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VII.

Die Spazierritte im Park, und weiter in den Wäldern, waren jetzt keine Seltenheit. Georg hatte ihr so viel zu zeigen, Lady Vere war so begierig, ihre Besitzungen kennen zu lernen, – Georg kam fast nicht von dem Schlosse und jagte seine beiden schönen Pferde, die ihm sein Lord vor der Abreise als Füllen geschenkt, und die er selbst nach seiner Rückkehr zugeritten, und oft noch ein drittes aus den Ställen des Lords, der ihm seinen ganzen Marstall bereitwilligst zur Verfügung gestellt hatte, tagtäglich müde, wie weiland der nordische Alexander, dem er in der Zähigkeit und Unermüdlichkeit seiner eisernen Natur glich. Vielleicht war etwas Unnatürliches in dieser Spannung aller Kräfte, in dieser fieberhaften Rastlosigkeit! –

Es war doch wohl etwas Gift in dem Becher, den ihn die Göttin in der kühlen Grotte trinken ließ, wenn auch der Zauber der Wunderblume, die ihm im einsamen Waldthale blühte, und die Menschen und Götter ein reines Weib nennen, kräftiglich widerstand. Ach! er wußte nichts von seinen Vorgängern; nichts von dem Giftbecher, den er trank; nichts von der Blume, die der Finger des Gottes berührt hatte – er war ein so kläglicher Neuling in der Liebe, daß er Clara Vere anbetete, und es nicht einmal ahnte! –

Georg hatte es nicht gelernt, mit seinen Gefühlen zu spielen, und mit jeder wärmeren Empfindung selbstgefällig zu liebäugeln. Seine Seele war wie ein reiner, frischgefallener Schnee, in dem nicht schon Jeder beliebig seine Spur abgedrückt hat. In diesem Feuergeist konnte eine Leidenschaft wüthen, und er wußte es so wenig, wie der Krieger im heißen Kampfgewühl der schweren Wunde achtet, bis ein stechender Schmerz ihn jäh durchzuckt, bis sein Arm plötzlich erlahmt, und er erbleichend sieht, daß er mit seinem eigenen Blute überströmt ist. –

In dieser seiner Natur war er sich selbst ein Räthsel; täuschte er fast die kluge Lady Vere, die mit Erstaunen sah, wie diese Riesennatur dem Gifte widerstand, die sich in seine Unbefangenheit nicht zu finden wußte, die nicht begreifen konnte, wie sein Auge noch so kühn und frei um sich schauen könne, auch nicht die leiseste Spur von Verwirrung sich in ihm zeige, und im Anfang fast an ihrer Kunst verzweifelte, weil die Kennzeichen an diesem Sohn des Waldes anders auftraten, als bei den girrenden Schäfern, die bisher zu ihren Füßen gelegen hatten – und nur ein treues Herz täuschte sich nicht!

Der Hochsommer in all seiner herrlichen Pracht lag jetzt auf Berg und Thal, auf Flur und Wald, und Hochsommer war es in Georg's Herzen. Ob er liebte, das wußte er nicht; aber, daß ihm das Leben noch nie so wunderbar herrlich, so lebenswerth erschienen war, – das fühlte er.

Er bedurfte beinahe weder Speise noch Trank noch Schlaf: sein Leben schien sich aus sich selbst zu erhalten, wie das der Cicade. Und dabei waren seiner Arbeiten nicht wenige; aber sie genügten ihm noch nicht. Er ermunterte die Arbeiter zu regerem Fleiß; er band das Pferd fest, und legte selbst Hand an – er wußte nicht, wie er die üppige Kraft austoben sollte. Ja, auf einige Tage, wo er Auctionen in dem Forste abzuhalten hatte, konnte er nicht einmal auf das Schloß kommen.

Es war ein eigener Zufall, daß er Lady Vere schon am zweiten Tage im Walde begegnete. – Ihr schwarzer Renner war mit Schaum bedeckt; sie hatte offenbar einen weiten und schnellen Ritt gemacht; und sie sah bleicher aus wie gewöhnlich – eine lebhafte Bewegung machte sie immer blasser – aber ihr Auge blickte versengender, wie je.

Sie ritten eine Zeit lang schweigend neben einander.

»Sagen Sie, Herr Allen,« begann Lady Vere, »kann Sie diese Thätigkeit ausfüllen? Winken Ihnen nicht schönere Kränze? Ich kann es nicht begreifen, daß Sie mit Ihren Gaben, Ihren Verbindungen sich hier beruhigen, während Sie in einer höheren Sphäre glänzen könnten. Der Ehrgeiz ist dem begabten Manne so natürlich – ist er es doch schon der begabten Frau! Es ist mir ein Räthsel, daß Sie nicht ehrgeizig sind, oder – Sie scheinen es wenigstens nicht zu sein!«

»Was ist Ehrgeiz,« antwortete Georg »wenn es nicht das Verlangen ist, so voll, so mächtig zu leben, wie es eben in den Grenzen unserer Natur möglich ist?! In diesem Sinne bin ich ehrgeizig, wenn Sie wollen; in einem anderen Sinne nicht. Warum buhlen die Menschen um die Gunst der Menge, als weil sie nicht glauben, auf dem rechten Wege zu sein, wenn ihnen nicht tausend Stimmen zurufen: ›du bist's!‹ – als weil sie an ihrem eigenen Dasein zweifeln, wenn sie sich nicht in der Bewunderung der Leute bespiegeln können!«

»So verachten Sie die Stimme des Volks, Herr Allen?«

»Ich fürchte sie mehr, als ich sie verachte. Des Volkes Stimme, sagt man, ist Gottes Stimme; im Großen und Ganzen gewiß, wenn man sie hört, ich möchte sagen, wie Adam: von fern; wie sie in der Geschichte so ergreifend spricht; wie sie der Denker vernimmt, wenn er dem Herzschlage seines Jahrhunderts lauscht. Aber so in der Nähe ist diese Stimme verworren und dunkel, und ich glaube, hier spricht Gott vernehmlicher in der Brust jedes Einzelnen.«

»Glauben Sie, daß die Geschichte einen Cäsar, einen Alexander, einen Napoleon aufzuweisen hätte, wenn Alle so gedacht hätten, wie Sie?«

»Vielleicht nicht! Aber wäre die Menschheit dann ärmer? Es fällt mir nicht ein, mit dem Weltgeist rechten zu wollen; aber sagen Sie selbst, Mylady: können wir in der Geschichte dieser und anderer Männer nicht fast mit Fingern auf den Zeitpunkt weisen, wo sie durch dieselbe Stimme des Volks, die immerhin ihre Tugenden üppig mag entfaltet haben, sich zu Thorheiten, ja Verbrechen verleiten ließen? wo sie, wie Göthe's Zauberlehrling, dem Weben der finsteren Mächte, die sie selbst heraufbeschworen, nicht mehr Stillstand gebieten konnten? wo die Herrscher wiederum beherrscht wurden? Ich erinnere Sie nur an Cromwell!«

»Mag sein,« erwiederte Lady Vere, »aber ich für mein Theil habe die Alexander lieber, als die Diogenes.«

»Jeder Mensch, Lady Vere, kann in seinem Innern ein Alexander sein! Es liegen in einem Jeden von uns unendliche Reiche, die er, ein geistiger Alexander, durchziehend erobern kann! Ja, in diesem Sich versenken in das Wesen der Dinge, in dem Ringen mit ihrer geheimnißvollen Natur, in dem Ausgleichen des gordischen Knotens der Widersprüche, liegt ein unendlicher Reiz! Das erzeugt die namenlose Sehnsucht, die den Busen des makedonischen Helden geschwellt haben muß! Wehe dem Feigen, der eher umkehrt, als bis ihn der Abfall seines Heers, – das Abnehmen seiner Kräfte – das Mal am Indus aufzurichten befiehlt! Glücklich der, der mit dem Steine, der die Marke seines Siegeszuges bezeichnet, zugleich sein Todtenmal errichtet!«

Georg sprach dies erregt, fast leidenschaftlich. Es war ihm, als ritte der alte Lord wieder an seiner Seite, als ritte er selbst zwischen ihm und Lady Vere, als lege der alte Mann ihm seine Hand auf die Schulter, wie er es im Reiten zu thun pflegte, als schaute er ihn freundlich und ernst an, als spräche er wieder: »Georg, ich sehe nicht ein, was uns daran verhindern sollte, Schuhflicker zu werden, wenn uns der Schuhflicker nicht verhindert, ein Hans Sachs, oder Jacob Böhme zu sein!«

Lady Vere theilte diesen hochsinnigen Ehrgeiz nicht; aber sie konnte ihn begreifen, wie so ziemlich Alles, was die Menschenbrust bewegt. Ihr Ehrgeiz war, zu herrschen und angebetet zu sein; das war das Opium, dessen betäubende Kraft ihr diese öde Welt erträglich machte.

Auch dies Gespräch hatte wiederum, wie schon so manches frühere, eine andere Wendung genommen, als Clara Vere beabsichtigte.

Eine rein persönliche Frage machte Georg zu einer allgemeinen. Was hatte Lady Vere damit gemeint, daß er nicht ehrgeizig sei? oder that es ihr wirklich leid, daß dieser Mann nicht ein Herzog war, oder ein großer Staatsmann, oder Krieger? Lady Vere wäre Attilas Gemahlin geworden, wenn sich mit dem Hunnenkönig die Welt, die er beherrschte, ihr zu Füßen geworfen hätte.

»Und glauben Sie, Mylady,« sagte Georg einlenkend, »daß die Arbeit, in der Sie mich sahen, nicht Mannesarbeit ist, und eines Mannes werth? Sie haben ja selbst mit Interesse diesem geschäftigen Treiben zugeschaut. Es ist Ihnen nicht entgangen, wie hier so vieles von einer guten Leitung abhängt; wie ich für das Schicksal mehr als einer Familie verantwortlich bin. Dieses frische, thätige Leben sagt meiner Natur zu; diese rauschenden Wälder sind mir theuer, wie dem Schiffer sein wogendes Meer. Ich habe mich oft nach den Urwäldern von Amerika gesehnt; in mir ist etwas von der schweifenden Natur des Indianers, und doch hätte ich keinem Herrscher lieber gedient, als dem deutschen Kaiser Heinrich, dem Städtebauer! Glauben Sie, Mylady, das Leben ist in sich selbst schon ein unschätzbares Gut! Leben heißt: thätig sein; glücklich leben heißt: thätig sein in den Grenzen seiner Kräfte, freilich aber auch bis an die Grenze seiner Kräfte.«

»Und doch ist es nicht möglich,« dachte Lady Vere »daß dieser Mann, der eine Welt erobern könnte, sich in dieser Wüste gefiele, wenn ihn nicht ein besonderer Magnet hier festhielte.«

Sie hatte schon oft an Helene Locksley gedacht, obgleich sie es jetzt vermied, von ihr zu sprechen. Sie fürchtete, daß Helene ihr im Wege stand, und haßte die arme Unschuldige und Unbekannte demgemäß, wie der Mensch das haßt, was zwischen ihm steht und seiner Lust. Sie malte sich ihr Bild mit den reizendsten Farben aus, und zerriß das Bild, wenn es fertig war, in Stücke und warf es verächtlich bei Seite. Sie mußte dem Verhältniß zwischen Georg und Helene auf den Grund kommen; sie mußte Helene sehen; sie mußte sich mit eigenen Augen überzeugen, ob sie an ihr eine Nebenbuhlerin habe, oder nicht. –

Was war es ihr, daß sie hier vielleicht ein stilles Glück mit frecher Hand zerstörte? was kümmerte sie das arme Heideblümchen, das ihr stolzer Fuß zertrat! Diese Familie war auf sonderbare Weise in ihr Leben verflochten; es schien, als ob das Schicksal derselben sei, von dem Wagen der Göttin gerädert zu werden. Sie dachte an den Tod des alten Locksley, und vielleicht noch an ein anderes Grab. Aber kamen nicht in mancher Tragödie noch mehr böse, interessante Fälle vor? und hatte sie darüber ja auch nur mit der Wimper gezuckt! und was war denn das Leben anders, als ein Schauspiel, aufgeführt zu Ehren und zum ausschließlichen Vergnügen der Lady Clara Vere de Vere?

»Gewiß,« sagte sie, »ich begreife jetzt Ihre Anhänglichkeit an eine Stelle, die Ihre Heimath ist in jedem Sinn. Hier wurzeln Sie fest, wie die Eiche dort. Hier, in diesen Wäldern haben Sie die schönsten Jahre Ihres Lebens verlebt; hier haben Sie, wie Sie mir selbst sagten, in Lord Vere den besten Freund gefunden; und hier wohnen ja auch noch die, die Ihnen das Liebste sein müssen auf Erden. Die liebe Helene! Wie gerne sähe ich sie! Wie leid thut es mir, daß Frau Locksley ihren freilich gerechten Schmerz um ihres Gatten Tod uns büßen läßt, und sich selbst, und somit fast auch der Tochter unser Haus verschlossen hat. Ach! und Schloß Vere ist ein so trauriger Aufenthalt, und bedarf so sehr freundlicher Gesichter, die Einsamkeit zu beleben! Wie angenehm denke ich mir ein vertrautes Verhältniß mit dem schönen Mädchen! Ich bin überzeugt, wir würden Freundinnen sein.«

So menschlich theilnehmend, so weich hatte Georg die stolze Lady noch nie gesehen; und als sie jetzt die dunkeln Wimpern hob, und in ihrem großen Auge, das ihn so voll und freundlich ansah, ein feuchter Schimmer, fast wie eine Thräne, sichtbar war – da war es ihm, als ob das Gefühl, welches ihn in diesem Augenblicke mit schaudernder Wonne erfüllte, denn doch wohl ein innigeres sei, als bloße kalte Bewunderung.

Lag nicht in diesem weichen, traurigen Ton die Klage eines stolzen, einsamen Geistes, der sich nach der Gesellschaft anderer Geister sehnt? Die Göttin war herabgestiegen aus ihrer kalten Höhe zu den Menschen, und hatte angepocht an ihre Hütten und gesagt: laßt die staunende Anbetung, und liebt mich! liebe ich ja doch euch! – Jetzt sprach auf einmal in ihm vernehmlich eine Stimme: »Du liebst sie!« und eine leisere Stimme flüsterte ihm zu: »und sie liebt dich!« –

Georg ritt mit Lady Vere auf das Schloß; er blieb bis zum Dunkel. Sie war heute so gut, so lieb! wie laue Wellen umspielte es seine sich dehnende Brust: wie Sirenengesang lockte es ihm in diesen weichen, warmen Tönen, die ihn umkosten, wie ein sanfter Abendwind, der über die Heide rauscht, mit der Ginsterblume flüstert – und als er endlich schied, mit dem Versprechen, Alles zu versuchen, ob er Helene zu ihr auf's Schloß bringen könne, da konnte er sich kaum enthalten, ihre schöne Hand, die sie ihm zum Abschied reichte, an seine Lippen zu pressen.

Armer Georg! keinen Schritt weiter in diese lüsterne, gaukelnde. sinnverwirrende Feeenwelt! Zurück in den kühlen Wald, wo die Amsel schlägt, und die frische Waldluft deine heiße Stirne kühlt. Denke an den Schauspieler, dessen Auge auch feucht war von Thränen! Was war ihm Hekuba!


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