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Achtundzwanzigstes Kapitel.

London, der große Mittelpunkt von Intriguen jeder Gattung, hatte jetzt in seinen dunkeln und schattigen Schoos die größere Anzahl der Personen gezogen, die wir zu erwähnen Gelegenheit gehabt haben.

Unter Andern war Julian angelangt, und hatte in einem abgelegenen Wirthshause der Vorstädte seine Wohnung genommen. Er hielt es für nothwendig, seinen Namen zu verschweigen, bis er insgeheim sich würde mit den Freunden besprochen haben, welche wahrscheinlich sowohl seinen Eltern als seiner Gönnerin in ihrer gegenwärtigen zweifelhaften und bedrängten Lage Beistand leisten würden. Unter diesen war der mächtigste der Herzog von Ormond, dessen treue Dienste, hoher Rang und anerkannte Rechtschaffenheit und Tugend immer noch einen Einfluß an demselben Hofe behaupteten, an dem er sonst als nicht in Gunst stehend betrachtet wurde. Aber Julian hatte nicht das Glück, den Rath oder die Unterstützung dieses ausgezeichneten Mannes zu erlangen: er war zu dieser Zeit nicht in London.

Der Brief, für dessen Bestellung, nächst jenem an den Herzog von Ormond, die Gräfin von Derby am meisten besorgt gewesen zu sein schien, war an Kapitän Barstow (einen Jesuiten, der eigentlich Fenwicke hieß) gerichtet, welcher in dem Hause eines gewissen Martin Christal im Savoy zu finden, oder doch zu erfragen sein sollte. An diesen Ort eilte Peveril, nachdem er die Abwesenheit des Herzogs von Ormond erfahren hatte. Ihm war die Gefahr nicht unbekannt, in die er sich setzte, wenn er die Mittelperson zu Mittheilungen zwischen einem papistischen Priester und einer verdächtigen Katholikin abgab. Als er aber den gefährlichen Auftrag seiner Gönnerin übernahm, hatte er es mit der Offenheit und mit dem ungetheilten Entschluß gethan, ihr auf diejenige Art zu dienen, wie sie am meisten ihre Angelegenheiten besorgt zu wissen wünschte. Doch konnte er sich einer geheimen Bangigkeit nicht erwehren, als er sich in das Labyrinth von Gallerien und Gängen verwickelt sah, welche zu den verschiedenen Abtheilungen von Zimmern in dem alten Gebäude, die Savoy genannt, führten.

Dieses veraltete und fast verfallene Gebäude nahm einen Theil von dem Platze der öffentlichen Gebäude am Strande, gewöhnlich Somerset-House genannt, ein. – Die Savoy war ehemals ein Pallast, der den Namen von seinem Erbauer, einem Grafen von Savoyen, führte, später ein Kloster, dann ein Hospital gewesen, und wurde endlich zu Carls II. Zeit eine Wüste von verfallenen Häusern und Gemächern, die vornehmlich von Solchen bewohnt wurden, welche einige Verbindung mit dem nahen Pallast von Sommerset-House hatten, wo sich Einige vom Hofe, gelegentlich auch der König selbst, der daselbst Zimmer besaß, aufhielten.

Nicht ohne vielfache Erkundigungen und mehr als ein Mißverständniß, fand Julian am Ende eines langen und düstern Ganges, der aus Brettern bestand, welche von der Zeit so verwittert waren, daß sie unter seinen Füßen zu wanken drohten, endlich den Namen Martin Christal, Mäkler und Taxator, an einer zerbrochenen Thüre. Er war im Begriff zu klopfen, als ihn Jemand an seinem Mantel zupfte; und als er sich umsah, erblickte er zu seinem großen Erstaunen, das in Wahrheit fast bis zum Schreck stieg, die kleine Stumme, welche ihn einen Theil des Weges auf seiner Abreise von der Insel Man begleitet hatte. »Fenella?« rief er aus, vergessend, daß sie weder hören noch antworten konnte; »Fenella! kannst du es sein?«

Fenella, die wie früher eine warnende und gebieterische Miene annahm, stellte sich zwischen Julian und die Thüre, an die er pochen wollte – wies abwehrend mit dem Finger nach derselben, runzelte zu gleicher Zeit die Stirne und schüttelte ernsthaft den Kopf.

Nach kurzer Ueberlegung konnte Julian sich Fenella's Erscheinung und Benehmen nur auf die einzige Art erklären, daß ihre Gebieterin nach London gekommen sei, und diese stumme Dienerin als eine Vertraute abgeschickt habe, ihn von einer Abänderung ihres vorgehabten Verfahrens zu unterrichten, wodurch die Abgabe ihrer Briefe an Barstow überflüssig oder vielleicht gefährlich werden könnte. Er versuchte Fenella durch Zeichen zu fragen, ob sie etwa einen Auftrag von der Gräfin hätte. Sie nickte. Ob sie einen Brief habe, fuhr er auf dieselbe Art zu fragen fort. Sie schüttelte ungeduldig den Kopf, und machte ihm, hastig den Gang entlang gehend, ein Zeichen ihr zu folgen. Er that es, wenig zweifelnd, daß er zur Gräfin selber geführt werden solle. Aber seine zuerst über Fenella's Erscheinung erregte Verwunderung wurde erhöht durch die Schnelligkeit und Leichtigkeit, womit sie die staubigen Irrgänge der verfallenen Savoy aufzufinden schien.

Als er sich jedoch besann, daß Fenella die Gräfin vormals auf einem langen Besuche in London begleitet hatte, ward es ihm nicht unwahrscheinlich, daß sie damals diese Ortskenntniß erlangt haben möchte. Viele Fremde, die mit der Königin oder der verwittweten Königin in Verbindung standen, hatten Zimmer in der Savoy. Viele katholische Priester fanden auch Zuflucht in ihren Schlupfwinkeln, unter mancherlei Verkleidungen, und trotz der Strenge der Gesetze gegen das Pabstthum. Was war wahrscheinlicher, als daß die Gräfin von Derby, eine Katholikin und Französin, geheime Aufträge unter solchen Leuten haben möchte; und daß die Ausrichtung derselben, wenigstens gelegentlich Fenellen aufgetragen wäre?

Unter diesen Gedanken folgte er ihr in den Park, und sie kamen bald in die Nähe mehrerer Herren, die an den Ufern hinschlenderten. Julian fing bei'm nähern Anblick desjenigen, der unter der Gesellschaft der vornehmste zu sein schien, das Herz ungewöhnlich zu klopfen an, als ahnte er, daß er einer Person von Bedeutung nahe käme.

Die Person, die er erblickte, war über das mittlere Lebensalter hinaus, und von dunkler Gesichtsfarbe, zu welcher die lange, schwarze, dicke Perrücke, die er statt des eigenen Haares trug, wohl paßte. Sein Kleid war von einfachem schwarzem Sammet, jedoch mit einem Diamantstern auf dem Mantel, welcher nachlässig über der einen Schulter hing. Seine stark, selbst bis zur Härte gezeichneten Gesichtszüge hatten doch einen edlen Ausdruck von Gutmüthigkeit; er war stark gebaut, ging aufrecht und doch ungezwungen, und hatte im Ganzen das Ansehen einer Person vom höchsten Range. Er ging in einiger Entfernung von seinen Begleitern, kehrte sich aber von Zeit zu Zeit um und sprach mit ihnen in freundlichem Tone, was das bisweilen kaum zurückgehaltene Lachen verrieth, womit seine Einfälle von seinen Begleitern aufgenommen wurden. Diese waren auch nur in der Morgentracht; aber ihre Blicke und ihr Benehmen verriethen Männer vom Range in Gegenwart einer über sie erhabenen Person. Ihre, sowie ihres Gebieters Aufmerksamkeit beschäftigten mehrere kleine, schwarze, kraushaarige Hühnerhunde, deren Sprünge ihm viel Unterhaltung zu machen schienen. Zu diesem Zeitvertreibe kam noch ein Diener mit einigen kleinen Körben und Beuteln, aus welchen der beschriebene Herr von Zeit zu Zeit eine Hand voll Samenkörner nahm, und sich damit unterhielt, sie den Wasservögeln hinzuwerfen.

Dieses, des Königs Lieblingsbeschäftigung, nebst seiner ausgezeichneten Gesichtsbildung, und das Benehmen der übrigen Gesellschaft gegen ihn, überzeugte Julian, daß er im Begriff sei, sich vielleicht unschicklicher Weise dem später so unglücklichen Carl Stuart II. zu nähern.

Während er anstand, seiner stummen Führerin weiter zu folgen, und die Verlegenheit fühlte, ihr seinen Widerwillen gegen weiteres Hinzudrängen verständlich zu machen, begann Einer aus dem königlichen Gefolge eine leichte und muntere Arie auf dem Flageolet, wozu der König ein Zeichen gegeben hatte, da er eine Melodie, welche auf ihn am vorhergehenden Abend im Theater besonders Eindruck gemacht, wiederholt wünschte. Indeß der Monarch mit dem Fuße und mit der Bewegung der Hand den Takt dazu gab, fuhr Fenella fort, sich ihm zu nähern, und nahm in ihrem Wesen die Manier einer Person an, die unwillkührlich von den Tönen des Instruments angezogen wird.

Begierig zu wissen, wie das enden würde, und erstaunt, das stumme Mädchen das Benehmen einer die musikalischen Töne wirklich hörenden Person so treffend nachahmen zu sehen, schritt Peveril auch näher, jedoch in etwas größerer Entfernung.

Der König blickte gutmüthig auf Beide, als wenn er ihren musikalischen Enthusiasmus für eine Entschuldigung ihrer Zudringlichkeit gelten ließe; aber seine Augen hefteten sich auf Fenella, deren Gesicht und Aussehen, obgleich mehr sonderbar als schön, etwas Wildes, Fantastisches und hierin selbst etwas Einnehmendes für ein Auge hatten, das vielleicht bis zum Ueberdruß an den gewöhnlichen Formen weiblicher Schönheit sich geweidet hatte. Sie schien nicht zu bemerken, wie genau sie beobachtet wurde; sondern, wie unter einem unwiderstehlichen Antriebe handelnd, der von den Tönen, auf die sie zu horchen schien, herkam, löste sie die Haarnadel, um welche ihre langen Locken gewunden waren, und plötzlich sie um ihren schlanken Leib schlingend, begann sie mit unendlicher Anmuth und Gewandtheit zu der Melodie, welche das Flageolet spielte, zu tanzen.

Peveril vergaß fast des Königs Gegenwart, als er sah, mit welcher bewunderungswürdigen Grazie und Geschmeidigkeit Fenella zu den Noten Takt hielt, die sie nur aus den Bewegungen der Finger des Musikers erkennen konnte. Er hatte freilich unter andern wunderbaren Erscheinungen von einer Person in Fenellens unglücklicher Lage gehört, daß sie durch ein gewisses unerklärliches und räthselhaftes Gefühl die Fähigkeit erlangte, ein Instrument zu spielen, ja sogar die Aufführung von Musikstücken zu leiten, und er hatte auch von Taubstummen gehört, die ziemlich richtig tanzten, indem sie auf die Bewegungen ihrer Mittänzer Acht gaben. Aber Fenella's Ausführung ihres Tanzes schien wunderbarer, als Beides, weil der Musikus durch seine geschriebenen Noten geleitet wurde, und der Tänzer durch die Bewegungen der Andern, während Fenella keine Kunde bekam, außer dem, was sie mit unendlicher Genauigkeit durch Beobachtung der Bewegung der Finger des Tonkünstlers auf seinem kleinen Instrument auffaßte.

Den König, dem die besondern Umstände, welche Fenella's Tanz so bewundernswerth machten, unbekannt waren, vergnügte es, bei ihrem ersten Anfange, das, was bei diesem sonderbaren Mädchen ein fröhlicher Ausbruch schien, mit einem gutmüthigen Lächeln zu begleiten; als er aber sowohl die ausnehmende Richtigkeit und Genauigkeit, als auch die bewundernswürdige Verbindung zwischen Anmuth und Behendigkeit bemerkte, womit sie zu seiner Lieblingsmelodie einen ihm ganz neuen Tanz ausführte, verwandelte Carl sein bloßes Wohlgefallen in enthusiastischen Beifall. Er gab den Takt zu ihren Bewegungen mit dem Fuße – applaudirte mit Kopf und Hand – und schien, wie sie selbst, ganz hingerissen zu sein.

Nach einer schnellen, doch anmuthigen Reihe von Entrechats führte Fenella eine langsame Bewegung ein, welche den Tanz schloß; dann verneigte sie sich tief, und blieb bewegungslos vor dem Könige stehen, die Arme über den Busen gefaltet, den Kopf herabgesenkt, und die Augen niedergeschlagen, nach Art eines morgenländischen Sklaven; während man durch den nebligen Schleier ihrer schattigen Locken bemerken konnte, daß die Röthe, welche die Bewegung in ihre Wangen gerufen hatte, schnell verschwand und ihrer natürlichen dunkeln Farbe Platz machte.

»Bei meiner Ehre!« rief der König aus, »sie gleicht einer Fee, die im Mondschein hüpft. Es müssen mehr Luft und Feuer, als Erde, die Theile ihres Körpers bilden. Es ist gut, daß die arme Lenore Gwynn sie nicht sah; sie wäre vor Gram und Neid gestorben. – Nun, ihr Herren, wer von euch hat dies hübsche Stück Morgenzeitvertreib ausgedacht?«

Die Hofleute sahen einander an; aber Keiner fühlte sich befugt, auf das Verdienst einer so angenehmen Unterhaltung Anspruch zu machen.

»So müssen wir die helläugige Nymphe selbst befragen,« sagte der König, und fuhr, Fenella ansehend, fort: »Sag' uns, holdes Kind, wem verdanken wir das Vergnügen, dich zu sehen? – Ich vermuthe, dem Herzog von Buckingham; denn das ist ganz ein tour de son métier.«

Fenella, da sie sah, daß der König sie anredete, verbeugte sich tief, und schüttelte den Kopf, zum Zeichen, daß sie nicht verstände, was er sagte.

»Auf Ehre, das ist wahr,« sprach der König; »sie muß durchaus eine Fremde sein – dafür spricht ihre Farbe und ihre Behendigkeit. Frankreich oder Italien hat nicht Form und Stoff zu diesen elastischen Gliedern, braunen Wangen und feurigen Augen.« Er legte ihr dann auf Französisch und hernach wieder auf Italienisch die Frage vor, von wem sie hieher geschickt worden wäre.

Bei der zweiten Wiederholung warf Fenella ihre verhüllenden Locken zurück, und zeigte so die Melancholie, die auf ihrer Stirne schwebte, während sie traurig den Kopf schüttelte, und durch unvollkommenes, doch höchst sanftes und klägliches Murmeln ihren organischen Fehler zu erkennen gab.

»Ist es möglich, daß die Natur einen solchen Fehler begangen hat?« sagte Carl. »Kann sie ein so wunderbares Wesen, wie du bist, ohne die Melodie der Stimme gelassen haben, während sie dich für die Lieblichkeit der Töne so empfänglich machte? – Halt; was bedeutet dies? und was bringt man da für einen jungen Menschen herbei? Ha, ohne Zweifel den Herrn des Kunstspiels, wie ich vermuthe. – Freund (setzte er hinzu, indem er Peveril anredete, der, auf Fenella's Zeichen, fast instinktmäßig vorgeschritten war, und niederkniete) wir danken dir für das Vergnügen dieses Morgens. – Mein Herr Marquis, Ihr betrogt mich letzte Nacht im Piket; für diese treulose That sollt Ihr nun büßen, indem Ihr ein paar Goldstücke diesem braven jungen Mann, und fünf dem Mädchen gebt.«

Als der Edelmann seine Börse zog und hervortrat, den Auftrag des Königs zu vollziehen, fühlte Julian einige Verlegenheit, ehe er zu erklären vermochte, daß er keinen Anspruch auf eine Belohnung für den Tanz des jungen Mädchens habe, und daß seine Majestät über seinen Stand und Charakter im Irrthum sei.

»Und wer bist du denn, mein Freund?« fragte Carl; »aber vor allen Dingen und insbesondere, wer ist diese tanzende Nymphe, auf die du wie ein begleitendes Reh wartetest?«

»Diese junge Person, geruhen Ew. Majestät, ist eine Dienerin der verwittweten Gräfin von Derby,« sagte Peveril in leisem Ton; »und ich bin –«

»Halt, halt,« sagte der König, »das ist ein Tanz zu einer andern Melodie, und paßt nicht an diesen öffentlichen Ort. Höre, Freund; du und das junge Mädchen folgt Empson, wohin er dich führen wird. – Empson bringe sie – hörst du wohl?«

»Geruhen Euer Majestät, ich muß sagen, daß ich mich keiner absichtlichen Zudringlichkeit schuldig weiß – bei –«

»Nun, der Henker hole den, der keinen Wink versteht,« sagte der König, Julians Rechtfertigung schnell unterbrechend. »Traun, es gibt Zeiten, wo Höflichkeit die größte Impertinenz von der Welt ist. Folge du nur Empson, und unterhalte dich auf eine halbe Stunde mit der Gesellschaft der Fee, bis wir nach euch schicken werden.«

Carl sprach dies, nicht ohne ängstlich umherzusehen, und in einem Tone, der Besorgniß verrieth, behorcht zu werden. Julian konnte bloß sich gehorsam verbeugen und Empson folgen, welcher dieselbe Person war, die so gewandt auf dem Flageolet spielte.

Als sie dem König und seiner Gesellschaft aus dem Gesicht waren, wünschte der Musikus mit seiner Begleitung eine Unterredung anzuknüpfen, und wandte sich erst an Fenella mit einem breiten Compliment: »Beim Himmel, ihr tanzt prächtig – noch nie hab' ich auf den Brettern einen solchen Knöchel gesehen. Ich wollte Euch gerne spielen, bis meine Kehle so trocken wäre, als meine Pfeife. Frisch auf, seid ein bischen munter – der alte Rowley wird den Park bis neun Uhr nicht verlassen. Ich will Euch Zuckerkuchen und ein Quart Rheinwein geben lassen, und wir wollen Kameraden sein. Was Teufel, keine Antwort? Was heißt das, Bruder? – Ist Euer nettes Mädchen taub oder stumm, oder Beides? Sie tanzt so gut zum Flageolet.«

Um sich vom Gespräch dieses Gesellen zu befreien, antwortete ihm Peveril auf Französisch, er sei ein Fremder, und spreche kein Englisch; froh, auf diese Art, obgleich mit einer Erdichtung, vom Gespräch mit einem Narren los zu kommen, der wahrscheinlich mehr Fragen gethan hätte, als seine eigne Klugheit ihn hätte beantworten lassen.

Empson schritt rasch auf ein großes Haus nah' am Ende der St. Jakobsstraße los, und trat durch eine Gitterthüre vom Park in den Hof, wo das Wohnhaus eine ausgebreitete Aussicht beherrschte.

Da Peveril sich an der Fronte einer artigen Gallerie befand, unter welcher sich eine stattliche Flügelthüre öffnete, war er eben im Begriff, die Stufen, die zum Haupteingange führten, hinan zu steigen, als sein Führer ihn am Arme faßte und ausrief: »Halt, Monsieur. Aus Mangel an Muth, das seh' ich wohl, werdet Ihr nichts verlieren; allein Ihr müßt den hintern Weg einschlagen, trotz Eurem feinen Kleide. Hier heißt es nicht: klopfet an, und es wird euch aufgethan, sondern vielmehr, klopfet an, und ihr werdet wieder geklopft werden.«

Von Empson geführt, lenkte Julian von der Hauptthüre ab, und zu einer andern hin, die sich in einer Ecke des Hofraumes öffnete. Auf einen mäßigen Schlag des Flötenspielers wurde ihm und seinen Begleitern Einlaß von einem Aufwärter gewährt, der sie durch mancherlei steinerne Gänge zu einem sehr hübschen Sommerzimmer führte, wo eine Dame, oder etwas einer solchen Aehnliches, auf höchst geschmackvolle Art gekleidet, mit einem Komödienbuche tändelte, während sie ihre Chokolade trank. Sie würde hübsch gewesen sein, ohne ihr aufgelegtes Roth und gezwungenes Mienenspiel – höflich, ohne ihre übertriebenen Wiederholungen von Gunst und Herablassung, – sie würde eine angenehme Stimme gehabt haben, hätte sie in ihrem natürlichen Tone gesprochen – und schöne Augen, hätte sie nicht einen so gezwungenen Gebrauch von ihnen gemacht. Sie konnte einen niedlichen Fuß nur durch zu freies Zeigen desselben entstellen, aber ihre Gestalt hatte, ob sie gleich noch nicht dreißig Jahre alt sein konnte, die Fülle, welche einer um zehn Jahre älteren Person vortheilhaft gelassen hätte. Mit der Miene einer Herzogin wies sie Empson einen Sitz an, und fragte ihn schmachtend, wie es ihm in dieser ewig langen Zeit gegangen, seitdem sie ihn nicht gesehen, und was das für Leute wären, die er da mitgebracht.

»Fremde, Madam, vermaledeite Fremde,« antwortete Empson; »verhungerte Bettler, die unser alter Freund diesen Morgen im Park aufgelesen hat; die Dirne tanzt, und der Bursche spielt, glaub' ich, die Maultrommel. Bei meinem Leben, Madam, ich fange an, mich des alten Rowley zu schämen; ich muß ihn abdanken, wenn er nicht künftig bessere Gesellschaft hält.«

»Pfui, Empson,« sagte die Dame, »bedenkt, es ist unsere Pflicht, ihn zu unterstützen und im Gange zu erhalten; und wahrhaftig, ich mache mir das immer zum Grundsatze. Kommt er diesen Morgen nicht hieher?«

»Er wird bald hier sein,« antwortete Empson.

»Mein Gott!« rief die Dame mit unverstellter Unruhe aus, und mit gänzlicher Vernachlässigung ihres gewöhnlichen affektirten Schmachtens eilte sie in ein anstoßendes Zimmer, wo man sogleich einen hitzigen und lebhaften Wortwechsel hörte.

»Vermuthlich ist etwas aus dem Wege zu räumen,« sagte Empson. »Gut für Madam, daß ich ihr den Wink gab. Da geht er, der glückliche Bursche.«

Julian stand so, daß er aus demselben Fensterflügel, durch welchen Empson blickte, einen Mann in einem besetzten Rockelor, mit seinem Rapier unter dem Arme, aus der Thüre, durch die er selbst gekommen war, und aus dem Hofe schlüpfen sah, indem er sich immer so viel als möglich unter dem Schatten der Häuser hielt.

Die Dame trat in diesem Augenblicke wieder herein, und sagte, indem sie bemerkte, wohin Empson's Augen gerichtet waren, mit einem leichten Anschein von Hastigkeit: »Es war ein Bote von der Herzogin von Portsmouth mit einem Billet, und drang so beschwerlich auf Antwort, daß ich genöthigt war, ohne meine Diamantfeder zu schreiben. Ich habe meine Finger befleckt,« setzte sie hinzu, eine sehr hübsche Hand betrachtend, und sogleich darauf ihre Finger in eine kleine, silberne Vase mit Rosenwasser eintauchend. »Aber das kleine, exotische, seltsame Wesen da, Empson, versteht doch, hoff' ich, wirklich nicht Englisch? – Bei meinem Leben, sie verfärbte sich. – Ist sie so eine seltene Tänzerin? – Ich muß sie tanzen sehen, und ihn auf der Maultrommel spielen hören.«

»Tanzen!« erwiederte Empson; »sie tanzte ziemlich gut, als ich ihr spielte. Ich kann jedes Ding tanzen machen. Das Tanzen will nichts sagen; Alles liegt an der Musik. Rowley kennt das jetzt nicht. Er sah dieß arme Mädchen tanzen, und machte so viel daraus, da doch Alles von mir herrührte. Und Rowley lobte sie darum, und gibt ihr fünf Goldstücke zum Lohn, und ich habe nur zwei für mein Morgenwerk.«

»Wollt Ihr diesen Leuten nicht einige Erfrischungen anbieten?« unterbrach ihn die Dame, »und wollt Ihr nicht selbst Etwas genießen? – Diese Chokolade hat der Begleiter des portugiesischen Ambassadeurs der Königin herüber gebracht.«

»Wenn sie ächt ist,« sagte der Musikus.

»Wie, Herr?« sprach das Frauenzimmer, halb von ihrem Haufen weicher Polster sich erhebend – »nicht ächt, und in diesem Hause! – Ich kann wohl sagen, Herr Empson, als ich Euch zuerst sah, wußtet Ihr kaum Chokolade vom Kaffee zu unterscheiden.«

»Bei Gott, Madam,« antwortete Empson. »Ihr habt vollkommen Recht. Und wie kann ich besser zeigen, wie viel ich durch Euer Gnaden herrliche Bewirthung gewonnen habe, außer dadurch, daß ich nun einen feinen Geschmack besitze?«

»Ihr seid entschuldigt, Herr Empson,« sagte die zierliche Frau, sanft auf ihr weiches Kissen zurücksinkend, aus dem sie eine flüchtige Aufregung erhoben hatte. – »Ich denke, die Chokolade wird Euch gefallen, wiewohl sie jener kaum gleich kommt, die wir vom spanischen Residenten Mendoza hatten. – Aber wir müssen diesen fremden Leuten Etwas vorsetzen. Wollt Ihr sie nicht fragen, ob sie Kaffee oder Chokolade, oder kaltes Vogelwildpret, Obst und Wein haben wollen. Sie müssen auch so bewirthet werden, daß sie sehen, wo sie sind, weil sie einmal hier sind.«

»Unstreitig, Madam,« sagte Empson, »aber ich habe gerade in diesem Augenblicke die französischen Ausdrücke für Chokolade, Biscuit, Kaffee, Wildpret und Getränke vergessen.«

»Es ist seltsam,« sagte die Dame, »und ich habe in demselben Augenblick mein Französisch und Italienisch vergessen. Aber das hat wenig zu bedeuten – ich will die Sachen bringen lassen, und Ihr werdet Euch schon ihrer Namen erinnern.«

Empson lachte laut über diesen Scherz, und setzte sein Leben zum Pfande, daß das kalte Nierenstück, das gleich darauf hereinkam, das beste Sinnbild von Roastbeef in der ganzen Welt wäre. Erfrischungen im Ueberfluß wurden der ganzen Gesellschaft angeboten, und Peveril und Fenella nahmen daran Theil.

Unterdessen rückte Empson näher an die Seite der Dame vom Hause – ihre Vertraulichkeit wurde befestigt und ihre Lebensgeister wurden befeuert durch ein Glas Liqueur, welches ihnen noch mehr Offenheit gab, die Charaktere sowohl der höheren als der niederen Hofbedienten zu besprechen, zu denen sie vielleicht selbst gehören mochten.

Ihre Unterredung war zu gemein und bezog sich zu sehr auf kleinliche Hofintriguen, als daß es Julian, der damit ganz unbekannt war, im Geringsten interessirt hätte. Da sie länger als eine Stunde währte, hörte er bald auf, derselben die geringste Aufmerksamkeit zu widmen, und beschäftigte sich vielmehr mit Ueberlegung seiner eigenen verwickelten Angelegenheiten, und des wahrscheinlichen Ausganges seiner bevorstehenden Audienz bei dem König, welche durch eine so sonderbare Mittelsperson und auf so unerwartete Art herbeigeführt worden war. Oft sah er nach seiner Führerin Fenella, und fand, daß sie die meiste Zeit in tiefes Nachdenken versunken war. Aber drei oder vier Mal bemerkte er, daß Fenella ihnen einige jener bittern und fast verzehrenden Seitenblicke zuwarf, welche auf der Insel Man für Zeichen der Verachtung und Verwünschung galten. In ihrem ganzen Wesen lag etwas so Außerordentliches, das sich an ihre plötzliche Erscheinung und ihr Benehmen vor dem König knüpfte, womit sie so seltsam und doch so geschickt ihm eine Privataudienz bei demselben verschaffte – die er mit ernsthafteren Mitteln vergebens gesucht haben möchte – daß ihm der, zwar innerlich belächelte, Gedanke fast gerechtfertigt wurde, die kleine Stumme werde bei ihren Unternehmungen von den verwandten Geistern unterstützt, von welchen, dem Manenser Aberglauben zufolge, ihre Abstammung herzuleiten wäre.

Ein anderer Gedanke entstand bei Julian zuweilen, den er jedoch als eben so fantastisch verwarf, wie, Fenella gehöre nicht zum Geschlecht der Sterblichen, – nämlich: »hatte sie wirklich jene organischen Mängel, die sie immer von der übrigen Menschheit abzusondern geschienen hatten? – Wo nicht, was konnte ein so junges Geschöpf bewogen haben, sich eine so schreckliche Buße für eine so lange Reihe von Jahren aufzulegen? Und wie furchtbar mußte die Stärke der Seele sein, welche sich zu einem solchen Opfer verdammen könnte? – Wie tief und stark der Vorsatz, für den es unternommen wurde!«

Aber eine kurze Ueberlegung der letzten Begebenheiten vermochte ihn, diese Muthmaßung als ganz grundlos aufzugeben. Er durfte sich nur der mancherlei listigen Streiche seines leichtsinnigen Gesellschafters, des jungen Grafen von Derby, gegen dieß unglückliche Mädchen – der in ihrer Gegenwart gepflogenen Gespräche erinnern, wenn der Charakter eines bei allen Gelegenheiten so reizbaren und empfindlichen Geschöpfs frei und bisweilen satyrisch beurtheilt wurde, ohne daß sie die geringste Kunde dessen, was um sie her vorging, ausdrückte – um sich zu überzeugen, daß eine so tief angelegte Täuschung nie so viele Jahre lang von einem Wesen, das ein so eifersüchtiges und jähzorniges Naturell hatte, durchgesetzt werden konnte.

Er gab daher diesen Gedanken auf und beschäftigte sich mit seinen eigenen Angelegenheiten und seiner nahen Unterredung mit seinem Souverän. In dieser Ueberlegung wollen wir ihn jetzt verlassen, bis wir kürzlich die Veränderungen übersehen haben, welche mit Alexie Bridgenorth's Lage indeß vorgegangen waren.



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