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[I.]

Ein prächtiger Sommerabend sank herab auf die ausgedehnten Waldungen, die um Schloß Vere, in einer der westlichen Grafschaften von England, weithin das Hügelland bedecken, das den Uebergang aus der Ebene zu den höhern Bergen bildet. –

Die blätterreichen Kronen der mächtigen Eichen und Buchen regte kein Hauch; in ihren Wipfeln spielte der rothe, warme Abendsonnenschein, und weithin auf die üppige Wiese im Herzen des Waldes warfen sie ihre riesigen Schatten. –

An dem Rande der Halde, in das duftige Heidekraut am Fuße der alten Buche hatte ein junger Jägersmann behaglich sich hingestreckt. Hinter ihm, am moos'gen Stamm, lehnte die Doppelflinte; unter das blondgelockte Haupt hatte er die Jagdtasche als Kissen geschoben, und die Mütze aus der Stirn, wie, um bequemer in den Himmel schauen zu können; neben ihm lag der Hühnerhund, den Kopf dicht an der Erde, mit halbgeschlossenen Augen, und doch die langen Ohren leise bewegend, als sei es ihm in müssigen Augenblicken eine angenehme Erholung, dem Wachsen des Grases zuzuhorchen.

Der junge Mann schien weniger ernstlich beschäftigt, vielmehr ganz versunken in das träumerische Sinnen, das ein Abend im Walde in uns wach ruft, wenn wir den Duft der Pflanzen und Kräuter mit vollen Zügen einsaugen, dem Spechte zuhören, der in dem Dickicht neben uns hämmert, den rosigen Wolken zuschauen, die langsam am blauen Himmel über uns hinsegeln; wenn der tiefe Gottesfriede, der in dieser Stunde auf der Natur liegt, leise in unser Herz schleicht und es mit einem heiligen Gefühl reiner ungetrübter Lust erfüllt, uns vergessen macht, daß es draußen außerhalb des Waldes noch eine Welt giebt, eine unruhige, athemlose, zankende, rechthaberische, lärmende Welt.

Wer weiß, wie lange der Jäger noch seinen Träumereien nachgehangen hätte, wäre er nicht durch das unwillige Knurren des Hundes aufgeweckt, das sicher nicht dem Hasen galt; der schon lange drüben friedlich spielte, als wäre nie ein Schuß in diesem Waldrevier gefallen. Der Jäger lauschte. Alles blieb still, und eben wollte er wieder in seine bequeme Lage, aus der er sich nur ungern erhoben hatte, zurücksinken, als sein leises Ohr das Knacken der trockenen Zweige vernahm, als Hufschlag ertönte und jetzt aus der Stelle, wo auf der anderen Seite durch das dichte Unterholz der schmale Waldpfad auf die Lichtung mündete, eine Dame auf einem schlanken Pferde rasch hervorritt bis mitten auf die Wiese, wo sie den Renner anhielt, der mit dem prächtigen Haupte nickend und in den Zügel knirschend, mit dem Hufe ungeduldig den Boden scharrte. Die Reiterin sah sich eine Weile aufmerksam nach allen Seiten um; ihre Hoffnung, hier endlich einen Ausweg in's Freie zu finden, war abermals getäuscht. Die alten Eichen umgaben wie eine schützende Mauer ringsum den weiten Platz, und wenn ja ein anderer Pfad aus der Waldeinsamkeit herausführte, so wurde wohl die Oeffnung durch das dichte Unterholz versteckt. Sie lenkte ihr schäumendes Roß nach einer lichtern Stelle am Rande des Hochwaldes, ritt eine Strecke am Saume hin, galloppirte dann wieder in die Mitte zurück, und schien den Eingang, durch den sie gekommen war, zu suchen, aber nicht wieder finden zu können.

Der Jäger hatte, in dem hohen Grase und durch einige Büsche wohl versteckt, diesen vergeblichen Bemühungen, sei es aus Trägheit, sei es aus Verwunderung über die unerwartete Erscheinung, unthätig zugesehen. Jetzt sprang er auf, und das Gewehr ergreifend, schritt er leicht und schnell auf die schöne Reiterin zu, die ihn kaum bemerkte, als sie ihrerseits sich in Bewegung setzte, um dem Retter in der Noth entgegenzureiten.

»Guter Freund!« sagte sie noch in der Entfernung. »Ihr werdet hier besser Bescheid wissen, als ich, oder mein Pferd; wir Beide mühen uns schon lange vergeblich ab, einen Ausgang aus diesem verwünschten Walde zu finden.«

»Hätten Sie Ihr Pferd nur die Richtung nehmen lassen, die es einschlagen wollte, so hätte sich der Zauber schon aufgethan;« erwiederte munter der Jäger. Der junge Mann stand jetzt vor der Reiterin, sie mit Anstand grüßend, und sah mit seinen blauen, lachenden Augen freundlich und forschend zu ihr auf.

»Kennen Sie mich?« fragte die Dame, verwundert über die sonderbare Antwort.

»Wie sollte ich nicht?« sagte der junge Mann lächelnd, und den schlanken Hals des Renners, der den Fremden mit weit geöffneten Nüstern anschnob, klopfend – »ich maße mir das Recht der Fürsten und Feldherrn an, nie ein Gesicht zu vergessen, das ich einmal genau gesehen habe; wie sollte ich denn Sie vergessen haben, Lady Vere!«

»Ich erinnere mich Ihrer nicht;« antwortete die Dame, ihren Begleiter mit lebhafter Theilnahme betrachtend, der jetzt, die Flinte auf dem Rücken, schnell neben ihrem Pferde herschreitend, quer über die Wiese nach einer anderen Stelle am Rande des Hochwaldes führte, zu der der Hund voraussprang.

»Das glaube ich gern;« erwiederte der Jäger. »Mylady wird schwerlich, als sie vor vier Jahren mit dem jetzigen Lord Vere hier war, den Jüngling beachtet haben, der den verstorbenen Lord auf seiner Reise begleiten sollte –und überdies,« setzte er hinzu, »haben mich die Sonne Syriens und die Jahre, und was sie brachten so verändert, daß ich auch wohl dem Freunde ein Fremder und Unbekannter erscheinen möchte.«

»So sind Sie Herr Georg Allen, des verstorbenen Lords Privat-Secretair?« sagte die junge Dame rasch und in dem Tone Jemandes, der angenehm überrascht ist. »Ich glaubte Sie hätten längst einen, Ihren Talenten und Kenntnissen entsprechenden Wirkungskreis sich errungen. Hatte Ihnen Lord B. nicht ein Amt angeboten? Wie kommt es, daß ich Sie jetzt in dieser unscheinbaren Stellung finde? Ist nicht Herr Locksley Verwalter der Forsten des Lord Vere?«

»So wissen Sie nicht, daß mein Pflegevater todt ist?«

»Wie sollte ich?« sagte die junge Dame »ich komme eben aus Paris, wo ich mich fast drei Jahre aufhielt; Lord Vere selbst ist während dieser Zeit nur immer auf wenige Wochen in England gewesen; er spricht nie mit mir über dergleichen Verhältnisse und Angelegenheiten.«

Der junge Mann antwortete nicht. Er wollte ihr nicht erzählen, daß während eines dieser kurzen Aufenthalte vor zwei Jahren der alte Jäger unmittelbar neben Lord Vere auf der Jagd erschossen wurde; daß zwar die Todtenjury den Lord gänzlich freigesprochen und angenommen hatte, daß das beklagenswerthe Ereigniß durch die Schuld des Getödteten herbeigeführt sei, daß aber damals über die Sache, die nun freilich verschollen war, viel hin- und hergeredet wurde, und dies Gerede Lord Vere manche unangenehme Stunde bereitet haben mußte. –

»Und so haben Sie jetzt seine Stelle?« fragte Lady Vere

»Ja, Mylady!« antwortete der Jäger. »Als ich die Leiche meines Lords nach England gebracht hatte, war der jetzige Lord freundlich genug, mir dies ehrenvolle Amt anzutragen. – Ich sah in ihm ein weites Feld für meine bescheidenen Fähigkeiten und Kenntnisse; ich diente gern der Familie, der die Familie meines Pflegevaters schon so viele Jahre gedient hat; auch glaubte ich, daß die nicht geringe Bekanntschaft mit den hiesigen Angelegenheiten, die das Vertrauen, mit dem mein Lord mich beehrte, mir verschafft hatte, Lord Vere von Nutzen sein dürften; – überdies fesseln mich Familien-Verhältnisse an diese Stelle; – und diese Wälder, in denen ich meine Knaben- und Jünglingsjahre verlebt habe, sind mir eine traute Heimath, von der ich mich nur mit Schmerz trennen könnte.«

Der junge Mann sprach dies in jenem Ton der Stimme, an dem sich, wie an einem Freimaurerzeichen, die Gebildeten mit Leichtigkeit unter einander erkennen, und hätte die unscheinbare Jägertracht, die seine schlanke, feste Gestalt freilich vortheilhaft genug hervorhob, einen Zweifel erwecken können, so würde ein Blick in sein offenes, kluges Gesicht, in das die Dame zu Pferde forschend hineinsah; ja nur der schnelle, elastische Schritt, mit dem er an ihrer Seite hinging; die Aufmerksamkeit, mit der er, als sie jetzt wieder in den Wald gelangten, sorgsam, und ohne in der Rede inne zu halten, einen Zweig, einen Busch bei Seite drückte, um der Reiterin Platz zu machen, ihr bewiesen haben, daß sie es mit einem gebildeten Manne zu thun habe, und daß dies der Mann sei, von dem sie ein gut Theil mehr gehört hatte, als sie sich merken ließ, den sie kennen zu lernen so begierig gewesen war: der Zögling und Freund des alten wunderlichen Lord Vere.

Sie waren durch ein Stück Waldland an eine zweite kleinere Wiese gekommen, die ein breiter, jetzt trockener Graben beinahe von einem Ende bis zum andern durchschnitt, und der Jäger wollte eben um ihn herumlenken, als die Reiterin ihr Pferd mit den Worten: »wozu der Umweg!« in Galopp setzte, das Hinderniß zu überwinden. Aber schien dem ermüdeten Thiere der Graben zu breit, oder war es gegen die willkürliche Behandlung, die ihm heute zu Theil geworden war, erzürnt, es stemmte die Vorderhufe fest auf den Grabenbord, und weder die Gerte, noch der Zuruf der Reiterin konnten es bewegen, den Sprung zu wagen.

Der junge Mann sah diesem Schauspiele lächelnd zu; es entging ihm die helle Röthe nicht, die in dem blassen Gesicht seiner Begleiterin aufflammte, und die ihren Aerger über diese unverhoffte Widerspenstigkeit deutlich genug verrieth.

»Sie halten den Zügel zu straff, Mylady!« sagte er, »Sie müssen dem Pferde mehr Freiheit lassen. Schäme dich edles Thier! ein so winziger Graben, – ich will dir Muth machen« – und sich mit Leichtigkeit hinüberschwingend, sah er von der andern Seite herausfordernd und keck die Dame an.

Ob diese den Rath des Jägers befolgte, oder ob das Pferd sich eines bessern besonnen, und ihm die Möglichkeit, hinüberzukommen, klar ward, – es sprang jetzt leicht und sicher, und die Beiden setzten ihren Weg eine Zeitlang schweigend fort.

»Ich erinnere mich, in jener Zeit hier ein schönes blondes Mädchen gesehen zu haben;« fing Lady Vere wieder an – »war es nicht Herrn Locksley's Tochter?«

»Wohl möglich«! erwiederte der Jäger lachend »Helene Locksley ist blond und schön. – Sie hatte noch einen Bruder; er starb nicht lange nach unserer Abreise – doch das ist eine traurige Geschichte« – fuhr er ernster fort – »Die Mutter ist über den gewaltsamen Tod von Gatte und Sohn in tiefe Schwermuth versunken; ich lebe mit Mutter und Tochter in jenem Hause, dessen Dach Sie dort rechts auf dem Hügel über die Tannen schimmern sehen, und hier« – sagte er indem sie eben aus dem Walde heraustraten, »und hier, gerade vor uns, liegt Schloß Vere.«

Die mit Wald bewachsenen Hügel, auf deren Höhe sie sich bis jetzt gehalten hatten, zogen sich von der Stelle aus, wo sie standen, rechts und links in Hufeisenform auseinander, und ließen zwischen sich ein allmälig sich erweiterndes und zugleich abfallendes Thal, das reizende Park- und Gartenanlagen ausfüllten, und an dessen Fuße, da, wo es in die eigentliche Ebene überging, das alte Schloß, schon in Abendgrau gehüllt, lag, nur daß ein kleines Fenster im Thurme noch in dem letzten Scheine der Sonne funkelte.

Ueber das Schloß hinaus sah man in eine reiche Landschaft hinein, voll Weiler und Dörfer, durch die sich ein Flüßchen wand, dessen Lauf Weiden und Buschwerk deutlich genug bezeichneten, bis ganz im Hintergrunde das Bild von einer Kette blauer Hügel wieder abgeschlossen und eingerahmt wurde.

»Ich will sie nicht weiter bemühen, Herr Allen!« sagte Lady Vere; »der Weg durch den Park ist wohl nicht zu verfehlen. Hoffentlich sehen wir uns bald auf dem Schlosse. Auf Wiedersehen also – und Dank für Ihre Güte!« – und sich vor dem Jäger höflich verneigend, und ihn noch einmal mit ihren dunklen Augen voll ansehend, hieb sie leicht das Pferd mit der Gerte, und sprengte auf dem Wiesenpfade dem Schlosse zu.


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