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Vierunddreißigstes Kapitel.

Julian's Blut war durch den Zustand, in welchem ihn sein unsichtbarer Gast verließ, so in Wallung gerathen, daß er lange keine Ruhe fand. Endlich jedoch war er zu dem Entschluß gekommen, seinen Verkehr mit ihm vorsichtiger einzurichten, im Fall seine Unterredung sich erneuern sollte, als seine Betrachtungen durch die entschiedene Aufforderung Ritter Gottfried Hudsons unterbrochen wurden, er möchte sich es nun seinerseits gefallen lassen, die häuslichen Verrichtungen ihrer gemeinschaftlichen Wohnung zu besorgen, die der Zwerg gestern auf sich genommen hatte.

Es war kein Grund da, einer so billigen Forderung sich zu widersetzen; Peveril stand daher auf, und übernahm das Aufräumen ihres Gefängnisses. Während dieses Geschäfts blieb der Zwerg bequem auf seinem Stuhle sitzen, und klimperte auf einer Guitarre, als aber Julian das Geschäft des Kochs unternehmen wollte, sprang er vom Stuhl, und rief: »er wollte lieber das Frühstück alle Morgen bis zum jüngsten Tage zubereiten, als ein so wichtiges Geschäft einem so unerfahrnen Stümper, wie seinem Gesellschafter, überlassen.«

Der junge Mann trat mit Vergnügen dem kleinen, übel gelaunten Ritter seine Verrichtung ab, und lächelte bloß, als dieser in seiner Empfindlichkeit hinzusetzte, obgleich Julian nur ein Sterblicher von Mittelstatur wäre, sei er doch so dumm, wie ein Riese. Während also Peveril ihn das Frühstück nach seinem eigenen Belieben bereiten ließ, beschäftigte er sich damit, das Zimmer mit seinen Augen von jeder Seite zu mustern, und irgend einen geheimen Eingang, der seinen nächtlichen Gast einlassen und im Nothfall zu seiner eigenen Entweichung gebraucht werden könnte, auszuspähen. Der Fußboden wurde zunächst einer gleich sorgfältigen Untersuchung unterworfen, die aber glücklicher ausfiel.

Dicht bei seinem eignen Bette, und so hingeworfen, daß es ohne die Eile, mit der er der Aufforderung des ungeduldigen Zwergs gehorchte, früher von ihm hätte gesehen werden müssen, lag ein Stückchen Papier, versiegelt, und mit den Anfangsbuchstaben J. P. bezeichnet, was anzuzeigen schien, daß es an ihn selbst gerichtet war. Er las, während das Kochen die Aufmerksamkeit des Zwergs in Anspruch nahm, Folgendes:

 

»So rasch und bethört Ihr seid, so gibt es doch Jemand, der viel auf sich nehmen wollte, um sich zwischen Euch und Euer Schicksal zu stellen. Ihr sollt morgen in den Tower gebracht werden, wo Euer Leben nicht für einen einzigen Tag verbürgt werden kann; denn während der wenigen Stunden, da Ihr in London gewesen seid, habt Ihr eine Person gereizt, welche sich nicht leicht besänftigen läßt. Es bleibt Euch nur eine Wahl – entsagt A. B. – denkt nicht mehr an sie. Wenn sich Euer Herz entschließen kann, eine Anhänglichkeit aufzugeben, die es nie hätte unterhalten sollen, und welche länger zu hegen Tollheit sein würde, so macht Eure Genehmigung dieser Bedingung dadurch bekannt, daß Ihr an Euren Hut ein weißes Band, oder eine weiße Feder, oder eine Schleife von derselben Farbe steckt, wie Ihr das eine oder das andere am leichtesten bekommen könnt. Ein Boot wird in diesem Falle, wie zufällig, an den Bord desjenigen laufen, das Euch nach dem Tower bringen soll. Springt in der Verwirrung über Bord, und schwimmt an die Southwarkseite der Themse. Freunde werden da warten, Eure Flucht zu sichern, und Ihr werdet zu einem Manne gelangen, der eher Ehre und Leben verlieren wollte, als daß ein Haar von Eurem Haupte zu Boden falle; der aber, wenn Ihr die Warnung in den Wind schlagt, an Euch bloß als an einen Thoren denken kann, der in seiner Thorheit umkommt. Möge der Himmel Euch zu einem vernünftigen Urtheil über Eure Lage leiten! Dieß wünscht Einer, der Euer Freund sein möchte, wenn Ihr wolltet.«

»Ein Unbekannter

 

Der Tower! – das war ein Wort des Schreckens, denn wie viele Wege zum Tode bot nicht dieß finstere Gebäude dar! Die strengen Hinrichtungen, von denen es unter vorhergehenden Regierungen Zeuge gewesen war, waren vielleicht nicht so zahlreich, als die geheimen Ermordungen, die innerhalb seiner Mauern stattgefunden hatten; doch Julian war nicht einen Augenblick ungewiß über die Rolle, die er zu spielen hatte. »Ich will meines Vaters Schicksal theilen,« sagte er: »ich dachte nur an ihn, als sie mich hieher brachten; ich will an nichts anderes denken, wenn sie mich an jenen noch furchtbarern Ort der Verhaftung schicken; er ist der seinige, und nur, damit wir zusammenkämen, mußte er auch seinen Sohn in sich aufnehmen. – Und wenn ich dir entsage, Alexie, mag ich einem Verräther und Feigherzigen gleich geachtet werden! – Geh, falscher Rathgeber, und theile das Schicksal der Verführer und ketzerischen Lehrer.«

Er konnte sich nicht enthalten, diesen letzten Ausdruck laut auszusprechen, als er das Billet mit einer Heftigkeit ins Feuer warf, die den Zwerg stutzig auffahren machte. »Was sagt Ihr vom Verbrennen der Ketzer, junger Mann?« rief er aus; »meiner Treu', Euer Eifer muß wärmer sein, als der meinige, da Ihr von einer solchen Sache zu einer Zeit sprechet, da die Ketzer die überwiegende Anzahl ausmachen. Mag ich sechs Fuß ohne meine Schuhe messen, wenn die Ketzer dabei nicht im Vortheil sein sollten, sobald es Ernst damit werden sollte. Hütet Euch vor solchen Reden.«

»Es ist zu spät, sich vor gesprochenen Reden zu hüten,« sagte der Schließer, der, die Thüre mit ungewöhnlicher Vorsicht öffnend, um Geräusch zu vermeiden, sich unbemerkt in die Stube geschlichen hatte, »jedoch Herr Peveril hat sich als ein braver Mann betragen, und ich bin kein Zwischenträger, unter der Bedingung, daß er bedenkt, daß ich Mühe in seinen Angelegenheiten gehabt habe.«

Julian hatte keine Wahl, als den Wink des Kerls zu verstehen, und ihm Etwas in die Hand zu drücken, womit Herr Clink so zufrieden war, daß er ausrief: »es gehe ihm an's Herz, von einem so gutmüthigen Herrn Abschied zu nehmen, und er würde für ihn zwanzig Jahre lang den Schlüssel mit Vergnügen gedreht haben. Aber die besten Freunde müßten scheiden.«

»So soll ich also von hier wegkommen?« fragte Julian.

»Ja freilich, mein Herr, der Befehl ist vom Geheimen Rath gekommen.«

»Mich nach dem Tower zu bringen?«

»Hoho!« rief der Gerichtsdiener aus; »wer Teufel hat Euch das gesagt? Doch da Ihr es einmal wißt, so ist es kein Unglück, Ja zu sagen. So macht Euch nur sogleich fertig, und für's Erste, streckt Eure Spazierhölzer aus, daß ich die Fußeisen abnehme.«

»Ist das gewöhnlich?« sagte Peveril, indem er die Füße, wie es der Wärter verlangte, ausstreckte, während seine Fesseln losgemacht wurden.

»Ja wohl, mein Herr, diese Fesseln gehören dem Stockmeister; wir werden sie wahrhaftig nicht zum Lieutenant bringen lassen. Indessen, habt Ihr etwa Lust, in Fesseln zu gehen, und meint in Euren Umständen dadurch mehr Mitleiden zu erregen –«

»Ich will nicht, daß meine Umstände schlimmer aussehen, als sie sind,« sagte Julian, während es ihm zugleich durch den Kopf ging, daß der Ungenannte sowohl mit seinen persönlichen Fertigkeiten gut bekannt sein müßte, weil der Brief einen Plan zur Flucht vorschlug, der nur von einem kühnen Schwimmer ausgeführt werden konnte, als auch mit den Gebräuchen des Gefängnisses, weil er vorhergeschen hatte, daß er auf seinem Wege nach dem Tower nicht gefesselt sein würde. Die nächste Rede des Schließers führte seine Muthmaßung noch weiter.

»Alles in der Welt wollt' ich thun für so einen braven Gast,« sagte Clink; »ich könnte eins von den Bändern meiner Frau weghaschen, wenn Ihr Lust hättet, die weiße Flagge auf Euren Hut zu stecken.«

»Seltsam,« dachte Peveril, obgleich der Mann ganz natürlich und ohne einen Doppelsinn zu sprechen schien, »seltsam, daß sich Alles scheinbar vereinigen soll, einen Plan zur Flucht auszuführen, könnt' ich ihm nur meine Beistimmung geben! Und hätt' ich nicht besser gethan, ihn anzunehmen? Wer auch immer so viel für mich thut, er muß mir wohlwollen, und ein Wohlwollender würde nie die ungerechten Bedingungen erzwingen wollen, in die ich für meine Befreiung willigen soll.«

Aber dieß Schwanken in seinem Entschlusse dauerte nur einen Augenblick. »Wenn Ihr mir einen Gefallen thun wollt, sagte er zum Schließer, »so schafft mir ein Stück schwarze Seide oder Flor zu der erwähnten Absicht.«

»Flor?« sagte der Wärter; »was sollte das bedeuten?«

»Er soll meine gelassene Betrübniß und zugleich meine feste Entschlossenheit anzeigen,« sagte Julian.

»Wie es Euch gefällt, mein Herr,« antwortete der Schließer. »Ich will Euch mit einem schwarzen Lappen von einer oder der andern Art versorgen. Nun so wollen wir uns auf den Weg machen.«

Julian erklärte sich bereit, ihm zu folgen, und nahm nun Abschied von seinem bisherigen Gesellschafter, dem tapfern Gottfried Hudson. Die Trennung geschah nicht ohne Bewegung von beiden Seiten, vorzüglich aber von Seiten des armen, kleinen Mannes, der ein besonderes Wohlgefallen an dem Gefährten gefunden hatte, dessen er nun beraubt werden sollte.

Julian wurde durch dieselben finstern Gänge, durch die er hereingekommen war, zum Thor des Gefängnisses geführt, von wo ihn ein Wagen unter Bedeckung an die Wasserseite brachte. Hier erwartete ihn ein Boot mit vier Aufsehern des Towers, denen er von seinen letztern Begleitern förmlich übergeben wurde. Clink jedoch, der Schließer, mit dem er genauer bekannt war, nahm nicht von ihm Abschied, ohne ihn mit dem verlangten Stück schwarzen Flor auszustatten, den Julian sogleich auf seinen Hut steckte.

Es war um die Zeit der Fluth, und ein starkes Boot mit Segel und Ruder kam so geradezu auf das, auf welchem Julian sich befand, los, als wenn es auf dasselbe stoßen und sich ihm an Bord legen wollte. »Haltet eure Karabiner in Bereitschaft,« – rief der Oberaufseher zu seinen Gehülfen. »Was zum Teufel können diese Schurken wollen?«

Aber das Schiffsvolk in dem andern Boote schien seinen Irrthum bemerkt zu haben, denn sie änderten plötzlich ihren Lauf, und stießen in die Mitte des Stroms, während ein Ausbruch gegenseitiger Schimpfreden zwischen ihnen und dem Boote, dessen Fahrt sie zu hindern gedroht hatten, erfolgte.

»Der Unbekannte hat sein Wort gehalten,« sagte Julian bei sich selbst; »ich habe das meinige auch gehalten.«

Als die Boote einander sich näherten, glaubte er sogar von dem andern Boote etwas, wie ein ersticktes Klagen oder Seufzen zu hören; und als der augenblickliche Lärm vorüber war, fragte er den ihm zunächst sitzenden Wärter, was das für ein Boot wäre.

»Seeleute von einem Kriegsschiffe auf einer Lustparthie, vermuth' ich,« gab der Aufseher zur Antwort. »Ich weiß sonst Niemand, der so unverschämt sein würde, auf das Königsboot loszusteuern; denn ich bin sicher, der Kerl richtete das Steuer mit Absicht. Aber vielleicht, Herr, wißt Ihr mehr von der Sache, als ich.«

Diese Andeutung war hinreichend, Julian von weitern Fragen abzuhalten, und er blieb still, bis das Boot unter die düstern Basteien des Towers kam.

Während des Aufsehers Anruf geschah und beantwortet wurde, suchte Peveril von seinen Führern zu erfahren, wo er wahrscheinlich gefangen gesetzt werden würde; aber die Antwort war kurz und allgemein: »Wohin der Lieutenant die Anweisung geben wird.«

Er fragte ferner, ob ihm nicht erlaubt werden könnte, das Gefängniß seines Vaters, Ritter Gottfried Peveril's, zu theilen, und vergaß nicht, bei dieser Gelegenheit, den Beinamen seiner Familie beizufügen.

Der Gefängnißaufseher, ein alter Mann von ehrwürdigem Ansehen, stutzte, wie über das zu kühne Verlangen, und sagte geradezu: »Es ist unmöglich.«

»So zeigt mir wenigstens,« fuhr Julian fort, »wo mein Vater gefangen sitzt, daß ich auf die Mauer hinsehen kann, die uns trennt.«

»Junger Herr,« sagte der Aufseher, seinen grauen Kopf schüttelnd, »es thut mir Leid um Euch, aber Fragen werden Euch nichts helfen. An diesem Orte wissen wir nichts von Vätern und Söhnen.«

Indeß schien der Zufall, wenige Minuten nachher, Julian den Wunsch zu gewähren, welchen ihm die Strenge seiner Aufseher zu versagen geneigt war. Als er auf den steilen Weg gebracht wurde, der unter den sogenannten Wakefield-Tower führt, rief eine weibliche Stimme in einem von Kummer und Freude unbeschreiblich gemischten Tone aus: »Mein Sohn! mein theurer Sohn!«

Selbst die Wachen Julians schienen von einem Tone so tiefen Gefühls erweicht. Sie verzögerten ihre Schritte. Sie hielten fast, um ihn nach dem Fensterflügel sehen zu lassen, aus welchem die Töne der mütterlichen Beängstigung herkamen, aber die Oeffnung war so enge, und so dicht vergittert, daß nichts sichtbar war, als eine weiße, weibliche Hand, welche eine der rostigen Stangen, wie zur Stütze der inwendig sich befindenden Person, ergriffen hatte, während eine andre Hand ein weißes Schnupftuch herausstreckte und es dann fallen ließ. Der Fensterflügel wurde sogleich verlassen.

Julian steckte das Zeichen der Zärtlichkeit seiner Mutter, mit dem ihn der Zufall beglückt hatte, in seinen Busen, und als er in der kleinen einsamen Stube sich befand, die ihm zu seinem Aufenthalt im Tower angewiesen war, wurde er selbst bis zu Thränen durch diesen kleinen Umstand erweicht, den er nicht anders als eine Vorbedeutung betrachten konnte, daß seine unglückliche Behausung nicht ganz von der Vorsehung verlassen wäre. Aber die Gedanken und Ereignisse, die in einem Gefängnisse vorkommen, sind zu einförmig, und wir müssen unsere Leser nun zu lebhaftern Auftritten führen.



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