Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

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Achtzehntes Kapitel.

Während in dieser Weise schon an der Befreiung Cedrics und seiner Angehörigen gearbeitet wurde, schleppte die bewaffnete Schar ihre Gefangenen nach dem festen Platze, wo sie in Gewahrsam gebracht werden sollten. Aber die Finsternis brach zu schnell herein und die Pfade durch den Wald waren den verkappten Räubern nur wenig bekannt. Sie mußten daher oftmals haltmachen und auch mehrmals umkehren, um den richtigen Weg wiederzufinden. Erst als der sommerliche Morgen anbrach, kamen sie schneller von der Stelle, dann kehrte auch das Selbstvertrauen wieder. Zwischen den beiden Anführern der Räuberbande entspann sich nun folgendes Zwiegespräch:

»Es ist nun Zeit, daß Ihr uns verlaßt, Sir Moritz,« sagte der Templer zu Bracy. »Ihr müßt nun den zweiten Akt Eurer Mysterie spielen. Ihr wißt, Ihr sollt jetzt als befreiender Ritter auftreten.«

»Ich habe mirs anders überlegt,« antwortete de Bracy, »ich will Euch nicht eher verlassen, als bis ich meine Beute in Front-de-Boeufs Schlosse untergebracht und wohlgeborgen habe. Dort will ich in meiner wahren Gestalt vor Lady Rowena erscheinen, und sicher wird sie der Inbrunst meiner Liebe die Gewalttat, die ich mir habe zu schulden kommen lassen, zugute halten.«

»Und weshalb habt Ihr Euern Plan geändert?« fragte der Templer.

»Das geht Euch nichts an,« war die trockene Antwort.

»Ich hoffe, Herr Ritter,« erwiderte der Templer, »es hat Euch zu dieser Maßregel nicht das Mißtrauen bewogen, das Euch Fitzurse gegen mich eingeflößt hat?«

»Was ich denke, ist meine Sache,« sagte de Bracy, »das Sprichwort heißt, wenn ein Dieb den andern bemaust, hat der Teufel sein Gaudium. Was Sitte und Recht im Templerorden gelten, ist mir wohlbekannt, und ich will mich nicht um die schöne Beute betrügen lassen, um die ich soviel gewagt habe.«

»Bah!« machte der Templer. »Ihr kennt doch die Gesetze unseres Ordens.«

»Sehr genau sogar,« versetzte de Bracy, »und ich weiß auch, wie sie gehalten werden. In dieser Angelegenheit kann ich mich nicht auf Euer reines Gewissen verlassen.«

»Hört denn die Wahrheit!« sagte der Templer. »Ich frage nichts nach Eurer blauäugigen Schönheit, in ihrem Zuge ist eine, die mir weit besser gefällt.«

»Ihr meint doch nicht etwa die schöne Jüdin?«

»Und wenn ich sie meinte, wer sollte mir entgegentreten oder was mich hindern?«

»Ich wüßte nicht, was, es sei denn Euer Gelübde,« antwortete Bracy, »oder Euer Gewissen, das sich vielleicht dagegen sträubt, einen Liebeshandel mit einer Jüdin zu begehen.«

»Meines Gelübdes wegen,« entgegnete der Templer, »hat mir mein Großmeister Ablaß erteilt, und was das Gewissen betrifft, so macht sich einer, der an die zweihundert Sarazenen erschlagen hat, keine Kopfschmerzen wegen eines kleinen Fehltrittes wie eine Dorfschöne bei der Beichte am Heiligabend. Seid Ihr nun beruhigt, und wollt Ihr nun bei Euerm ersten Vorhaben bleiben? – Ihr habt, wie Ihr seht, nicht zu befürchten, daß ich Euch ins Gehege komme.«

»Nein, nein!« versetzte Bracy. »Ich ändere nichts mehr an meinem Plane. Was Ihr da sagt, mag schon Euer Ernst sein. Aber ich bin kein Freund von solchen Vorrechten, die Euch der Ablaß Euers Großmeisters erteilt hat, auch nicht von solchen Vergünstigungen, die Euch zukommen, weil Ihr ein paar hundert Sarazenen totgeschlagen habt. Ihr habt viel zu viel Anrecht auf Generalpardon, als daß Ihr Euch an Kleinigkeiten stoßen würdet.«

Inzwischen bemühte sich Cedric vergebens, von den Knappen, die ihn bewachten, zu erfahren, wem sie angehörten und was sie mit ihnen vorhätten. Die Kerle hatten zu triftigen Grund, Stillschweigen zu bewahren, und ließen sich weder durch Zorn noch durch Bitten zum Reden bewegen. Sie verfolgten in großer Eile ihren Weg, bis endlich durch eine Allee von gewaltigen Bäumen Torquilstone, das alte verwitterte Schloß Reginald Front-de-Boeufs in Sicht kam. Als Cedric die wohlbekannten Türme und die grauen, moosbewachsenen Zinnen erblickte, die in der Morgensonne durch den Wald leuchteten, da ward es ihm ein wenig klarer, wem er sein Unglück zuzuschreiben habe.

»Ich habe den Dieben und Räubern dieser Wälder unrecht getan,« sagte er, »als ich des Glaubens war, daß diese Banditen zu ihnen gehörten. Geradesogut hätte ich die Füchse dieser Forsten mit den reißenden Wölfen Frankreichs verwechseln können. – Sagt mir, ihr Hunde, trachtet Euer Herr nach meinem Leben oder hat er es auf meinen Reichtum abgesehen? – Ist es ihm ein Dorn im Auge, daß zwei edle Sachsen, Athelstane und ich, in einem Landstrich Grund und Boden besitzen, der früher ihren Ahnen ganz gehört hat? – Macht mich kalt und vollendet eure Niedertracht, indem ihr mir das Leben nehmt, wie ihr mir die Freiheit genommen habt. Wenn Cedric der Sachse England nicht befreien kann, so will er doch sein Leben für England lassen. – Sagt euerm tyrannischen Herrn, er solle nur Lady Rowena in Ehren wieder ziehen lassen. Sie ist ein Weib, und vor ihr braucht er keine Angst zu haben, denn mit uns sterben alle, die für sie ein Schwert ziehen würden.«

Mittlerweilen waren sie vor dem Tore des Schlosses angelangt. Bracy stieß dreimal ins Horn, und die Bogen- und Armbrustschützen, die ihrer auf dem Walle harrten, ließen schnell die Zugbrücke herunter, um sie hereinzulassen. Die Gefangenen wurden in ein Gemach geführt, wo ihnen ein Frühstück vorgesetzt wurde, von dem niemand als Athelstane etwas genoß. Aber viel Zeit wurde dem edeln Sachsen hierzu nicht vergönnt, denn die Wachen gaben ihnen zu verstehen, daß sie in ein anderes Gelaß, von Rowena getrennt, untergebracht werden sollten. Widerstand war unmöglich, und sie mußten daher ihren Führern folgen.

Das Gelaß, in das die sächsischen Edelherren gebracht worden waren, war eine Art Wachtstube. Ehedem war es die große Halle des Schlosses gewesen, jetzt aber diente es zu geringeren Zwecken, da der gegenwärtige Besitzer außer anderen Verbesserungen, die die Sicherheit, Schönheit und Bequemlichkeit seines freiherrlichen Sitzes erhöht hatten, auch eine neue große Halle hatte bauen lassen. Cedric durchmaß das Gemach. Zorn und Unwille über die ihm widerfahrene Schmach erfüllten ihn, während sein Gefährte in seiner Apathie, die ihm Geduld und Philosophie trefflich ersetzte, nur für die Unbehaglichkeit seiner Lage Sinn hatte. Er antwortete nur ab und zu ein paar Worte auf Cedrics leidenschaftliche Äußerungen.

Cedric sprach halb zu sich selber, halb zu Athelstane.

»In dieser selben Halle,« sagte er, »saß einst mein Ahn bei festlichem Mahle, als Torquil Wolfganger den edeln und unglücklichen Harold bewirtete, der damals gegen die Norweger zog, die im Bunde mit dem Rebellen Tosti waren. – In dieser Halle gab Harold dem Gesandten des aufrührerischen Bruders seine stolze und großherzige Antwort. Als dieses weite Gemach kaum die Menge der edeln Sachsenhäuptlinge fassen konnte, die mit ihrem Fürsten sich an blutrotem Weine labten, wurde der Gesandte Tostis empfangen.«

»Ich hoffe auch,« warf Athelstane ein, den dieser letzte Teil der Erzählung ein wenig angeregt hatte, »sie werden es nicht vergessen, uns Wein und etwas zu Mittag zu schicken. Wir haben ja kaum ein bißchen Zeit zum Frühstück gehabt, und mir bekommt das Essen nie gleich auf einen Ritt, obwohl das von den Ärzten empfohlen wird.«

Ohne auf die Worte seines Freundes zu achten, fuhr Cedric fort: »Tostis' Gesandter schritt durch die Halle. Er kümmerte sich nicht um die frostigen Gesichter um ihn her, und trat vor Harolds Thron. – Welche Bedingungen, Herr König, sagte er, hat dein Bruder Tosti zu erwarten, wenn er die Waffen niederlegt und den Frieden aus deiner Hand annimmt? – Die Liebe eines Bruders, rief der edelmütige Harold, und die schöne Grafschaft Northumberland. – Und wenn Tosti auf diese Bedingungen eingeht, fuhr der Gesandte fort – wieviel Land soll sein treuer Bundesgenosse Hardrada, der König von Norwegen, erhalten? – Sieben Fuß englischen Bodens, erwiderte Harold stolz. Da aber Hardrada ein Riese sein soll, so geben wir ihm vielleicht zwölf Zoll mehr. – Die Halle erdröhnte vom lauten Beifall. Wenn sich der Norweger nur recht bald seinen englischen Boden holen käme, rief man.«

»Ich täte ihnen gern Bescheid,« unterbrach ihn Athelstane abermals, »mir klebt die Zunge am Gaumen.«

»Der verspottete Gesandte,« fuhr Cedric fort, in unvermindertem Eifer, obwohl seine Erzählung bei seinem Hörer kein Interesse erweckte – »kehrte mit diesem Bescheid zurück, und nun begann jener furchtbare Kampf, in dem Tosti und der Norwegerfürst nach heldenhafter Gegenwehr mit zehntausend ihrer Tapferen fielen. – Wer hätte gedacht, daß derselbe Wind, der die Banner der siegreichen Sachsen wehen ließ, die Segel der Normannen füllte und sie an die Küste von Sussex führte? wer hätte gedacht, daß binnen wenigen Tagen Harold nicht mehr von seinem Königreiche besitzen sollte, als er in seinem Zorn dem norwegischen Eroberer zugestanden hatte? – Wer hätte gedacht, daß Ihr, edler Athelstane, der Ihr aus Harolds Blute stammt, und ich, dessen Vater nicht der schlechteste Verteidiger der sächsischen Krone war, die Gefangenen eines niedrigen Normannen sein würden, in derselben Halle, wo ehedem unsere Ahnen ein so stolzes Bankett veranstaltet haben?«

»Es ist recht traurig,« sagte Athelstane. »Aber ich glaube, sie werden uns für ein nicht allzu hohes Lösegeld freigeben. Es kann doch gewiß nicht ihre Absicht sein, uns zu Tode zu hungern, und doch ist es schon Mittag, und sie machen noch gar keine Anstalten, den Tisch zu decken. Guckt doch mal aus dem Fenster, edler Cedric, und seht nach den Sonnenstrahlen, ob es nicht schon Mittag ist.«

»Es ist vergebliche Mühe,« murmelte Cedric vor sich hin, »mit diesem Menschen von etwas anderem zu reden, als was seinen Appetit betrifft. Hardikanuts Seele muß in ihn gefahren sein, daß er weiter kein Vergnügen kennt, als schlucken und schlingen und nach mehr rufen. Ach,« seufzte er und sah Athelstane mitleidsvoll an, »daß in so edler Gestalt ein so dumpfer, stumpfer Geist wohnen muß! Ach, daß sich ein Unternehmen wie die Wiedergeburt Englands um eine so mangelhafte Angel drehen muß! – Wenn Rowena mit ihm vermählt wäre, so würde sie vielleicht mit ihrem Edelsinn und ihrer Großmütigkeit seine Natur aus dem Schlummer rütteln. Aber wie soll das geschehen, da Rowena, Athelstane und ich die Gefangenen eines rohen Räubers sind, und zwar vielleicht nur deshalb, weil wir seiner Nation von Eindringlingen gefährlich werden könnten.«

Während sich der Sachse so schmerzlichen Betrachtungen überließ, tat sich die Tür ihres Gefängnisses auf und ein Vorschneider mit dem seinem Amte charakteristischen Stabe trat herein. Dieser Person, die gravitätisch näher kam, folgten vier Diener, die einen gedeckten Tisch trugen. Die reichlichen Speisen, die das Zimmer mit Duft füllten, ließen allem Anschein nach den edeln Athelstane augenblicklich jeder Unbill vergessen. Alle, die bei Tische aufwarteten, waren maskiert.

»Was soll der Mummenschanz?« fragte Cedric. »Glaubt ihr denn, wir wissen nicht, wessen Gefangene wir sind, da wir uns doch im Schlosse euers Herrn befinden? Sagt ihm,« setzte er hinzu, indem er diese Gelegenheit ergriff, Unterhandlungen über die Freigabe anzuknüpfen, »sagt euerm Herrn Reginald Front-de-Boeuf, er könne keine Ursache haben, uns der Freiheit beraubt zu sehen, als die gesetzwidrige Absicht, sich auf unsere Kosten zu bereichern. Sagt ihm, seine Raubgier soll befriedigt werden, als wenn er ein handwerksmäßiger Strauchdieb wäre, und er soll nur ein Lösegeld bestimmen, wir wollens bezahlen, wenn es nicht über unser Vermögen geht.«

Der Vorschneider gab keine Antwort, sondern verneigte sich nur. »Und sagt Reginald Front-de-Boeuf,« rief Athelstane, »daß ich ihn zum Zweikampf fordere auf Leben und Tod, zu Fuß oder zu Pferde, an irgendeinem sicheren Orte, acht Tage nach unserer Befreiung. Wenn er ein echter Ritter ist, muß er diese Herausforderung annehmen.«

Athelstanes Herausforderung wurde zwar in nicht eben sehr schicklicher Weise vorgebracht, denn er hatte gerade das Maul voll und kaute mit beiden Backen. Dennoch erblickte Cedric darin ein sicheres Zeichen, daß die Geisteskraft seines Gefährten endlich erwache, und drückte ihm zum Beweise seines Beifalls herzlich die Hand. Allerdings sank seine Freude gleich wieder bedeutend herab, als Athelstane hinzusetzte, er wolle gern mit einem Dutzend solcher Ritter wie Front-de-Boeuf kämpfen, wenn er nur aus diesem Kerker herauskäme, wo soviel Knoblauch in die Suppe getan würde.

Die Gefangenen hatten kaum ihre Mahlzeit beendet, da erschollen vorm Tor die Klänge eines Hornes. Es erklang dreimal so laut und hell, als bliese es der erkorene Ritter vor dem verzauberten Schlosse, wo dann Hallen und Türme, Brücken und Zinnen zerflossen wie ein Morgennebel. Die Sachsen sprangen vom Tische auf und eilten ans Fenster, aber sie sahen sich in ihrer Erwartung getäuscht. Der Schall kam von jenseits des Schloßhofes, auf den die Fenster dieser Halle hinaussahen. Aber der Ton schien als bedeutungsvolle Aufforderung aufgefaßt zu werden, denn im ganzen Schlosse entstand alsbald große Unruhe.


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