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XX.

Mein Sohn! – Wenn diese Blätter je in deine Hände kommen, ist die Hand, die diese Zeilen schreibt, kalt; ist der Mund stumm, der nie Dich mit jenem Namen genannt hat. Ich weiß, die Menschen haben mich oft genug für toll gehalten; und sie würden ausrufen, »haben wir es nicht gesagt!« wenn sie dies läsen. Laß sie! sie nennen ja Alles toll, was nicht in ihren Kram taugt, und was sie nicht verstehen. Ich weiß, Du verstehst mich – ich weiß, Du hast mich geliebt, – rein und wahr und treu, wie der gute Mensch die Wahrheit liebt, ohne Neben-Interesse, ohne Schaugepränge. Und ich, ich habe Dir Deine Liebe nicht gestohlen, nicht abgebettelt, nicht abgekauft – ich habe sie Dir abgerungen; sie ist mein wohlerworbenes Eigenthum; ich darf sagen: ich verdanke sie dem Menschen, verdanke sie dem, was edel in mir ist und gut – ich habe meinen Zweck erreicht.

Laß Dir erzählen, Freund, wie Dein Vater der wunderliche alte Mann geworden ist, über den die Einen spöttisch die Achseln zuckten, und den die Anderen segneten. Ich will Dir den Schlüssel geben zu Manchem, was Dir vielleicht in meinem Wesen verschlossen blieb. Ich gebe die Geschichte getrost in Deine Hände mit allen ihren Makeln und Flecken: ich geize nicht nach der Ehre, in Deinem Andenken ein Heiliger zu sein. »Richte mich nach Deiner Weisheit,« wie Brutus sagt, und »wecke Deine Sinne, um desto besser urtheilen zu können.«

Ich weiß, es ist nur Erstaunen, nicht kindische Freude, was Dich ergreifen wird, wenn du hörst, daß Du aus dem erlauchten Hause der Vere de Vere stammst. – Regt sich das stolze, normannische Blut in Deinen Adern? geh! es ist zu sehr versetzt mit gutem, gesunden Adamsblut; – Deiner Mutter blaues Auge, das Du geerbt hast, lacht solcher Thorheit. Ich sage Dir, Freund, die Erbschaft der Vere de Vere ist eine schwere Bürde – wirf sie von Dir! Ich kenne die Geschichte Deiner Ahnen – es ist eine düstere Geschichte, auf die nur Narren stolz sein können, die das Verbrechen eine edle That nennen, wenn es mit der Pfauenfeder geschmückt ist; und die Sünde Tugend, wenn sie sich nur in den Purpurmantel hüllt. –

Ahnenstolz! Stolz auf ererbtes Gut! Wie die Menschen bescheiden sind! Laß die sich doch des Gängelbandes freuen, die nicht auf eigenen Füßen stehen können; laß sie doch ahnenstolz sein, die sich hinter Anderer Verdienst verstecken müssen, und ein Ahnenbild vor sich hertragen, als Herold ihrer Schwäche; laß sie sich doch das frierende Blut, den matten Puls erwärmen, wenn sie es mit dem Gedanken können, daß das Blut einst heiß rollte, der Puls einst munter hüpfte, in denen, deren Staub im Grabgewölbe modert. – – –

Deine Großmutter habe ich wenig gekannt; sie starb, als ich zehn Jahre alt war; ich habe sie selten gesehen, und bemerkte kaum, daß sie nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Dein Großvater war ein stolzer, kalter Mann; stolz auf seine Ahnen, stolz auf seinen Reichthum, und gewiß war er auch stolz auf mich. War ich doch der einzige Sohn, der Erbe seines Reichthums, der Abkömmling seiner Ahnen. Er hatte mir zum Leben verholfen; war diese Wohlthat nicht hinreichend? Lord Vere de Vere! was wollte ich weiter? –

Er erwartete von mir Gehorsam, wie von seiner Diener einem; er setzte es als sich von selbst verstehend voraus, daß ich ihm Verehrung zollte, wie er von seinem Kellermeister voraussetzte, daß er seine Rechnungen in Ordnung halte; ja, ich glaube, er wähnte, ich sei ihm schuldig, was er Liebe nannte. Seltsame Verblendung! Der Mensch will da ernten, wo er nicht gesäet, und wundert sich, daß er nicht Feigen holen kann von dem Dornstrauch.

Ihr Väter klaget über unkindliche Gesinnung, – lernt erst, was das heißt: Vater sein! Wollt ihr die Liebe eurer Kinder, – lernt erst, wie man sich Liebe gewinnt. Ihr freut euch eurer Kinder, weil sie euch durch ihr Dasein euer eigenes Dasein beweisen, wie ihr euch eurer Aecker freut, die euch zu dem machen, was ihr seid, und vor denen der Arme den Hut zieht, wenn er euch auf der Straße begegnet. – Sind sie nicht so, wie ihr wollt, daß sie seien; nun, so ist das schlimm, und sie handeln gegen das vierte Gebot, und sie trifft der Fluch des vierten Gebots. – Wißt ihr auch, wie die Umkehr dieses Gebots heißt: kehrt es um, und ehret zuerst eure Kinder, und zeugt sie zum zweiten Male im Geist: das junge Thier ist dem alten nicht zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet. Seid ihnen ein Muster in allem Guten und Edlen, daß sie in euch die Tugend und die Wahrheit lieben; daß sie euch lieben, weil ihr alles Schöne und Große, das ihr Stolz ist, in ihnen geweckt und gepflegt habt; weil euer Bild sich in Alles, was ihr Herz höher schlagen macht, hineindrängt! – –

Mein Vater ließ mich in den Händen meiner Diener und Erzieher; und die Erzieher waren meine ergebenen Diener, und die Diener verzogen mich. Sie hatten den gemessensten Befehl, den künftigen Lord mit aller ihm gebührenden Achtung zu behandeln; unter Achtung verstanden sie natürlich die erbärmliche Schmeichelei, das Verderben der Kinder der Großen. Wie ich klüger und älter wurde, und ihre Absichten durchschaute, verachtete ich sie, wie es nicht anders sein konnte.

Meine Erzieher glaubten wohl mit meinem Vater, daß an einem Lord Vere überhaupt nichts mehr zu erziehen sei, daß ein solches Prachtstück der Natur durch anderweitige Bemühungen nur verdorben werden könnte. Der eine, der es wagte, den frechen Buben zu züchtigen, wurde auf meine Bitte nach acht Tagen entlassen: er ist mir später ein treuer Freund geworden, und seine Freundschaft für mich hat sich auf Dich vererbt. –

Ich war der Tyrann der Knaben im Dorfe, sie waren in ihrer plumpen Art Höflinge so gut, wie die glatten Schmeichler, die ich später in de n Vorzimmern der Fürsten gesehen habe: Nur ein Knabe hatte den Muth, dem übermüthigen Burschen entgegenzutreten; er schlug mich wacker, wie ich es verdiente, – ich schwur ihm furchtbare Rache in meiner kindischen Wuth: er ist es, der meine Liebe und Vertrauen hat, dem ich Dich später anvertraute.

Ich kam auf die Schule und Universität. Ich verkehrte mit den jungen Adligen; ich war reicher, wie die Meisten, stolzer, wie Alle; ich war ein Muster in allen jugendlichen Thorheiten – was Wunder, daß die jugendlichen Thoren mir anhingen, das ich bald das Haupt der jungen Genossenschaft war?

Wenn über mich bei meinem Vater Klagen einliefen, wenn er von meinen wilden Streichen hörte, wenn er unsinnige Rechnungen zu bezahlen hatte, – so zürnte er, und in den Ferien gab es Auftritte, die uns noch mehr gegen einander erkälteten. Er hatte es mir zur heiligen Pflicht gemacht, ein Vere de Vere zu sein, und ein Muster des Adels; worin das aber bestehen sollte, als eben im Stolzsein, und alle Andern in Ausschweifungen zu übertreffen – das hatte er mir nie gesagt; ich vermuthe, er wußte es selbst nicht.

Dies Verhältniß dauerte fort, bis meine Extravaganzen das Maß überstiegen, das mein Vater mit dem ›ein Vere de Vere sein‹ noch verträglich hielt. – Ich stürzte mich in alle Lüste des großen Babel, in dieses Meer von Glanz und Elend und Laster – und die Wellen schlugen über mir zusammen. Ich mußte meine Begierden zügeln, weil es mir bald an Mitteln fehlte, sie zu befriedigen; und der mir die Mittel entzog, war mein Vater, der durch seine Sorglosigkeit und unsinnige Freigebigkeit den Grund zu meinem Verderben gelegt hatte. Er hatte mich auf die abschüssige Ebene gleiten lassen, und gebot mir, mitten im Gleiten inne zu halten. Er wolle es; ich solle wollen, was er wolle. –

Was die Leute nicht Alles mit dem Willen auszurichten gedenken: er ist der Wunderdoctor, der alle Krankheiten kuriren soll. »Wenn er nur wollte!« sagen sie und schütteln unmuthig den Kopf, daß der arme Sünder noch immer nicht will. Macht, daß er kann! Vermögt ihr das nicht, vermag er das selbst nicht – so kann er eben nicht; und ihr könntet ebensogut euer Pferd sprechen machen, als ihn wollen machen, wie ihr sagt. –

Mein Vater und ich waren vorher kalt gegeneinander gewesen; jetzt fing diese Kälte an, einer lebhafteren Empfindung Platz zu machen, aber nicht der Liebe. Ich sage Dir: ich haßte meinen Vater, und mein Vater haßte mich, das war es, womit ich ihm für die Ehre dankte, mich zum Lord Vere de Vere gemacht zu haben! das war das Ende seines Stolzes auf den Erben der Vere's! Schaudert Dich, Freund? – Sei wie der gute Arzt, der vor der ekelhaften Wunde nicht zurückbebt, wie die feigen, unwissenden Verwandten, die die Hände ringen, und nutzlos jammern; – verbinde sie, heile sie – das ist besser!

Ich habe es gelernt, die Pestbeulen der Menschheit mit dem Auge des Arztes zu betrachten; ich habe die Lasterhaften nicht gehaßt, nicht verlacht, nicht bejammert – ich habe zu erkennen gesucht, wo in dem Organismus die Keime der Krankheit steckten, und geholfen da, wo ich konnte.

Meine Ausschweifungen und ungebändigten Leidenschaften warfen mich in eine schwere Krankheit; mein Vater erkrankte zu gleicher Zeit; er starb, ich genas – genas langsam, denn ich war schwer krank gewesen an Leib und Seele. – Von dieser Zeit an datirt sich für mich ein neues Leben. –

Während meiner Genesung hatte ich mich, um mich zu zerstreuen, auf die Bücher geworfen: aus den flüchtigen Bekannten wurden tröstende, köstliche Freunde. Die großen Menschen, die die Bibel schrieben, wurden meine Rather; bald gesellte ich ihnen andere gottbegeisterte Denker zu. –

Lange Zeit jagte mich eine fürchterliche Reue ruhelos von Ort zu Ort. Der Gedanke an den unnatürlichen Haß gegen meinen Vater war das Damoklesschwert, das stets über meinem Haupte hing. Ich hatte noch nicht gelernt, was ich erst viel später einsah: daß wir gegen uns und Andere ungerecht sind, wenn wir unsere Thaten betrachten und beurtheilen, herausgerissen aus der Kette der Ursachen und Wirkungen, von der sie nur ein Glied ausmachen. Wir schaudern über unsere sündhaften Handlungen, und beachten die Vorbereitungen dazu nicht. Wir sind zu stumpfsinnig, um das zu verstehen: wahrlich, so Du Deines Nachbars Weib ansiehest, ihrer zu begehren, Du hast schon die Ehe gebrochen; aber ist nun der Ehebruch in einer unglücklichen Stunde wirklich begangen, so packt uns die Reue mit ganzer Kraft. Es kommt uns vor, als wären wir mit einemmal gewaltsam aus dem rechten Wege geschleudert, und waren doch schon längst vorher abgeirrt. –

Ich setzte meinen ganzen Ehrgeiz darein, mein Leben mit meiner Ueberzeugung in Einklang zu bringen. Ich sah ein, daß der Egoismus immer die große Schlagfeder ist, die das Räderwerk unserer Handlungen spielen läßt; aber wenn dem nicht anders sein kann, so machen wir wenigstens aus der Noth eine Tugend, und die Tugend sei unser Egoismus. Wenn ich Dich liebe, so ist es, weil ich in Deinem Beifall eine Bestätigung meines innersten Seelenlebens finde; weil ich in dir doppelt so mächtig, doppelt so gut und fromm bin; wenn Du mich liebst, so ist es aus demselben Grunde.

Ich wollte geliebt sein; aber nicht um das, was ich selbst in mir und an mir verachtete; ich trennte haarscharf, und verwarf den Beifall, den mir Rang und Reichthum eintrugen; ich wollte reines Gold und keine Schlacke; ich dürstete, aber nach lauterem Wasser, und stieß den Becher von meinen Lippen, in welchem mir der unreine Trank geboten wurde. Ich fand genug: Männer und Weiber, die mit Lord Vere Freund sein, Lord Vere lieben wollten; aber Niemanden, der den armen Adamssohn hätte bei sich aufnehmen wollen. Ich hätte Lord Vere hängen können, um nur einmal als der zu gelten, der ich war.

Du fragst, warum ich die glänzende Schlangenhaut nicht abwarf, wegen derer die Brut sich berechtigt hielt, mich wie ihres Gleichen anzuzischen und anzuzüngeln: vielleicht war sie mir im Anfang noch zu fest gewachsen, und vielleicht hätte ich es später doch gethan, wenn ich nicht nach und nach gelernt hätte, mir selbst zu vertrauen; und dann fand ich in der Liebe Deiner Mutter den Glauben wieder, und die Hoffnung verließ mich nicht, nachdem Du mir geboren warft.

Ich lernte Deine Mutter kennen auf einem der vielen Streifzüge, die ich zu Fuß durch beinahe alle Gegenden von England und Schottland machte, und auf denen mich mein treuer Freund, dein Pflegevater, überall begleitete. Sie war die Tochter eines armen Landpfarrers in der Nähe der kleinen Hafenstadt T., und ich fand sie hier an dem Orte Deiner Geburt in dem Hause ihrer Verwandten während eines längeren Besuchs, den ich meinem Lehrer, Deinem Erzieher, unserm gemeinschaftlichen Freunde machte. –

Willst Du wissen, wie sie war, – sieh' das Veilchen an, das zu Deinen Füßen im Moose blüht – athme den Duft der Rose ein, – es ist Deine Mutter! Küsse das theure Bild, vor dem wir so oft anbetend gestanden haben – es ist das Bild Deiner Mutter.

Ich führte mich bei ihr als armer Maler ein; mein Talent war gerade groß genug, meine Maske wahrscheinlich zu machen. – Wie würden meine schlechten Bilder, die noch jetzt in mancher Putzstube in T. über dem Sopha hängen, im Preise steigen, wenn die guten Leute erführen, daß sie von Lord Vere gemalt seien! –

Sie war fromm und unschuldig, wie ein Kind; sie hatte jenes sichere Gefühl des Wahren und Schönen, das wir häufiger in wohlorganisirten Frauennaturen finden, und das wir bei dem stärkeren Manne, wo es sich zu Gedanken formt, und in Handlungen übergeht, Genie nennen. –

Ich verbarg ihr keine meiner Schwächen; ich erzählte ihr meine Lebensgeschichte, die wahren psychologischen Facta, ohne die Namen und Umstände, die nichts zur Sache thaten; – sie schauderte, und schmiegte sich fester an mich: Gott ist gnädig! sagte sie. Ich verbarg ihr nicht, daß ihr frommer Kinderglaube nicht der meinige sei: »ich verstehe Deine Sprache nicht ganz,« sagte sie, »aber Gott wird Dich schon verstehen; versteht er doch das Lallen des Kindes; Du bist ja gut. Gott liebt die guten Menschen.« –

Sie wurde mein Weib. Ich lebte mit ihr still und verborgen. Unser Freund und seine treffliche Schwester, und der wackre Allen mit seiner liebenswürdigen Gattin, die ich damals kennen lernte, waren während dieses glücklichen Jahres fast unser einziger Umgang. Sie alle waren in das Geheimnis; eingeweiht; die Allen haben es mit in's Grab genommen. Unser Glück war kurz. Deine Mutter erwartete ihre Niederkunft; ich bereitete alles vor, um sie nach ihrer Genesung nach Schloß Vere zu bringen. – Als ich zurückkam, wurdest Du geboren: Deine Geburt kostete Deiner Mutter das Leben. Sie starb in meinen Armen, – das holde, geliebte Weib des armen Malers, das sich nie darnach gesehnt hatte, das sich schwerlich darüber gefreut hätte, die Gemahlin eines Lord's zu sein. –

Mein Entschluß stand fest, mit Dir das Wagniß zu bestehen; und was war da groß zu wagen! Ich wollte Dich erziehen: einfach, kräftig und schlicht – ich wollte Dir die Steine aus dem Wege räumen, über die ich gefallen; wenn es mir so nicht gelang, deine Liebe zu erwerben, so vermochte ich es überhaupt nicht; – wenn Du nicht den guten Menschen in mir liebtest, – der Vater sollte Dir keine Pietät abzwingen, die mir nichts galt. –

Die Wege, die ich einschlug, die Mittel, die ich anwandte. Dich in meiner Nähe zu haben, ohne daß Du je das wahre Verhältniß ahntest, –

Du weißt sie jetzt alle. Du weißt, wie Du in Feld und Wald zum fröhlichen Knaben heranwuchst; Du weißt, wie Du an der Hand des vortrefflichsten Mannes in das Heiligthum der Wahrheit tratest; wie Du dann zu mir auf's Schloß kamst; wie wir zusammen gelebt haben bis auf diesen Tag. –

Das weißt Du nicht, wie ich gerungen habe um Deine Liebe; wie ich in diesem Ringen selbst edler und besser geworden bin, was ich Dir zu danken habe.

Das weißt Du nicht, welche stillen Triumphe ich gefeiert habe, wenn ich sah, wie Du Dich von Tag zu Tag fester an mich schlossest – wenn Deine Liebe vor meiner eisernen Gerechtigkeit, die den wilden Knaben oft hart traf, nicht zurückbebte – wenn Deine Liebe sich nicht brechen ließ, so oft auch mein Ansehen, das ich, wie Du weißt, nie gemißbraucht habe, den Trotz des hochfahrenden Jünglings schonungslos beugte.

Das weißt Du nicht, wie ich Dich auf die Probe stellte; wie ich Dir an jenem Abend, als Du im Zorn von mir geschieden, jenen Lord auf's Zimmer schickte, und Dich durch glänzende Anerbietungen von mir locken ließ; welche Wollust ich empfand, als Du von mir nicht lassen wolltest, als Du mit thränendem Auge um meine Verzeihung batst – Du hast durch Deine Thränen hindurch die meinen nicht fließen sehen. –

O, mein Freund! Deine Liebe ist gestählt in heiligem Feuer; – uns kann nichts mehr trennen! – Würdest Du mich mehr lieben, wenn Du wüßtest, daß ich Dein Vater bin? Wenn je ein Sohn seinen Vater liebte, – so thust Du es; wenn je ein Vater seinen Sohn liebte, – so thue ich es! Was soll der Name! – ich will den Geist! – Der Name verwirrt nur die Menschen: sie glauben die Sache zu haben, wenn sie das Wort haben. – Ich sterbe ruhig, auch wenn Du nie erführest, daß ich Dein Vater bin. –

Und doch will ich auch dem Sinn der Menschen in unsrer Angelegenheit gerecht werden.

Wenn wir von unserer Reise zurückgekehrt sind, will ich Dich fragen, ob Du Lust hast, Lord Vere de Vere zu sein; oder ob Du Deinen armen Verwandten die kindische Freude machen willst: und wenn ich nicht zurückkehren sollte, so habe ich Sorge getragen, daß diese Papiere sogleich nach Deiner Ankunft in England in Deine Hände gelangen. –

Jetzt sollst Du erst mit mir die Großen der Erde sehen, daß Du weißt, was es heißt, einer ihrer sein. Du sollst die Menschen sehen mit unbefangenem, gesunden Auge; sehen, wie sie oft so klein sind, diese Großen; wie so oft diese Kleinen so groß. Die Großen werden Dich für zu klein halten, als daß sie es für nöthig erachteten, ihre Schwächen vor Dir zu bemänteln; den Kleinen wirst Du keine Größe entgegentragen, die sie einschüchtert, daß sie vor Dir ihre Tugenden verhüllen. Du wirst die Menschen nicht verachten lernen, aber auch nicht sie überschätzen. Sie sind ein Stück des Alls, nichts weiter. Schaue sie in Gott, so siehst Du sie recht; schaue sie als Bild in dem Rahmen der Natur, so wirst Du sie in dem rechten Lichte sehen. –

Ich habe Dir meine Philosophie nicht aufgedrungen; ich habe sie Dir entgegen getragen, wie der Vogel seinen Jungen die Speise, mit der er selbst sich nährt. Ich habe Dir keinen Weg verschlossen, der Dich zu anderen Resultaten führen könnte; die Reise, die wir vorhaben, soll nur ein Mittel für Dich werden, zu prüfen und zu wählen. – Wenn Du einst zu anderen Resultaten gelangen solltest, – auch gut! – es führen viele Radien in den Mittelpunkt. – Einig sein mit sich, einig sein mit Gott – das ist Alles! Mag doch die Lehre heißen, wie sie will, wenn nur der Schüler durch sie das Leben meistern lernt. –

Der Gläubige, im festen Vertrauen an eine persönliche Fortdauer, an ein ewiges, in reinster Anschauung Gottes seliges Leben, spricht mit schwärmendem Blick: Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Der, welcher die Vernunft zum Leitstern seines Lebens gemacht hat; für den nichts ist, was er nicht begreift; dem der Tod ein unausdenkbares Problem, ein ewiges Räthsel ist, lebt in ihm nicht auch die Ueberzeugung der innigen, unauflöslichen Gemeinschaft seiner mit der Natur? Die Heilige, Große hat ihn geboren, erzogen; er hat sich ihrer so herzlich gefreut: er war eines mit ihr; er ist eines mit ihr; er wird eines mit ihr sein. Er kennt keine Sonderinteressen gegenüber dem All; er ist nicht, das All ist.

Ich bin von diesem Bewußtsein ganz durchdrungen, mehr als Worte es sagen können. Auch ich kann sprechen: Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? –

Du weißt, ich denke wenig an den Tod: aber Eines wünsche ich, wenn es sein kann; daß ich draußen sterbe unter dem freien, weiten Himmelsdom. Im engen Bett vergessen wir, daß wir gehören zu Wies und Wald – vergessen wir, daß wir nur ein Moment sind in dem glühenden, ewigen Leben der Natur. – Ich mag die Schranken nicht, die den Menschen von dem Menschen trennen, und den Menschen von der Natur. Das ist verwerflich, was auch nur einen Keim in uns erstickt, den Gott in die Menschenbrust legte, daß er da wachsen und gedeihen soll. –

Wehe den ungeschickten Gärtnern, die auf gesunde Bäume schlechte Reiser pfropfen, und in Gottes Garten böses Unkraut säen! –

Lebe wohl, Freund!


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