Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

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Achtunddreißigstes Kapitel.

Als kaum das erste Erstaunen vorüber war, erklangen Hufschläge und eine große Anzahl Reiter kam im Galopp hereingesprengt, daß der Boden unter dem Gestampf erbebte, der schwarze Ritter jagte in die Schranken, und ihm nach eine Schar von Bewaffneten und darunter einige Ritter in voller Rüstung.

»Ich komme zu spät,« sagte der schwarze Ritter, um sich blickend. »Ich hatte mir Bois-Guilbert für mich selber ausersehen. – Ivanhoe, war das recht von dir, ein solches Wagestück zu unternehmen, da du dich doch kaum im Sattel halten kannst?«

»Der Himmel hat diesen stolzen Mann zum Opfer auserkoren,« erwiderte Ivanhoe, »ihm sollte nicht die Ehre werden, von Eurer Hand zu fallen.«

»Friede sei mit ihm,« sprach Richard und sah ernst auf den Leichnam, »sofern er Frieden finden kann. Er war ein tapferer Ritter und ist ritterlich in seiner stählernen Rüstung gefallen. Aber wir dürfen keine Zeit verlieren. Bohun, walte deines Amtes.«

Ein Ritter trat vor aus Richards Gefolge, legte Albert von Malvoisin die Hand auf die Schulter und sprach: »Ich verhafte Euch wegen Hochverrates.«

Bisher hatte der Großmeister in stummem Erstaunen über den Einbruch so vieler Ritter dagestanden. Jetzt rief er:

»Wer wagt es, einen Ritter des Tempels im Bezirk seines eigenen Präzeptoriums zu verhaften und in wessen Auftrag geschieht eine so kühne Beleidigung?«

»Ich vollziehe die Verhaftung,« versetzte der Ritter, »ich, Heinrich Bohun, Graf von Essex, Lord Connetable von England.«

»Und er verhaftet Malvoisin,« setzte der König hinzu, »auf Befehl Richard Plantagenets, der hier steht. Konrad Mont-Fitchet, es ist ein Glück für Euch, daß Ihr nicht als mein Untertan geboren seid, aber, Malvoisin, du stirbst mitsamt deinem Bruder Philipp, ehe noch die Welt eine Woche älter ist.«

»Ich widersetze mich deinem Urteil,« sagte der Großmeister.

»Stolzer Templer,« antwortete Richard, »das ist unmöglich. Schaut auf und seht die königlich-englische Standarte statt dem Banner des Tempels von Euern Türmen wehen. Seid weise, Beaumanoir, und leistet keinen unnützen Widerstand. Eure Hand liegt im Rachen des Löwen. Löst Euer Kapitel auf und zieht mit Euerm Anhang zum nächsten Präzeptorium, sofern Ihr noch eines findet, das noch nicht hochverräterischer Umtriebe gegen den König von England bezichtigt worden ist. Sonst wenn Ihr wollt, mögt Ihr hier bleiben, unsere Gastfreundschaft genießen und Zeuge sein, wie wir Gerechtigkeit üben.«

»Ich sollte Gast sein in dem Hause, wo ich zu befehlen habe?« erwiderte der Großmeister. »Nimmermehr! – Ritter und Knappen und Anhänger des heiligen Tempels, bereitet Euch vor, der Fahne Beauséant zu folgen!« Der Großmeister sprach mit einer Würde, die selbst den König aus der Fassung brachte und seinen Anhängern Furcht einflößte. Die Templer sammelten sich um ihr Oberhaupt, ihre finsteren Blicke sprachen feindselige Drohungen aus. Sie bildeten eine lange dunkle Linie von Speeren, aus der die weißen Mäntel der Ritter hervorschimmerten.

Die Menge, die ein lautes Geschrei der Mißbilligung ausgestoßen hatte, schwieg jetzt und schaute staunend auf die furchtbare, wohlgeschulte Schar von Kriegern und wich scheu zurück. Der Graf Essex galoppierte beim Anblick dieses Feindes vor und zurück, um seinen Anhang zu ordnen und zur Gegenwehr gegen eine so starke Macht aufzustellen. Richard allein, erfreut über die Gefahr, die seine Gegenwart herbeigeführt hatte, ritt an der Front der Templer langsam herunter und rief laut: »Wie, Sirs? Unter so vielen tapferen Rittern ist nicht einer, der eine Lanze mit Richard brechen will? Ritter des Tempels, Eure Damen müssen gar sehr an der Sonne verschossen sein, daß sie nicht mehr die Splitter einer Lanze wert sind.«

Der Großmeister ritt aus der Schar hervor. »Die Ritter des Tempels fechten nicht für so eitle weltliche Dinge, und mit Euch, Richard von England, soll kein Templer kämpfen. Der Papst und die Fürsten von Europa sollen unsern Streit richten und entscheiden, ob ein christlicher Fürst recht getan hat, so aufzutreten, wie Ihr hier getan habt. Wenn wir nicht angegriffen werden, so greifen auch wir niemand an. Eurer Ehre vertrauen wir die Waffenkammer und alles Hab und Gut des Ordens, das wir zurücklassen müssen, und auf Euer Gewissen laden wir alle Schmach und Beleidigung, die Ihr heute dem Christentum angetan habt.«

Und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, gab der Großmeister das Zeichen zum Aufbruch. Die Trompeten schmetterten einen wilden morgenländischen Marsch, den sonst die Templer zum Angriff bliesen. Sie formierten eine Marschkolonne und ritten so langsam, wie nur die Pferde gehen wollten, um ihren Feinden zu zeigen, daß sie nur auf den Befehl ihres Großmeisters hin, nicht aus Furcht abritten.

Die Menge – wie sich ein furchtsamer Hund so lange das Bellen verhält, bis sich der Gegenstand seiner Furcht entfernt hat – ließ ein Hohngeschrei hören, als endlich die Templer den Platz verließen. Von dem Wirrwarr und dem Lärm, den der Abzug der Templer mit sich brachte, sah und hörte Rebekka nichts. Sie lag in den Armen ihres alten Vaters. Über dem schnellen Wechsel der Dinge hatte sie fast die Besinnung verloren. Aber ein Wort Isaaks brachte sie wieder zu sich.

»Laß uns gehen, meine Tochter,« sagte er, »mein wieder gefundener Schatz, wir wollen uns dem guten Jüngling zu Füßen werfen.«

»O nein! O nein!« sagte Rebekka, »ich könnte ihm jetzt mehr sagen als – – ich darf jetzt nicht mit ihm reden . . . nein, Vater, laßt uns auf der Stelle diese Stätte des Bösen verlassen!«

»Aber meine Tochter, sollen wir ihm nicht Dank sagen, der sein Leben für nichts achtete, um dich aus der Gefangenschaft zu erlösen und dich – die Tochter eines Volkes, das ihm fremd ist – o, dieser Dienst muß seinen Dank finden.«

»Das soll er auch aufs höchste und aufs demütigste! Aber nicht jetzt, um deiner geliebten Rahel willen, Vater, gewähre mir die Bitte und laß uns jetzt fort. Du siehst, König Richard ist bei ihm und –«

»Du hast recht, meine gute und weise Rebekka, laß uns fort, laß uns fort! Wahrscheinlich braucht er Geld, er ist eben gekommen aus Palästina, und einen Vorwand, mir Geld abzunehmen, könnte er leicht darin finden, daß ich mit seinem Bruder Johann habe Geschäfte gemacht. Laß uns fort von hier!«

Die Jüdin, eben noch die Heldin des Tages, ging jetzt unbeachtet hinweg. Die Aufmerksamkeit der Menge war auf den schwarzen Ritter übergegangen, und der Ruf: »Lang lebe König Richard der Löwenherzige! Nieder mit den frechen anmaßenden Templern!« erfüllte rings die Luft.

»Obgleich all diese Lippen hier den Ruf der Treue tun,« sagte Ivanhoe zum Grafen Essex, »so hat der König doch wohl daran getan, daß er Euch, edler Graf, und eine so große Menge treuer Anhänger mitgebracht hat.«

Der Graf schüttelte lächelnd den Kopf. »Tapfrer Ivanhoe, Ihr kennt unseren Herrn so gut und meint doch, er sei von selber so weise und vorsichtig gewesen? Ich war unterwegs nach York, weil ich hörte, Prinz Johann zöge dort eine Partei zusammen, und da begegnete ich Richard, der wie ein echter fahrender Ritter hierher reiten wollte, um das Abenteuer zwischen der Jüdin und dem Templer allein mit seinem Arme zum Ende zu bringen. Fast wider seinen Willen hab ich ihn hierher begleitet.«

»Wie steht es in York? Werden uns die Rebellen Widerstand leisten?«

»Nicht mehr als der Dezemberschnee der Julisonne. Sie sind auseinandergegangen und kein anderer Bote kam, uns diese Kunde zu überbringen als Prinz Johann selber.«

»Der elende freche Verräter!« rief Ivanhoe. »Hat ihn Richard ins Gefängnis werfen lassen?«

»Nein, er ist ihm begegnet, als ob sie sich nach einem Jagdausflug träfen. Er deutete auf sich und seine Bewaffneten und sagte: »Bruder, du siehst mich hier mit ein paar ergrimmten Gesellen, es wäre wohl besser, du gingst zu unserer Mutter, versichertest sie meiner Kindesliebe und bliebest dort, bis sich die Gemüter beruhigt haben.«

Aus den nun folgenden gerichtlichen Untersuchungen interessiert den Leser nur, daß Moritz de Bracy über die See entkam und unter Philipp von Frankreich Dienste nahm, daß Philipp von Malvoisin und sein Bruder Albert, Präzeptor von Templestowe, hingerichtet wurden, obgleich Waldemar Fitzurse, der doch die Seele der Verschwörung gewesen war, mit Verbannung davonkam und Prinz Johann, für den die Verschwörung unternommen worden war, nicht einmal Vorwürfe von seinem gutmütigen Bruder erhielt.

Trotzdem bedauerte niemand das Schicksal der beiden Malvoisins, die ihren Tod wohl verdient hatten, durch manche Untat der Grausamkeit, Falschheit und Tyrannei.

Kurz nach diesen Geschehnissen wurde Cedric der Sachse an den Hof Richards entboten, nach York, wohin der Monarch seine Residenz verlegt hatte, um diese Grafschaft, die der Ehrgeiz seines Bruders aufgewiegelt hatte, zu beruhigen. Cedric seufzte und schüttelte wiederholt den Kopf, aber er folgte dem Rufe. Richards Rückkehr hatte alle seine Hoffnungen auf die Wiederherstellung der sächsischen Dynastie zerstört. Wenn sich die Sachsen auch früher von einem Bürgerkrieg Erfolg hatten versprechen können, so war es doch klar, daß unter der unbestrittenen Herrschaft Richards nichts unternommen werden konnte. Er war wegen seiner persönlichen guten Eigenschaften und seines kriegerischen Ruhmes bei dem Volke beliebt, obgleich seine Regierung oft zu sorglos und oberflächlich, bald zu despotisch, bald wieder zu nachsichtig und mild war. Wenn sich nun auch Cedric noch gegen die Erkenntnis sträubte, so mußte er doch einsehen, daß sein Plan, die Sachsen wieder zu vereinen, indem er Athelstane mit Rowena vermählte, jetzt nicht mehr auszuführen war, weil eben die beiden betreffenden Personen nicht damit einverstanden waren. Diese Wendung hatte er bei seinem Eifer für die Sache der Sachsen nicht vorausgesehen; und als endlich die beiderseitige Abneigung Athelstanes und Rowenas offen und deutlich zutage trat, da war es ihm unbegreiflich, daß sich zwei Sachsen aus königlichem Blute ihrer Verbindung widersetzen konnten aus rein persönlichen Gründen, während doch für das Wohl der Nation, für die Sache des Volkes eine solche Verbindung ein Segen gewesen wäre. Aber es war nichts daran zu ändern. Rowena ihrerseits hatte nie ein Hehl aus ihrer Abneigung gegen Athelstane gemacht, nun äußerte aber auch Athelstane fest und bestimmt, daß er nie Ansprüche auf die Hand der Rowena erheben werde. Selbst die eingewurzelte Starrsinnigkeit Cedrics konnte gegen diese Hindernisse nichts ausrichten. Wenn er auf der Verbindung hätte bestehen wollen, so wäre ihm nichts andres übrig geblieben, als das widerstrebende Paar, an der einen Hand den Mann, an der anderen die Frau, zum Altar zu schleppen.

Trotzdem hatte er noch einen letzten energischen Versuch mit Athelstane machen wollen, und er fand diesen wiederauferstandenen Sproß des sächsischen Königshauses in einen heftigen Streit mit der Geistlichkeit verwickelt. Wie es schien, hatte nach seinen Drohungen, den Abt von St. Edmund umzubringen, teils infolge der trägen Gutmütigkeit seiner Natur, teils infolge der Bitten seiner Mutter, die es wie alle Damen der damaligen Zeit mit der Geistlichkeit hielt, seine Rachsucht sich daran ein Genüge sein lassen, daß der Abt und seine Mönche drei Tage bei magerer Kost in die Gefängnisse von Conningsburgh gesperrt wurden. Wegen dieser Grausamkeit drohte der Abt, ihn zu exkommunizieren, und er setzte eine große Liste von den Leiden und Beschwerden auf, an denen er und seine Getreuen in Magen und Eingeweiden seit der tyrannischen Einkerkerung krankten. Auf diesen Streit und die Mittel und Wege, die er eingeschlagen hatte, um sich die geistliche Verfolgung vom Halse zu schaffen, war nun Athelstanes Denken und Handeln, als Cedric zu ihm kam, so brennend konzentriert, daß er für nichts anderes Sinn hatte. Als er den Namen der Rowena nannte, bat Athelstane um die Erlaubnis, einen Becher voll Wein auf ihre Gesundheit und auf ihre baldige Vermählung mit ihrem Vetter Wilfried trinken zu dürfen. Allem Anschein nach war mit Athelstane in dieser Hinsicht nichts mehr anzufangen.

Nun blieben zwischen Cedric und den Liebenden nur noch zwei Hindernisse: sein Starrsinn und seine Abneigung gegen die normännische Dynastie. Seine Hartnäckigkeit ließ in der Liebe zu seinem Mündel endlich nach, auch der Stolz auf den Ruhm seines Sohnes tat das seine. Daß seinem Stamme die Ehre werden sollte, mit dem Stamme Alfreds verschmolzen zu werden, war ihm auch keineswegs gleichgültig, da der Sprößling Eduards des Bekenners seine höheren Ansprüche für immer hatte fallen lassen. Seiner Abneigung gegen die normännischen Könige wurde nun auch der feste Halt entzogen, da er die Unmöglichkeit einsah, die neue Dynastie aus England zu vertreiben. Außerdem erwies ihm Richard selber, dem Cedrics rauhe Gemütsart gefiel, persönliche Auszeichnung und wußte den edeln Sachsen so zu nehmen, daß er, ehe Cedric noch sieben Tage am Hofe des Königs verweilt hatte, die Einwilligung zu der Hochzeit seines Mündels Rowena mit seinem Sohne Ivanhoe von ihm erreicht hatte.

Die nunmehr von seinem Vater rückhaltlos gebilligte Vermählung unsers Helden fand in einem der erhabensten kirchlichen Gebäude, im Münster von York statt. Der König selber war anwesend, und die Art und Weise, wie er bei diesen und andern Anlässen die geknechteten und bisher verachteten Sachsen behandelte, ließ mit Sicherheit und zu ihrer allseitigen Genugtuung hoffen, daß sie ihre Rechte in vorteilhafterer Weise wieder erlangen würden, als sie von dem unsichern Würfelspiel eines blutigen Bürgerkrieges hätten erwarten können. Gurth begleitete in einer prächtigen Livree seinen Herrn, und der großherzige Wamba erhielt zur Feier des Tages eine neue Narrenkappe und schöne silberne Schellen. Sie, die Wilfrieds Gefahren und Unglück geteilt hatten, blieben auch, wie sie mit Recht erwartet hatten, im Glück an seiner Seite. Außer diesen Angehörigen und allen Dienern des Hausstandes und des Cedricschen Geweses waren alle hochgeborenen Normannen und die edelsten unter den Sachsen Gäste bei dem Hochzeitsfeste, die schöne Feier verherrlichend. Sie teilten den allgemeinen Jubel der niedern Stände, die in diesem Feste die Bürgschaft für künftigen Frieden und gutes Einvernehmen zwischen den beiden Stämmen erblickten, die sich dann ja auch so innig miteinander vermischt haben, daß ein Unterschied oder eine Scheidung nicht mehr zu entdecken ist. Cedric selber sah vor seinem Tode noch diese Verschmelzung fast vollendet. Indem die beiden Nationen untereinander heirateten und in geselligen Verkehr traten, ließen die Normannen von ihrem Stolze ab und die Sachsen legten ihre Roheit und manche ihrer ungeschlachten Gebräuche ab. Allein erst unter Eduard dem Dritten wurde die Mischsprache, die sich jetzt Englisch nennt, Hofsprache, und damit erst endete jedwede feindliche Unterscheidung zwischen Sachsen und Normannen.

Am zweiten Morgen nach dieser glücklichen Hochzeit brachte die Zofe Elgitha ihrer Herrin Rowena die Meldung, eine Frau wünsche sie unter vier Augen zu sprechen. Rowena war verwundert, zauderte und ließ sich schließlich durch ihre Neugier bestimmen, die Angemeldete hereinzulassen. Die Fremde trat ein – eine edle gebietende Gestalt. Der lange weiße Schleier lag nur wie ein Schatten auf der majestätischen Schönheit, ohne sie zu verhüllen. Sie zeigte ein ehrfurchtsvolles Benehmen, das aber frei war von jeder Beklommenheit oder dem Bestreben, um Gunst zu werben. Rowena war stets bereit gewesen, mit anzuhören, was das Herz ihrer Mitmenschen bewegte und bedrückte, und ihnen beizustehen. Sie erhob sich und wollte die reizende Fremde nach einem Sitze führen, als diese einen Blick auf Elgitha warf und abermals bat, mit der Lady allein zu sprechen. Kaum war Elgitha weg – die nicht ohne Widerstreben das Zimmer verließ – so kniete der schöne Gast vor Rowena nieder, neigte den Kopf zur Erde und versuchte trotz Rowenas Sträuben, den Saum ihres Kleides zu küssen.

»Was soll das?« fragte die erstaunte junge Frau. »Warum erweist Ihr mir eine so ungewöhnliche Verehrung?«

Rebekka stand auf und nahm ihre frühere hoheitsvolle Haltung wieder an. »Lady von Ivanhoe,« sagte sie, »ich wollte Euch damit nur in geziemender Weise den Dank abstatten, den ich Wilfried von Ivanhoe schuldig bin. Ich bin – verzeiht mir, daß ich Euch so kühn die Huldigung dargebracht habe, die in unserm Vaterlande Sitte ist – ich bin die unglückliche Jüdin, für die Euer Gemahl in den Schranken von Templestowe sein Leben gegen so drohende Gefahr gewagt hat.«

»Jungfrau!« versetzte Lady Rowena. »Wilfried von Ivanhoe hat an diesem Tage nur in geringem Maße die unermüdliche Sorgfalt und Hingebung vergolten, mit der Ihr ihn gepflegt habt, als er verwundet und sein Leben in Gefahr war. – Redet – können wir Euch noch irgend einen Dienst erweisen?«

»Keinen,« versetzte Rebekka ruhig. »Nur mein dankbares Lebewohl richtet an ihn aus.«

»Verlaßt Ihr England?« fragte Rowena, die ihr Erstaunen über diesen unerwarteten Besuch kaum zu beherrschen vermochte.

»Ich verlasse England, ehe noch der Mond wechselt. Mein Vater hat einen Bruder, der bei Mohamed Boabdil, dem König von Granada, in hoher Gunst steht. Dorthin gehen wir und hoffen Schutz und Frieden zu genießen gegen die Abgaben, die die Moslemin von unserm Volke nehmen.«

»Und könnt Ihr das nicht auch in England?« fragte Rowena. »Mein Gemahl steht in Gunst beim König, der König selber ist gerecht und großmütig.«

»Lady,« erwiderte Rebekka, »daran zweifle ich nicht. Aber das Volk Englands ist ein wildes Geschlecht, das beständig im Zwist lebt mit seinen Nachbarn und mit sich selber und stets bereit ist, jedermann mit dem Schwerte zu durchbohren. Da ist für die Kinder meines Volkes keines Bleibens. Ephraim ist eine mutlose Taube, Isaschar ist ein bedrückter Sklave, er schreitet einher zwischen zwei Lasten. In einem Lande, das voll Blut und Krieg ist, das von feindseligen Nachbarn umgeben und im Innern durch vielfältigen Zwiespalt zerrüttet ist, darf Israel nicht hoffen, auf seiner Wanderschaft Rast zu finden.«

»Aber Ihr, Jungfrau,« erwiderte Rowena, »Ihr könnt hier nichts zu befürchten haben. Das Mädchen,« fuhr sie in überschwenglicher Begeisterung fort, »das Ivanhoes Krankenbett bewacht hat, hat in England nichts zu befürchten, wo Sachsen und Normannen miteinander wetteifern werden, wer ihr die meiste Ehre erzeigen kann.«

»Ihr sprecht gar schön, Lady,« sagte Rebekka, »und süß klingen Eure Worte, und noch edler ist Eure Absicht. Aber es kann nicht sein – zwischen uns ist eine Kluft – doch ehe ich gehe – gewährt mir eine Bitte. Der bräutliche Schleier hängt über Euerm Antlitz, hebt ihn auf und laßt mich das Gesicht sehen, das alle Welt rühmt.«

»Kaum ist es des Anschauens wert,« erwiderte Rowena, »aber indem ich von meinem Gast das gleiche erwarte, lüfte ich den Schleier.« Sie schlug ihn zurück, und teils unter dem Bewußtsein ihrer hohen Schönheit, teils aus Verschämtheit errötete sie so tief, daß Wange, Stirne, Nacken und Busen wie von Morgenröte übergossen schienen.

Auch Rebekka errötete, aber nur infolge einer augenblicklichen Gefühlsanwandlung, dann meisterten höhere Empfindungen die flüchtige Regung und die Röte wich aus ihren Zügen, wie der Purpur der Abendwolke verblaßt, wenn die Sonne im Horizont versinkt. »Lady,« sprach sie, »das Gesicht, das Ihr mir gezeigt habt, wird lange Zeit in meiner Erinnerung leben. Güte und Sanftmut thronen darin, und wenn ein leiser Zug von Stolz und weltlicher Eitelkeit mit einem so edeln und liebenswürdigen Ausdruck gepaart erscheint, wer möchte tadeln, daß das, was der Erde entstammt, die Farben seines Ursprungs trägt? Lange, lange werde ich Euers Angesichtes gedenken, und Gott sei gelobt, daß ich meinen edeln Befreier vermählt sehe mit . . .« Sie hielt inne, trocknete sich die Thränen, mit denen ihre Augen sich unwillkürlich füllten, und antwortete auf Rowenas besorgte Fragen: »Ich fühle mich wohl, Lady, recht wohl – aber mir schwillt das Herz, wenn ich an Torquilstone und an die Schranken von Templestowe denke. Lebt wohl! Noch nicht den kleinsten Teil meiner Schuld habe ich hiermit abgetragen. Nehmt dieses Schmuckkästchen von mir an und erschreckt nicht über seinen Inhalt!«

Rowena öffnete das kleine mit Silber beschlagene Kästchen und fand darin ein Halsband und Ohrringe von Diamanten, die anscheinend von unermeßlichem Werte waren. »Das kann ich unmöglich annehmen,« sagte sie, den Schmuck zurückgebend. – »Die Gabe ist zu reich.«

»O, nehmt sie an, Lady,« bat Rebekka. »Ihr habt Macht, Ansehen, Rang und Einfluß, wir haben Reichtum, der die Quelle unserer Stärke wie unserer Schwäche ist. Wäre der Wert dieses Tandes auch zehnmal so groß, er könnte nicht so viel bewirken wie Euer leisester Wunsch. Für Euch hat meine Gabe geringen Wert, und für mich ist es ein noch geringeres, wenn ich mich davon trenne. Laßt mich nicht glauben, Ihr dächtet ebenso schlecht von meinem Volke, wie die große Masse des englischen Volkes. Meint Ihr, ich schätzte dieses gleißende Gestein höher als meine Freiheit, oder mein Vater schätzte es der Ehre seines einzigen Kindes gleich wert? Nehmt es, Lady, für mich hat es keinen Wert mehr. Ich werde nie wieder Juwelen tragen.«

»Seid Ihr denn unglücklich?« fragte Rowena, erschüttert durch den seltsamen Ton, in dem diese letzten Worte gesprochen wurden. »O, bleibt bei uns! der Rat heiliger Männer wird Euch von Euerm unglücklichen Glauben bekehren, und ich will Euch eine Schwester sein.«

»Nein, teure Lady,« antwortete Rebekka mit demselben melancholischen Wesen, »das kann nicht sein. Ich kann den Glauben meiner Väter nicht wechseln wie ein Kleid, das nicht zum Klima paßt, unter dem ich lebe. Unglücklich, Lady, werde ich mich nicht fühlen, denn Gott, dem ich mein künftiges Leben weihe, wird mein Tröster sein.«

»Habt Ihr denn Klöster, wohin Ihr Euch zurückziehen könnt?«

»Nein, Lady, aber in unserm Volke hat es schon zu den Zeiten Abrahams Frauen gegeben, die ihr Denken und Trachten dem Himmel gewidmet haben und in Werken der Barmherzigkeit ihren Lebenszweck erblickten, die Kranken pflegten, die Hungrigen speisten und die Betrübten trösteten. Zu diesen soll Rebekka gezählt werden. Das sagt Euerm Herrn, wenn er nach dem Schicksal der Jüdin fragt, der er das Leben gerettet hat.« Bei diesen Worten erbebte sie unwillkürlich, und eine Innigkeit lag im Klange ihrer Stimme, die mehr verriet, als sie sich merken lassen wollte. Deshalb beeilte sie sich, von Rowena Abschied zu nehmen. »Lebt wohl!« sagte sie. »Der Gott, der Juden und Christen schuf, gieße seinen Segen reich über Euer Haupt aus! – Doch die Barke, die uns von hinnen tragen soll, wird schon unter Segel sein, noch ehe wir den Hafen erreicht haben.« Sie ging hinaus und ließ Rowena zurück in Erstaunen über diesen Besuch.

Die schöne Sächsin erzählte die seltsame Unterredung ihrem Gatten wieder, auf dessen Gemüt sie einen tiefen Eindruck zu machen schien. Lange und glücklich lebte er mit Rowena, denn die Bande innigster Liebe verknüpften sie, und durch die Erinnerung an die überwundenen Hindernisse, die sich ihnen entgegengetürmt hatten, wurden sie sich immer teurer. Wir wollen es indessen dahingestellt sein lassen, ob sich der Gedanke an Rebekka nicht öfter dem jungen Gatten aufdrängte, als die schöne Frau aus Alfreds Geschlecht hätte wünschen mögen.

Ivanhoe zeichnete sich im Dienste seines Königs aus und erhielt auch ferner noch manchen Beweis der Gunst Richards. Er wäre zu immer höherer Stellung gelangt, wenn nicht der Tod den heroischen Richard Löwenherz so frühzeitig abberufen hätte. Er starb den Heldentod vor dem Schlosse Chalüz bei Limoges.

Mit dem Leben des hochherzigen und romantischen Fürsten gingen alle Pläne unter, die seine Großmut und sein Ehrgeiz gefaßt hatte. Auf ihn ließen sich, mit geringer Abänderung, die Zeilen anwenden, die Johnson auf Karl den Zwölften von Schweden gedichtet hat:

Sein Schicksal endete an fremdem Strand
Vor schwacher Feste und durch niedre Hand.
Einst machte jedes Herz sein Name höher schlagen,
Jetzt ist er nur ein Stoff, an Lehren reich und Sagen.

 


 


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