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XV.

So war der wilde Vogel denn doch endlich kirre gemacht, wenn das Herz auch ungestüm pochte, als die schöne Hand, die sich so bittend nach ihm ausgestreckt hatte, sanft das glänzende Gefieder glättete, und die scheuen Schwingen über einander legte.

Die Empfindungen in ihren Spitzen laufen in einander, und es giebt einen Moment, wo der Schmerz Lust, und die Lust Schmerz ist. Eine solche schmerzliche Lust war es, die Georg empfand, als er an diesem Abend das glänzende Wesen, dessen Bild all' diese Zeit in seinen Träumen bei Tage und seinem Wachen bei Nacht ihn nimmer verlassen hatte, in dem bunten Gewimmel von Herren und Damen vor sich sah, wie, nach dem Ausdruck des alten Poeten, den leuchtenden Mond unter den bleicheren Gestirnen.

Es war, als ob sich Lady Vere das Vergnügen nicht habe versagen können, den Herzog und Georg zusammen zu sehen; wenigstens ruhten ihre Augen mit einem seltsamen Ausdruck auf den Beiden, als sie gelegentlich einige Minuten mit einander sprachen; und wer es verstanden hätte, die wunderliche Sprache von Lady Vere's schönen Augen zu entziffern, hätte wohl darin lesen können: bei Gott, er ist nicht werth, sein Bedienter zu sein. Und wirklich auch einem weniger parteiischen Auge, als dem der Lady Vere, hätte der seltsame Contrast der beiden jungen Männer auffallen müssen, als jetzt Georg mit dem Anstand und der Würde eines Fürsten, der einem Bittsteller eine Audienz ertheilt, dem kleinen, unbedeutenden Herzoge einige gleichgültige Fragen über Forstcultur beantwortete.

Nicht daß Georg auch nur im Entferntesten durch ein großthuerisches Wesen den fehlenden Rang hätte ersetzen, seiner unscheinbaren Stellung in der Gesellschaft hätte zu Hülfe kommen wollen; aber es lag nun einmal in seinem Wesen eine angeborene Vornehmheit, die sich so wenig verleugnen läßt, als die Sonne es hindern kann, daß es da Licht wird, wohin sie blickt. Es giebt gewisse Gestalten, die in dem vollkommenen Ebenmaß ihrer Glieder einer unschönen, oder unedlen Bewegung gänzlich unfähig sind. Wer hat das Reh gelehrt, so anmuthig über den Wiesenplan hinzufliegen? oder dem Hirsch gesagt: so mußt du das stolze Geweih legen, und so mußt du die Vorderläufe biegen, wenn du über einen Graben setzt, damit der Mensch die Kraft und Schönheit deines mächtigen Sprunges zum Sprichwort macht? In Georg's Wesen war eine reizende Mischung von dem feinen Anstande des Weltmanns und der frischen Kraft des Jägers; und die Herren konnten, wenn sie wollten, bemerken, daß er ebenso gut eine Verbeugung machen, als eine Hecke überwinden könne.

Die Schilderung, die Lady Vere gestern von ihrem Ideal eines Mannes gemacht hatte, paßte so genau auf Georg, daß sie sich in die Lippe biß, wenn sie dachte, wie leicht man das Original zu der Copie finden könnte. –

Georg fühlte sich bald in dem glänzenden Cirkel heimisch. Die meisten Herren hatte er auf der Jagd schon kennen gelernt, und seine Stellung brachte es mit sich, daß er das Orakel des Kreises war, der aus den jüngeren gebildet wurde. Von den älteren hatten Manche Georg bei dem verstorbenen Lord gesehen; man erinnerte sich, in welcher Gunst er bei dem alten Herrn gestanden hatte, und daß er, wenn das anders sein Wille gewesen wäre, durch dessen mächtige Protection jede Stellung hätte erreichen können.

Besonders freute sich Herr Burn, der erst vor einigen Tagen eingetroffen war, Georg wiederzusehen; und sein achtungsvolles und herzliches Entgegenkommen fiel um so mehr auf, als er allgemein für einen sehr kalten Mann galt, der seine Ansprüche an die Menschen etwas hoch spannte. Er war – den Herzog natürlich ausgenommen – weitaus die bedeutendste Persönlichkeit der ganzen Gesellschaft, und überragte Alle an Geist und Kenntnissen. Man rühmte ihn als einen vortrefflichen Staatsmann, und als Schriftsteller hatte er sich ausgezeichnet. Seine Reden im Unterhause waren durch ihre Schärfe und durchsichtige Klarheit der Schrecken seiner Gegner, und die Wonne seiner Anhänger. Obgleich noch ein jüngerer Mann, war er ein Freund des alten Lord Vere gewesen, und Georg hatte ihn schon vor der großen Reise auf Schloß Vere kennen gelernt und liebgewonnen. In diesem Jahre war auch er im Orient gewesen; er war begierig, die letzten Schicksale des alten Freundes zu vernehmen; und wer konnte ihm darüber besser Auskunft geben, wie Georg! So waren sie denn bald aus ihrem regnerischen, englischen Himmel unter die glühende Sonne Syriens versetzt, und wandelten wohl unter den Ruinen von Palmyra, als sie jetzt in eifrigem Gespräch, Arm in Arm, im Saale auf und ab schritten. – Im Uebrigen mischte Georg sich wenig in die Unterhaltung. Es war ihm ein schmerzlich-süßes Gefühl, Lady Vere in dieser für ihn neuen Umgebung zu beobachten.

Wie der Wandersmann auf schmalem Felsenpaß vor dem Abgrund zu seinen Füßen schaudert, und doch, von unwiderstehlicher Gewalt gezogen, sich über ihn beugt, die grause Tiefe ganz mit den Blicken zu durchdringen; wie wir mit gierigem Auge zu dem Seiltänzer, der oben, im letzten Abendsonnenschein, auf dem Seile balancirt, emporstarren, während uns doch das Blut in den Adern stockt, vor Furcht – so hingen Georgs Blicke an der Schönheit und Anmuth des wunderbaren Wesens, so horchte er der Rede, die diesen geistreichen Lippen entströmte, wie die üppige Blumenfülle dem Horn der Flora. –

Während er jetzt in einiger Entfernung vor ihr stand, und ihr zuhörte, und sie ansah: träumte er, er läge am Rande des Springquells an der schattigsten Stelle eines schönen Parks, und schaute mit Entzücken zu, wie der helle, schlanke Strahl jetzt gerade in die Höhe steigt, jetzt anmuthig sich neigt vor dem lauen Winde und sich hinüber biegt und herüber; jetzt in kühnem Bogen zur Erde schießt, jetzt palmenartig in der Höhe nach allen Seiten sich ausbreitet, und in Millionen Perlen rings herniederrauscht, wie die schlanken Zweige der Trauerweide den Stamm verhüllen; er hörte das süße Gemurmel, das einlullende, zauberische Plätschern – und dann war es ihm, als würde er von Adlerfittigen emporgetragen über die niedrige Erde, als schwebte er frei über Bergen, Thälern und Wäldern durch den unermeßlichen Aether – und dann erwachte er, und hörte das Summen und Schwirren einer zahlreichen Gesellschaft, und sah eine bunte Menge vor seinem erstaunten Auge sich hin- und herbewegen, und bemerkte, daß Lady Vere aufgehört hatte, zu sprechen, oder dem Kreise, der sie umringte, sich anmuthig entziehend, jetzt an einem anderen Ende des Saals war.

Kam das Regenwetter der Schönheit und Munterkeit Lady Vere's zu gute, oder der Glanz der Kerzen; entzückte sie die Aussicht auf das bevorstehende Schauspiel, oder wollte sie heute versuchen, ob sie einmal Alle vergessen machen könne, daß es draußen stürme und regne, und für ihre Person mit dem Glanz und der Pracht eines warmen Sommerabends wetteifern – sie war an diesem Abend so wunderbar schön, daß der kalte, kaustische Burn, der eben kein Bewunderer Lady Vere's war, zu Georg herantrat, und ihn leise fragte:

»Erinnern Sie sich, je auf Ihren Reisen in Italien oder Griechenland oder Syrien ein schöneres Weib gesehen zu haben?«

»Es giebt nur eine Lady Vere!» erwiederte Georg.

An diesem Abende las die alte Margareth im Försterhause im Walde aus der Bergpredigt: ›Schauet die Lilien auf dem Felde an, wie sie wachsen! sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist, als derselben eins.‹


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