Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

In der Kutte des Eremiten, die mit einem Strick um den Leib gegürtet war, stand Wamba vor dem Schloßtore. Der Torhüter fragte ihn nach Namen und Begehr. »Pax vobiscum!« antwortete der Narr. »Ich bin ein armer Bruder vom Orden des heiligen Franziskus und komme, um bei einigen unglücklichen Gefangenen dieses Schlosses meines Amtes zu walten.«

»Du bist 'n Mönch, der Courage hat,« sagte der Torwart, »daß du dich hierher getraust, wo seit unserem besoffenen Beichtvater zwanzig Jahre lang kein Hahn deines Gefieders gekräht hat.«

»Ich bitt Euch,« versetzte der Mönch, »richtet dem Schloßherrn aus, was ich Euch aufgetragen habe. Ich geb Euch mein Wort drauf, er wird mich freundlich aufnehmen, und der Hahn soll krähen, daß mans im ganzen Schloß hört.«

»Schön Dank,« erwiderte der Torhüter. »Wenn ich aber Schererei deswegen habe, daß ich auf Euern Auftrag hin von meinem Posten weggegangen bin, so will ich mal sehen, ob 'ne Mönchskutte gegen einen Pfeil mit grauen Gansfedern gefeit ist.« Mit dieser Drohung verließ er seinen Turm und bestellte im Schlosse die ungewöhnliche Botschaft, daß ein frommer Bruder am Tor sei und Einlaß begehre. Mit nicht geringer Verwunderung vernahm er den Befehl seines Herrn, den frommen Mann sofort hereinzulassen. So groß das Selbstvertrauen auch war, das Wamba bei seinem gefahrvollen Unternehmen beseelte, so drohte es ihn doch zu verlassen, als er sich einem so furchtbaren und gefürchteten Manne wie Reginald Front-de-Boeuf gegenübersah. Er brachte sein Pax vobiscum, das so ziemlich die ganze Weisheit seiner angenommenen Rolle ausmachte, mit weit mehr Angst und Zagen heraus als bisher. Aber Front-de-Boeuf war so daran gewöhnt, Leute jedes Standes vor sich zittern zu sehen, daß er in der Furchtsamkeit des vermeintlichen Mönches keinen Grund zu Argwohn fand. »Wer bist du, Priester, und woher kommst du?«

»Pax vobiscum!« wiederholte der Narr. »Ich bin ein armer Bruder des Klosters zum heiligen Franziskus. Als ich hier durch die Wüste wandelte, so fiel ich unter Räuber und Diebe – quidam viator incidit in latrones, sagt die heilige Schrift. Diese Diebe haben mich nach dem Schlosse hier gesandt, daß ich bei zwei Personen, die Eure ehrenwerte Gerechtigkeit zum Tode verurteilt hat, meines Amtes walte.«

»Ja so!« machte Front-de-Boeuf. »Kannst du mir auch sagen, heiliger Vater, wie groß die Zahl der Banditen ist?«

»Tapferer Ritter,« antwortete der Narr, nomen illis legio – ihr Name ist Legion!«

»Sage mir rund heraus, Priester, wie viele sind ihrer im Walde draußen? Sonst sollen dich Kutte und Strick wenig schützen.«

»Wehe!« sagte der angebliche Mönch. »Cor meum eructavit, das heißt, mir war, als sollte ich vor Furcht verenden. Soviel ich aber bei aller Angst habe sehen können, so mögen es an Yeomen und gemeinem Volk wohl ihrer fünfhundert sein.«

»Was!« rief der Templer, der gerade in die Halle kam. »Ist der Wespenschwarm so dicht? Nun, da ist es Zeit, die ganze verderbliche Brut zu ersticken.« Dann zog er Front-de-Boeuf beiseite. »Kennt Ihr den Priester?« fragte er.

»Es ist ein fremder Mönch aus einem entlegenen Kloster,« antwortete Reginald. »Ich kenne ihn nicht.«

»Dann vertraut ihm nichts Mündliches an,« sagte der Templer. »Gebt ihm einen schriftlichen Befehl an die Freischar de Bracys mit, daß sie auf der Stelle ihrem Hauptmann zu Hilfe eilen solle. Bis dahin erlaubt dem Glatzkopf, hier frei herumzugehen, damit er keinen Verdacht schöpft, und laßt ihn die sächsischen Schweine zur Schlachtbank herrichten.«

»So soll es sein,« stimmte Front-de-Boeuf ein und befahl einem Diener, Wamba in das Gemach zu bringen, wo Cedric und Athelstane gefangen saßen.

Als Cedric erkannt hatte, daß er gefangen war, war sein Ungestüm nur noch gestiegen. Mit den Gebärden eines Kriegers, der Sturm laufen oder über seinen Feind herfallen will, schritt er in dem Gemache auf und ab. Bald sprach er mit sich selber, bald mit Athelstane, der mit stoischer Ruhe abwartete, wie sich das Weitere gestalten würde, während er mit aller Behaglichkeit das reiche Mahl verdaute, das er zu Mittag verspeist hatte. Ihm war es einerlei, wie lange seine Gefangenschaft dauern würde, denn er sagte sich, wie alles Leid auf Erden müsse auch sie einmal ein Ende nehmen.

»Pax vobiscum!« sagte der Narr, indem er eintrat. »Der Segen des heiligen Dunstan sei mit euch!«

»Salvete et vos!« antwortete Cedric dem vermeintlichen Mönch. »Was führt dich zu uns?«

»Zum Tode soll ich euch vorbereiten,« erwiderte der Narr.

»Das ist nicht möglich!« fuhr Cedric auf. »Sie mögen noch so gottlos und unverschämt sein, aber eine solche offenbare und nutzlose Grausamkeit werden sie nicht wagen.«

»Ach!« versetzte der Narr. »Wer sie durch irgendwelchen Appell an menschliche Gefühle zu beeinflussen hofft, der kann ebensogut ein Pferd mit einer seidenen Schnur zu regieren suchen. Deshalb, edler Cedric und tapferer Athelstane, denkt darüber nach, was ihr im Fleische gesündigt habt, denn noch heute müßt ihr vor dem höchsten Richter Rechenschaft tun.«

»Hört Ihr, Athelstane?« rief Cedric. »Wir müssen unsere Herzen zu diesem letzten Akt aufraffen! Besser als Männer sterben, denn als Sklaven leben!«

»Ich bin bereit,« antwortete Athelstane, »ihre Grausamkeit bis auf die Neige zu erdulden, und gehe ebenso ruhig zum Tode wie zu meinem Mittagessen.«

»So führe uns zu einem heiligen Ende, frommer Vater,« sagte Cedric.

»Warte noch ein bißchen, guter Onkel!« sagte jetzt der Narr in seinem natürlichen Tone. – »Ehe du ins Dunkle springst, schau besser hin.«

»Weiß es Gott!« rief Cedric, »die Stimme sollte ich kennen.«

»Es ist die Stimme Euers treuen Sklaven und Narren,« antwortete Wamba, indem er die Kapuze zurückschlug. »Wenn Ihr früher dem Rate eines Narren gefolgt wäret, so säßet Ihr jetzt nicht hier. Befolgt ihn nun, und Ihr werdet nicht lange mehr hier sitzen.«

»Was willst du damit sagen, Schelm?« fragte der Sachse.

»Nehmt dieses Kleid,« sagte Wamba, »und diesen Strick, sie machen meine ganze Priesterschaft aus – und verlaßt in aller Ruhe das Schloß. Laßt mir Euern Mantel und Gürtel, und ich bleibe an Eurer Stelle zurück.«

»Du an meiner Stelle?« rief Cedric, erstaunt über diesen Vorschlag. »Aber sie werden dich hängen, mein armer Schelm.«

»Laßt sie doch tun, was sie wollen,« versetzte Wamba. »Ich will zwar Eurer Abkunft nicht zu nahe treten, aber ich meine, der Sohn von Ohnewitz wird mit ebensoviel Anstand an der Kette hängen, wie die Kette an seinem Vorfahr, dem Rathsherrn, hing.«

»Gut, Wamba,« antwortete Cedric, »ich nehme den Vorschlag an auf eine Bedingung hin: tausche statt mit mir mit Lord Athelstane die Kleider.«

»Nein, beim heiligen Dunstan,« sagte Wamba, »das wäre nicht vernünftig. Es sind gute Gründe vorhanden, daß der Sohn von Ohnewitz den Sohn Herewards rette, aber wenig Weisheit wäre daran, wenn er für einen sterben wollte, dessen Väter ihm fremd sind.«

»Schurke!« rief Cedric. »Die Väter von Athelstane waren Herrscher von England!«

»Sie mögen gewesen sein, was sie wollen,« versetzte Wamba, »der Hals sitzt mir zu fest auf'm Nacken, als daß ich ihn mir um ihretwillen möchte zusammenschnüren lassen. Also müßt Ihr, mein guter Herr, mein Anerbieten annehmen, oder ich gehe aus diesem Kerker so frei wieder raus, wie ich reingekommen bin.«

»Der alte Baum mag verwelken,« sagte Cedric, »wenn nur die Hoffnung des Waldes gerettet wird. Rette den edeln Athelstane, mein treuer Wamba, das ist die Pflicht eines jeden, in dessen Adern sächsisches Blut rollt. Wir beide wollen dann zusammen hierbleiben und der Wut unserer Unterdrücker bis zum Äußersten Trotz bieten, er aber mag frei und mit heiler Haut den Mut unserer Landsleute erwecken und zur Rache für uns aufrufen.«

»Nicht also, Vater Cedric!« sagte Athelstane und ergriff ihn bei der Hand, denn wenn er zum Handeln aufgemuntert wurde, so waren seine Handlungen und seine Denkweise fast immer seiner hohen Abkunft würdig. »Nicht also,« fuhr er fort, »lieber wollt ich in diesem Gemach eine Woche lang keine andere Speise genießen als das karge Brot des Gefangenen und kein anderes Getränk begehren als Wasser, ehe ich Gebrauch machen würde von der Liebe dieses Sklaven zu seinem Herrn.«

«Ihr Herren, Ihr nennt euch weise!« fiel Wamba ein, »und mich nennt ihr 'nen verrückten Narren, aber, Onkel Cedric und Vetter Athelstane, der Narr soll diesen Streit unter euch entscheiden und euch die Mühe ersparen, euch Komplimente untereinander zu machen. Ich bin gekommen, um meinen Herrn zu retten und der will nicht gerettet sein – also geh ich wieder heim. Ein Liebesdienst kann nicht aus einer Hand in die andere gehen, wie 'n Weberschiff oder 'n Fangball. Ich lasse mich für keinen anderen hängen als für meinen eingeborenen Gebieter.«

»So geht denn, edler Cedric,« sagte Athelstane. »Laßt diese Gelegenheit nicht vorübergehen. Wenn Ihr draußen seid, so könnt Ihr vielleicht Freunde zu unserer Hilfe aufrufen. Wenn Ihr hierbleibt, so sind wir alle verloren.«

»Und ist Aussicht vorhanden, daß wir draußen Hilfe finden?« fragte Cedric den Narren.

»Aussicht genug,« antwortete der Narr. »Ich sag Euch, zieht meine Kutte an, und Ihr habt'n Generalsrock an. Draußen stehen fünfhundert Mann, und heute morgen noch war ich einer ihrer Anführer. Meine Narrenkappe 'n Helm, mein Stock 'n Kommandostab. Na, wir werden ja sehen, ob sie klug dran taten, daß sie sich gegen den Narren einen Weisen eintauschten. Was sie an Besonnenheit gewonnen haben, setzen sie vielleicht an Tapferkeit wieder zu. So lebt denn wohl, Herr! Seid barmherzig gegen den armen Gurth und seinen Hund Packan und laßt in der Halle von Rotherwood meine Schellenkappe aufhängen zum Andenken, daß ich mein Leben ließ für meinen Herrn, recht wie ein treuer – Narr.«

Der Ton des letzten Aktes schwankte zwischen Ernst und Scherz. Dem alten Cedric standen Tränen in den Augen. »Dein Andenken soll heilig gewahrt bleiben,« sagte er, »so lange noch Treue und Liebe auf Erden Wert haben. Aber ich hoffe, ich finde Mittel und Wege, Rowena zu retten und Euch, edler Athelstane, und auch dich, mein armer Wamba, ich will in diesem Stück nicht hinter dir zurückstehen.«

Nun wurden die Kleider getauscht – da fühlte Cedric plötzlich einen Zweifel in sich aufsteigen. »Ich verstehe keine Sprache weiter, als meine Heimatzunge,« sagte er, »und soll ich mich als frommer Bruder benehmen?«

»Zwei Worte machen die ganze Kunst aus,« sagte Wamba: »Pax vobiscum. Das gibt auf alle Fragen Antwort, Ihr mögt kommen oder gehen, essen oder trinken, Segen oder Fluch sprechen – mit Pax vobiscum kommt Ihr durch alles. Es ist für den Mönch so brauchbar, wie der Besenstiel für die Hexe oder die Wünschelrute für'n Zauberer. Sprecht nur in so tiefem ernstem Tone: Pax vobiscum! Dem kann keiner widerstehen: Wachen und Hüter, Ritter und Knappen, Männer zu Roß und zu Fuß – keiner kann diesem Zauber trotzen. Ich denke, wenn sie mich morgen hängen wollen – und das ist wohl anzunehmen – so versuch ich's nochmal, ob ich bei dem Vollstrecker des Urteils nicht mit dem Pax vobiscum was erreiche.«

»Wenn dem so ist,« sagte Cedric, »so hätte ich das Priestertum schnell begriffen. – Pax vobiscum! Das werde ich wohl behalten. – Edler Athelstane, lebt wohl, und auch du, mein armer Bursch, dein Herz würde selbst einem schwächeren Kopfe noch als dem deinen Ehre machen. – Ich werde euch retten oder wiederkommen und mit euch sterben. Das königliche Blut unserer Sachsenkönige soll nicht vergossen werden, solange noch Leben in meinen Adern ist, und kein Haar soll diesem braven Jungen gekrümmt werden, der für seinen Herrn das Leben wagte, wenn es Cedric hindern kann. – Lebt wohl!«

»Lebt wohl, edler Cedric,« sagte Athelstane, »und bedenkt, daß ein Ordensbruder ruhig Erfrischungen annehmen darf, die ihm angeboten werden.«

»Lebt wohl, Onkel!« setzte Wamba hinzu, »und denkt an das Pax vobiscum!«

Mit derlei Ermahnungen machte sich Cedric auf den Weg. Es währte nicht lange, so hatte er Gelegenheit, die Kraft seines Zauberwortes zu erproben, denn an einem niedrigen gewölbten Gange begegnete ihm eine weibliche Gestalt, die ihn aufhielt.

»Pax vobiscum!« sprach der verkappte Mönch und wollte in aller Eile vorbeischlüpfen, aber eine sanfte Stimme antwortete ihm: »Et vobis – quaeso domine reverendissime pro misericordia vestra –«

»Ich bin ein wenig taub,« versetzte Cedric auf gut sächsisch und murmelte in seinen Bart: »Verwünscht sei der Narr und sein Pax vobiscum! Gleich beim ersten Wurfe habe ich meinen Spieß verloren.«

Es war aber zur damaligen Zeit keine Seltenheit, daß die Priester für Latein ein taubes Ohr hatten, und das wußte die Person, die mit Cedric sprach, recht wohl. »Ich bitte Euch um Himmels willen, ehrwürdiger Vater,« fuhr sie in sächsischer Sprache fort, »seid so gut und laßt Euern geistlichen Trost einem verwundeten Gefangenen, der hier im Schlosse liegt, zukommen und habt Mitleid mit ihm, wie es Euer Stand erheischt. Ihr sollt nie eine gute Tat getan haben, die Euerm Kloster so großen Vorteil gebracht hätte.

»Tochter,« antwortete Cedric in großer Verlegenheit, »meine Zeit erlaubt mir nicht, in diesem Schlosse mein heiliges Amt zu üben – ich muß auf der Stelle fort, denn Tod und Leben hängen davon ab, daß ich mich beeile.«

»Und trotzdem,« fuhr die Bittende fort, »muß ich in Euch dringen, laßt um Euers Gelübdes willen den Armen nicht ohne Beistand.«

»So möge denn der böse Feind mit mir davonfliegen und mich mit Odins und Thors Seelen in Jfrin lassen,« versetzte Cedric außer sich, und er hätte wahrscheinlich in dem gleichen Tone, der seinem heiligen Stande ganz entgegen war, noch weitergesprochen, wenn nicht ein altes Weib herzugetreten wäre, das mit dem rauhen Krächzen einer Turmeule das Gespräch unterbrach.

»Wie, Schätzchen?« sagte sie zu der weiblichen Gestalt, »ist das der Dank für meine Nachsicht, daß ich dir erlaubt habe, aus deiner Gefangenenzelle oben herauszugehen? Treibst du den heiligen Mann dazu, daß er so unfeine Reden gebraucht, um eine Jüdin los zu werden?«

»Eine Jüdin?« rief Cedric, froh, daß er einen Vorwand fand, sich loszureißen. »Laß mich gehen, Weib, und halte mich nicht auf, es könnte dir leid tun. Ich habe eben meines Amtes gewaltet und muß mich vor Verunreinigung hüten.«

»Folgt mir, Vater!« sagte die Alte. »Ihr seid fremd in diesem Schlosse und findet ohne Führer nicht heraus. Kommt mit, ich habe mit Euch zu reden, und du, Tochter eines verfluchten Volkes, geh zu dem Kranken und pflege ihn, bis ich wiederkomme, und wehe dir, wenn du das Gemach noch einmal ohne Erlaubnis verläßt.«

Rebekka ging, und Urfried zog Cedric trotz seinem Widerstreben mit sich fort.


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