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XVII.

Das Stück mit dem ominösen Titel war nun wirklich aufgeführt, und die Darsteller brauchten sich wenigstens nicht über verlorne Mühe zu beklagen. – Das sehr zahlreiche Publicum, – denn die Lücken der Gesellschaft, die durch die auf der Bühne agirenden Mitglieder entstanden waren, hatten die Besitzer der Nachbarschaft mit ihren Frauen und Söhnen und Töchtern mehr wie ausgefüllt, – war aus dem Lachen und aus der Bewunderung gar nicht herausgekommen, und verlangte stürmisch eine baldige Wiederholung. –

Daß das Ganze eigentlich eine arge Versündigung an dem großen Dichter und an der Kunst gewesen sei – daran dachten nun freilich die Wenigsten, und diese Wenigen glaubten sich durch das wirklich Gute, was geleistet war, einigermaßen entschuldigt. Herr Burn hatte das schöne Stück unbarmherzig in das Procrustesbett gebracht, und so viel gestrichen, daß, wer es nicht schon kannte, schwerlich in das, was blieb, einen rechten Sinn hineinbringen konnte; aber er sagte lachend:

»Für's erste glaube ich voraussetzen zu können, daß Jedermann das Stück kennt; für den, der so alt geworden ist, ohne Shakspeare gelesen zu haben, ist die Ungeduld und die Verwirrung, in die ihn unsre fragmentarische Aufführung versetzen wird, nur eine gerechte Strafe; und endlich halte ich es für verständiger, den Eindruck der wenigen Scenen, die wir gut geben können, nicht wieder durch das wüste Spiel aller andern zu verwischen.«

Herr Burn hatte sich in jeder Beziehung seines Rufs als geistreicher Kopf würdig gezeigt, und wenn auch seine schlechten, ungeübten Truppen ihm fast nur einen ehrenvollen Rückzug möglich machten, so hatte er doch einige glänzende Gefechte geliefert, und sich selbst persönlich ausgezeichnet. Er hatte seiner schönen Rolle des Benedict nicht den glänzenden, jugendlichen, ritterlichen Character zu geben gewußt, der seinem ganzen Wesen durchaus fremd war; ja er besaß – und Niemand wußte das besser, als er selbst – eigentlich gar kein Darstellungstalent; aber er hatte ein tiefes Verständniß der Kunst, trotz seiner etwas herben und schroffen Natur. Die große Gutmütigkeit, die ein Hauptzug im Character des Benedict ist, ging so ganz verloren. Wo dieser seine Witzeswaffe mehr zum Spiel, als im Ernst schwingt; mehr, um sie in der Sonne funkeln zu lassen und seine Gewandtheit zu zeigen, als zu verwunden, – da hieb Herr Burn recht ernst zu, und es war besonders in der ersten Scene, als wenn es ihm Freude machte, das, was er gegen Lady Vere auf dem Herzen haben mochte, unter seiner Maske einmal frei heraussagen zu können. Das kam dieser Scene freilich zu gute, und da Lady Vere ungefähr ähnlich von Herrn Burn dachte, welcher der Einzige in der ganzen Gesellschaft war, dessen Geist und Witz ihr imponirten, so folgte Schlag auf Schlag so scharf und sicher, daß die Zuschauer entzückt waren, und diese Scene so vielleicht die beste des ganzen Stücks wurde.

Auch der friedliche Herr, der den Don Juan spielte, erntete reichlichen Beifall. Er war der ganzen Gesellschaft als einer der besten und gutmüthigsten Menschen bekannt, und seine verzweifelten Anstrengungen, sein wohlwollendes Gesicht zu einer fürchterlichen Maske zu verzerren, und als ein recht grausamer Bösewicht zu erscheinen, waren so unendlich komisch, daß man das Ungehörige gerne über dem herzlichen Lachen, das es hier erregte, vergaß.

Aber die Rolle der Beatrix war in den Händen einer Dame, die der Stolz der ersten Bühne der Welt gewesen sein würde; und Herr Burn, der ihr Spiel mit der gespanntesten Aufmerksamkeit verfolgt hatte, rief aus: »es ist ein Jammer, daß sie Lady Vere ist.« Und wahrhaftig, es war ein großer Verlust für die Kunst, daß Lady Vere in Verhältnissen lebte, wo es ihr nicht einfallen konnte, ihr glänzendes Talent der Bühne zuzuwenden, für die sie geboren war. Sie hätte Unzählige durch ihre Schönheit und ihren Geist entzückt, und wäre vielleicht selbst unendlich glücklicher gewesen. So wurde ihr Genie ihr zum Fluch und Anderen zum Verderben; denn es erzeugte in ihr die unselige Lust, im wahren Leben, das nur eine Rolle duldet, den Charakter, alle nur möglichen Rollen zu spielen. Weil sie, wie es jeder Künstler, und vor allem der Schauspieler muß, mit genialer Schnelligkeit jeden Charakter, der ihr in der Wirklichkeit vorkam, erfaßte; weil sie sich in jede Situation hineinzudenken vermochte, weil sie im Voraus beinahe wußte, was die Leute sagen und thun würden, weil sie auf Alles einzugehen verstand, und Allen Alles sein konnte, wenn sie wollte, so hatte sich für sie das wahre Leben, trotz aller scheinbaren Einsicht, unlösbar verwirrt, und sie war falsch, ohne es eigentlich sein zu wollen, und betrog sich und Andere, und wußte zuletzt, wer Jeder um sie herum war, und hatte alles wahre Gefühl ihres eigenen Selbst, ja eigentlich auch alle Selbstachtung verloren, und wer weiß, wieviel innere Zerrissenheit und Selbstverachtung sich hinter dieser stolzen, kalten Maske barg.

Lady Vere hätte eine edle That thun können; aber nicht wie Jemand, dessen That sein zu Fleisch und Blut gewordener Gedanke ist, die er ausführen muß, wie er athmen muß, um nicht zu ersticken; sondern wie der Darsteller einer Heldenrolle, mit Bewußtsein und Ueberlegung, und ihre linke Hand würde merkwürdig genau gewußt haben, was die rechte that – und ein Verbrechen mit demselben Antheil von wahrer Empfindung, mit der etwa ein Theaterbösewicht seine Rolle spielt, der in seinem stillen Hause ein treuer Gatte und liebevoller Vater ist. – Hätte sich ihr Genie in reinen Kunstgebilden offenbaren können, so wäre Lady Vere im übrigen Leben so wahr gewesen, wie sie es jetzt in der Kunst war; so hätte sie ein treues, gutes Weib und eine geniale Schauspielerin sein können zu einer Zeit. Jetzt aber warf sich der Kunsttrieb, der sich nach außen nicht entfalten konnte, auf den Organismus des Lebens und zerfraß ihn wie ätzendes Gift. Der schöne, prächtige Strom, der Flotten auf seinem Rücken trägt, und Städte und Dörfer baut, und der Wohlthäter ist seines ganzen Landes, daß die tiefsinnigen Alten ihn zum König und Herrn machten, und ihm göttliche Ehre erwiesen, wird zum scheußlichen Tyrannen und Verderber, wenn er aus seinem Bett über die Ufer tritt in die Pflanzungen der Menschheit. –

Die umsichtige Directrice hatte es so geschickt einzurichten gewußt, daß es Jedem als eine Nothwendigkeit erschien, Georg müsse den Romeo spielen. Auch der Herzog sah diese Nothwendigkeit ein, wenn es für ihn auch nur eine traurige war.

Am Abend nach der Aufführung, als Alle der schönen Künstlerin ihre Huldigungen brachten, und der Herzog den Pöbel sich erst hatte verlaufen lassen, um das Beste und Kostbarste bis zuletzt aufzusparen, nahte er sich ihr und sagte:

»Mylady! Sie waren göttlich; aber wahrhaftig, ich habe mich vor Ihnen ordentlich gefürchtet.«

»Göttlich und doch fürchterlich! Sie sind kein guter Christ, Mylord! er soll sich nicht fürchten! Und wie schickt sich die Furcht für den Herzog von Arlington, der doch sonst ein Ritter ohne Tadel ist?«

»Nun,« sagte Herr Burn, der eben hinzutrat, »der Herzog macht die Sache schlimmer, als sie ist. Er ist ja nicht davongelaufen, und jedenfalls hat er seine Furcht hinter enthusiastischen Beifallsbezeugungen gut genug versteckt.«

Herr Burn konnte sagen, was sich kein Anderer hätte erlauben dürfen. Er hatte sich durch seinen Geist das köstliche Vorrecht der Shakspear'schen Narren erworben.

»Haben Sie nicht selbst zu dem Pastor gesagt,« platzte der Herzog grimmig heraus, »daß Mylady ein Teufel sein könne?«

»Gewiß!« sagte Herr Burn, den die größte Dummheit nicht in Verlegenheit bringen konnte; »aber der Pastor sollte doch wohl wissen, daß auch die Teufel Engel sind. – Im Ernst, Mylady!« fuhr er fort, »es verlangt mich aufrichtig darnach, Sie in einer der Rollen zu sehen und zu bewundern, in denen Shakspeare sein Frauenideal der späteren Jahre gezeichnet hat. Denn, wir mögen uns stellen, wie wir wollen, es wird uns doch bei diesen mannhaften Weibern nicht recht wohl – und darin hat der Herzog ganz meinen Gedanken ausgesprochen!« setzte er mit einer parlamentarischen Wendung und einer höflichen Verbeugung hinzu.

»Sie haben ganz über mein geringes Talent zu befehlen meine Herren,« sagte Lady Vere, den Herzog ansehend. »Was wünschen Sie? die sanfte Cordelia, oder die holde Imogen, oder Julia, die Krone der Frauen?«

»Julia, Julia!« rief der entzückte Herzog, der Romeo und Julia ein paar Mal gesehen hatte, und nur aus der Zusammenstellung ahnte, daß Cordelia und Imogen auch wohl irgendwo in Shakspear'schen Stücken vorkommen möchten.

»Wollten Sie mein Romeo sein, Mylord?«

»Ich? ja, das heißt – Sie wissen, ich habe gar kein Talent! Gewiß! aber ohne das Grabgewölbe der Capuletti, oder der Monteschi– ich verwechsle das jedesmal; und ohne die Scene mit dem – – wie heißt er doch? – Tybalt, dem rohen Menschen; – denn ich bin kein Freund von Scenen jeder Art, noch dazu auf offenem Markte!«

Der Herzog sah sich triumphirend um; das auserwählte Publicum, dem er mit seiner Belesenheit imponirte, war ihm fast zu klein; er war in der besten Laune.

»Julia –« sagte Lady Vere sinnend, – »nun ja – einige Scenen vielleicht! Für die Gartenscene im zweiten Acte hätten wir schon den Balkon – aber wo bleibt Romeo?«

»Vielleicht Herr Black;« sagte der Herzog, »er hat dunkle Augen und merkwürdig schwarzes Haar; er ist ein geborner Romeo!«

»Um Gotteswillen nicht!« rief Herr Burn, »er würde die köstlichen Verse schreien, wie seine Reden im Unterhause; und nach jedem Verse inne halten, um das ›Hört, hört‹ zu vernehmen, ohne das er alle Mal stecken bleibt.«

»Oder Herr Priest« – sagte Lady Vere

»Sie scherzen! Er würde Ihnen keine Liebeserklärung machen; er würde Ihnen eine Predigt halten; und was für eine! Er kann den Lorenzo zur Noth spielen.«

»Dann Herr Blunt!« sagte der Herzog.

»Er kann den Tybalt übernehmen; die rauhe Stimme, den trotzigen Gang –er hat Alles zum Tybalt, Nichts zum Romeo.«

»So wird Ihre Julia denn wohl ein frommer Wunsch bleiben, Mylord!« sagte Lady Vere im Tone des Bedauerns.

»Nein!« sagte Herr Burn: »Sie haben Jemand für den Romeo, und der den Romeo besser spielen wird, wie ich den Benedict gespielt habe. Ich meine Herrn Allen!«

»Wen?« fragte der Herzog, der ein kurzes Gedächtniß hatte.

»Herr Allen ist blond, wie ich glaube« – sagte Lady Vere bedenklich.

»Wollte Gott, wir hätten heute Alle – Sie natürlich ausgenommen, Mylady – wir Alle hätten heute Abend mit keinem größeren Fehler zu kämpfen gehabt, und Shakspeare wegen keiner schwereren Sünde um Verzeihung zu bitten!«

»Nun mag's denn sein!« sagte Lady Vere entschlossen. »Ich thue es nicht gern, aber ich will's thun.«

Sie trennten sich: Herr Burn voll wahrer Freude über einen bevorstehenden Genuß; Lady Vere im doppelten Triumphe, ihren Sieg errungen und ihren größten Gegner geschlagen zu haben; der Herzog selbstgefällig lächelnd, und bei sich denkend: »Ich kann mir's denken, daß sie nicht gern mit dem Menschen spielen will – verdammt, daß ich gar kein Talent habe, gar keines! – aber daß ich mich auf den Tybalt besinnen konnte, war wirklich sehr gut.«


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