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VIII.

Während Lady Vere ihre Rolle immer besser spielte, und sich von Tag zu Tag mehr für sie begeisterte; während Georg die Wonne, die er fühlte, mit seinem Herzblut bezahlte, – waren die sonnigen Tage still und traurig über das Haus im Walde hingezogen. Die Nelken im Garten dufteten noch, wie vorher; die Sonne ging noch so freundlich auf, wie vorher, und glitzerte in den hellen Thautropfen auf den duftenden Büschen; die Vögel sangen ihre einförmigen Waldeslieder noch so munter, wie vorher – aber es war doch Alles so anders, so ganz anders! –

Wenn unsere Seele erfüllt ist von irgend einem traurigen oder heitern Gedanken, hat sie ihr eigenes Licht, und die Natur kann nur als Folie dienen: ein sonniger Tag uns heiterer stimmen, wenn wir heiter; ein regnerischer trauriger, wenn wir traurig sind. Sonst jubelt das freudetrunkene Herz dem rauhen Wintersturm entgegen, und es giebt Augenblicke, wo der wonnigste Maimorgen uns nur ein schmerzliches Lächeln entlocken kann, wie der wohlgemeinte Zuspruch eines guten Freundes, wenn unser Herz zum Tode betrübt ist. –

Helene war betrübt bis zum Tode; und doch war sie auch wieder so selig. Jetzt war der dritte Reif um ihr treues Herz gesprungen; jetzt wußte sie, daß sie Georg liebte; aber ihre Liebe war in Schmerzen geboren, und sie lächelte ihr Schmerzenskind durch Thränen an. –

Der Mensch weiß nicht, wie süß die Freiheit ist, als bis er die Schwalben draußen vor dem Gitter seines Gefängnisses zwitschern hört, und nicht, wie sehr er den Freund geliebt hat, als bis in der Trennungsstunde. –

In Helenens Herzen wogte jetzt dieses aus Leid und Lust wunderbar gemischte Gefühl. Ihr Busen hob sich in dem schaudernden Entzücken, in der unaussprechlichen Seligkeit einer ernsten, reinen Liebe; und ein banger Seufzer zitterte nach, wie sie sah, daß der Liebling ihres Herzens ihr sollte entrissen werden. Diese Furcht hatte ihre Liebe gezeitigt, und das Bewußtsein, wie unaussprechlich sie Georg liebe, machte diese Furcht zur schmerzlichen Gewißheit. –

Sie sah Georgs Leidenschaft lange, ehe er selbst ihrer inne wurde: sollte die Liebe nicht wissen, wie Liebe sich äußert? Sie las sie zu deutlich in seinem glänzenden Blick; sie hörte sie heraus aus jedem Wort; sie sah sie in seinem wilden, stürmischen Wesen, in seiner Ungeduld, seiner Rastlosigkeit. – Ja, sein Schritt war anders, wenn er kam, oder ging, wenn er noch spät in der Nacht in seinem Zimmer auf- und abwandelte. Er war sonst immer langsam vom Hause fortgeritten – er hatte noch mehr wie einmal über die Schulter zu ihr zurückgesehen, und ihr freundlich zugenickt, ehe er im Holze verschwand – jetzt saß er auf, und sprengte davon, als ginge es um Leben und Tod, und wenn er nach Hause kam, war das Pferd mit Schaum bedeckt.

Nicht daß Georg weniger liebevoll gewesen wäre, – er war es vielleicht mehr wie je – aber seine Zärtlichkeit erschreckte sie; sie bebte davor zurück, wie vor fremdem Gut. Wenn er jetzt ihre Hand ergriff und küßte, so zog sie sie zitternd zurück, und eine brennende Röthe flog über ihre Wangen; eine Thräne, beinahe des Zorns, zuckte in ihren Wimpern, und der Kuß brannte auf ihrer Hand – sie fühlte ihn noch lange nachher. Sie vermied sorgfältig alle die kleinen unschuldigen Vertraulichkeiten, denen sie sich früher in ihrem täglichen Verkehr so sorglos überlassen hatte. –

Aber vielleicht hat sie Georg doch hierin Unrecht. Wenn er sie jetzt so liebevoll anblickte; wenn seine Stimme beim Gesang noch inniger wie früher mit der ihrigen verschmolz; wenn er tausend neue kleine Aufmerksamkeiten auf einmal gelernt hatte, – und er hatte sie doch schon vorher auf Händen getragen, und behütet wie seinen Augapfel – war das nur der Abglanz seiner Liebe, wie, wenn die Wolken im Westen bei Sonnenuntergang in brennende Farben getaucht sind, oft auch der bleiche Osten in ihrem Wiederschein, wie in Frührothlicht erglänzt? –

Er liebte sie wirklich inniger, wie je; nicht, wie ein Mensch, wenn er sein großes Loos in der Lotterie der Liebe gezogen, den Nachbar, den er früher kaum gegrüßt, feurig umarmt, als wäre es sein Busenfreund. –

Es ist eine wunderliche Sympathie in den verschiedenen Theilen unsers Organismus: wir sind in den einen Finger verwundet und die Nerven im Nebenfinger zucken mit, daß wir kaum noch wissen, welches denn eigentlich der ursprünglich verwundete ist; und wenn ein Gedanke oder eine Empfindung uns hoch emporhebt, schweben Brüder und Schwestern mit empor, wie der große Corse, als er Kaiser wurde, seine Verwandten zu Königen und Königinnen machte. –

Ja, als ob er Lady Vere nur liebte, um zu lernen, welche Liebe er Helene schuldig sei – er liebte in diesem Augenblicke Helene so gut, wie Lady Vere, und vielleicht besser, wie Lady Vere – und als er sich über seine Liebe zu der letzteren klar ward, war es auch mit der Illusion der Bruderliebe für ihn vorbei, und es war vorauszusehen, daß, wie auch die Würfel fallen mochten, das leidenschaftslose Verhältniß zwischen diesen Beiden für die Zukunft eine Unmöglichkeit war, wie der Frieden des Paradieses für immer hinter dem Menschen liegt, wenn er einmal vom Baume der Erkenntniß gekostet hat.

Warum sprach Georg nach den ersten Tagen ohne eine bestimmte Absicht selten zu Helene von Lady Vere? warum vertraute er ihr sein großes Geheimniß nicht, als er es erfahren, ihr, die sonst Alles mit ihm theilte? Hätte er eine geliebte Schwester auch so kärglich abgespeist, und aus seinem Herzensrath entlassen, in dem sie früher als seine innigste Vertraute und beste Rathgeberin gesessen? und warum bebte er seit dem Augenblicke, wo er die Hälfte seines Lebens darum hätte hingeben können, Lady Vere's Hand an seine Lippen pressen zu dürfen, vor einer Berührung mit Helene zurück, fast eben so scheu und zaghaft, wie sie selbst?

Ja, Helenens verändertes Wesen hatte ihn zuerst auf seine Liebe zu Lady Vere aufmerksam gemacht, indem es ihn zum Nachdenken über sich selbst nöthigte; und in dem Moment wußte er, daß er Lady Vere liebte, als sie, über Helene sprechend, in Blick und Ton etwas von dieser hatte, als das Bild der stolzen Lady und das des anspruchslosen Mädchens in einander flossen; er die künstliche Blume für die natürliche hielt und ihren Duft einzuathmen glaubte, weil er ihn schon so oft im blühenden Garten mit Entzücken eingesogen.

Gerade die Sicherheit seiner Natur, seine gänzliche Freiheit von eitler Bespiegelungssucht, seine Unfähigkeit, über sich selbst lange zu reflectiren, und seine Gefühle mikroskopisch zu zergliedern, machten ihn hier unsicher, und ließen ihn in eine Lage kommen, in die ein kälterer Kopf nie gerathen wäre, der die ersprießliche Kunst besitzt, seine Gefühle zu Buch zu bringen, und der euch mit mathematischer Genauigkeit angeben kann, wie die Course seiner Herzensangelegenheiten stehen.

Diese beiden Frauen repräsentirten die beiden Seiten seiner Natur: er kniete in Andacht vor der schönen Statue, und streckte die Arme verlangend nach dem holden Wesen aus, das voll warmen Lebens ihm entgegen athmete. Und wie die Kunst das Leben wohl verschönert, und wir doch nur durch das Leben erst zur Kunst kommen, so liebte er in Lady Vere ein erhöhtes Dasein, und es war doch wohl nur Helene, die er in Lady Vere liebte. –

Ja, die Gebilde der Kunst leben – aber das Leben der seligen Götter. Das niedere Fußgestell, auf dem sie stehen, ist ein Olymp, der sie hoch über die Niederungen der Menschheit hinaufrückt in den reinen Aether. In ihren Adern rinnt kein Blut; Milch und Honig, die hier unten in dem gelobten Lande fließen, ist für sie zu grobe Kost; der Sterbliche nimmt nicht ungestraft Theil an ihren Göttermahlen; Ambrosia und Nektar wird ihm Gift; selten brachten die Götter etwas Anderes wie Verderben, wenn sie sich den Sterblichen in Liebe gesellten, und wenn alle friedlich herniedersteigen zu den Festen der Menschen, so ist auch Eris in ihrem Gefolge. Darum bete zu den Göttern, und liebe die Menschen! –

Helene war zu gut und rein, als daß mit der Liebe auch Haß und Rache und die ganze Schaar böser Geister in ihr Herz hätten einziehen können, als sie sah, wie Georg von Tag zu Tag sich mehr in seine Leidenschaft verstrickte; aber sie war auch nicht eine solche Lammnatur, die Alles geduldig über sich ergehen läßt, und noch dem rauhen Winde Dank weiß, daß er nicht unsanfter mit ihr verfuhr. Es lebte in ihr eine felsenfeste Gewißheit, daß Georg ihr gehöre, und nur ihr.

Sie hatte sich in den langen Jahren durch die vielen Berührungen so in ihn hineingelebt, sie kannte ihn so gut, von seinen schönen Eigenschaften bis zu seinen kleinsten Schwächen, daß sie jetzt, in der Neuheit ihrer Liebe, das Recht der lange verheiratheten Frau beanspruchen konnte, die den geliebten Gatten von einer neuen, glänzenden Erscheinung geblendet sieht, – es kann sie betrüben, schmerzen – aber nicht irre machen; und als Georg heute von Schloß Vere zurückkam, als sie in seinem Gesichte las, daß sich etwas ereignet haben mußte, und er jetzt am Fenster stand, und schweigend in die Nacht hinaus nach der Gegend sah, wo Schloß Vere im Thale lag – da war es wohl ein edler Zorn, der ihr diese Thräne in's Auge trieb, der ihr die kleinen Zähne über einander preßte, der sie leise sprechen ließ: »sie kann ihn doch nicht so lieben, wie ich, und so verstehen, wie ich! Sie mag mit Engelzungen reden, und selber ein Engel vom Himmel sein – sie liebt ihn doch nicht so, wie ich!«

Es bemächtigte sich ihrer die alte, kecke Laune; es kam ihr so thöricht vor, daß Georg dastand, und in die weite Ferne hineinstarrte, und sich doch nur umzusehen brauchte, um zu finden, was ihm fehlte. Sie wußte, daß er auf dem Schlosse gewesen war; sie hätte die Zeit angeben können, fast auf die Minute, die er dort zugebracht hatte; doch sagte sie:

»Armer Georg, Sie haben heute gewiß viel Unannehmlichkeiten gehabt, daß Sie so spät kommen, und so finster sehen.«

»Ich bin auf dem Schlosse gewesen,« sagte Georg, sich umwendend.

»Auf dem Schlosse! Ich denke, Sie geben Lady Vere nur zweimal in der Woche Unterricht, und das nicht am Sonnabend.«

»Sind es denn nur die Stunden, die mich auf das Schloß führen? Habe ich nicht so viel mit Lord Vere zu besprechen?«

»Wie weit sind Sie mit ihr im Deutschen, Georg? lernt sie fleißig? macht Ihnen der Unterricht viel Vergnügen?«

»Ja, Helene, Lady Vere ist ein bedeutendes Talent« –

»Und Zeit muß sie ja auch im Ueberfluß haben. Sagen Sie, Georg, können Sie sich Lady Vere mit einer Handarbeit beschäftigt denken, wie uns andere, gewöhnliche Sterbliche?«

»Es ist mir genug, daß ich sie mir in der Betrachtung eines Raphael versunken vorstellen kann. – Es hat ja Jeder seinen Geschmack und seine Fähigkeiten, liebe Helene.«

Der freundlich scherzende Ton, in dem Helene gesprochen hatte, gefiel Georg nicht.

War es nicht ihr gewöhnlicher Ton, oder war er nur jetzt ein Mißklang in seiner weichen Stimmung – oder kam ihm die Gelegenheit gerade recht, Helene etwas übel nehmen zu können? Der Mensch ist so unendlich erfinderisch, wenn es darauf ankommt, sein Unrecht zu beschönigen; sich beleidigt zu glauben, um ungestraft beleidigen zu können, verrathen, um selbst zum Verräther zu werden.

»Sie machen nun vollends, daß ich mir Lady Vere nicht anders denken kann, als vor einer großen Staffelei beschäftigt, oder wohl gar mit einem Meißel in der Hand an einem Marmorblock.«

»Sie sagten neulich, ich würde noch Manches von Clara Vere lernen; – auch Sie, Helene, hätten von ihr lernen können, weniger lieblos von der zu sprechen, die man nicht kennt!«

»Haben Sie das auch von ihr gelernt, der ohne Ursache wehe zu thun, die Ihnen nie etwas zu Leide that?«

»Ich wollte Sie bitten, mit mir Lady Vere zu besuchen,« fuhr Georg fort, ohne auf diese Unterbrechung zu hören, oder die Thräne zu beachten, die Helenen im Auge stand, »aber ich sehe, daß die Liebe, die sie Ihnen entgegenbringt, übel angebracht ist, und wenig Aufmunterung von Ihrer Seite erfahren würde. Ich will ihr den Schmerz ersparen, sich zurückgewiesen zu sehen, und Sie der Verlegenheit überheben, zurückweisen zu müssen.«

Georg wandte sich kurz, und ging auf sein Zimmer.

Helene sah ihm nach, und die Thränen stürzten ihr aus den Augen. O! sie hatte ihren Uebermuth theuer bezahlt! So hatte er nie mit ihr gesprochen, nie! nie! Sie warf sich in den Lehnsessel ihrer Mutter und drückte den Kopf in die Kissen, ihr lautes Weinen zu ersticken. –

Eine Hand legte sich sanft auf ihr Haupt; sie sah durch ihre Thränen hindurch ihrer Mutter ernstes Gesicht sich zu ihr niederbeugen; sie streckte die Arme nach der Mutter aus; sie zog sie zu sich auf den Stuhl, sie verbarg ihr Gesicht an der treuen Brust, und weinte da ihren Schmerz aus.

Es war ein wunderbares Bild: die Mutter mit den grauen Haaren, und die blonde Tochter! Dieses bleiche, kummervolle Gesicht, in das das Leben so tiefe Furchen gezogen – die eingefallenen Augen trocken, als hätten sie keine Thränen mehr zu vergießen – und hier das von heißer Leidenschaft geröthete, thränenbenetzte, jugendliche Antlitz! – Um der Mutter bleiche Lippen schwebte ein mildes Lächeln, ein Lächeln, so voll unbeschreiblichen Mitleids, so voll unsäglicher Güte!

Sie streichelte sanft ihrer Tochter blonde Locken, sie wiegte ihr Haupt an ihrer Brust, sie flüsterte ihr leise zu, als wenn sie ein Kind in den Schlaf redete:

»Still, armes Herz, still! Er soll dein sein, ganz dein! Er ist gut und fromm: die Bösen haben keine Macht über ihn. Er ist nicht schwach, nur die Schwachen werden der schlimmen Arglist Beute. Er ist stark – er wird die Bande zerreißen, wie Simson. Der Herr zerschlägt die Köpfe der Drachen im Wasser, der Herr ist mit ihm! Ruhig, liebe Seele, ruhig! Er weiß nicht, was er thut, er weiß nicht, was er will; er weiß nicht, wer er ist! Du verräthst ihn nicht. Du bist treu – er verräth Dich auch nicht! Warte, warte, ungeduldiges Herz! Die Zeit ist noch nicht gekommen, aber sie wird bald kommen! bald, eh' ihr Alle es denkt! Die Niedrigen sollen erhöhet, und die Hohen erniedriget werden! Gott wird Euch schützen! Er hat Euch zusammengefügt, – Euch kann der Mensch nicht trennen!«

Sie zog ihre Tochter sanft in die Höhe; sie brachte sie zu Bett, wie ein krankes Kind; sie beugte sich über sie; sie küßte ihr die Augen zu, die durch Thränen zu ihr auflächelten.

An der Mutter Busen schlief Helene ein. Die entwand sich sanft den schönen Armen, die sie umschlungen hielten; sie sank an dem Bette der Tochter, die noch leise im Schlaf schluchzte, in die Kniee; sie betete lange, lange – – welche Gesichte mochte sie geschaut haben, als sie sich jetzt erhob mit verklärtem Antlitz? – –


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