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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Indem wir Peveril im Tower zurücklassen, müssen wir unsere Leser noch einmal zu dem Lever des Herzogs führen, der an dem Morgen, da Julian nach jener Festung gebracht wurde, seinen persönlichen und vornehmsten Diener also anredete: »Ich bin so sehr mit Eurem Verhalten in dieser Sache zufrieden gewesen, Jerningham, daß wenn der böse Feind selbst in unserer Gegenwart aufstände, und mir sein bestes Teufelchen zum Hausgeist an Eure Stelle anböte, ich es nur für ein armseliges Compliment ansehen würde.«

»Eine Legion Teufelchen,« sagte Jerningham sich verbeugend, »hätte nicht geschäftiger zu Ew. Durchlaucht Diensten sein können; wenn mir aber Ew. Durchlaucht es zu sagen verstatten, Euer ganzer Plan wäre beinahe dadurch verdorben worden, daß Ihr nicht eher, als letzte Nacht oder vielmehr diesen Morgen, nach Hause kamet.«

»Und warum, sagt an, weiser Meister Jerningham,« sagte seine Durchlaucht, »sollt' ich einen Augenblick früher zurückkommen, als es zu meinem Vergnügen und meiner Absicht diente?«

»Nein, mein gnädiger Herzog,« erwiederte Jerningham, »das weiß ich nicht; nur, als Ihr uns durch Empson in Chiffinch's Hause den Befehl wissen ließet, uns des Mädchens um jeden Preis und auf alle Gefahr zu bemächtigen, sagtet Ihr, Ihr würdet hier sein, so bald Ihr von dem Könige Euch frei machen könntet.«

»Frei machen vom Könige, Ihr Schurke! Was ist das für ein Ausdruck?« fragte der Herzog.

»Es war Empson, der ihn gebrauchte, gnädiger Herr, als wenn er von Eurer Durchlaucht käme.«

»Es gibt sehr Vieles, was meiner Durchlaucht zu sagen ansteht, aber sich sehr schlecht schickt, von seinem oder Eurem Munde wiederholt zu werden,« antwortete der Herzog mit Stolz; doch nahm er sogleich wieder seinen vertraulichen Ton an.

»Ich habe die Herzogin von Portsmouth gesehen,« fuhr er fort. »Ihr stutzt? – es ist wahr, beim Himmel! Ich habe sie gesehen, und aus geschwornen Feinden sind wir geschworne Freunde geworden. Der Tractat zwischen so hohen und gewaltigen Mächten hat einige wichtige Artikel, außerdem hatt' ich mit einem französischen Unterhändler zu thun, und so werdet Ihr zugeben, eine Abwesenheit von wenigen Stunden war nur ein nothwendiger Zeitraum, unsere diplomatischen Geschäfte in Richtigkeit zu bringen.«

»Euer Durchlaucht setzen mich in Erstaunen,« sagte Jerningham. »Christians Plan, die große Dame zu verdrängen, ist also gänzlich aufgegeben? Ich glaubte, Ihr hättet die schöne Nachfolgerin nur deßhalb hier zu haben gewünscht, um diesen Plan unter Eurer eignen Leitung zu betreiben.«

»Ich vergesse, was ich damals wollte,« sagte der Herzog, »außer daß ich entschlossen war, sie sollte mich nicht so äffen, wie den gutmüthigen Mann des Königthums: und so bin ich immer noch entschlossen, seitdem Ihr mir die schöne Dulcibella in den Sinn brachtet. Aber ich bekam eine reuige Zuschrift von der Herzogin, während wir bei dem Mailspiel waren. Ich ging, sie zu besuchen, und fand eine vollkommene Niobe. – Bei meinem Leben, trotz den rothen Augen und aufgetriebenen Gesichtszügen, und zerstreuten Haaren, Jerningham, gibt es gewisse Weiber, die, wie die Dichter sagen, in Betrübniß liebenswürdig aussehen. Die Sache kam heraus, und mit solcher Demuth, solcher Reue, solcher Ergebung auf meine Gnade, daß ich ein Herz von Stahl gehabt haben müßte, um dem allen zu widerstehen. Kurz, Chiffinch hat in einem Rausch den Schwätzer gemacht, und den jungen Saville in unsere Intrigue blicken lassen. Saville spielt den Schurken, und unterrichtet die Herzogin durch einen Boten, der glücklicherweise ein wenig zu spät auf den Markt kam. Sie erfuhr auch, als ein wahrer Teufel im Ausspähen, daß es über diese neue Phyllis zwischen dem Herrn und mir einige Mißhelligkeit gegeben hätte, und daß ich wahrscheinlich den Vogel fangen würde – wie Jeder sehen kann, der uns Beide ansieht. Es muß Empson gewesen sein, der dieß Alles der Herzogin gebeichtet hat; und in der Meinung, sie sähe, wie ihre herzogliche Gnaden und ich zusammen jagen könnten, bittet sie mich, Christian's Plan zu vereiteln, und das Mädchen von den Augen des Königs entfernt zu halten, besonders wenn sie so ein seltenes Stück von Vollkommenheit wäre, als der Ruf von ihr verbreitet hätte.«

»Und Eure Durchlaucht haben ihr Eure Hand versprochen, die Macht zu unterstützen, die Ihr so oft zu zerstören gedroht habt,« sprach Jerningham.

»Ja, Jerningham, mir war es eben so vortheilhaft, als sie sich in meiner Gewalt zu bekennen schien, und meine Gnade anrief.«

»Und Christian?« sagte Jerningham.

»Mag als ein eingebildeter Esel zum Teufel gehen. Eine Lust an diesem Gewirre der Intrigue ist, mich an diesem Buben zu rächen, der sich für so unentbehrlich hielt, daß er beim Himmel sich in meine Vertraulichkeit eindrängte, und mir Lehren gab, wie einem Schulknaben. – Hört, ist der Oberst gekommen?«

»Ich erwarte ihn alle Augenblicke, Euer Durchlaucht.«

»Schickt ihn herauf, wann er ankommt,« sagte der Herzog. »Was steht Ihr da, und seht mich an? Was wollt Ihr von mir?«

»Euer Durchlaucht Befehl in Ansehung der jungen Dame,« sagte Jerningham.

»Potz tausend,« sagte der Herzog, »ich hatte sie ganz vergessen. – Ist sie sehr zum Weinen geneigt? – außerordentlich betrübt?«

»Sie benimmt sich nicht so heftig, als ich an andern gesehen habe,« antwortete Jerningham, »aber in einem starken, festen, tiefgefühlten Unwillen kenne ich keine, die ihr gleichkommt.«

»Gut, wir wollen sie sich abkühlen lassen. Ich will nicht der Betrübniß einer zweiten Schönen sogleich in's Gesicht sehen. Ich bin des Schluchzens und der geschwollenen Augen und aufgetriebenen Wangen auf einige Zeit müde, und muß überdieß mit meinen Gaben, zu trösten, Haus halten. Geht und schickt den Obersten.«

Als er das Zimmer verließ, traf er oben an der großen Treppe Christian selbst, der, sich der Freiheit eines alten Hausfreundes bedienend, unangemeldet nach des Herzogs Ankleidezimmer den Weg nahm. Jerningham, vermuthend, daß sein Besuch bei diesen kritischen Umständen nichts weniger als gelegen oder passend sein möchte, suchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen, und gab vor, der Herzog sei nicht recht wohl und in seinem Schlafzimmer, und dieß sagte er so laut, daß ihn sein Herr hören, und wenn es ihm gefiel, die in seinem Namen gemachte Entschuldigung dadurch bestätigen möchte, daß er sich in's Schlafzimmer, als seine letzte Freistätte, zurückzöge, und gegen Zudringlichkeit den Riegel vorschöbe.

Aber weit davon, rief Buckingham aus seinem Ankleidezimmer mit lauter Stimme seinem Kammerdiener den Befehl zu, seinen guten Freund, Herrn Christian, sogleich hereinzuführen.

Dieß that er denn, und stellte sich in solcher Entfernung vor die Thüre, daß er das Gespräch behorchen konnte.

Nach den gewöhnlichen Einleitungs-Komplimenten theilte der Herzog Christian die Nachricht mit, daß seine Nichte, Alexie, in Begleitung Julian Peveril's Chiffinch's Haus verlassen habe.

»Ich glaube Euch, Euer Durchlaucht,« sagte Christian erstaunt, »ich muß Euch glauben. Aber sagt mir, welchen Weg nahmen sie?«

»Nach Derbyshire, sollt' ich glauben, um ihren Vater aufzusuchen,« sprach der Herzog. »Sie sagte, sie wollte sich in den väterlichen Schutz begeben, statt des Eurigen, Herr Christian. Bei Chiffinchens wäre etwas vorgefallen, das ihr Anlaß zum Argwohn gäbe, Ihr hättet nicht ganz auf die Art, die ihr Vater wahrscheinlich gut heißen würde, für seine Tochter gesorgt.«

»Nun, der Himmel sei gepriesen,« sagte Christian, »sie weiß nicht, daß ihr Vater nach London gekommen ist! Und sie müssen entweder auf das Schloß Martindale, oder nach Moultrassie-Hall gegangen sein; in jedem Falle sind sie in meiner Gewalt – Ich muß ihnen auf dem Fuße nachfolgen – ich will unverzüglich nach Derbyshire zurück – ich bin verloren, wenn sie ihren Vater trifft, ehe diese Fehler gut gemacht sind. Adieu, mein gnädiger Herzog.«

»Ich wünsche Euch allen glücklichen Erfolg,« sprach der Herzog. »Kann ich Euch mit Leuten, oder Pferden, oder mit Geld behülflich sein?«

»Ich danke Euer Durchlaucht,« sagte Christian, und verließ eilig das Zimmer wieder.

Der Herzog wartete, bis man seine Tritte nicht mehr hörte, und rief dann dem hereintretenden Jerningham zu: » Victoria! Victoria! magna est veritas et praevalebit Triumph! Triumph! Groß ist die Wahrheit, und sie wird siegen.. Hätt' ich dem Schurken ein Wort von einer Lüge gesagt, er ist so vertraut mit allen Wohnsitzen der Falschheit – sein ganzes Leben ist so ein entschiedener Betrug gewesen, daß ich den Augenblick entdeckt worden wäre; aber ich sagte ihm die Wahrheit, und das war das einzige Mittel, ihn zu betrügen. Victoria! mein theurer Jerningham, ich bin stolzer darauf, Christian zu überlisten, als ich gewesen sein würde, einen Staatsminister zu hintergehen.«

Indem der Herzog noch sprach, wurde der Oberste, nachdem er zu wiederholten Malen gefragt hatte, von einem Herrn seines Hofstaats angemeldet. »Er begegnete doch Christian nicht?« fragte der Herzog hastig.

»Nein, Eure Durchlaucht,« antwortete der Kammerdiener. »Der Oberst kam die alte Gartentreppe herauf.«

»Das glaub' ich wohl,« sagte der Herzog; »es ist eine Eule, die nicht bei Tageslicht fliegen will, wenn es noch ein Gebüsch gibt, darunter hin zu schlüpfen.«

Der Oberst trat nun in's Zimmer. Er war lang, stark gebaut, über das mittlere Alter hinaus, und sein Ansehen konnte, die trübe Wolke, die darauf lag, ausgenommen, für hübsch gelten. Während der Herzog mit ihm sprach, schlug er, entweder aus Demuth, oder aus einer andern Ursache, sein großes ernstes Auge nieder; aber er erhob es, wenn er antwortete, mit einem scharfen Blick eifriger Beobachtung. Seine Kleidung war sehr einfach, und mehr jener der Puritaner, als der Ritter seiner Zeit ähnlich; ein schattiger schwarzer Hut, gleich dem spanischen Sombrero, ein großer schwarzer Mantel und ein langes Schwert gaben ihm in etwas das Ansehen eines Castilianers, welches die Gravität und die Geradheit seines Benehmens beträchtlich verstärkten.

»Willkommen, Oberst,« sagte der Herzog, »wir sind lange einander fremd gewesen – wie ist es Euch gegangen?«

»Wie andern Männern von Thätigkeit in ruhigen Zeiten,« antwortete der Oberst.

»Wohlan, Oberst,« sagte der Herzog, »ich habe mich Eurer Tapferkeit vormals bedient, und ich kann es wieder thun. Ihr kennt Christian?«

»Ja wohl, gnädiger Herr,« erwiederte der Oberst; »wir sind lange mit einander bekannt gewesen.«

»Er ist im Begriff, nach Derbyshire zu gehen, um eine gewisse Nichte von seiner Familie aufzusuchen, die er schwerlich dort finden wird. Ich verlasse mich auf Eure erprobte Freundschaft, daß Ihr, auf welche Art es sei, seine Rückkehr nach London um vierzehn Tage verzögert. Auch könnt Ihr nebenher das Mädchen für Euch selbst aufsuchen; ein solches Weib würde Euch vom Herumschweifen abhalten.«

»Ich kam, Euer Durchlaucht Befehle zu empfangen, nicht um der Gegenstand Eures Witzes zu sein,« sagte der Oberst.

»Brav gesprochen, tapfrer Oberst! Da Ihr auf einen Monat auf volle Besoldung in meinem Dienste seid, so bitt' ich um Annahme dieser Börse für zufällige Ausgaben und für Ausrüstungen, und Ihr sollt von Zeit zu Zeit meine Instruktionen erhalten.«

»Sie sollen pünktlich befolgt werden, mein gnädiger Herr,« sagte der Oberst; »ich kenne die Pflicht eines Subaltern-Offiziers. Ich wünsche Euer Durchlaucht einen guten Morgen.«

Mit diesen Worten steckte er die Börse ein, ohne weder eine Weigerung zu affektiren, noch einen Dank auszudrücken, sondern bloß als eine Verrichtung in dem regelmäßigen Geschäftsgange, und schritt aus dem Zimmer mit derselben finstern Gravität, die seinen Eintritt bezeichnete.



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