Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Die edeln Herrn und Prälaten, mit deren Hilfe Prinz Johann seinen ehrgeizigen Plan, den Thron seines Bruders an sich zu reißen, auszuführen gedachte, waren zu einem frohen Mahle im Schlosse zu York geladen. Waldemar Fitzurse, der begabte und verschlagene Minister des Prinzen, bearbeitete sie im geheimen und war bemüht, ihnen Zutrauen zu seiner Sache einzuflößen und sie zu einer offenen Zusage zu bewegen. Es fehlte aber noch manches wichtige Glied der Verschwörung, so daß man noch nicht zu einem Abschluß gelangen konnte. Die starrsinnige und rücksichtslose, wenn auch fast rohe Tapferkeit Front-de-Boeufs, das feurige kecke Wesen de Bracys und die Umsicht, Kriegserfahrung und weitgerühmte Tapferkeit des Templers Brian de Bois-Guilbert waren zu einem glücklichen Erfolg ihres Vorhabens nicht gut zu entbehren. Der Prinz und seine Ratgeber verwünschten ihre unnötige und unzeitige Abwesenheit und wollten ohne ihren Beistand nichts unternehmen. Auch Isaak, der Jude, schien verschwunden zu sein, und so konnte man nicht auf Darleihung der bedeutenden Geldsummen rechnen, über die sich Prinz Johann mit dem Israeliten und seinen Brüdern geeinigt hatte. Dieser Geldmangel vor allem war bei einer so wichtigen Sache eine große Gefahr.

Am Morgen nach dem Fall von Torquilstone verbreitete sich das unklare Gerücht, de Bracy und seine Verbündeten Bois-Guilbert und Front-de-Boeuf seien gefangen genommen oder getötet worden. Waldemar Fitzurse erzählte dies dem Prinzen und bemerkte dabei, seiner Meinung nach sei das Gerücht leider wahr, denn die Ritter seien mit einem kleinen Gefolge ausgezogen und hätten den Sachsen Cedric und sein Gefolge überfallen und gefangen nehmen wollen. Zu jeder andern Zeit hätte Prinz Johann diese Gewalttat als einen launigen Streich angesehen. Da aber jetzt damit seine eigenen Pläne durchkreuzt wurden, so verurteilte er die Tat als einen Frevel an dem Gesetz und eine Störung der öffentlichen Ordnung in einer Art und Weise, wie sie selbst dem König Alfred wohl angestanden hätte.

»Räuber ohne Ordnung und Gesetz!« rief er. »Bin ich erst König von England, so lasse ich solche Missetäter an den Zugbrücken ihrer eignen Schlösser aufhängen.«

»Um aber König von England zu werden,« sagte sein Ahitophel kalt, »muß Euer Hoheit nicht nur die Missetaten solcher dem Gesetz Hohn sprechenden Räuber dulden, sondern bei allem Eifer für die Wahrung von Recht und Gesetz auch noch die Missetäter in Schutz nehmen. Es würde uns schlecht gehen, wenn die kühnen Sachsen etwa den Einfall Eurer Hoheit verwirklichten und Zugbrücken in Galgen umwandelten. Cedric wäre das wohl zuzutrauen, wie ich ihn kenne. Euer Hoheit begreift, wie gefahrvoll es wäre, ohne de Bracy und den Templer zu handeln, und dennoch sind wir schon zu weit gegangen, um nun noch zurück zu können.«

Prinz Johann schlug sich voller Ungeduld gegen die Stirn und schritt im Gemach auf und ab. »Die Schurken! Die niedrigen verräterischen Schurken!« rief er aus: »Mich in solcher Not im Stich zu lassen!«

»Nennt sie lieber leichtsinnige unbesonnene Narren, daß sie sich mit solchen Kindereien abgeben, wo so wichtige Dinge auf dem Spiele stehen.«

»Was ist zu tun?« fragte der Prinz und trat dicht an Fitzurse heran.

»Ich wüßte nicht, was zu machen wäre,« versetzte sein Ratgeber. »Abgesehen von dem, was ich schon in voraussehender Umsicht getan habe. Ich bin zu Eurer Hoheit gekommen, über dieses Mißgeschick zu klagen, aber nicht ohne schon Schritte dagegen getan zu haben.«

»Ihr seid immer mein guter Engel, Waldemar,« sagte der Prinz. »Wenn ich immer einen solchen Kanzler habe, so wird König Johanns Regierung in der Geschichte des Reiches mit Ruhm dastehen. Was für Anordnungen habt Ihr getroffen?«

»Ich habe Ludwig Winkelbrand, den Leutnant de Bracys, veranlaßt, zum Sammeln zu blasen und sein Banner zu entfalten, damit er ohne Verzug nach dem Schlosse Front-de-Boeufs aufbrechen und uns Gewißheit darüber verschaffen soll, ob wir unsern Freunden nicht noch Hilfe bringen können.«

Das Angesicht des Prinzen erglühte wie das eines Kindes, dem eine Kränkung zugefügt wird.

»Beim Himmel!« rief er. »Viel nehmt Ihr auf Euch, Waldemar Fitzurse! Es ist mehr als Fürwitz, in einer Stadt, wo wir uns augenblicklich auch aufhalten, das Signal zum Sammeln blasen und das Banner entfalten zu lassen.«

»Ich bitte Euer Hoheit um Verzeihung,« entgegnete Fitzurse, bei sich selber die hohle Eitelkeit seines Herrn verwünschend. »Indessen drängte die Zeit, jede Minute war kostbar, und so habe ich das auf mich genommen, da die Sache Eurer Hoheit keinen Aufschub duldet.«

»Wir gewähren Euch Verzeihung, Fitzurse,« sagte der Prinz in gravitätischem Tone. »Euer guter Wille entschuldigt Eure Unbesonnenheit. Doch wer kommt dort? – De Bracy selber, und wie er aussieht!«

In der Tat war es de Bracy, seine Sporen waren blutig, er dampfte vor Eile. Seine Rüstung war zerbrochen, von Blut befleckt und vom Staub bedeckt, und zeugte von vor kurzem bestandenem Kampfe. Er nahm den Helm ab, legte ihn auf den Tisch und stand ein Weilchen still, wie um sich zu sammeln, ehe er Bericht erstattete.

»De Bracy!« sagte Prinz Johann. »Was soll das bedeuten? Sprecht, ich befehle es! Haben sich die Sachsen empört?« Fast in gleichem Atem mit seinem Gebieter rief Fitzurse: »De Bracy, sprecht! Ihr seid doch ein Mann! Wo ist der Templer? Wo ist Front-de-Boeuf?«

»Der Templer ist entflohen,« antwortete de Bracy. »Front-de-Boeuf hat ein Grab in Feuersglut unter den Trümmern seines eigenen Schlosses gefunden. Ich allein bin entkommen, Euch diese Meldung zu bringen.«

»Frösteln kann's einen bei solcher Kunde,« sagte Fitzurse, »obwohl du von Brand und Feuersglut sprichst.«

»Die schlimmste Neuigkeit kommt noch,« fuhr de Bracy fort, und er trat näher an den Prinzen heran und sagte in leisem nachdrücklichen Tone:

»Richard ist in England. Ich habe ihn gesehen und mit ihm gesprochen.«

Prinz Johann erblaßte, bebte zurück und mußte sich an der eichenen Lehne einer Bank festhalten, um nicht zu fallen, wie einer, der einen Pfeilschuß in die Brust bekommen hat.

»De Bracy, Ihr träumt, das kann nicht sein,« sagte Fitzurse.

»Es ist so gewiß wie die Wahrheit selber,« beharrte de Bracy. »Ich bin sein Gefangener gewesen und habe mit ihm gesprochen.«

»Mit Richard Plantagenet, sagt Ihr?« fragte Fitzurse abermals.

»Mit Richard Plantagenet,« antwortete de Bracy. »Mit Richard Löwenherz, mit Richard von England.«

»Und Ihr seid sein Gefangener gewesen?« fuhr Fitzurse fort. »War er denn an der Spitze einer Macht?«

»Nein, nur ein paar geächtete Yeomen standen um ihn herum, die aber wußten nicht, wer er sei. Ich hörte, wie er sagte, daß er sie wieder verlassen wollte. Er hatte sich ihnen nur zugesellt, um den Sturm auf Torquilstone mitzumachen.«

»Ja, das ist ganz Richards Art!« sagte Fitzurse. »Er ist ein echter fahrender Ritter, und im Vertrauen auf die Stärke seines Armes geht er auf Abenteuer aus, während die wichtigsten Angelegenheiten seines Reiches liegen bleiben und seine eigene Person bedroht ist. – Was wollt Ihr nun beginnen, de Bracy?«

»Ich habe ihm meine Freischar angeboten, aber er hat sie ausgeschlagen. Nun will ich nach Flandern. Im Wirrwarr der Gegenwart findet ein Mann der Tatkraft überall Beschäftigung. Wollt Ihr, Waldemar, auch Schild und Lanze ergreifen, Eure Staatsklugheit an den Nagel hängen und mit mir gehen? So es Gott gefällt, könnten wir dann Freud und Leid miteinander teilen.«

»Dazu bin ich zu alt, Moritz, auch habe ich eine Tochter,« versetzte Fitzurse.

»Die könnt Ihr mir geben, ich will sie halten, wie es ihrem Range zukommt, kraft meiner Lanze und meines Steigbügels.«

»Nicht so,« erwiderte Fitzurse. »Ich will Zuflucht suchen in der Kirche Sankt Peters – der Erzbischof ist mir durch Eid verbunden.«

Während dieses Gespräches war Prinz Johann allmählich aus seiner Erstarrung erwacht, in die ihn die unerwartete Nachricht versetzt hatte. Er hatte mitangehört, was seine Anhänger miteinander gesprochen hatten und sagte nun für sich:

»Sie fallen von mir ab wie welkes Laub vom Baume, wenn sich der Wind erhebt. Hölle und Teufel! kann ich mir nicht selber helfen, wenn mich diese Feiglinge im Stiche lassen?« Eine Weile schwieg er. Dann fiel er den andern ins Wort mit einem teuflischen Gelächter, das verbissene Wut zum Ausdruck brachte.

»Hahaha! meine Herren!« rief er. »Bei dem Augenlichte unserer lieben Frauen! Ich habe Euch für weise, tapfer und scharfsinnig gehalten und jetzt werft Ihr Reichtum, Ehre, Vergnügen und alles, wonach Ihr gestrebt habt, von Euch, und könntet es doch durch einen kühnen Handstreich gewinnen.«

»Ich kann Euch nicht verstehen,« antwortet de Bracy. »Sobald es ruchbar ist, daß Richard wieder da ist, so steht er auch sofort an der Spitze eines Heeres, und alles ist verloren. Ich kann Euch nur raten, Hoheit, flieht nach Frankreich oder begebt Euch in den Schutz der Königin-Mutter.«

»Für mich selber suche ich keine Sicherheit,« entgegnete Prinz Johann stolz. »Die könnte ich von meinem Bruder mit einem Worte erlangen. Aber obwohl Ihr, de Bracy und Waldemar, so flink bei der Hand seid, mich im Stich zu lassen, so würde es mir doch keine Freude machen, Eure Köpfe über dem Tore von Clifford baumeln zu sehen. – Glaubt Ihr denn nicht, Fitzurse, der verschlagene Erzbischof werde Euch nicht, um mit Richard auf guten Fuß zu kommen, vom Altar selber wegreißen lassen? – Und habt Ihr, de Bracy, vergessen, daß zwischen hier und Hull, von wo Ihr nach Flandern überfahren müßt, Robert Estoteville mit all seinen Leuten liegt? – Und daß Graf Esser seinen Anhang um sich schart? Wenn wir Ursache hatten, diese Truppen vor der Rückkehr Richards zu fürchten, so ist jetzt kein Zweifel mehr, zu welcher Partei sich die Anführer schlagen werden. Glaubt mir, Estoteville allein ist stark genug, Euch mit Eurer Freischar zum Teufel zu schicken.« Waldemar Fitzurse und de Bracy sahen einander verlegen an. »Nur einen Weg gibt es noch zur Sicherheit,« fuhr der Prinz fort, und sein Blick wurde finster wie die Mitternacht. – »Der, vor dem wir uns fürchten, reist allein. Man muß ihm in den Weg zu treten versuchen.«

»Aber mich laßt dabei aus dem Spiele,« fiel ihm de Bracy hastig ins Wort. »Ich bin sein Gefangener gewesen, und er hat mir Gnade gewährt. Kein Haar will ich ihm auf dem Haupte krümmen.«

»Wer spricht denn davon?« rief Prinz Johann mit erzwungenem Lachen. »Wird der Schelm nicht am Ende noch sagen, ich hätte im Sinne, Richard ermorden zu lassen! – Nein, ich denke nur an ein Gefängnis in Britannien oder in Österreich – das ist einerlei. – Dann bleibt es mit den Sachsen, wie es war, als wir unsern Plan faßten. – Wir gründeten unsern Plan damals auf die Hoffnung, daß Richard in Deutschland gefangen bleiben würde. – Ist doch auch unser Onkel Robert sein Leben lang im Schlosse Cardiffe gewesen und ist dort auch gestorben!«

»Ja, aber Euer Ahnherr Heinrich hat auch fester auf seinem Throne gesessen, als Eure Hoheit je sitzen wird,« erwiderte Fitzurse. »Das beste Gefängnis ist schon das, das der Totengräber baut. Kein Kerker ist so sicher wie der Friedhof. – Damit habe ich meine Meinung gesagt.«

»Gefängnis oder Grab!« rief de Bracy, »ich wasche meine Hände in Unschuld!«

»Schurke!« rief Prinz Johann. »Wollt Ihr etwa meinen Anschlag verraten?«

»Ein Verräter bin ich nie gewesen,« entgegnete de Bracy. »Auch darf mich niemand einen Schurken heißen.«

»Seid friedlich, Herr Ritter,« wandte sich Fitzurse ins Mittel. »Und Ihr, Hoheit, vergebt de Bracy die gewissenhaften Bedenken, ich werde sie ihm bald austreiben.«

»Dagegen vermag all Eure Beredtsamkeit nichts,« versetzte der Ritter.

»Wie, tapferer Moritz?« fuhr der schlaue Staatsmann fort. »Wie ein scheues Pferd prallt Ihr zurück, ehe Ihr Euch überhaupt genau angesehen habt, was Euch denn eigentlich solchen Schreck einjagt? – Dieser Richard – kaum ein Tag ist darüber vergangen, daß es Euer sehnlichster Wunsch war, ihm in der Schlacht zu begegnen – hundertmal habt Ihr das gesagt.«

»Ja, aber wie Ihr sagt, in der Schlacht – Mann gegen Mann! Niemals habe ich daran gedacht, ihn, wenn er allein ist, etwa im Walde, zu überfallen.«

»Wenn Euch davor bange ist,« versetzte Waldemar, »so seid Ihr kein echter Ritter. – Haben Lancelot vom See oder Sir Tristan ihren Ruhm in Schlachten erworben? Nein, sondern indem sie im Schatten ungekannter Wälder mit Riesen und Rittern kämpften.«

»Mag sein,« sagte de Bracy. »Aber weder Lancelot noch Tristan hätten den König Richard Löwenherz angegriffen, auch war es ihre Art nicht, mit einer Übermacht gegen einen einzelnen auszurücken.«

»Ihr seid von Sinnen, de Bracy! Was wird denn von Euch verlangt? Ihr seid ein besoldeter Hauptmann der Freischar, deren Schwerter sich Prinz Johann erkauft hat. Ihr kennt unsern Feind und Ihr erhebt Einwände – und dabei wißt Ihr doch, daß das Glück Euers Gönners, das Eurer Kameraden und Euer eigenes, ja Ehre und Leben eines jeden von uns auf dem Spiele stehen.«

»Ich habe Euch doch gesagt,« erwiderte de Bracy verdrießlich, »er hat mir das Leben geschenkt. Freilich, er hat mich von sich gewiesen und mich nicht in seinen Dienst nehmen wollen – ich bin ihm also weder Treue noch Gehorsam schuldig – aber ich werde doch nimmermehr Hand an ihn legen.«

»Das ist auch gar nicht vonnöten, Ihr braucht nur Ludwig Winkelbrand mit einem Dutzend Eurer Freischärler gegen ihn aussenden.«

»Ihr habt ja Meuchelmörder genug im Sold,« versetzte de Bracy. »Mit einem solchen Auftrag will ich keinen meiner Leute behelligen.«

»So eigensinnig seid Ihr, de Bracy,« fragte Prinz Johann, »und wollt Ihr mich verlassen, da Ihr mir doch so oft die Versicherung Eurer Anhänglichkeit gegeben habt?«

»Verlassen will ich Euch nicht,« antwortete de Bracy. »Ich will bei Euch bleiben und alles tun, was ein echter Ritter darf. Aber solche Straßenräubereien habe ich ein für allemal verschworen.«

»Waldemar, kommt her,« sagte Prinz Johann; »bin ich nicht ein unglücklicher Fürst? – Mein Vater, König Heinrich, brauchte nur einen Wink zu geben, daß ihm ein rebellischer Prinz ein Dorn im Auge sei – und sofort waren treue Diener zur Stelle. Das Blut des Thomas a Beckett – so heilig es auch war – ist über die Stufen seines eigenen Altars geflossen. Aber so treue und kühne Untergebene, wie sie ihm zur Verfügung standen, gibt es nicht mehr. Wohl hat Reginald Fitzurse einen Sohn hinterlassen, aber den Mut und die Treue, die ihn auszeichneten, hat er ihm nicht mit auf den Weg gegeben.«

»Er hat sie ihm vererbt!« rief Fitzurse. »Wohlan! Es geht einmal nicht anders! Ich selber will diesen gefahrvollen Anschlag in die Hand nehmen. Teuer freilich hat mein Vater den Namen eines treuen ergebenen und eifrigen Freundes erkaufen müssen, und doch war sein Beweis der Treue noch nichts gegen das, was ich unternehmen will, denn lieber wollt' ich gegen alle Heiligen im Kalender ankämpfen, als meine Lanze zücken gegen Richard mit dem Löwenherzen. – De Bracy, ich muß es Euch anheimgeben, den Mut der Zaghaften aufrecht zu erhalten und die Person unseres Prinzen zu beschützen. Wenn ich selbst Euch das mitteilen kann, was ich Euch in Bälde mitzuteilen hoffe, so wird binnen kurzem unser Unternehmen aller gefahrvollen Ungewißheit enthoben sein.«

»Page!« rief er dann, geh schnell in mein Haus, sage meinem Waffenmeister, er soll sich bereit halten, richte meinen Befehl aus, daß Stephan, Wethereal, Thoesby und die drei Speere von Spyinglaw auf der Stelle zu mir kommen sollen, auch Hugh Bardon, der Kundschafter, soll dabei sein. Und nun, mein Prinz, fahrt wohl, bis auf bessere Tage!« Mit diesen Worten ging er hinaus.

»Da geht er hin, meinen Bruder gefangen zu nehmen,« sagte Prinz Johann. »Mit einer Seelenruhe geht er an sein Werk, als wäre Richard ein sächsischer Franklin. – Ich denke doch, er wird sich nach unsern Befehlen richten und sich nicht an der Person Richards vergreifen. Beim Augenlichte unserer lieben Frauen, mein Befehl war klar und bestimmt ausgedrückt! Es ist allerdings möglich, daß er ihn nicht deutlich genug vernommen hat, denn ich stand da gerade am offenen Fenster. Aber mit größter Bestimmtheit habe ich ihm zu verstehen gegeben, daß ich gegen die Person Richards, gegen sein Leben, nichts unternommen haben will. Wehe Waldemar Fitzurse, wenn er gegen diesen Befehl verstößt!«

»Dann will ich lieber zu ihm gehen,« sagte de Bracy lächelnd, »und ihm den Willen Eurer Hoheit in deutlicher Form ausrichten, denn da ich davon selber nichts gehört habe, so hat wahrscheinlich auch Waldemar nichts davon gehört.«

»Nein, nein,« versetzte Prinz Johann ungeduldig. »Ich gebe Euch die Versicherung, er hat alles deutlich gehört. Für Euch habe ich überdies wichtige Geschäfte, Moritz; kommt her, ich will mich auf Euch stützen.« Und vertraulich lehnte er sich auf ihn, und so schritten sie in der Halle auf und ab, und mit dem Anschein innigsten Vertrauens fragte Prinz Johann:

»Mein guter de Bracy, was denkt Ihr über diesen Waldemar Fitzurse? Er denkt, er wäre schon Kanzler. Aber selbstverständlich werden wir uns sehr überlegen, ob wir ein so wichtiges Amt einem Manne übertragen, der so geringe Achtung vor unserm Blute beweist, indem er so rasch bereit ist, etwas gegen unsern Richard zu unternehmen. Ihr denkt vielleicht, Ihr hättet in unserer Achtung verloren, indem Ihr das unerquickliche Ansinnen ablehntet? Nein, Moritz, wir achten Eure tugendhafte Standfestigkeit. Es gibt Dinge, die eben unbedingt getan werden müssen, ohne daß wir aber den Täter lieben oder achten. Und es gibt Weigerungen, etwas zu tun, die unsere Achtung vor dem, der sich unserm Willen widersetzt, nur noch erhöhen. Wenn jener meinen Bruder gefangen nimmt, so erwirbt er sich damit keinen so gerechten Anspruch auf das hohe Amt eines Kanzlers, als Ihr Euch dadurch, daß Ihr ritterlich und mutig den Auftrag von Euch wieset, Anspruch auf den Stab des Großmarschalls erworben habt. Des seid eingedenk, de Bracy, und nun, an Eure Arbeit!«

»Wankelmütiger Tyrann!« murmelte de Bracy vor sich hin, als er den Prinzen verlassen hatte. »Schlecht fährt, wer dir traut! Dein Kanzler sein? Da müßte man ein Gewissen haben wie du selber. – Aber Großmarschall von England –« und er streckte den Arm aus, wie um schon den Stab zu ergreifen, und ging mit großen Schritten durch das Zimmer – »das ist ein Preis der Mühe wert!«


 << zurück weiter >>