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XXI.

Es würde unmöglich sein, die Empfindungen und Gedanken zu schildern, die die Lesung dieses Manuscripts, in Georg hervorrief. –

Darin hatte Lord Vere Recht: Georg konnte nicht ihn jetzt mehr lieben und verehren, als er es schon vorher gethan; aber unendlich Vieles in dem Verhältnisse mit seinem Vater erhielt durch diese Entdeckung ein neues Licht und eine andere Bedeutung. – Und seine Mutter! seine holde Mutter! Er stand leise auf und holte das Bild und stellte es vor sich – es lächelte ihn so unsäglich liebevoll an; – Georg weinte wie ein Kind, dem die Mutter nach Hause kommt, nach der es sich so lange gesehnt; – er küßte es mit Inbrunst, wie der Verbannte, der aus fremden Landen zur Heimath kehrt, den Boden seiner Muttererde küßt. – Er trat vor seines Vaters ernstes, gedankenvolles Bild. Es war ihm, als hätte er ihn doch noch nicht genug geliebt, als hätte er ihm noch manche Freude mehr bereiten können.

Aber welchen guten Menschen ergreift diese Empfindung nicht, wenn sein Auge in die vergangene Zeit zurückblickt; wenn er an die Herzen denkt, die einst so warm schlugen, und nun still stehen; an die Augen, die so liebevoll auf ihn blickten, und die nun geschlossen sind auf immer?

Es ist dies eine Reue, die dem guten Menschen so natürlich ist, und die ihn so wohl kleidet. –

Draußen war es so still, so feierlich, – der rothe Abendschein lag warm auf der Landschaft – die hohen Wipfel der Tannen regte kein Hauch; es war, als wollten sie den Sohn nicht stören in seiner Andacht, als beteten sie mit ihm. –

Laß die Todten ruhen! sie bedürfen deiner Liebe nicht mehr! es sind die Lebenden, die darauf Anspruch haben. Wenn du glaubst, noch in der Schuld zu sein, – und du mußt am besten wissen, wie tief du in der Schuld bist – zahle sie den Herzen, die noch schlagen: auf sie lautet jetzt der Schuldschein; – die Lebenden sind die Erben der Todten! –

Georg breitete die Arme aus: er hätte die ganze Welt an sein Herz drücken mögen. – Wohl hattest Du recht, alter Vater; das war nicht Ahnenstolz, was aus diesen Augen blitzte; – das war das gute warme Menschenblut, das in dem Jüngling überwallte, als er jetzt mit hochpochendem Herzen, mit gerötheten Wangen, erregt in dem Gemache auf- und abschritt. Lord Vere de Vere! –

O, wie so klein sie ihm erschienen diese Eitelkeiten der Menschen! wie er hinwegschritt über diese Schranken, die der Mensch errichtet, dort unten in jenen dumpfen Thälern des Unverstandes und der Engherzigkeit. Sie ragten nicht hinan zu den Höhen, auf denen er wandelte, ein Sohn des Lichts. Hatte er je Helene geliebt, so war es in diesem Augenblicke: sie war das milde Abendroth, das in den Tannenwipfeln spielte. –

Hatte er je Clara Vere angebetet, so war es in diesem Augenblicke: sie war die Sonne, die hinter die Bergesgipfel strahlend und herrlich sank. Sie war seine Sonne, sein Licht!

Was war ihm Lady Vere! – sie war das schöne, geistvolle Weib, die Krone der Schöpfung. – Sie, die so die wahre Liebe verherrlichen konnte, sollte die nicht wahre Liebe fühlen können? – so weiß die Priesterin auch nichts von der Göttin, an deren Altar sie opfert, deren Herrlichkeit sie mit flammendem Auge der anbetenden Menge verkündet! – Hatte sie ihm nicht ihre Liebe gestanden? – reden Blicke nicht? hat der Ton keine Bedeutung? – sollte er warten, bis sie sagte: ich liebe Dich! Dich, Georg! – hast Du Ohren, Georg, und hörst nicht? – hast Du Augen, Georg, und siehst nicht? – Nein dieses Weib konnte nicht klein, nicht niedrig denken!

Was wußte die alte Margareth von ihrem wahren Wesen! Margareth, die der Gram um Gatte und Sohn verdüstert hatte; der ein ungerechter Verdacht das Auge trübte! – Was wußte Helene, die gute, süße, von ihrer stolzeren Schwester! was weiß das Veilchen von der Rose? die Lerche von der Nachtigall? – Und wenn sie Lorenz wirklich zurückgewiesen – was kann das Licht dafür, daß es die Motte verbrennt? was die Sonne dafür, daß das Gras verdorrt, und die Blume verwelkt? sie war stolz, weil sie sich fühlte und fühlen durfte; sie war stolz, wie der Berggipfel, der in die Wolken ragt, hoch ist über dem Hügel – der Berggipfel sieht nicht herab auf seine Brüder! – Sie war stolz! war er es nicht? – Die Liebe ist nicht feil! wer sie haben will, muß sein bestes Wesen daran setzen: – hatte er sich Clara Vere je ebenbürtig gefühlt, so war es jetzt. –

Er stand in der Balkonthür, und schaute trunkenen Blicks in die scheidende Sonne. Es rauschte hinter ihm; er wandte sich um: Lady Vere stand vor ihm. –

Er war nicht verwundert, – das war ja so natürlich! es war ihm, als ob er noch in die Sonne schaute – sie war ja seine Sonne! – Er redete und wußte kaum, daß er sprach: – das innere Bild war verkörpert – der Gedanke wurde Wort. –

Es war ein wundersamer Anblick, wie sie vor dem beredten Jünglinge stand, diese schlanke, hohe Gestalt; – wie sie sich leicht vornüber neigte, wie Jemand, der eine schöne Musik deutlicher hören, ein herrliches Gemälde genauer betrachten will. Was war das für ein Licht, das in diesen dunklen Augen aufflammte? war es Zärtlichkeit, war es Triumph? war es beides? – was war das für eine Regung, die ihre feinen Nasenflügel zucken machte? sog sie mit Wollust den Opferduft ein, lag er endlich zu ihren Füßen? kniete er endlich an ihrem Altar? –

Georg schwieg; er hatte sich ihr zu Füßen geworfen: der Mensch knieet so willig, wenn er liebt.

Wie die Saaten sich beugen vor dem Winde des Himmels, der über sie hinfährt, so beugen sich des Menschen Kniee, wenn im Sturm seiner Leidenschaft Gottes Odem ihn anhaucht. Er schwieg: er sah zu ihr auf, ihrer Antwort harrend; sein Antlitz leuchtete, seine innerste Seele schwebte sichtbar um ihn. – O, wie schön er war! War dein künstlerisches Auge befriedigt, Clara Vere? – war Apoll vom Piedestal herabgestiegen, und betete vor dir an, Clara Vere?

Sie blickte ihn an; in ihren Augen strahlte ein fast unerträglicher Glanz; sie neigte sich noch näher zu ihm; er fühlte ihren Athem über sein Gesicht wehen; sie flüsterte ihm in ihrem weichsten, einschmeichelndsten Tone die Worte Julia's zu: »Du weißt, ein Heil'ger pflegt sich nicht zu regen, auch wenn er eine Bitte zugesteht.«

Georg sprang auf; er breitete die Arme aus, die Geliebte an sein Herz zu drücken: Lady Vere stieß ihn wild zurück – sein Auge folgte dem ihren: der Herzog von Arlington stand vor ihnen.

Die Röthe des Zorns lag auf seiner schmalen Stirn. Sein Auge schweifte von Clara Vere auf Georg – nur einen Augenblick.

»Ist der Mensch toll?«

»Ich glaube, Mylord!«

»Erlauben Sie, daß ich Sie vor den Beleidigungen dieses Rasenden schütze;« sagte der Herzog sehr ruhig; – und ihr den Arm bietend führte er sie, ohne Georg weiter eines Blicks zu würdigen, aus dem Saale.


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