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XII.

Unter all' den ausgezeichneten Personen, die Lord Vere während der Jagdzeit auf dem Stammschlosse seiner Familie bewirthete, war der Herzog von Arlington unbestritten die ausgezeichnetste. Jedermann gab das zu. Wenn ein neugieriger Frager sich erkundigt hätte, worin denn eigentlich das Ausgezeichnete bestehe, und der Befragte nach einigem Nachdenken fand, daß der Herzog weder witzig war, noch gut aussah, daß er schlecht zu Pferde saß, und auch nicht ein Talent hatte, das die Menschen liebenswürdig oder wünschenswerth macht, so sah er sich wohl endlich zu der dunklen Antwort genöthigt, »das Ausgezeichnete in dem Herzog von Arlington steckt gerade in dem Umstand, daß er der Herzog von Arlington ist.«

Es war wohl natürlich, daß zwei so bedeutende Persönlichkeiten, wie Lady Vere und der Herzog von Arlington nicht lange in einer Gesellschaft sein konnten, ohne sich gegenseitig, eben ihrer Bedeutenheit wegen, wahlverwandtschaftlich anzuziehen; und so war es denn auch bald eine ausgemachte Sache: die Verbindung dieser Beiden als das große Ereigniß dieser Jagdzeit zu prophezeien, und in Lady Vere die Herzogin von Arlington der künftigen Saison zu sehen. Es war eigentlich ein ganz klein wenig lächerlich, wenn man sich den kleinen, unscheinbaren Herzog, der nicht fünf Worte zusammenhängend sprechen konnte, und die glänzende, geistreiche Lady Vere als Gatte und Gattin dachte; und es ist mehr wie wahrscheinlich daß eben diese Dame, wenn sich ihr jener als Bedienter gemeldet hätte, ihn abschläglich beschieden haben würde, – aber der »Herzog« glich Alles aus; und wenn er auch als Bedienter lange nicht stattlich genug war, so war er doch immerhin eine ausgezeichnete Parthie.

So dachte Lady Vere; so dachten die Andern; aber eben weil es die Andern dachten, durfte Lady Vere es nicht zu denken scheinen.

Die Rolle, dem Herzog und der Gesellschaft gegenüber, hatte ihre erheblichen Schwierigkeiten, und es bedurfte einer so vollendeten Künstlerin, um sich in den zarten Grenzen zu halten, in denen dieser Character gezeichnet war. – Wären sie allein gewesen, so hätte die Sache gar keine Schwierigkeiten gehabt.

Die Rolle hätte sentimental genommen werden können, oder auch im großen Styl behandelt werden oder besser naiv – unschuldig, – aber so auf offener Bühne, vor diesem großen, gebildeten Publicum ging das Eine so wenig wie das Andre. Es gab nur eine Möglichkeit: der Character mußte dem der Beatrix in der bekannten Shakespear'schen Komödie nachgebildet werden: neckisch, launig, abstoßend und anziehend zu gleicher Zeit; für den Ernst würde sich dann auch wohl die Gelegenheit finden. Der Herzog mußte in beständiger Bewegung erhalten werden. Er durfte nicht in seiner bescheidenen Unthätigkeit verharren, in der er sich freilich am wohlsten befand; er durfte nicht ahnen, daß es ihm gelte,– denn er hatte, als eine ausgezeichnete Parthie und ein mittelmäßiger Kopf, nicht so wohl Furcht vor dem Heirathen, als vor dem Geheirathet werden, – und man mußte doch auch zugleich der übrigen Welt zeigen, daß der Herzog von Arlington der Lady Clara Vere de Vere weder so werth war, noch so hoch stand, daß ihn die Pfeile ihres Witzes nicht hätten erreichen können – erreichen, nein! so hoch über ihn hingeschossen werden, daß er wohl ihr Sausen hörte, aber sie schwerlich mit eigenen Augen sah. – Das war aber auch nur für weniger blöde Augen.

Lady Vere war ihres Erfolges so sicher, daß es sie gar nicht wunderte, als sie schon nach wenigen Tagen von Zeit zu Zeit etwas Ernst in den Scherz konnte einfließen lassen.

Während nun so die schöne Dame mit gewiß zu rechtfertigendem Eifer darnach strebte, eine Herzogskrone auf ihr Haupt zu setzen, war sie schwach genug, ein anderes Bild nicht aus ihrer Seele bannen zu können, selbst jetzt, wo so viel verführerische Phantasien von Glanz und Rang und Macht sie umgaukelten. Das Bild stand so deutlich vor ihr, daß sie einmal dem Herzog beinahe in's Gesicht gelacht hatte, als er bemerkte: »der Verwalter der Forsten des Lord Vere scheine ein sehr braver und thätiger Mann zu sein,« und Ihre Herrlichkeit scherzend hinzufügten, »er wolle versuchen, diesen braven Mann seinem lieben Wirthe abspänstig zu machen.« Dieser Gedanke mußte für sie etwas unendlich Komisches und Reizendes haben, denn als das Kammermädchen am Abend die schönen Haare ihrer Gebieterin flocht, lachte diese ein paar Mal so herzlich auf, daß das arme Kind ernstlich zusammenschrack, da es wenig gewöhnt war an solche Ausbrüche von Lustigkeit bei ihrer stolzen, schweigsamen Herrin, die sonst so finster in den Spiegel blickte, als ob sie statt ihres herrlichen, edlen, bleichen Gesichts einen Todtenkopf betrachtete. –

Georg dankte dem Himmel für die Wohlthat, in der Erregung und dem Lärmen der Jagd seine wilde Leidenschaft austoben und wenigstens auf Augenblicke vergessen zu können; und Helene dankte dem Himmel mit ihm, ob sie gleich für den Geliebten zitterte, wenn die Leute ihr in gutmüthiger Geschwätzigkeit und in gerechtem Stolz auf ihren Herrn von seinen waghalsigen Thaten erzählten, und wie Lord B. heute um eine Hecke herumgeritten sei, über die Georg einen Augenblick vorher wegsetzte; und ob sich so etwas wohl für einen Lord schicke, der ein Vollblutpferd reite, das neulich auf der Rennbahn gesiegt habe, und wie Herr Allen's Fuchs, den ihm der alte Lord vor vier Jahren schenkte, doch noch immer das beste Pferd auf der Welt sei.

Sie fürchtete eine Zeit lang für sein Leben; und die schmerzliche Erinnerung an ihres Bruders trauriges Ende stieg drohend in ihrer Seele auf; ja, als sie eines Abends der Mutter gegenüber saß, die wie gewöhnlich in der Bibel las, durchzuckte sie jäh ein fürchterlicher Verdacht, daß sie die Hände vor das Gesicht legte, wie um ein entsetzliches Bild nicht zu sehen.

Die Mutter schaute von dem Buche auf, und sagte ruhig: »still, Helene! Der Herr zerschlägt die Köpfe der Drachen im Wasser; der Herr ist mit ihm!« Helene sah fragend die Mutter an; die schüttelte das graue Haupt und sagte: »Laß nur Kind, laß mich nur wachen! Du weißt nicht, was ich weiß.« –

Diese ernste, liebevolle Stimme war für Helenens Sorge und Kummer Wiegengesang. Sie hatte ein so unbegrenztes Vertrauen zu ihrer Mutter, ja eine so tiefe Scheu vor dem Dämon in der alten Frau, daß sie ihr unbedingt folgte, und ihr gegenüber gern keinen eigenen Willen haben wollte.

Sie wagte es nicht, die Mutter zu bitten, die abendlichen Besuche auf dem Kirchhofe einzustellen, obgleich sie sah, daß die Kräfte derselben täglich schwanden; sie wagte nur, sie bittend anzusehen. Die küßte sie und sprach: »laß mich, Kind! der Leib muß wieder zu Staub werden, aus dem er genommen ist; der Geist kommt zu Gott, der ihn gegeben hat, und Gott ist ewig.«

Georg war in dieser Zeit fast vom ersten Vogelzwitschern bis zum Nachtthau draußen in Wald und Feld. Er vermied es, mit Helene allein zu sein, und scheute zurück vor der Mutter festem Auge. Es war ihm öfters, als müßte er Helene zu Füßen fallen, und ihr Alles abbitten – er wußte selbst nicht, was; und als würde es ihn unendlich erleichtern, wenn er in den Schooß der guten alten Frau seinen Kopf legen, und sich ausweinen könnte, wie er oft als Knabe gethan, wenn er sie in der stürmischen Heftigkeit seines Wesens gekränkt hatte. Er horchte in seiner Noth, ob nicht die treue Freundesstimme seines Lords erschallen würde; aber sie war stumm, die sonst so vernehmlich in ihm gesprochen hatte – die Stimme des Predigers verhallte ungehört in der Wüste seines Daseins. Desto deutlicher hörte er Lady Vere's klangreiche, weiche Stimme; desto leuchtender strahlte ihr dunkles Auge in seine Nacht.

Er hatte früher in dem Zusammensein mit dem schönen Weibe eigentlich nur immer ihren herrlichen Kopf bewundert, und er würde, wenn er von ihr ging, nicht gewußt haben, welche Farbe ihr Kleid gehabt. – Jetzt sprang plötzlich ihr ganzes Bild mit einer Klarheit in ihm hervor, die ihn entzückte und erschreckte – er sah ihre weißen Arme, das Spiel ihrer feinen, wohlgeformten Hände, er sah die ganze Gestalt in der reizenden Fülle ihrer schlanken Schönheit, und seine aufgeregte Sinnlichkeit trübte den reinen Idealismus seiner früheren Bewunderung.


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