

Georg versprach, in höchstens acht Tagen wieder zu kommen, und reiste mit Helene und der alten Barbara, die ihre junge Herrin um keinen Preis verlassen wollte, nach T. Hier fand er leider den alten Freund verreist; aber die würdige Schwester des geschätzten Mannes, die ihm noch aus den Tagen seiner Jugend her so bekannt und werth war, empfing die lieben Gäste mit offenen Armen, und unter ihrem Schutze ließ Georg einstweilen das geliebte Mädchen, um über London nach Schloß Vere zurückzukehren.

Wie es Georg angefangen haben mag, dem Herzog seine wunderliche Großmuth zu erklären, ist ein Geheimniß.

Vielleicht hat er zu dieser Conferenz einige wichtige Papiere nicht mitgebracht. So viel steht wenigstens fest, daß der Herzog den seltsamen Menschen nicht geradezu für einen Tollhäusler halten konnte, als dieser ihm erklärte, seine Ansprüche nie geltend machen zu wollen. – Ueber den zarten Punct seines Verhältnisses zu Lady Vere sprach Georg mit einer Freimüthigkeit, die jeden Verdacht aus dem Herzen des Andern entfernen mußte. Georg wollte lieber als der größte Dummkopf erscheinen, als etwas thun oder sagen, was auch nur entfernt einer unedlen Rache ähnlich gesehen hätte. – Nachdem er sich noch einmal die strengste Verschwiegenheit hatte versprechen lassen, ging er nach Schloß Vere zurück.

Georg hoffte durch Lady Vere's Krankheit, die ihm viel zu denken gegeben hatte, jeder abermaligen Begegnung überhoben zu sein. Wie erstaunt war er daher, als er bei seiner Ankunft einen Brief vorfand von der bekannten Hand der Lady Vere Der Brief lautete:

»Ich muß Sie sprechen; ich habe mich beeilt, wieder gesund zu werden, um Sie sprechen zu können. Ich weiß Alles – ich habe Ihr Gespräch mit dem Herzoge gehört – Was für Schritte Sie auch immer in unserer Sache thun werden, versagen Sie mir diese Unterredung nicht! Ich weiß, wie sehr sich Ihr Stolz gegen eine solche Zumuthung empören wird; aber Sie sind so großmüthig, als stolz – und am Ende, was haben Sie sich denn vorzuwerfen, daß Sie diese Zusammenkunft zu scheuen brauchten?

C. V.«

Das hatte Georg nicht erwartet; das machte all' seine Hoffnung zu nichte, still und ungestört von Schloß Vere scheiden zu können. Er hatte sich schon ausgedacht, wie er die Bilder seiner Eltern und den Inhalt des Schranks ohne Aufsehen an sich bringen könnte; und jetzt eine abermalige Zusammenkunft mit Lady Vere! –

Er wollte ihr erst schreiben; aber er fand, wie mißlich das in mehr als einer Beziehung war; es kam ihm fast wie eine Feigheit vor. So ritt er denn nach einigen Stunden den alten Weg nach dem Schlosse, und da er Lord Vere nicht zu Hause fand, ließ er sich sogleich bei Lady Vere melden. – Er wurde zum ersten Male in ihre Zimmer geführt. Er durchschritt einige hohe, schöne Gemächer, deren reicher Schmuck an Gemälden und Büsten von dem feinen Geschmack der Bewohnerin Zeugniß gab; das Kammermädchen öffnete die letzte Thür, und Georg und Clara Vere standen sich gegenüber.

Sie hatte sich aus der Ecke des Sophas bei seinem Eintritt erhoben; sie war ihm schnell einige Schritte entgegen gegangen; jetzt stand sie still; sie legte die Hand auf ihr Herz, dessen ungestümes Schlagen man deutlich durch das leichte, weiße Gewand hindurch sah, und eine fieberhafte Röthe flammte für einen Augenblick in ihrem Gesichte auf, um alsbald einer geisterhaften Blässe zu weichen. Die Krankheit hatte die dichte Hülle gelockert, hinter der sie sonst alle Regungen sorgsam barg. Sie mußte sich an der hohen Lehne eines Stuhls halten, um nicht umzusinken. Dann raffte sie sich auf, und schritt nach dem Sopha, in dessen Ecke sie sich wieder niederließ.

»Darf ich Sie bitten, die Thür zu verschließen;« sagte sie, »auch die im Vorgemach. – Wenn unsere Sache auch bald genug in das Publicum kommen wird,« setzte sie mit einem Lächeln hinzu, »so möchte ich doch nicht gern, daß es die erste Nachricht davon durch die Kammermädchen erhielte.«

Georg that, wie sie wünschte. Sie winkte ihm, auf einem Stuhle vor ihr Platz zu nehmen.

Der junge Mann sah, wie Lady Vere vergeblich nach Worten suchte, um die Unterhaltung zu eröffnen. Der Anblick des stolzen Weibes, das in diesem Augenblick die Herrschaft über sich selbst so ganz verlor, war ihm außerordentlich peinlich. –

Georg hegte keinen Groll gegen sie. Der kindische Zorn gekränkter Eitelkeit, wenn er je für einen Augenblick in ihm aufgelodert war, war längst erloschen. Er empfand nur ein tiefes Mitleid, einen edlen Schmerz, daß dieser glänzende Geist sich selbst geblendet hatte, daß er an seinem eigenen Reichthum zu Grunde gehen solle. Lady Vere war ihm zu theuer gewesen, seine Liebe zu ihr zu rein, als daß sie ihm nicht hätte werth sein sollen noch jetzt in diesem Augenblicke. Was war denn nun so anders? Daß sie ihre Liebe zu ihm einer Herzogskrone aufgeopfert? War ihr das Opfer vielleicht nicht schwer geworden? War sie denn nicht noch das schöne, begabte Weib, in dessen Schönheit er mit der Andacht eines Künstlers gelesen, dessen Geist er mit hoher Bewunderung gehuldigt hatte? –

Und doch wieso ganz anders war das Alles jetzt! Jetzt wußte er, daß dies nicht die Gefährtin war, mit der er, unauflöslich verbunden, muthig vorwärts schreiten konnte zum Lichte der Wahrheit; daß hier nicht die reine Flamme brannte, an der er die Fackel der Begeisterung, die seinen Weg erhellen mußte, wieder entzünden konnte, wenn die dumpfe Luft der Alltäglichkeit und der Wirbelwind des Zweifels sie ihm zu verlöschen drohten. Sie Beide trennte eine tiefe Kluft; und es war nicht Feigheit, wenn sie Georg unüberwindlich schien.

Was Lady Vere fehlte, war der Glaube; der Glaube an sich selbst und an die Wahrheit; und ihre glänzenden Gaben machten diese innere Oede nur noch qualvoller für sie selbst und gefährlicher für Andere. Der Teufel ist gerade darum so furchtbar, weil er ein gefallener Engel ist.

Als Georg sie in diesem Augenblick betrachtete, sprach es laut in seinem Herzen: Ich hätte Dich nicht glücklich machen können, schönes Weib; aber Du mich unsäglich unglücklich.

»Fühlen Sie sich wohl genug, Mylady,« begann er, »und sind Sie in der Stimmung, einer Auseinandersetzung des Verhältnisses, die ich möglichst kurz machen werde, folgen zu können? Da Sie im Allgemeinen von der wahren Sachlage unterrichtet sind, so müssen Sie natürlich auch die Einzelheiten zu erfahren wünschen.«

Georg erzählte jetzt in möglichster Kürze, wie er zu der Entdeckung gekommen war. Von der Geschichte seines Vaters so viel, als ihm zum Verständniß der ganzen Angelegenheit unumgänglich nöthig schien. Er legte ihr die Papiere, so wie sie ein Faktum, ein Verhältnis; bewiesen, oder deutlich machten, der Reihe nach vor. Er vergaß nicht, ihr die sehr bedeutende Summe anzugeben, die ihm sein Vater von vorn herein auf alle Fälle ausgesetzt hatte.

Sie hörte ihm mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu; sie richtete einzelne Fragen an ihn über Puncte, die ihr nicht gleich ganz deutlich wurden; Fragen, die bewiesen, mit welchem Scharfblick sie die ganze Sache erfaßte, und die Georg zu einer Ausführlichkeit nöthigten, der er gern wäre überhoben gewesen. – Ein Geschäftsmann, der eine verwickelte Sache auseinandersetzt, konnte nicht bestimmter und deutlicher sein, wie Georg; eine Clientin, um deren Vermögen es sich in dem Augenblick handelt, nicht aufmerksamer, nicht umsichtiger, wie Lady Vere

Als Georg fertig war, fragte er: »darf ich hoffen, Ihnen die ganze Sachlage möglichst deutlich gemacht zu haben? Ist Ihnen noch irgend ein Punkt dunkel geblieben; oder wünschen Sie noch eine genauere Einsicht der Documente?«

»Nein! ich danke Ihnen!« erwiederte Lady Vere, »ich bin es nicht an Ihnen gewohnt, zu einer Erläuterung noch eine Erläuterung zu bedürfen.«

»Nun wohl!« sagte Georg, sich erhebend, und die Papiere zusammenraffend, »und dies ist denn der Gebrauch, den ich von diesen Documenten zu machen gedenke.«

Und er ging zum Kamin, und warf die Papiere in die Gluth, daß die Flamme hoch emporloderte. Dann, als auch das letzte Stück verzehrt war, und der Luftzug die leichte Asche emporwirbelte, wandte er sich wieder zu Lady Vere und sagte:

»Ich fürchte, Mylady, die lange Auseinandersetzung hat Ihre Kräfte mehr als billig in Anspruch genommen, und Sie werden der Ruhe bedürfen.«

Es ist etwas Entsetzliches darum durch Nichts überrascht, über Nichts in Verwunderung gerathen zu können, weil man Alles schon im voraus weiß.

So wenig auch Lady Vere aus dem Gespräche zwischen Georg und dem Herzog vernommen, so zweideutig auch das Versprechen, die Sache geheim halten zu wollen, das er dem Herzog abgenommen hatte, war – Lady Vere kannte Georgs edle Natur zu gut; sie wußte, daß er den schonendsten Gebrauch von seinem Rechte machen würde; ja, als er ihr jetzt mit dieser kalten Förmlichkeit die Sache auseinandersetzte, da hatte sie unwillkührlich einen Blick auf den Kamin geworfen, da hätte sie schwören können, daß dies das Ende sein würde. Und doch, hätte sie so gehandelt, wenn sie in diesem Falle gewesen wäre? Nicht doch! aber sie wußte, daß andere Leute so handeln könnten, so handeln würden. Sie konnte auch dies verstehen; und als jetzt Georg mit dem Bewußtsein, das erfüllt zu haben, was ihm Pflicht schien; einig mit sich selbst und zufrieden mit sich selbst vor ihr stand, – da wußte sie auch, daß er sich nicht wohlgefällig fragte: »wie hat das ausgesehen?« und »was wird sie nun sagen?« Sie fühlte, daß er ein Mann, und daß sie seiner nicht werth war; und daß sie ihn nie so geliebt hatte, wie in diesem Augenblicke.

»Bleiben Sie!« sagte sie dringend – und winkte ihm wieder auf den Sitz. »Sie sehen mich nicht überrascht. Sie müssen es selbst verantworten, wenn bei Ihnen großherzige Handlungen nicht überraschen. – Ich habe Ihnen noch etwas zu sagen; ich kann es Ihnen jetzt sagen, da jede Verbindung zwischen uns unmöglich ist.« –

Sie beugte sich hin zu ihm, und ihre schönen Augen ruhten fest auf ihm; sie sprach mit leiser, deutlicher Stimme:

»Ich habe Sie geliebt, Georg, wie ich glaube, daß ich überhaupt lieben kann; ja ich liebe Sie zu dieser Stunde mehr, wie je! Ich will es Ihnen gestehen: ich habe mich nie Ihrer werth gehalten; und ob ich gleich Alles aufbot, Sie an mich zu fesseln, fühlte ich, daß ich Sie verlieren würde in dem Momente, wo ich Sie ganz gewonnen; und ob mich Ihre Bewunderung auch auf Augenblicke stolz machte, – die größte Zeit habe ich unter ihr gelitten, wie der Dieb mit dem schönen Kleide prunkt, das er gestohlen, und es doch nur mit Aengsten trägt, weil er überall dem rechten Eigenthümer zu begegnen fürchtet. – Das Schicksal hat es so gelenkt, daß Sie zur rechten Zeit zur Einsicht kamen, ich sei Ihrer nicht werth. –

Sie haben sich von mir gewandt; ich muß es dulden; ich habe keine Macht und kein Recht, Sie zu halten. Aber wissen Sie, Georg, ich habe oft geglaubt, daß Sie mich dem Leben wieder geben könnten, wenn das in eines Menschen Macht steht. Sie haben mir eben eine Herrschaft geschenkt; und ich sage Ihnen, ich wollte, ich könnte als Magd in Ihrem Hause dienen. Doch, ich weiß, auch das wird nicht anhalten. Sie werden gehen, und ich werde das alte Leben fortsetzen, mir nicht zur Freude, und Anderen zum Verderben. Ich werde mir schmeicheln lassen, und die Schmeichler verachten und verspotten, und doch um ihre Gunst buhlen; und werde glänzen und elend sein; und wenn ich dann vielleicht wieder einen Menschen gefunden habe, der mir auf Augenblicke die Ahnung eines höheren, besseren Lebens giebt, so werde ich ihm zum Dank dafür sagen, daß er toll sei, und werde es alberne Menschen in meiner Gegenwart sagen lassen, die nicht werth sind, daß sie ihm die Schuhriemen lösen. Gehen Sie nun, Georg! Ich habe nie so zu einem Menschen gesprochen, werde nie so wieder zu einem Menschen reden. Ich weiß nicht, was mich drängt, vor Ihnen meine ganze Häßlichkeit zu zeigen, wahrscheinlich zum Lohn dafür, daß Sie einmal meiner Schönheit gehuldigt.«

»Sprechen Sie nicht so, Mylady! um Gotteswillen, sprechen Sie nicht so!« rief Georg mit Entsetzen. »Das ist furchtbar! Der Anblick eines Menschen, der sich die geladene Pistole an die Stirn setzt, ist nicht furchtbarer! – Wenn wir auch nun auf immer getrennt sind – es kann Niemand inniger wünschen, daß Sie glücklich sein möchten, als ich. Versuchen Sie es, die Menschen zu achten, und Sie werden sich selber achten lernen! Werfen Sie diese starre Maske von sich! Sein Sie ehrlich gegen sich selbst und Andere! Schämen Sie sich Ihrer Fehler nicht! die Menschen sind es nicht werth, daß man ihrethalben zum Heuchler wird. Sie können hier unendlich viel Gutes wirken, manche Thräne trocknen, in manche Hütte Glück und Frieden bringen. Ich würde nicht ruhig aus diesem Wirkungskreise scheiden, wüßte ich nicht, daß Sie das Vermögen haben, die Wohlthäterin der ganzen Gegend zu sein. Versuchen Sie es, das Gute zu thun! es kostet Sie so wenig Mühe, und der heiße Dank der Armen, und der stille Beifall aller Vernünftigen sind köstlicher, als die hohle Bewunderung und das alberne Klatschen Ihres glänzenden Gefolges! Ich habe mich Ihnen zu Füßen geworfen, um Ihnen meine Liebe zu gestehen: – auf meinen Knieen beschwöre ich Sie, – Sie, die Sie so schön, so begabt sind, – versuchen Sie es, auch gut zu sein!«

»Stehen Sie auf, Georg! knieen Sie nicht vor mir! Mag Gott Ihr Gebet erhört haben! Ich will versuchen, zu sein, wie Sie mich wünschen; ich will es versuchen um Ihrethalben. Mag die Erinnerung an Sie mir Kraft geben; in mir selbst fühle ich keine. Gehen Sie jetzt, Georg! Ich könnte weinen, daß ich selbst Sie gehen heißen muß. Mit Ihnen wendet sich mein guter Engel von mir!«

Sie war aufgestanden, und Georg war ihr gefolgt. Er wollte noch sprechen; aber die Worte versagten ihm. Sie begleitete ihn bis an die zweite Thür; sie legte die Hand auf seine Schulter; die Thränen stürzten ihr aus den Augen; sie biß die Zähne übereinander, und sagte leise:

»Ich habe Dir einen Kuß gestohlen, Du schöner Mensch, heimlich, wie ein Dieb in finsterer Nacht; und habe Dich von mir gestoßen, als Du mir Deine Liebe gestandest, weil ein Narr zugegen war. – Und wenn die ganze Welt jetzt Zeuge wäre: ich will diesen Mund noch einmal küssen!« – und sie zog Georg an ihr pochendes Herz, und drückte einen heißen, langen Kuß auf seine Lippen.

»So, nun geh'! mag dieser Kuß mich rein machen, und vor Verzweiflung schützen!«

Dann eilte sie in ihr Gemach zurück, und verschloß die Thür hinter sich. –

Georg war tief erschüttert. »Nein, nein,« rief es in ihm, »Du schönes Weib! Du darfst nicht verloren gehen! Die Wahrheit ist mächtiger, wie die Lüge: und die Wahrheit ist mächtiger in Dir, wie Du glaubst!« –

Am Abend desselben Tages sandte ihm Lady Vere die Portraits seiner Eltern; und es war dies wieder ein Beweis, wie tief sie in den Herzen der Menschen zu lesen wußte. – Georg war durch die seltsame Wendung, welche das Gespräch genommen hatte, daran verhindert worden, ihr seinen liebsten Wunsch zu äußern. Er sandte ihr den Schlüssel zu dem Schranke mit der Bitte, ihm auch das andere Portrait zu senden, und die Papiere, als werthlos, zu verbrennen; er willfahrte gern Lady Vere, als sie ihn bat, dies Bild behalten zu dürfen, »ich habe diesem Bilde viel abzubitten,« schrieb sie ihm.

In vierzehn Tagen hatte Georg Alles geordnet, und konnte seinem Nachfolger das Amt übergeben. – Er schied nicht leichten Herzens, aber unerschütterten Sinns aus dem lieben Thal, in dem er der Freuden so viel gehabt, daß das Leid dagegen nichts erschien. –

Unsre Heimath ist nicht Fels und Baum und Erde; die Herzen sind es, die für uns schlagen – und Georg hatte jetzt den unverrückbaren Schwerpunkt seines Daseins gefunden. –


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