Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundvierzigstes Kapitel.

Zu keiner Zeit seines Lebens, selbst als dieses in bedeutender Gefahr war, schien die natürliche Fröhlichkeit Carls mehr umwölkt zu sein, als da er auf die Zurückkunft Chiffinchs mit dem Herzog von Buckingham wartete. Sein Gemüth empörte sich gegen den Gedanken, daß der Mann, gegen den er so besonders nachsichtig gewesen war, und den er zum Freunde seiner freieren Stunden und Unterhaltungen erwählt hatte, fähig gewesen sein sollte, sich mit einem Anschlage zu befassen, der, wie es schien, gegen seine Freiheit und sein Leben gerichtet war. Er verhörte den Zwerg mehr als einmal auf's Neue, konnte aber nichts mehr herausbringen, als was seine erste Erzählung enthielt. Die Erscheinung des Frauenzimmers schilderte er mit solchen phantastischen und romantischen Farben, daß der König nicht umhin konnte, den Kopf des armen Mannes für verwirrt zu halten; und da in der Pauke und in den übrigen für das Corps der fremden Musiker des Herzogs hergebrachten Instrumenten nichts gefunden wurde, so nährte er einige Hoffnung, daß der ganze Plan entweder ein bloßer Scherz sein, oder der Gedanke einer wirklichen Verschwörung auf einem Irrthum beruhen möchte.

Während von außen mancherlei Gerüchte umherliefen, und ihr Gehalt von dem Könige und von den Edlen und Staatsmännern, mit denen er sich bei dieser Gelegenheit zu berathen gut fand, geprüft wurde, mischte sich eine allmählige Unruhe und Besorgniß in die Fröhlichkeit des Abends, und machte sie endlich verstummen. Alle bemerkten, daß etwas Ungewöhnliches vorging; und die ungewohnte Entfernung, in der sich Carl von seinen Gästen hielt, vermehrte den Mißmuth, und verrieth, daß etwas Ungewöhnliches den Geist des Königs in Bewegung setzte.

So wurden die Spieltische verlassen – die Musik schwieg, oder fand keine Zuhörer – die jungen Herren hörten auf, den Damen Höflichkeiten zu sagen, und diese, sie zu erwarten; und eine furchtsame Neugierde verbreitete sich in der Gesellschaft. Die Einen fragten die Andern, warum sie so ernsthaft wären, ohne daß Antwort erfolgte.

So war der Zustand des Hofes, als man draußen Räder rasseln hörte, und das entstehende Geräusch die Ankunft einer Person von Bedeutung ankündigte.

»Hier kommt Chiffinch,« sagte der König, »mit seiner Beute in den Klauen.«

Es war wirklich der Herzog von Buckingham; auch nahete er dem König nicht ohne innere Bewegung. Bei dem Eintritte in den Hof schimmerten die Wachsfackeln, welche um den Wagen herum getragen wurden, auf die Scharlachkleider, Tressenhüte und gezogenen Schwerter der Leibwache zu Pferde – ein ungewöhnlicher Anblick, der wohl einem Gewissen Schrecken einjagen konnte, das nicht das unbescholtenste war.

Der König stand in der Mitte des Zimmers, umgeben von den Personen, mit denen er berathschlagt hatte. Der übrige Theil der glänzenden Gesellschaft sah, in Gruppen zerstreut, in einiger Entfernung zu. Alle schwiegen, als Buckingham eintrat, in Hoffnung, einige Auskunft über die Geheimnisse des Abends zu erhalten. Alle beugten sich vorwärts, ob ihnen gleich die Hofsitte verbot, sich zu nähern, um, wo möglich, Etwas aufzufangen, was zwischen dem Könige und dem Herzoge vorgehen würde. Zu derselben Zeit zogen sich die Räthe, die um Carl standen, auf jeder Seite zurück, damit der Herzog Sr. Majestät in der üblichen Form seine Ehrfurcht bezeigen könnte. Er vollzog das Ceremoniell mit seiner gewohnten Anmuth, ward aber von Carl mit ungewohntem Ernste empfangen.

»Wir haben lange auf Euch gewartet, Herr Herzog. Ich sehe, Ihr seid sehr sorgfältig gekleidet. Dieß war bei der gegenwärtigen Gelegenheit nicht nöthig. Wir wünschten Ew. Durchlaucht über die Bedeutung einer Maskerade zu befragen, welche Ihr uns hier geben wolltet, die aber, wie wir hören, mißlungen ist.«

»Sie muß in der That ganz mißlungen sein,« sagte der Herzog, »weil Ew. Majestät so ernsthaft dabei aussehen. Ich glaubte Ew. Majestät (da ich Euch immer zum Geschmack an solchen Unterhaltungen herablassen gesehen habe) ein Vergnügen zu machen, aber ich fürchte, der Scherz ist nicht angenehm gewesen – ich fürchte, die Feuerwerke haben Unglück angerichtet.«

»Nicht das Unglück, zu dem sie vielleicht bestimmt waren,« sagte der König ernsthaft; »wie Ihr sehet, mein Herzog, sind wir Alle am Leben und unversengt.«

»Lange mögen Ew. Majestät so bleiben,« sagte der Herzog; »doch ich sehe, daß mir hier Etwas übel ausgelegt worden sein muß – es muß eine unverzeihliche, wenn auch noch so wenig beabsichtigte, Sache sein, weil sie einem so nachsichtsvollen Herrn mißfallen hat.«

»Einem zu nachsichtsvollen Herrn allerdings, Buckingham,« erwiederte der König; »und die Frucht meiner Nachsicht ist gewesen, treu ergebene Männer in Verräther zu verwandeln.«

»Ew. Majestät, ich kann dieß nicht verstehen,« sagte der Herzog.

»Folgt uns, Herr Herzog,« antwortete Carl, »und wir wollen Euch unsre Meinung zu erklären suchen.«

Begleitet von den nämlichen Räthen, die um ihn standen, nebst dem Herzog von Buckingham, auf den alle Augen geheftet waren, begab sich Carl in dasselbe Kabinet, wo die wiederholten Berathschlagungen im Verlaufe dieses Abends waren gehalten worden. Hier lehnte er sich mit kreuzweise über einander geschlagenen Armen an den Rücken eines Armstuhls, und fing nun an, den Verdächtigen zu verhören.

»Laßt uns offen gegen einander sein. Redet frei, Buckingham. Mit einem Wort, was war es für eine Unterhaltung, die Ihr uns diesen Abend zugedacht hattet?«

»Ein geringes Maskenspiel, Ew Majestät. Ich hatte beschlossen, eine kleine Tänzerin aus dem Instrumente kommen zu lassen, die, wie ich glaubte, mit ihrer Geschicklichkeit Ew. Majestät vergnügt haben würde – auch waren einige chinesische Feuerwerke dabei. Ich hoffe, es werden durch meinen übel ausgedachten Scherz keine Perücken versengt – keine Damen erschreckt – keine Hoffnungen einer edlen Abkunft gestört worden sein?«

»Wir haben keine solchen Feuerwerke gesehen, mein Herzog, und Eure Tänzerin, von der wir jetzt zum ersten Mal hören, kam in der Gestalt unsers alten Bekannten Gottfried Hudson hervor, bei dem die Tage des Tanzens sicherlich zu Ende sind.«

»Euer Majestät setzen mich in Erstaunen! Ich ersuche Euch, lasset nach Christian schicken. – So wahr ich lebe, Euer Majestät, ich trug ihm die Veranstaltung dieser Sache auf, da ihm wirklich die junge Tänzerin angehört. Wenn er Etwas zur Schändung meines Plans oder zur Beeinträchtigung meines Charakters gethan hat, so soll er unter Stockschlägen seinen Tod finden.«

»Es ist sonderbar,« sagte der König, »und ich hab' es oft bemerkt, daß dieser Christian die Schuld von den Verbrechen aller Menschen trägt – er spielt die Rolle, die in einer großen Familie gewöhnlich jener Unheil stiftenden Person, Niemand genannt, zugetheilt wird. Wenn Chiffinch Etwas versieht, schiebt er es allemal auf Christian. Wenn Sheffield ein Pasquill schreibt, so bin ich gewiß zu hören, daß es Christian verbessert, oder abgeschrieben, oder verbreitet habe – er ist der Sühnbock, der alle ihre Ungerechtigkeiten wegtragen soll; und er wird eine grausame Last in die Wüste zu tragen haben. Aber für Buckinghams Sünden insbesondere ist er der regelmäßige Bürge, und ich bin überzeugt, Euer Durchlaucht erwarten, Christian soll jede Buße leiden, in die er in dieser oder in der künftigen Welt verfallen ist.«

»Dieß ist nicht der Fall,« erwiederte der Herzog mit der tiefsten Verbeugung. »Ich habe keine Hoffnung, durch Stellvertretung gehängt oder verdammt zu werden; aber es ist klar, es hat irgend Jemand sich an meinem Einfall vergriffen oder ihn verändert. Wenn ich wegen Etwas angeklagt werde, so lasset mich wenigstens die Beschuldigung hören und meinen Kläger sehen.«

»Das ist nicht mehr, als billig,« sagte der König. »Bringt unsern kleinen Freund hinter dem Kaminschirm hervor.« – Nachdem Hudson hervor geführt war, fuhr Carl fort. »Hier steht der Herzog von Buckingham. Wiederholt ihm, was Ihr uns erzählt habt. Laßt ihn hören, worin der Inhalt der Baßgeige bestand, dessen Stelle Ihr einnahmet, fürchtet Euch vor Niemanden, sondern sagt die Wahrheit dreist heraus.«

»Erlauben Euer Majestät,« sagte Hudson, »Furcht ist Etwas, das ich nicht kenne.«

»Sein Körper hat keinen Raum für eine solche Leidenschaft, oder er ist zu klein, als daß er verdiente, für ihn besorgt zu sein,« sagte Buckingham. – »Doch laßt ihn sprechen.«

Ehe Hudson seine Erzählung beendigt hatte, unterbrach ihn Buckingham mit dem Ausruf: »Ist es möglich, daß ich bei Euer Majestät auf das Wort dieses armseligen Wichts in Verdacht komme?«

»Schändlicher Lord, ich fordere Euch zum Zweikampf!« sagte der kleine Mann, hoch entrüstet über die ihm gegebene Benennung.

»Ei ja, seht einmal an!« sprach der Herzog. – »Das kleine Thier ist ganz verrückt, und trotzt einem Mann, der keine andre Waffe braucht, als eine große Stecknadel, um ihm die Lungen zu durchbohren, und der ihn mit einem einzigen Fußstoße ohne Jachtschiff oder Boot von Dover nach Calais schleudern könnte. Und zugegeben, daß die Sache nicht boshaft von ihm erfunden sei, was würde seine Aussage weiter bedeuten? Daß er Raketen und chinesische Schwärmer für Waffen angesehen hat! Er sagt nicht, daß er selbst sie angerührt oder in die Hand genommen habe; und, nach dem bloßen Anblick zu urtheilen, so frag' ich, ob das alte schwache Geschöpf, wann ihm eine Grille oder ein Vorurtheil den Schädel eingenommen hat, im Stande ist, eine Muskete von einer Blutwurst zu unterscheiden?«

Das Geschrei, das der Zwerg bei diesem Spott erhob, und die Grimassen, mit denen er seine Erzählung zu bekräftigen suchte, reizten nicht nur den König, sondern auch die anwesenden Staatsmänner zum Lachen, und machten den Auftritt noch abenteuerlicher. Der König endigte diesen Streit, indem er den Zwerg hinweg zu bringen befahl.

In diesem Augenblick wurden die beiden Peveril gemeldet, und in das königliche Audienzzimmer beschieden.

Sie hatten den königlichen Befehl in einem höchst interessanten Augenblick erhalten. Nachdem sie von dem presbyterianischen Aeltesten Bridgenorth, auf die Art und unter den Bedingungen, welche die Leser aus der Unterredung des letztern mit Christian werden abgenommen haben, ihrer Haft waren entlassen worden, erreichten sie die Wohnung der Lady Peveril, welche sie mit einer Freude, in die sich Furcht und Ungewißheit mischten, erwartete. Die Nachricht von ihrer Befreiung hatte sie durch den treuen Launce erhalten; aber ihr Gemüth war seitdem durch ihr langes Außenbleiben und die Gerüchte von den auf der Fleetstraße und am Strand vorgefallenen Unruhen beängstigt worden.

Als das erste Entzücken des Wiedersehens vorüber war, sagte Lady Peveril, mit einem unruhigen Blick auf ihren Sohn, als wenn sie ihm Vorsicht anempföhle, daß sie nun im Begriff wäre, ihm die Tochter eines alten Freundes vorzustellen, den er nie (sie legte einen Nachdruck auf dieses Wort) zuvor gesehen hätte. »Dieses junge Frauenzimmer,« fuhr sie fort, »ist das einzige Kind des Oberst Mitford in Nord-Wales, der sie hieher geschickt hat, um einige Zeit unter meiner Aufsicht zu bleiben, da er sich selbst unfähig findet, ihre Erziehung zu übernehmen.«

»Ja, ja,« sagte der Ritter Gottfried, »Richard Mitford muß nun alt sein – über die siebzig, sollt' ich glauben. Er war kein Jüngling mehr, als er mit zweihundert wilden Wallisern zum Marquis von Hertford bei Namptwich stieß. – Bei Georg, Julian, ich liebe das Mädchen, als wenn sie mein eignes Fleisch und Blut wäre! Ohne sie würde Lady Peveril nie durch diese Noth hindurch gekommen sein; und Richard Mitford schickte mir noch dazu eintausend Pfund zu herrlicher Zeit, als es kaum ein Kreuz gab, den Teufel vom Tanzen in unsern Taschen abzuhalten, viel weniger für diese Gerichtssachen. Ich gebrauchte das Geld ohne Bedenken; denn es gibt Holz genug zu fällen in Martindale, wenn wir wieder dort sein werden, und Richard Mitford weiß, ich hätte dasselbe für ihn gethan. Sonderbar, daß er der einzige meiner Freunde sein mußte, der daran dachte, daß ich einige Pfund brauchen möchte.«

Während der Ritter Peveril sich so ausließ, erfolgte die Annäherung zwischen Alexien und Julian Peveril, ohne eine besondere Bemerkung von seiner Seite, ausgenommen, daß er sagte: »Küsse sie, Julian – küsse sie. – Was zum Teufel, ist das die Manier, die du auf der Insel Man lerntest, dich einer Dame zu nähern, als wenn ihre Lippen ein glühendes Hufeisen wären? – Nehmet es nicht übel, meine Schöne; Julian ist von Natur schüchtern, und ist bei einer alten Dame auferzogen worden; aber Ihr werdet ihn in Kurzem so galant finden, als mich. – Und nun, Frau Peveril, zum Mittagsessen, zum Mittagsessen! – Der alte Fuchs muß sein Futter haben, obgleich die Hunde den ganzen Tag hinter ihm her gewesen sind.«

Launce besorgte ein einfaches, aber kräftiges Mahl aus der nächsten Garküche, und Julian saß dabei, wie ein Bezauberter, zwischen seiner Geliebten und seiner Mutter. Er begriff nun leicht, daß die letztere die vertraute Freundin war, welcher Bridgenorth am Ende die Aufsicht über seine Tochter übergeben hatte; und ihn beunruhigte jetzt nur noch die Störung, die er als wahrscheinlich bevorstehend befürchtete, sobald die wahre Verwandtschaft des Mädchens seinem Vater bekannt würde. Noch während des Mahls erschien ein Herr, der den Befehl des Königs brachte, daß der Ritter unverzüglich zur Audienz in Whitehall erscheinen und seinen Sohn mitbringen möchte.

Lady Peveril war bestürzt, und Alexie erblaßte; aber der Ritter, der nie mehr sah, als was gerade vor ihm lag, schrieb den Befehl des Königs seinem unruhigen Verlangen zu, ihm zu seiner Befreiung Glück zu wünschen; eine Theilnahme von Seiten seiner Majestät, die er keineswegs für übertrieben ansah, weil er sich bewußt war, daß sie von seiner Seite gleichmäßig erwiedert wurde. Dieser Befehl kam ihm allerdings mit desto froherer Ueberraschung, da er, ehe er den Gerichtshof verließ, einen vorläufigen Wink erhalten hatte, daß er klüglich handeln würde, erst nach Martindale zu gehen, ehe er sich am Hofe vorstellte – eine Beschränkung, die er den Gesinnungen seiner Majestät eben so sehr, als seinen eigenen widerstreitend fand.

Während er mit Launce über die Politur seines Ledergürtels und seines Degengefäßes berathschlagte, hatte Lady Peveril Gelegenheit, Julian genauer davon zu unterrichten, daß Alexie in ihres Vaters Auftrage und mit Einwilligung in ihre Verbindung, wenn sie in's Werk gesetzt werden könnte, unter ihrer Aufsicht stände. Sie setzte hinzu, sie wäre entschlossen, die Vermittlung der Gräfin von Derby zu Hülfe zu nehmen, um die Schwierigkeiten zu besiegen, die sich von Seiten des Ritters Gottfried vorhersehen ließen.



 << zurück weiter >>