Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

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Dreizehntes Kapitel.

Eine Spinne kann nicht mit größerer Sorgfalt ihr zerrissenes Netz ausbessern, als Waldemar Fitzurse jetzt all seine Geschicklichkeit aufbot, um die zerschlissenen Maschen des Staatsstreiches Johanns wieder zusammenzubringen. Nur wenige waren aus Laune auf seiner Seite, aus Anhänglichkeit an ihn selbst niemand. Fitzurse hatte daher nur das eine Mittel, den Wankenden zu zeigen, was für Vorteile ihnen in Zukunft erwachsen würden, und sie an die bereits genossenen Vorteile zu erinnern. Den jungen, lebenslustigen Edelleuten stellte er uneingeschränkte Freiheit und zügellose Lustbarkeiten in Aussicht; den Ehrgeizigen versprach er Macht und Würden, den Habgierigen Reichtum und weite Besitzungen. Die Anführer der Söldner erhielten Geldgeschenke – in ihren Augen ein zugkräftiges Mittel, dem kein anderes an Wirkung gleichkam.

Der emsige Werber war aber im allgemeinen weit freigebiger mit Versprechungen als mit Geschenken, wenn er auch nichts unterließ, wodurch ein Unentschiedener zu bestimmen und ein Zaghafter zu ermutigen war. Eine Rückkehr des Königs Richard stellte er als ganz ausgeschlossen hin. Aber als er die unbestimmten Antworten und die mißtrauischen Blicke seiner Mitverschworenen bemerkte und daran erkannte, daß sie gerade eine solche Rückkehr am meisten befürchteten, tat er diese Möglichkeit mit gelassener Kühnheit ab und versicherte, die Politik ihrer Partei würde sich dadurch nicht im geringsten beirren lassen. »Wenn Richard wiederkommt,« sagte Fitzurse, »so wird er seinen verarmten und hungrigen Kreuzfahrern auf Kosten derer zu Reichtum verhelfen, die ihm nicht ins heilige Land gefolgt sind. Er wird furchtbares Gericht halten über alle die, die sich während seiner Abwesenheit irgend einen Verstoß gegen die Gesetze oder das Recht der Krone haben zuschulden kommen lassen. Vor allem wird er jeden, der zur Partei seines Bruders Johann gehört hat, wie einen Rebellen bestrafen. – Ist Euch bange vor seiner Macht?«

»Ich erkenne an,« fuhr der arglistige Vertrauensmann des verräterischen Prinzen fort, »daß er ein tapferer und mannhafter Ritter ist, aber wir leben nicht mehr in den Zeiten König Arthurs, da es noch ein einzelner Kämpfer mit einem ganzen Heere aufnehmen konnte. – Wenn Richard wirklich wiederkommt, so kommt er allein, ohne Gefolge, ohne Freunde. – Die Gebeine seines tapferen Heeres bleichen auf dem Sande von Palästina. Die wenigen von seinen Anhängern, die zurückgekehrt sind, sind arm und vereinzelt eingetroffen, wie eben jener Wilfried von Ivanhoe. Und was denkt Ihr denn von Richards Erbrecht?« wandte er gegen die Zweifel ein, die ihm so oft vorgestellt wurden. »Ist denn Richards Anspruch auf die Erstgeburt unbestrittener als der Anspruch des Herzogs Robert von der Normandie, des ältesten Sohnes des Eroberers? – Sind ihm doch Wilhelm der Rote und Heinrich, sein zweiter und sein dritter Bruder, nacheinander durch den Spruch des Volkes vorgezogen worden. – Robert hat ebenfalls alle die Vorzüge, die man an Richard rühmt. Er war ein tapferer Ritter, ein tüchtiger Heerführer, edelsinnig und großmütig gegen seine Freunde und gegen die Kirche, und was ihn allein schon der Krone würdig macht, so war auch er Kreuzfahrer und ist nach dem heiligen Grabe gepilgert. Und doch ist er als blinder, elender Gefangener im Schlosse Cardiffe hingesiecht, weil er sich dem Willen des Volkes widersetzte, das nicht von ihm regiert sein wollte. Es ist eben unser gutes Recht,« setzte er hinzu, »uns aus dem königlichen Hause den Prinzen auszusuchen, der am meisten dazu berufen ist, die höchste Macht auszuüben, das heißt,« fügte er sich selber verbessernd hinzu, »den, der den Vorrechten des Adels am kräftigsten die Stange hält. An persönlichen Eigenschaften steht vielleicht Prinz Johann seinem Bruder Richard nach, allein wenn man in Betracht zieht, daß dieser mit dem Racheschwert in der Hand wiederkommen wird, und daß jener Belohnungen, Privilegien, Reichtum und Ehren austeilen wird, so kann darüber länger kein Zweifel bestehen, welcher von beiden der König ist, den der Adel aus allen Gründen der Vernunft und Politik halten muß.« Eine solche Beweisführung, die sich stets den verschiedenen Verhältnissen der Zuhörer geschmeidig anpaßte, hatte den gewünschten Erfolg für Johanns Partei. Die Mehrzahl sagte zu, bei der geplanten Versammlung in York zugegen zu sein, um dort alle erforderlichen Vorbereitungen zur Krönung des Prinzen Johann zu treffen.

Erschöpft von all diesen Anstrengungen, aber sehr zufrieden mit dem Erfolg, kam Waldemar Fitzurse noch spät in der Nacht nach Schloß Ashby. Dort traf er de Bracy, der das Festkleid mit einem kurzen grünen Wams vertauscht hatte, eine lederne Kappe trug, ein kurzes Schwert am Gurt, ein Horn über die Schulter, einen langen Bogen in der Hand und ein Bündel Pfeile im Köcher. Wenn Fitzurse diesem Mann im Vorraum begegnet wäre, so hätte er ihn nicht weiter beachtet, sondern ihn für einen Mann von der Garde gehalten, da er ihn aber im Innern der Halle sah, so fühlte er sich veranlaßt, genauer zuzuschauen, und erkannte nun den normännischen Ritter in der Tracht eines englischen Weidmannes.

»Was soll der Mummenschanz, de Bracy?« fragte Fitzurse, ein wenig verdrossen. »Ist jetzt die Zeit zu Fastnachtsscherzen? Die Entscheidung über das Schicksal des Prinzen, Euers Herrn, steht bevor. Warum seid Ihr nicht auch unter die blutlosen Memmen getreten, die beim bloßen Namen des Königs Richard das Herz verloren haben?«

»Ich habe mich um meine eigenen Angelegenheiten bekümmert, so gut wie Ihr Euch um die Euern, Fitzurse,« antwortete de Bracy ruhig.

»Ich mich um meine? Für den Prinzen Johann bin ich tätig gewesen, für unseren beiderseitigen Gönner.«

»Als wenn Ihr dabei etwas anders als die Förderung Euers eigenen Vorteils im Auge hättet!« sagte der andere. »Geht doch, Fitzurse, wir kennen einander. – Ihr trachtet nach Ehre, ich gehe nur der Lust nach. So entspricht es auch unserm verschiedenen Alter. Vom Prinzen Johann denkt Ihr eben nicht besser als ich. Er ist zu schwach, um einen energischen Herrscher abzugeben, und zu tyrannisch, um ein erträglicher Herrscher zu werden, und zu unverschämt und anmaßend, um ein populärer Herrscher zu sein, und zu feige und wankelmütig, um überhaupt lange Herrscher sein zu können. – Allein er ist der Herrscher, durch den Fitzurse und Bracy in die Höhe kommen können, und deshalb stehen wir beide ihm bei – Ihr mit Eurer Klugheit und ich mit meiner Freiwilligenschar.«

»Ihr seid mir ein netter Helfershelfer!« rief Fitzurse ungeduldig. »Wenn die Not am größten ist, da spielt Ihr den Narren. Was zum Teufel bezweckt Ihr zu einem so kritischen Zeitpunkt mit solcher Verkleidung?«

»Ich will auf die Freite gehen,« sagte de Bracy kalt. »In dieser Verkleidung will ich über die Herde sächsischer Ochsen herfallen, die in dieser Nacht das Schloß verläßt, und will ihnen die liebenswürdige Rowena rauben.«

»Seid Ihr toll?« rief Fitzurse. »Wenn diese Männer auch Sachsen sind, so bleiben sie doch deshalb reiche und mächtige Personen, die bei ihren Landsleuten um so mehr in Ehren stehen, als Reichtum und Macht bei den Sachsen jetzt sehr selten sind.«

»Und von Rechts wegen auch gar nicht mehr vorkommen sollten,« setzte de Bracy hinzu, »damit die Eroberung vollständig würde.«

»Das ist jetzt noch nicht an der Zeit,« antwortete Fitzurse. »Bei der bevorstehenden Krise ist uns die Gunst des großen Haufens unentbehrlich, und Prinz Johann muss allen denen, die von seinen Günstlingen Unbilden erfahren, zu ihrem Rechte verhelfen.«

»Mag er's, wenn er den Mut hat!« versetzte Bracy, »er wird bald spüren, was es für ein Unterschied ist, ob man von einer Schar tapferer Speere oder von einem blutlosen Sachsenpöbel unterstützt wird. Auch habe ich mich dagegen gesichert, dass mein Anschlag so frühzeitig entdeckt wird. Sehe ich in dieser Tracht nicht so kühn aus wie je ein Förster, der ins Horn stieß? – Die Schuld an dieser Gewalttat fällt auf die Geächteten in den Wäldern von Yorkshire. Welches Weges die Sachsen ziehen, habe ich sicher ausgekundschaftet. In dieser Nacht sind sie im Kloster Sankt Withold zu Obdach. Tags darauf kommen wir hinter ihnen her und schießen wie die Falken in sie hinein. Kurz darauf erscheine ich in meiner wahren Gestalt, befreie die trostlose Schöne aus rohen Räuberhänden und führe sie als artiger Ritter auf Front-de-Boeufs Schloß oder, wenns nötig ist, nach der Normandie. Ihre Sippschaft bekommt sie nicht eher wieder zu sehen, als bis sie die Braut oder Gemahlin von Moritz de Bracy ist.«

»Ein erstaunlich pfiffiger Plan,« sagte Fitzurse, »scheint auch nicht ganz Euers eigenen Geistes Erzeugnis. – Wohlan, Bracy, seid aufrichtig! Wer hat Euch dieses Komplott schmieden helfen und wer will es Euch ausführen helfen, denn mir scheint, Eure Bande liegt nicht weit von York?«

»Wenn Ihrs denn durchaus wissen müßt,« antwortete de Bracy, »der Templer Brian de Bois-Guilbert hat den Plan ausgeheckt, und er will mir bei der Ausführung behilflich sein, er und sein Gefolge stellen die Räuber dar, aus deren Gewalt mein tapferer Arm die Dame befreien soll.«

»Meiner Treu, der Plan macht Eurer beiderseitigen Weisheit Ehre, und Ihr selber, Bracy, gebt den besten Beweis für Eure Schlauheit damit, daß Ihr die Schöne in den Händen Eures Helferhelfers lassen wollt. Ihren sächsischen Freunden könnt Ihr sie leicht wegschnappen, wie aber wollt Ihr sie nachher den Klauen Bois-Guilberts wieder entreißen? Das scheint mir doch bedeutend schwieriger. – Er ist ein Falke, der es heraus hat, auf ein Rebhuhn zu stoßen und seine Beute festzuhalten.«

»Er ist ein Templer,« versetzte de Bracy, »und deshalb kann er nicht mit mir um die Hand dieser Erbin streiten, noch überhaupt etwas Schändliches gegen die zukünftige Braut Bracys vornehmen. Beim Himmel! Und wäre er der ganze Orden in einer Person, eine solche Beleidigung dürfte er nicht wagen.«

»Weil Euch denn doch nichts,« erwiderte Fitzurse, »diesen Blödsinn aus dem Kopfe treiben kann, was ich auch sagen mag – denn ich weiß, was für einen harten Schädel Ihr habt – so haltet Euch wenigstens nach Möglichkeit dazu, damit Eure Torheit nicht ebenso störend wirkt, wie sie zur Unzeit kommt.«

»Ich sage Euch doch,« antwortete Bracy, »in ein paar Stunden ist es getan. Dann bin ich in York an der Spitze meiner kühnen und tapferen Schar bereit, mich an jedem Vorgehen zu beteiligen, soweit es mit meiner Klugheit vereinbar ist. – Doch ich höre, daß sich meine Genossen im Hofe sammeln. Schon stampfen und wiehern die Pferde. Lebt wohl! Ich ziehe aus wie ein echter Ritter, meiner Schönen ein Lächeln abzugewinnen!«

Waldemar Fitzurse sah ihm nach. »Wie ein echter Ritter?« wiederholte er. »Wie ein echter und rechter Narr, oder wie ein Kind, das vom notwendigsten und ernstesten Tun abläßt, um einer Distel nachzuhaschen, die der Wind an ihm vorübertreibt. Und mit solchen Werkzeugen muß ich arbeiten, und für wen? Für einen ebenso unklugen wie ausschweifenden Prinzen, der leicht ein so undankbarer Herr sein kann, wie er ein rebellischer Sohn und unnatürlicher Bruder war. – Doch er, er selber ist ja nur eines von meinen Werkzeugen, und wenn er noch so stolz ist, sollte es ihm jemals einfallen, seinen Vorteil zu suchen und meinen dabei außer acht zu lassen, so will ich ihm die Augen öffnen.«

Der Staatsmann wurde in seinen Betrachtungen unterbrochen durch die Stimme des Prinzen, der ihn aus einem an den Saal anstoßenden kleineren Gemach zu sich rief.

Die Mütze in der Hand ging der künftige Kanzler (denn nach diesem Amte trachtete der listige Normanne) zu seinem künftigen Souverän, neue Befehle zu empfangen.


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