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X.

Endlich hatte die schöne Künstlerin auf Schloß Vere dem kleinen Publicum, das sie durch eine Gastrolle ehrte, denjenigen Beifall abgenöthigt, der einem so glänzenden Talente, das auf viel größeren Bühnen reichliche Kränze eingeerntet, gebührte. Sie genoß ihren Triumph mit der Bescheidenheit, die immer das wahre Genie begleitet, und war um so mehr von dem Beifalle entzückt, als er sich so äußerte, wie ihn der echte Künstler wünscht, der das rohe Klatschen und den lärmenden Enthusiasmus der Menge verachtet, und sich an der tiefen Rührung der wenigen Kenner ergötzt.

Als Georg an jenem, für ihn verhängnißvollen, Abend von ihr ging, – da hatte sie ihm mit triumphirenden Lächeln nachgesehen, und das Kammermädchen, das jetzt gerade hereintrat, hatte das ungeduldige: endlich, endlich! auf sich bezogen, und sich zum hundertsten Male bestätigt: man könne ihrer schönen Herrin doch auch nichts zu Dank machen. Hätte sich Georg am nächsten Tage ihr zu Füßen geworfen, – so wäre die Jagd zu Ende gewesen, und das Spiel aus. Und das Spiel interessirte sie so – sie wußte selbst nicht, was das für ein sonderbarer Reiz war, der sie die alte Rolle diesmal mit so vielem Feuer spielen machte! Und jetzt vor allem, als sie des Beifalls gewiß war, und wußte, daß es sich der Mühe verlohnte, – sie konnte kaum erwarten, daß der Vorhang wieder empor rauschte.

Als Georg nach einigen Tagen wieder auf das Schloß kam, hätte ein weniger guter Beobachter keine Veränderung an ihm wahrgenommen; aber Lady Vere durchschaute ihn, und sah mit einem Blick, daß seine alte Sicherheit fort war, daß sein Auge sie nicht mehr so frei und kühn anblickte, daß seine Stimme einige Male leise bebte, daß sein edler, freier Anstand, in dem er sich sonst mit der Ungezwungenheit eines Fürsten bewegte, einer erzwungenen Kälte und weltmännischen Förmlichkeit gewichen war, und daß der Pfeil ihm im Herzen saß, und daß er sich verbluten mußte, wenn er es wagte, ihn mit eigener Hand herauszuziehen.

Den Stolz, den er ihr entgegensetzte, hatte sie erwartet, und er entzückte sie – wohin das führen sollte? ei nun! weßhalb daran denken? die Kunst ist ihrer selbst wegen da; wer wird sie nach Brod gehen lassen! Sie hatte auch erwartet, daß er sich von ihr entfernen würde, und es überraschte sie daher nicht, als er, die Ueberlast seiner Geschäfte beim Herannahen der Jagdzeit vorschützend, sie bald darauf bat ihn von den deutschen Stunden auf kurze Zeit nur zu entbinden.

»Auf kurze Zeit!« hatte sie ihm mit Bedeutung geantwortet. Georg war doch noch im Anfang oft genug auf dem Schlosse – für's erste führten ihn seine Geschäfte nicht selten hin; und dann hätte ihn ein plötzliches Wegbleiben offenbar verrathen, und dagegen sträubte sich sein Stolz. Er hätte sich eben so gerne die Hand abgehackt, als sie nach einem Gute ausgestreckt, das nicht sein eigen war im vollsten Sinne. Und war das Lady Vere? – Sie für ihr Theil fürchtete Helene nicht mehr. Seit sie die Möglichkeit zu siegen gesehen hatte, war der Kühnen der Sieg gewiß. Sie fragte nach ihr, aber geduldete sich gern, als ihr Georg den Besuch derselben nicht in nächster Zeit versprechen konnte.

So tauchte Georg für Lady Vere in seine Wälder zurück; aber sie erwartete ruhig seine Wiederkehr. – Das arme verwundete Thier war in die Tiefe gefahren; aber eine Blutspur bezeichnete die Stelle, wo es gesunken, und über der Stelle, wo es wieder auftauchen mußte, um sein Leben auszuathmen, schwebte das verhängnißvolle Zeichen. Tollkühner Schiffer, fürchte den Todeskampf! der sterbende Riese zertrümmert das schwache Boot, in dem du dich sicher wähnst! –

Die gefürchteten vier Wochen waren Lady Vere unter der reizenden Unterhaltung so schnell verflossen, daß sie der erste September und die Ankunft der erwarteten Gäste beinahe überraschte. Lord Vere wollte den ersten Herbst, den er als großer Herr auf seinen Gütern verlebte, durch eine auserlesene Gesellschaft feiern, oder vielmehr Lady Vere wollte es. Sie hatte eine Liste der Einzuladenden entworfen nach ihrem Gutdünken und Geschmack, und wir dürfen ihr zutrauen, daß auf der langen Liste auch nicht Einer verzeichnet stand, der sich nicht durch Reichthum oder Verdienst, durch hohen Rang oder ein angenehmes Talent ausgezeichnet hätte. –

Lord Vere befolgte in seiner Eigenschaft als Wirth so vieler und verschiedenartiger Gäste mit bewunderungswürdiger Consequenz ein Prinzip, das zu glänzenden Resultaten führen mußte, und sicher Nacheiferung verdient: er ließ dieselben schlechterdings machen, was sie wollten; und er wurde in seiner Ansicht, die er in Betreff der Forstcultur hartnäckig gegen Georg verfocht, daß sich Alles viel besser, sicherer und schneller von selber mache, durch das augenscheinliche Behagen, und die ungeheuchelte gute Laune und fröhliche Stimmung Aller so bestärkt, daß er seinen Gegner triumphirend fragte: »ob er, Angesichts dieses ausgezeichneten Erfolgs, noch bei seinem thörichten Eigensinn verharren könne?«

Und wirklich! den Gästen wäre auf keine Weise zu helfen gewesen, wenn sie sich in diesem lieblichen Thal inmitten der waldbewachsenen Hügel, auf den weiten Brüchen und Wiesen und Stoppelfeldern den Fluß entlang in der Ebene vor dem Schlosse; – in dem prächtigen Garten, wo die langen Heckengänge noch länger aussahen, jetzt, da sie belebt waren; die hohen Taxuspyramiden die steife Würde eines vornehmen Herrn zu verspotten, und die Sphinxe sich noch mehr zu brüsten, die weißen Sandsteingötter noch zierlichere Stellungen einzunehmen, und noch zärtlicher aus den steinernen Augen zu blicken schienen, wenn die feine Gesellschaft vorüberschritt; – in den duftigen Gewächshäusern, die, ebenso wie das Naturaliencabinet im Schlosse, von dem alten Lord herstammten; – in den luftigen Gartensälen, in deren einem getafelt wurde, wenn das Wetter gut war, und es war immer gut; – in dem ungeheuren Bibliotheksaale, der für einen Regentag, welchen man allgemein für eine Unmöglichkeit hielt, eine Zufluchtsstätte versprach; – in den bequem eingerichteten Gastzimmern, die nur die böse Eigenschaft hatten, in den langen Korridoren weniger leicht zu finden zu sein, und deren wirklich auffallende Aehnlichkeit häufig zu ergötzlichen Verwechselungen Veranlassung gab, – mit Jagd und Spiel und Tafeln und Zeitungslesen und Politiken und Conversiren und Intriguiren der schweren Pflicht einer guten Gesellschaft, sich nicht zu langweilen, auf einige Wochen nicht leicht hätten nachkommen können.

Wirklich belebte denn auch bald ein buntes, geschäftiges Treiben das alte Schloß und seine reizende Umgebung; und Lady Vere konnte dankbar sein, daß dem Mangel an freundlichen Gesichtern, über den sie sich vor so kurzer Zeit bei Georg so bitter beklagt hatte, nun so bald und so gründlich abgeholfen war. Und wer wäre ihr auch anders als freundlich entgegengekommen, der schönen Wirthin! Die Herren auf der Fuchsjagd ereiferten sich und ihre schnellen Pferde nicht mehr, um den Ruhm, der erste zu sein, und brachen sich nicht williger die Hälse, als in der Gesellschaft Einer dem Andern den Rang abzulaufen suchte, ein freundliches Lächeln, einen gütigen Blick, ein verbindliches Wort von ihr zu erhaschen; und die Wahrheit zu sagen, sie war mit dem Einen so wenig sparsam, wie mit dem Anderen. –

Es sammelte sich Alles naturgemäß um diesen Brennpunct; die andern Damen, deren nicht viele anwesend waren, schienen nur Folie zu sein für diesen glänzenden Stein. Freilich, sie wäre auch wohl unter Hunderten als die Königin gefeiert, die schöne Lady Vere! und das Bewußtsein der unwiderstehlichen Macht ihrer Reize gab ihr wirklich etwas Königlich-Prächtiges, wenn auch ihre Schönheit ein wenig von der unheimlichen Art der jener Königin im Mährchen war, die ihren Spiegel nach der Schönsten im ganzen Land fragte, und ihre Hoheit etwas von der kalten Pracht des Nordlichts hatte. Aber wen die Gluth ihrer dunkeln Augen fast unheimlich dünkte, oder wen die Blässe ihres edlen Gesichts erkältete – er fühlte sich dann wieder angezogen von dem Zauber ihrer Unterhaltung, und hingerissen von der feinen Anmuth, die sie umschwebte, und die auch der kleinsten ihrer Bewegungen einen wunderbaren Reiz gab. –

Lady Vere hatte ihren dreijährigen Aufenthalt in Paris nicht ungenützt verstreichen lassen; und die Pariser Damen hatten, während sie sich der stolzen englischen Schönheit beugen mußten, nicht einmal den Trost gehabt, ihr den Witz absprechen zu können, und mit Beschämung zugestehen müssen, daß sie ihnen in all' den Vorzügen, auf die sie mit Recht so viel Werth legen, vollkommen ebenbürtig war. –

Lady Vere verstand es zur Vollkommenheit, eine Unterhaltung zu führen, und ihre ausgebreiteten Kenntnisse, ihre große Belesenheit, ihr vortreffliches Gedächtniß, in dem bis auf die kleinsten Umstände Alles haftete, ihre glückliche Phantasie, die es ihr nie an einem bezeichnenden Bilde, einem geschickten Uebergange fehlen ließ, waren wohl Elemente, die in ihrer Vereinigung etwas Ausgezeichnetes bilden mußten. Sie kannte diesen Vorzug sehr wohl, und es war vielleicht der einzige, auf den sie wirklich eitel war; und nicht umsonst hatte sie zu Georg gesagt: »der Geist offenbart sich im Wort.« Sie betrieb es förmlich als Kunst, gut zu sprechen, und sie konnte ihre glänzenden Phrasen so geläufig hersagen, wie Andere ihre brillanten Läufe auf dem Flügel abspielen – um so mehr, als sie trotz ihres feinen Auges für die Malerei und Plastik keine Hand, oder keine Geduld für die Ausführung hatte, ihre wohllautende Stimme nur zum Sprechen, nicht zum Singen geeignet schien, und ihre schöne Hand wohl kaum jemals die Tasten eines Claviers, oder die Saiten einer Harfe berührt hatte.

So war es denn natürlich, daß an der Stelle der Tafel, oder am Theetisch, und überall sonst, wo sie saß und stand, bald das lebhafteste Gespräch geführt wurde, daß der Gelehrte seine unterhaltendsten Materien hervorsuchte, dem Politiker die besten Stellen aus seinen Parlamentsreden einfielen, und dem prosaischsten Fuchsjäger ein Schimmer von Poesie aufging, ob er gleich nicht wußte, wie er den etwas undeutlichen Eindruck seiner letzten Jagd mit der klaffenden Meute, der Carrière über die Stoppeln fort, nur gleich in ein fertiges Bild bringen könnte, das sich mittheilen ließ, und dann wohl, wenn das Gespräch schon längst eine andere Wendung genommen hatte, seufzend darüber nachdachte, welchen Eindruck es auf Lady Vere machen müßte, wenn sie ihn nur einmal in vollem Rosseslauf auf seinem braunen Vollblut über eine Hecke könnte setzen sehen, bis er, über die enorme Höhe dieser imaginären Hecke erschreckt, aus seiner wonnigen Träumerei auffuhr.

Aber Lady Vere schwelgte nicht selbstsüchtig an der königlichen Tafel der Huldigungen, die ihr von allen Seiten im reichsten Maße und in den verschiedensten Formen zu Theil wurden. – Sie verscheuchte die armen Vögelchen nicht, die die Brosamen aufpicken wollten, die von ihrem Tische fielen – ja sie warf ihnen wohl gar selbst einige hin, und sah mit mitleidigem Erstaunen zu, wie die armen Thierchen vor Freude zwitscherten und die Flügel regten – und als sie eines Abends einem stillen, schönen Mädchen, dessen musikalisches Talent wirklich bedeutend war, zu einem bescheidenen Triumphe verholfen hatte; und ein anderes Mal die Zeichnungen einer Anderen mit Enthusiasmus pries, daß das arme Kind kaum wußte, wo sie sich vor der überlauten Bewunderung, die ihr plötzlich von allen Seiten gezollt wurde, in ihrer Verlegenheit bergen sollte, – da sagte der junge Herzog von Arlington, der auch von der Gesellschaft war, zu sich selbst: »Sie ist nicht nur ausnehmend schön, und verteufelt geistreich – sie ist auch wie ein Engel gut.«


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