Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Julian träumte von vorbeischwebenden Geistern, kauderwelsch sprechenden Phantomen, blutigen Händen, welche, im Zwielicht matt erblickt, ihm vorwärts zu winken schienen, gleich einem irrenden Ritter, der auf ein trauriges Abenteuer ausgeht. Mehr als einmal fuhr er aus seinem Schlaf empor, so lebhaft war der Eindruck dieser Gesichte auf seine Einbildungskraft, und erwachte immer mit der Vorstellung, daß Jemand an der Seite seines Bettes stände. Die Kälte seiner Knöchel, das Gewicht und Klirren der Fesseln, als er sich auf seinem Bett umwandte, erinnerte ihn bei dieser Gelegenheit, wo er war, und unter welchen Umständen. Alles, was ihm theuer war, jetzt in die äußerste Noth gebracht zu sehen, das fiel schwerer auf sein Herz, als das Eisen an seinen Gliedern; auch konnte er sich nicht wieder zur Ruhe begeben, ohne ein stilles Gebet zum Himmel um Schutz zu senden. Als er aber ein drittes Mal durch diese sich stark aufdrängenden Phantasieen aus der Ruhe erweckt worden war, machte sich der Kummer seines Gemüths durch Sprechen Luft, und er vermochte nicht den fast verzweifelnden Ausruf zu unterdrücken: »Gott erbarme sich unser!«

»Amen!« antwortete eine Stimme, so süß und sanft wie Honigthau, welche klang, als wenn das Wort dicht neben seinem Bette wäre gesprochen worden.

Die natürlichste Vermuthung war, daß Gottfried Hudson, sein Unglücksgefährte, dem Gebete, das ihrer gemeinschaftlichen Lage so angemessen war, den Nachruf gegeben hatte. Aber der Ton der Stimme war so verschieden von den harten und widrigen Lauten des Zwergs, daß Peveril überzeugt war, er könnte nicht von Hudson herkommen. Er war von unwillkührlichem Schreck erschüttert, für den er keinen hinlänglichen Grund angeben konnte; und nicht ohne Anstrengung war er im Stande, die Frage hervor zu bringen: »Ritter Gottfried, habt Ihr jetzt gesprochen?«

Keine Antwort erfolgte. Er wiederholte die Frage lauter; und dieselbe Silberstimme, die vorher Amen zu seinem Gebet gesagt hatte, antwortete auf seine Frage: »Euer Gesellschafter wird nicht erwachen, so lange ich hier bin.«

»Und wer seid Ihr? – Was sucht Ihr? – Wie kamet Ihr an diesen Ort?« sagte Peveril, hastig Frage auf Frage häufend.

»Ich bin ein elendes Wesen, aber eines, das Euch sehr liebt. – Ich komme zu Eurem Besten. – Bekümmert Euch nicht weiter.«

Es fiel nun Julian ein, daß er von Personen gehört hatte, welche das wunderbare Talent besäßen, Töne so genau nachzuahmen, daß sie ihren Zuhörern den Glauben abzwangen, sie kämen von einem ganz andern und entgegengesetzten Punkte des Zimmers, als dem, welchen der wirklich Sprechende einnahm. Ueberzeugt, daß er nun die Tiefe des Geheimnisses ergründet hatte, antwortete er: »Diese Spielerei, Ritter Gottfried, ist hier nicht am Orte. Sagt, was Ihr zu sagen habt, mit Eurer eigenen Stimme und nach Eurer Weise. Die affenmäßigen Scherze schicken sich nicht für Mitternacht in einem Kerker von Newgate.«

»Aber das Wesen, das mit Euch spricht,« antwortete die Stimme, »ist passend für die finsterste Stunde, und für die Höhlen der tiefsten Melancholie.«

Nicht länger die Ungewißheit duldend, und entschlossen, seine Neugier zu befriedigen, sprang Julian sogleich von seinem Bette auf, in Hoffnung, sich der sprechenden Person zu versichern, deren Stimme so nahe schien. Allein sein Versuch schlug ihm gänzlich fehl, und er griff nur in die Luft. Er tappte nun einigemale mit ausgestreckten Armen auf Geradewohl in der Stube umher; dann besann er sich aber, daß er, von seinen Fesseln gehindert, und bei dem Geräusch, das seine Bewegungen nothwendig begleiten mußte, verrieth, wo er war, und nicht vermögend sein würde, an Jemand Hand zu legen, der sich von ihm entfernt zu halten geneigt wäre. Er suchte daher wieder in sein Bette zurück zu kommen; aber indem er darnach tappte, stieß er erst an das seines Mitgefangenen. Der kleine Gefangene schlief tief und schwer, wie sein Athem bewies; und bei augenblicklichem Horchen wurde Julian überzeugt, daß entweder sein Gesellschafter der schlaueste und verstellteste Bauchredner sein müßte, oder daß wirklich im Zimmer irgend ein drittes Wesen wäre, dessen Gegenwart selbst zu verrathen schiene, daß es nicht zu der gewöhnlichen Gattung der Menschen gehöre.

Julian war an sich selbst nicht geneigt, an das Uebernatürliche zu glauben; aber jenes Zeitalter war weit entfernt, in Hinsicht geistiger Erscheinungen so ungläubig zu sein, als das unsrige; und es gereichte keinesweges seinem gesunden Verstande zum Nachtheil, daß er die Vorurtheile seiner Zeit theilte. Sein Haar fing an sich zu sträuben und der Schweiß ihm auf die Stirne zu treten, als er seinen Gefährten um des Himmels willen sich zu ermuntern bat.

Der Zwerg antwortete – aber er sprach, ohne zu erwachen – »der Tag mag anbrechen, und ich will verdammt sein. Sag' dem Stallmeister, ich werde nicht auf die Jagd gehen, wenn ich nicht den kleinen Zelter habe.«

»Ich sage Euch,« sprach Julian, »es ist Jemand im Zimmer. Habt Ihr nicht ein Feuerzeug, Licht anzuzünden?«

»Ich kümmere mich nicht drum, wie klein mein Pferd sei,« sagte der Schlafende, seinen Zug von Gedanken verfolgend, die ihn ohne Zweifel in die grünen Wälder von Windsor zurück versetzten, und zu den königlichen Jagdhunden, die er da gesehen hatte. »Ich bin nicht zu schwer. – Ich mag nicht die Holsteiner Bestie reiten, zu der ich auf einer Leiter hinauf klettern muß, um dann darauf zu sitzen, wie ein Nadelkissen auf einem Elephanten.«

Julian legte am Ende seine Hand auf die Schulter des Schlafenden, und rüttelte ihn, so daß er ihn aus seinem Traum erweckte. Da fragte der Zwerg nach zwei- oder dreimaligem Schnarchen und Stöhnen verdrießlich: »Was zum Teufel fehlt Euch?«

»Der Teufel selbst, so viel ich weiß,« sagte Peveril, »ist in diesem Augenblick in der Stube neben uns.«

Bei dieser Nachricht fuhr der Zwerg auf, kreuzte sich, und fing an, mit Stahl und Stein in aller Eile Feuer anzuschlagen, bis er ein kleines Stück Licht angezündet hatte, das, wie er sagte, der heiligen Brigitta geweiht, und eben so mächtig wäre, als die fuga daemonum, oder die von Tobias im Hause Raguel's gebrannte Fischleber, alle Kobolde und böse oder bedenkliche Geister vom Platze, wohin es strahlet, zu verjagen; »wenn sie wirklich,« wie der Zwerg sorgfältig seinen Satz verwahrte, »irgendwo vorhanden wären, außer in der Einbildungskraft seines Mitgefangenen.«

Diesem zufolge war das Zimmer kaum von diesem heiligen Lichtstückchen erleuchtet, als Julian seinen eigenen Ohren zu mißtrauen anfing; denn es war nicht nur Niemand im Zimmer, als Ritter Gottfried Hudson und er selbst, sondern alle Schlösser der Thüre waren so gut verwahrt, daß es unmöglich schien, daß sie ohne ein ziemliches Getöse könnten geöffnet und wieder geschlossen worden sein, welches, bei dem letzten Vorfall wenigstens, seinem Gehör nicht hätte entgehen können, indem er ja in dem Augenblicke, wo die unbekannte Erscheinung, wenn sie ein irdisches Wesen war, im Begriff war, sich aus demselben zurück zu ziehen, auf den Füßen war, und das Zimmer durchsuchte.

Julian sah für einen Augenblick mit großer Ernsthaftigkeit und nicht wenig Betroffenheit erst auf die Thüre, dann auf das Gitterfenster, und fing an, seine Einbildungskraft zu beschuldigen, daß sie ihm einen unangenehmen Streich gespielt habe. Er antwortete wenig auf Hudsons Fragen, und hörte, zu seinem Bette zurückkehrend, mit Stillschweigen eine lange, ausstudirte Rede über die Verdienste der heiligen Brigitta an, welche den größten Theil ihrer weitläufigen Legende enthielt, und mit der Versicherung schloß, daß, nach allen über sie erhaltenen Nachrichten, diese Heilige die kleinste aller Frauen war, ausgenommen die vom Pygmäengeschlecht.

Mittlerweile hatte der Zwerg aufgehört zu sprechen; Julians Wunsch zu schlafen war zurückgekehrt, und nach wenig Blicken im Zimmer herum, das noch von den erlöschenden Strahlen der heiligen Kerze erleuchtet war, waren seine Augen wieder in Vergessenheit geschlossen, und seine Ruhe wurde im Verlauf der Nacht nicht wieder gestört.

Ehe Julian erwacht war, hatte der Zwerg bereits sein Bette verlassen, und sich in den Kaminwinkel des Zimmers gesetzt, wo er mit eigenen Händen ein wenig Feuer angemacht hatte, theils das Kochen eines kleinen Topfes abwartend, theils mit einem ungeheuern Foliobande beschäftigt, der auf dem Tische vor ihm lag, und fast eben so groß und dick war, als er selbst. Er hatte sich in den schon erwähnten dunkeln carmoisinrothen Mantel gehüllt, der ihm sowohl zur Morgenkleidung, als zum Schutz gegen die Kälte diente, und zu einer großen Reisemütze, die seinen Kopf umgab, wohl paßte. Die Sonderbarkeit seiner Gesichtszüge und der mit einer Brille bewaffneten Augen, die bald auf das Buch, bald auf seinen kleinen Kessel gerichtet waren, würden Rembrandt gereizt haben, ihn auf der Leinwand darzustellen, entweder als Alchemisten oder als Schwarzkünstler, der mit irgend einem seltsamen Experiment unter der Anleitung eines jener gewaltigen Handbücher, welche von der Theorie dieser geheimnißvollen Künste handeln, beschäftigt ist.

Die Aufmerksamkeit des Zwergs war jedoch auf einen mehr häuslichen Gegenstand gerichtet. Er war nur mit Bereitung einer Suppe, von nicht unschmackhafter Art, zum Frühstück beschäftigt, und Peveril wurde von ihm eingeladen, daran Theil zu nehmen.

»Ich bin ein alter Soldat,« sagte er, »und ich muß hinzusetzen, ein alter Gefangener, und verstehe, mir besser durchzuhelfen, als Ihr im Stande seid, junger Mann. – Verwünscht sei der Schurke Clink, er hat die Pfefferbüchse mir zu hoch gestellt! – Wollt Ihr mir sie vom Kaminsims herunter reichen? – Ich will Euch, wie die Franzosen sagen, faire la cuisine lehren, und dann wollen wir, wenn es Euch gefällt, wie Brüder die Arbeiten unsers Gefängnisses theilen.«

Julian willigte gern in des kleinen Mannes freundlichen Vorschlag, ohne einen Zweifel zu erheben, ob er ein Bewohner derselben Zelle bleiben würde. Ob er gleich, im Ganzen genommen, geneigt war, die lispelnde Stimme des vorhergehenden Abends als Gebild seiner eignen aufgeregten Phantasie zu betrachten, so wünschte er doch, zu sehen, wie eine zweite Nacht in derselben Zelle ablaufen würde, und der Ton des unsichtbar eingedrungenen Wesens, den er um Mitternacht mit Schrecken gehört hatte, erregte nun in der Erinnerung eine sanfte und nicht unangenehme Unruhe – die vereinigte Wirkung von Furcht und von erweckter Neugierde.

Tage der Gefangenschaft haben wenig Bemerkenswerthes.

Mittags und Abends besuchte sie ihr finsterer Schließer, der mit geräuschlosem Schritt und mürrischem Betragen stillschweigend das Nothwendige besorgte, und so wenig Worte mit ihnen wechselte, als ein Offizial in der spanischen Inquisition bei ähnlicher Gelegenheit sich erlaubt haben möchte. Mit demselben verschwiegenen Ernste, sehr verschieden von der lachenden Laune, in welcher er bei einer frühern Gelegenheit betroffen worden war, schlug er mit einem kleinen Hammer gegen ihre Fesseln, um sich durch den hervorgebrachten Schall zu überzeugen, ob sie mit einer Feile oder sonst wären bearbeitet worden. Drauf stieg er auf einen Tisch, und machte dieselbe Probe an den Fenstergittern.

Julians Herz klopfte; denn konnte nicht eines von diesen Gittern so bearbeitet worden sein, um dem nächtlichen Besuch Eingang zu verschaffen? Aber sie gaben dem erfahrnen Ohr Clink's, als er nach der Reihe mit dem Hammer darauf schlug, einen klaren und hellen Ton zurück, welcher ihn versicherte, daß sie unbeschädigt waren.

»Es würde für Jedermann schwer sein, durch diese Gitter herein zu kommen,« sagte Julian, um seinen Gefühlen in Worten Luft zu machen.

»Wenige wünschen das –« antwortete der finstere Wärter, indem er das, was in Peverils Seele vorging, falsch auslegte; »und laßt es mich Euch sagen, Herr, die Leute werden es eben so schwer finden, dadurch hinaus zu kommen.« Er ging fort, und die Nacht brach herein.

Der Zwerg, der für den Tag alle Verrichtungen des Zimmers auf sich nahm, kehrte fast die Stube um, wobei er ein gewaltiges Geräusch machte, als er ihr Feuer auslöschte, und verschiedene im Verlaufe des Tages gebrauchte Sachen aufräumte, während er die ganze Zeit in einem Tone von nicht geringer Wichtigkeit mit sich selber sprach. Alsdann kam das Hersagen seines gewohnten Gebets; aber sein Hang zum Gespräch ward nach seiner Andachtsübung dieß Mal nicht wieder so rege, wie bei der vorigen Gelegenheit. Im Gegentheil bewies das schwere Athemholen von Sir Gottfried Hudson's Bette her, lange ehe Julian ein Auge schloß, daß der Zwerg schon in Morpheus' Armen lag.

In dem völlig finstern Zimmer, mit dem sehnlichen Wunsche, doch auch nicht ohne Bangigkeit, den Auftritt von der vorigen Nacht erneuert zu sehen, lag Julian lange wach, ohne daß seine Gedanken irgend eine Unterbrechung erlitten, ausgenommen, wenn die Glocke des benachbarten Thurms vom heiligen Grabe die Stunde anzeigte. Endlich sank er in Schlummer; hatte aber, nach seiner Meinung, nicht über eine Stunde geschlafen, als er durch den Ton aufgeweckt wurde, den sein waches Ohr so lange vergebens erwartet hatte.

»Könnt Ihr schlafen? – Wollt Ihr schlafen? – Wagt Ihr zu schlafen?« waren die Fragen, die in sein Ohr mit derselben hellen, weichen und melodischen Stimme drangen, welche ihn in der vorigen Nacht angeredet hatte.

»Wer ist's, der mich so fragt?« antwortete Julian. »Aber sei der Fragende ein gutes oder ein böses Wesen, ich erwiedere, daß ich ein schuldloser Gefangener bin, und daß Unschuld ruhig zu schlafen wünschen kann und darf.«

»Thue keine Fragen an mich,« sagte die Stimme; »versuche auch nicht, zu entdecken, wer mit dir spricht, und sei versichert, daß Thorheit allein schlafen kann, wenn Betrug und Gefahr ringsum lauern.«

»Kannst du, der du mir von Gefahren sagst, mir rathen, wie ich sie bekämpfe oder vermeide?« sagte Julian.

»Meine Macht ist beschränkt,« sagte die Stimme; »doch Etwas kann ich thun, wie ein Johanniswürmchen einen Abgrund zeigen kann. Aber du mußt mir vertrauen.«

»Vertrauen muß Vertrauen erzeugen,« antwortete Julian. »Ich kann kein Zutrauen in einen Unbekannten setzen.«

»Sprich nicht so laut,« erwiederte die Stimme, die sich fast in ein Flüstern verlor.

»Letzte Nacht sagtest du, mein Gefährte würde nicht erwachen,« sprach Julian.

»Heute Nacht verbürge ich nicht, daß er schlafen wird,« sagte die Stimme. Und während sie sprach, wurden die heisern, scharfen, unharmonischen Töne des Zwergs gehört, der Julian fragte, warum er im Schlafe spräche – warum er nicht selbst ruhete, und andere Leute ruhen ließe – und endlich, ob er die Erscheinungen der letztern Nacht wieder habe.

»Sage ja,« sagte die Stimme in einem so leisen, jedoch so deutlichen Flüstern, daß Julian fast zweifelte, ob es nicht ein Wiederhall seines eigenen Gedankens wäre, – »sage nur ja – und ich scheide, um nicht wieder zu kommen.«

In verzweifelten Umständen greifen die Menschen nach seltsamen und ungewöhnlichen Mitteln; und obgleich unfähig, den zufälligen Vortheil, welchen diese sonderbare Mittheilung ihm darbot, zu berechnen, fühlte Julian sich doch nicht geneigt, die Aussicht darauf sich auf einmal entgehen zu lassen. Er antwortete also dem Zwerg, daß er durch einen beunruhigenden Traum sei gestört worden.

»Ich hätte darauf schwören wollen, aus dem Ton Eurer Stimme,« sagte Hudson. »Es ist seltsam, daß Ihr übergroßen Leute niemals die Festigkeit der Nerven besitzt, welche uns eigen ist, die wir aus einer mehr zusammengedrängten Form gegossen sind. Meine eigene Stimme behält ihre männlichen Töne bei allen Gelegenheiten. Doctor Cockerel war der Meinung, daß derselbe Antheil von Nerven und Sehnen den Menschen von jeder Größe zugekommen sei, und daß die Natur den Vorrath nur dünner oder stärker nach der Ausdehnung, welche sie bedecken sollten, ausgesponnen habe. Daher sind die kleinsten Geschöpfe oftmals die stärksten. Legt einen Roßkäfer unter einen großen Leuchter, und das Insekt wird ihn durch seine Anstrengungen, herauszukommen, bewegen; das ist, im Punkt der comparativen Stärke, als wenn Einer von uns Seiner Majestät Gefängniß Newgate durch ähnliche Anstrengungen erschüttern sollte. Und im Allgemeinen könnt Ihr bemerken, daß kleine Menschen besser tanzen, und unter Anstrengungen jeder Art unermüdlicher sind, als diejenigen, denen ihr eigenes Gewicht nothwendig lästig sein muß. Ich achte Euch, Herr Peveril, weil ich gehört habe, daß Ihr einen von jenen riesenhaften Kerlen getödtet habt, die mit prahlerischem Stolz einhergehen, als wenn ihre Seelen größer, als die unsrigen wären, weil ihre Nasen den Wolken um einige Zoll näher sind. Aber schätzt Euch deßhalb nicht, als wenn es etwas Ungewöhnliches wäre. Ich wollte Euch zeigen, daß es allezeit so gewesen ist; und daß, in der Geschichte aller Zeitalter, der feine, dicht gewachsene, flinke Mann eine Ueberlegenheit über seinen großgebauten Gegner bewiesen hat. Ich darf nur aus der heiligen Schrift den berühmten Fall Goliaths und eines Andern anführen, der mehr Finger an seiner Hand und mehr Zolle an seiner Statur hatte, als für einen rechtschaffenen Mann zu gehören scheinen, und welcher von einem Neffen des Königs David erschlagen wurde; und vieler Anderer, deren ich mich nicht mehr erinnere; indessen, sie waren alle Philister. Und in Wahrheit könnt Ihr, sowohl in der heiligen, als in der profanen Geschichte, bemerken, daß diese Riesen immer Ketzer und Gotteslästerer, Räuber und Unterdrücker, rohe Beleidiger des weiblichen Geschlechts, und Spötter des gesetzmäßigen Ansehens sind.«

In diesem Tone fuhr der Zwerg fort, bis er sich endlich wieder in Schlaf gesprochen hatte. Kaum hatten unzweideutige Zeichen davon Julians Ohren erreicht, als er wieder begierig auf die Erneuerung jener geheimnißvollen Mittheilung zu horchen anfing, welche zugleich interessant und schauerlich war. Selbst während Hudson sprach, hatte er, anstatt seiner Rede Aufmerksamkeit zu schenken, immer seine Ohren auf wachsamer Hut erhalten, um wo möglich die leisesten Töne irgend einer Art, die im Zimmer sich regen möchten, zu bemerken, so daß er es kaum für möglich hielt, daß selbst eine Fliege es hätte verlassen können, ohne daß er ihre Bewegung gehört hätte. Seine Erwartung schlug jedoch fehl; nicht der leiseste Ton erreichte sein Ohr, und der nächtliche Gast, wenn er noch im Zimmer war, schien entschlossen, zu schweigen.

Es war umsonst, daß Peveril hustete, sich räusperte und andere Zeichen seines Wachseins gab; endlich wurde seine Ungeduld so groß, daß er sich entschloß, zuerst zu sprechen, in Hoffnung, die Mittheilung zu erneuen. »Wer du auch bist,« sagte er laut genug, um von einer wachenden Person gehört zu werden, doch nicht so stark, um seinen schlafenden Gefährten zu stören. – »Wer oder was immer du auch bist, der du einigen Antheil an dem Schicksal eines Verstoßnen, wie Julian Peveril, bewiesen hast, sprich noch einmal, ich beschwöre dich, und laute deine Eröffnung gut oder böse, glaube mir, ich bin gleichmäßig bereit, den Ausgang zu erwarten.«

Keine Antwort irgend einer Art erfolgte auf diesen Aufruf; auch verrieth nicht der geringste Laut die Gegenwart des Wesens, an das er so feierlich war gerichtet worden.

»Ich spreche umsonst,« sagte Julian, »und vielleicht rufe ich nur dasjenige Wesen an, das für menschliches Gefühl unempfindlich ist, oder ein boshaftes Vergnügen an menschlichen Leiden findet.«

Da erhob sich ein sanfter halbgebrochener Seufzer aus einem Winkel des Zimmers, der, als Antwort auf diesen Ausruf, der Beschuldigung, die er ausdrückte, zu widersprechen schien.

Julian, von Natur herzhaft, und jetzt mit seiner Lage vertraut, erhob sich im Bette, und streckte den Arm aus, um seine Beschwörung zu wiederholen, als die Stimme, wie beunruhigt durch seine Thätigkeit und Entschlossenheit, in einem schnellern Tone als bisher flüsterte: »Sei still – bewege dich nicht – oder ich bin stumm für immer!«

»Ist es ein sterbliches Wesen, das bei mir ist,« war die natürliche Folgerung Julians, »und eines, das wahrscheinlich besorgt, entdeckt zu werden, so hab' ich einige Macht über dasselbe, ob ich gleich im Gebrauch derselben vorsichtig sein muß. – Wenn deine Absichten wohlwollend sind,« fuhr er fort, »so gab es nie eine Zeit, in der ich Freunde mehr bedurfte, oder dankbarer für Wohlthaten sein würde, als eben jetzt. Das Schicksal Aller, die mir theuer sind, liegt auf der Wagschale, und mit Welten würde ich die Botschaft von ihrer Rettung erkaufen.«

»Ich habe gesagt, meine Macht sei beschränkt,« erwiederte die Stimme. »Euch kann ich im Stande sein zu erhalten; das Schicksal Eurer Freunde liegt außer meiner Gewalt.«

»Laß mich es wenigstens wissen,« sagte Julian, »und sei es, wie es wolle, ich werde mich nicht scheuen, es mit ihnen zu theilen.«

»Nach wem wollt Ihr Euch erkundigen?« sagte die sanfte süße Stimme, nicht ohne ein Beben des Tones, als wenn die Frage mit mißtrauischem Sträuben gethan würde.

»Nach meinen Eltern,« sagte Julian, nach einem augenblicklichen Bedenken; »wie geht es ihnen? – Was wird ihr Schicksal sein?«

»Es geht ihnen, wie der Festung, unter welcher der Feind eine verderbliche Mine gegraben hat. Das Werk mag Jahre lange Arbeit gekostet haben, solche Hindernisse fanden die Ingenieurs; aber die Zeit bringt günstige Gelegenheit auf ihren Flügeln.«

»Und was wird der Ausgang sein?« fragte Peveril.

»Kann ich die Zukunft lesen,« antwortete die Stimme, »außer durch Vergleichung mit der Vergangenheit? – Wer ist, auf diese Anklagen hin verfolgt, nicht am Ende in die äußerste Noth gebracht worden? – Es gibt keinen Stand des Lebens, keinen Grad des Talents, keine Form der Grundsätze, welche Schutz gegen eine Anklage gewährten, die Stände gleich macht, Charaktere vermischt, Tugenden der Menschen zu Sünden macht, und sie alle für gefährlich achtet, je nachdem sie Einfluß haben, wiewohl sie denselben auf die edelste Art erlangten und zu den besten Zwecken gebrauchten. Man nenne einen solchen nur einen Theilhaber des Complots – und der Blindeste wird den Ausgang ihres Verhörs voraussehen.«

»Unglücksprophet!« sagte Julian; »mein Vater hat ein unverwundbares Schild zu seinem Schutze. Er ist unschuldig.«

»Laß ihn seine Unschuld vor dem Gerichtshofe des Himmels beweisen,« sagte die Stimme; »sie wird ihm wenig helfen, wo Scroggs den Vorsitz führt.«

»Doch fürcht' ich nichts,« sprach Julian, mit mehr angenommenem Vertrauen, als er wirklich hatte, »meines Vaters Sache wird vor zwölf Engländern geführt werden.«

»Besser vor zwölf wilden Thieren,« antwortete der Unsichtbare, »als vor Engländern, die von Parteivorurtheil, Leidenschaft, und der epidemischen Furcht vor einer eingebildeten Gefahr beseelt sind.«

»Verkündiger schlimmer Vorbedeutungen,« sagte Julian, »deine Stimme eignet sich fürwahr nur mit der Mitternachtsglocke und der Nachteule zu ertönen. Doch sprich wieder. Sage mir, wenn du kannst« – (er würde Alexie Bridgenorth gesagt haben, aber er konnte den Namen nicht über seine Zunge bringen) – »sage mir,« sprach er, »ob das edle Haus Derby –«

»Laß sie ihren Felsen hüten, wie der Seevogel im Ungewitter, und es kann so ausfallen,« sprach die Stimme, »daß ihr Felsen ein sicherer Zufluchtsort ist. Aber es klebt Blut an ihrem Hermelin, und Rache hat sie seit manchem Jahre auf dem Fuße verfolgt, gleich einem Schweißhunde. Für jetzt jedoch sind sie in Sicherheit. – Soll ich nun ferner von Euren eigenen Angelegenheiten sprechen? oder gibt es noch andere Angelegenheiten, die Ihr den Eurigen vorziehet?«

»Es ist eine Person,« sagte Julian, »eine, von der ich gestern gewaltsam getrennt wurde; wenn ich nur sie in Sicherheit wüßte, so wollt' ich mich wenig um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.«

»Eine!« erwiederte die Stimme, »nur Eine, von der Ihr gestern getrennt wurdet?«

»Bei deren Trennung,« sagte Julian, »ich mich von aller Glückseligkeit geschieden fühlte, welche die Welt mir geben kann.«

»Ihr meint Alexie Bridgenorth,« sagte der Unsichtbare, mit einiger Bitterkeit des Tons; »aber Ihr werdet sie niemals wieder sehen. Euer eigenes Leben und das ihrige hängen davon ab, daß Ihr einander vergeßt.«

»Ich kann mein Leben nicht um diesen Preis erkaufen,« antwortete Julian.

»So sterbet in Eurer Hartnäckigkeit,« erwiederte das unsichtbare Wesen; auch waren alle dringenden Bitten, die er im Verlauf dieser merkwürdigen Nacht anwandte, unvermögend, demselben noch ein Wort zu entlocken.



 << zurück weiter >>