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XVI.

Während so auf Schloß Vere ein buntes geschäftiges Treiben herrschte, und der muntere Lärm einer fröhlichen Gesellschaft, in der, durch den Zauber einer bedeutenden Persönlichkeit angeregt, Jeder jedes Talent aufbietet, um nicht hinter den Uebrigen zurückzubleiben, und es sich zur Ehrensache macht zur allgemeinen Unterhaltung beizutragen, das Unwetter draußen übertönte – während Rollen gelernt; die Maskengarderobe, die Lady Vere aus der nächsten Stadt hatte kommen lassen, durchmustert, Anzüge in Verzweiflung wieder bei Seite geworfen, oder triumphirend vor dem Spiegel angelegt wurden; während man Proben hielt, und die Rollen des Stücks mit den Rollen im wirklichen Leben durcheinander wechselte, und der Herr, der den Don Juan spielen sollte, nicht mehr recht wußte, ob er wirklich ein ehrenwerther, friedlicher Herr vom Lande, oder ein tückischer, grausamer Bösewicht sei – während Georg den schäumenden Lebensbecher mit durstigen, vollen Zügen leerte, und ob er sich den Tod dran trinken sollte, – war es desto öder und freudeloser in dem einsamen Hause im Walde. –

Hier übertönte kein fröhlicher Lärm das Sausen des Sturmes, der durch die hohen Buchen tobte, und ihre Aeste im wilden Ungestüm durcheinander peitschte, und an den geschlossenen Läden rüttelte, und durch den Wald heulte, wie ein hungriges Raubthier; oder den strömenden Regen, der seinen kalten, feuchten Athem selbst in die Stube hauchte, und vor dem man nicht einmal hier sicher zu sein glaubte, wenn man das Prasseln der schweren Tropfen in den breiten Kronen der Bäume vernahm, oder das eintönige Rinnen der Dachtraufe, und das dumpfe Brausen des Waldbaches, der sonst unter breiten Wasserlilien zwischen hohen Binsen und Farrenkraut so still dahinfloß, und nun trübe Fluthen durch den Wald die Hügel hinab in's Thal wälzte, und die alten Eichen entwurzelte. –

In der Küche, des Abends am Heerd, um das flackernde Feuer, dessen Rauch der Wind, der in dem Schornstein brummte, und ächzte und stöhnte, wie ein eingesperrter Riese, nur zu oft ihnen in's Gesicht trieb, saßen die alte Barbara, und die kleine, rothbäckige Köchin, und die beiden Knechte, zu denen sich auch wohl Georg's alter, eisgrauer Förster gesellte, der ein paar hundert Schritte weiter im Walde wohnte, und der seinen jungen Gehülfen nur zu selten mitbrachte, weil der, wie er sagte, das einsame Häuschen bewachen müsse, daß es der Regen nicht fortschwemme, und der Wind nicht fortwehe – eigentlich aber, weil er wegen der Gunst der hübschen Dirne auf den schmucken Burschen eifersüchtig war – und sie vertrauten sich grausliche Märchen von Hexen und Kobolden, und der alte Waidmann wußte so schauerliche Geschichten vom wilden Jäger zu erzählen, daß die kleine Mary die Hände vor das Gesicht schlug, um die rothe Feder und den flatternden Mantel nicht zu sehen, und sich an die alte Barbara anschmiegte, und leise betete, daß der Herr sie bewahren möge vor dem bösen Feinde.

Ja, es war öde und traurig in dem einsamen Hause im Walde; aber wem sein guter Geist von dem lieblichen Mädchen erzählt hätte, das zu finden war, dort oben, der hätte ein gar wunderlicher Ritter sein müssen, oder gefesselt von einem bösen Zauber, wenn er sich nicht alsbald aufgemacht hätte durch Sturm und Regen, und mit seinem guten Schwerte sich den Weg gebahnt durch die Dornenhecke, hinter der die rothe Rose duftete und blühte in stiller Heimlichkeit.

Die alte Margareth hatte die abendlichen Besuche des Kirchhofs einstellen müssen, und schaffte still und sorgsam im Hause: aber wenn sie jetzt des Abends ihrer Tochter gegenüber saß, und in der Bibel still für sich las, oder einen Kernspruch laut sprach, als wollte sie die Welt herausfordern, und sagen: das steht hier geschrieben, und ihr dürft es lesen, ihr Alle, und ihr seid so hart und lieblos – da konnte es Helene nicht entgehen, wie blaß die Mutter war, wie ihr graues Auge tiefer in die Höhlen gesunken war, wenn es auch noch in dem alten Feuer erglänzte; wie ihre runzliche Hand zitterte, wenn sie den Leuchter ergriff, um hinaufzugehen; wie wankend ihr Schritt auf der Treppe, wie sehr sie der freundlichen Stütze bedurfte.

»Mutter, liebe Mutter, Du bist krank; kränker als Du denkst, oder mich willst merken lassen! Laß mich heute Nacht bei Dir wachen, oder wenigstens in Deinem Zimmer schlafen!«

»Still, Kind, Du mußt nicht traurig sein! Wer mag seiner Länge ein Elle zusetzen, ob er gleich darum sorge? Wir sollen aber nicht sorgen! das ist so thöricht. Sorge Du auch nicht! Sag' Georg nichts; er darf's nicht wissen. Er ist noch nicht werth, daß ihm die Engel dienen; – er hat die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit noch nicht verschmäht. – Sei ruhig, liebes Herz, laß mich nur wachen! – Georg kommt! Ich darf ihn jetzt nicht sehen; die Stunde ist noch nicht da.«

Helene sah noch mit trübem Auge nach der Thür, durch die die Mutter verschwunden war, als sie jetzt, da der Sturm und der Regen auf einige Augenblicke nachgelassen hatten, den Hufschlag von Georg's Pferde auf dem kiesbestreuten Wege vor dem Garten vernahm. – Es waren schon mehrere Tage verflossen, seitdem Georg wieder zum ersten Male auf dem Schlosse gewesen war. Helene wußte, wo er den Tag über sich aufhielt, woher er kam, wenn er spät in der Nacht herangalopirte.

Georg hatte die Einladung Lady Vere's nur zum Theil angenommen; er hatte jetzt sein Zimmer auf dem Schlosse und seine Anzüge für die Gesellschaft – aber er ritt jede Nacht heim, und es war ihm eine eigene Lust, diese Gefahr des nächtlichen Ritt's auf den schlüpfrigen Wegen. Der Regen, der ihm in's Gesicht schlug, und seine Kleider durchnäßte, kühlte die Gluth in seinem Innern. Daß er Clara Vere liebe, war ihm schon lange kein Geheimniß mehr; aber es war ihm eine unaussprechliche Lust, jetzt zu finden, daß die stolze Lady ihm gegenüber aufgehört hatte, die stolze Lady zu sein; daß sich ihre Liebe zu ihm in Zeichen offenbarte, die darum nicht weniger vernehmlich zu ihm sprachen, weil sie für Andere unmerklich waren, und die er nicht länger mißdeuten konnte, wenn er nicht blind sein wollte mit offenen Augen. Diese Gegenliebe war es, die seine Leidenschaft zu neuer Gluth anfachte. Georg war zu stolz, als daß er hätte um Liebe betteln können; und wenn er, wie die schöne Dame dachte, den Pfeil nicht ungestraft aus dem Herzen ziehen konnte, so hätte er sich sicherlich still in sich verblutet, und keiner Menschenseele die Freude oder den Schmerz gemacht, ihr seine Todesqual zu zeigen.

Aber laßt nur ein schönes Weib euch zeigen, daß sie euch liebt, und sehet zu, wie ihr eure Dankbarkeit beweisen könnt, ohne Dinge zu thun, die euch hernach gereuen! – Auch der einfachste, demüthigste, wahrste Mensch fühlt sich ein höheres Wesen, wenn er Liebe oder Bewunderung erweckt, und er heißt die Liebe und die Bewunderung so wenig schweigen, als eine köstliche Musik, die seine Seele bezaubert, und sie zu dem Hochgefühl eines reineren und schöneren Daseins emporhebt. –

Oder waren das nicht Zeichen von Lady Vere's Liebe zu ihm, daß sie selbst im Gespräche mit Anderen mit der größten Feinheit Anspielungen einfließen ließ, die sich auf die geringsten Einzelheiten ihrer Zusammenkünfte auf der Bibliothek und im Walde bezogen, und die nur für ihn berechnet waren? daß er jetzt bemerkte, wie Niemand, und auch die Geistreichsten nicht, ihr den Beifall und das Wohlgefallen abnöthigen konnten, die sie ihm so oft mit leuchtenden Augen und köstlichen Worten zu erkennen gegeben? daß ihre Stimme im Gespräche mit Anderen klar und hell war, und nur, wenn sie mit ihm sprach, jenen weichen, warmen Ton annahm, der der Ausdruck ist einer tieferen Empfindung? daß sie sich aus dem glänzenden Kreise zu ihm wandte, als wolle sie bei ihm ausruhen, wie erschöpft von der Qual, mit Menschen zu sprechen, die sie nicht verstanden? daß sie ihn in einer Menge von Kleinigkeiten um Rath fragte, die bedeutsamer sind, wie die größten Geheimnisse: ob sie als Beatrix mit einem Kranze aus rothen oder weißen Rosen erscheinen solle, und welche Farbe ihr Gewand haben müsse? ihm jene kleinen Aufträge gab, die den Liebenden mehr entzücken, als den ehrgeizigen General der Oberbefehl über das Heer, den ihm sein Fürst ertheilt? –

Nur der Gedanke an Helene jagte ihn aus seinen köstlichen Träumen jäh empor, und er zitterte wie der Kirchenräuber, der die gierige Hand nach den heiligen Gefäßen ausstreckt, und meint, daß sich die heilige Jungfrau auf dem Altarbild, auf das der Schein seiner Laternen fällt, bewegt, und den Jesusknaben fester an ihren Busen gedrückt hat, damit der schlechte Mann ihn nicht berühre. – Er hatte versucht, ihr zu zürnen; aber das hätte ein anderer Mann sein müssen wie Georg, der diesem holden, köstlichen Wesen hätte gram sein können. –

Er hatte das Mährchen der Bruderliebe sich wieder einmal vorerzählt; aber er hatte den frommen Kindersinn verloren, und wollte es nicht mehr recht glauben, daß Dornröschen noch immer schliefe, hätte sie der kühne Ritter nicht erweckt. – Er sah zu wohl, daß ihre rosige Wange blasser war, daß ihr blaues Auge nicht mehr so freundlich, treuherzig blickte. Er hatte seit Wochen ihr fröhliches Lachen nicht gehört, das ihm sonst so lieb war, und in das er immer einstimmen mußte, er mochte noch so unmuthig sein. Er hatte sie nur noch lächeln sehen, und selbst dies Lächeln war nicht das alte, freundliche, liebevolle; es war, als ob es für die Thränen gelten sollte, die sie nur mit Mühe zurückhielt. – –

»Ich soll ihm nicht sagen, daß die Mutter krank ist; er soll aber auch nicht sehen, daß ich krank bin. Die Mutter ist eine Heldin, ich bin ein schwaches Mädchen, solcher Mutter nicht werth!«

Als Georg in alter Gewohnheit nach einer Weile aus seinem Zimmer für einige Augenblicke herüberkam, lächelte sie ihm freundlich zu und reichte ihm die Hand.

»Mary wird Sie nächstens für den wilden Jäger selber halten, wenn Sie noch länger die Nacht zum Tage machen.«

»Die Bösen scheuen das Licht des Tages, liebe Helene!«

»Sind Sie böse, Georg?«

»Ich weiß nicht, gute Helene; es ist mir öfters, als wäre ich es nur zu sehr.«

»Kommen Sie, Georg! es ist gut, daß Mary Sie das nicht hat sagen hören. Die könnte es Ihnen zur Noth glauben; ich glaube es nicht. Setzen Sie sich her zu mir, und erzählen Sie mir von dem Schlosse und den Festlichkeiten dort. – In einem großen, großen Walde stand einmal ein prächtiges Königsschloß. Darin lebte – – soll ich denn gar nichts von all' den Herrlichkeiten haben? oder fürchten Sie, daß wir armen Käuzchen im finsteren Walde geblendet würden, wenn Sie uns einmal durch eine Ritze in die hell erleuchteten Gesellschaftszimmer vor Schloß Vere sehen ließen?«

Georg setzte sich zu ihr auf's Sopha, und im Anfang zerstreut, hernach mit der größten Lebendigkeit gab er ihr eine Schilderung von dem Treiben im Schlosse, und zeichnete einige Persönlichkeiten, besonders den launigen, witzigen Burn so vortrefflich, daß Helene so munter lachte wie in alten Tagen. Ja, er wurde so kühn, daß er Lady Vere's Namen nannte, daß er von dem Stück erzählte, das aufgeführt werden sollte, und wie die armen Menschen, ohne jedes Talent, sich abmühten, der Lady Vere zu gefallen.

Helene hatte eifrig zugehört; jetzt sagte sie, und ihr Auge ruhte fest auf Georg:

»Und Sie, Georg, der Sie selbst so köstlich lesen, und gewiß nicht schlechter spielen, sollen Sie gar nicht auftreten?« –

Georg konnte nicht lügen, und wenn es ihm das Leben gekostet hätte.

»Ich soll den Romeo in der Gartenscene im zweiten Act spielen; – Lady Vere ist die Julia; – ich glaube, die Gallerie in der Bibliothek hat sie auf den thörichten Einfall gebracht.«

»Und das sagen Sie mir jetzt erst? Schämen Sie sich, Georg! – Haben Sie denn einen Anzug, oder wollen Sie den Romeo im Frack spielen?«

»Ich habe da auf dem Schloß so ein paar verwünschte Lumpen, die mit Gold- und Silberflittern bedeckt sind, und die der ganz eigentliche und unabänderliche Romeo-Anzug sein sollen, wie der Verleiher ausdrücklich versichert hat.«

»Wie ist die Farbe?«

»Blau, glaube ich.«

»O, das ist prächtig! ich will Ihnen einen Domino schaffen, daß das ganze Schloß sich wundern soll! Mit Goldflittern – o, ich habe noch Alles! Sie sollen so stattlich aussehen, so schön! – wann ist die Aufführung?«

»Nächsten Montag;« –

»Und heut' ist schon Donnerstag – es war die höchste Zeit. – So, nun gehen Sie zu Bett, und lesen Sie Ihre Rolle noch einmal durch vor dem Einschlafen; so lernt es sich am schnellsten – das weiß ich noch von der Schule her! – Nun, so gehen Sie doch!«

Georg hatte gar nicht zu Wort kommen können. Er hätte Helene an sein Herz ziehen mögen, als sie jetzt mit freudigem Gesicht und lachendem Auge vor ihm stand, und ihm gute Nacht wünschte. –

Georg war kaum aus dem Zimmer, als Helene in die Nebenstube an ihren Schrank eilte, und ein prächtiges seidenes Kleid hervorholte:

»Warte, du erbärmliches Ding! er hat mich nie in dir leiden können, und sagte, ich dürfe nur weiß tragen, und Seide schicke sich nicht für ein junges Mädchen! Er soll's nicht wieder sagen.« –

Und unbarmherzig zerschnitt sie das schöne Kleid, und nähte mit emsiger, freudiger Hast an dem Mantel, in dem der feurige Sohn des Monteschi der holden Tochter Capulets seine Liebe gestehen sollte.


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