Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsunddreißigstes Kapitel.

Beim Anblick dieser Erscheinung befiel die Anwesenden Staunen und Entsetzen. Cedric wankte bis an die Wand zurück, lehnte sich dort an, und starrte wie jemand, der nicht mehr imstande ist, sich aufrecht zu halten, mit stierem Auge und aufgerissenem Munde die Gestalt seines Freundes an. Ivanhoe bekreuzte sich und murmelte bald sächsische, bald normannische Gebete, wie sie ihm gerade einfielen, und Richard ließ bald ein Benedicte hören, bald fluchte er: Mort de ma vie! Inzwischen hörte man unten ein Geschrei: »Nehmt die verräterischen Mönche fest! – Werft sie in den Kerker! – Stürzt sie von den höchsten Zinnen herunter!«

Endlich redete Cedric die Erscheinung seines abgeschiedenen Freundes an: »Im Namen Gottes! So du ein Sterblicher bist, rede! So du aber ein Geist bist, sprich, warum erscheinst du hier und was können wir tun, damit deine Seele Ruhe findet? – Ob du lebst oder tot bist, edler Athelstane, sprich mit Cedric!«

»Das will ich auch,« antwortete das Gespenst in ganz ruhigem Tone, »sobald ich nur Atem geschöpft habe und Ihr mir Zeit laßt. Ob ich lebe, fragst du. Ich lebe, soweit noch Leben sein kann in einem, der drei Tage lang, die endlos waren wie Jahrhunderte, von Brot und Wasser gelebt hat. Ja! von Wasser und Brot, Vater Cedric! Beim Himmel und allen Heiligen! Eine bessere Kost ist volle drei Tage lang nicht über meine Zunge gekommen, und nur der Fügung Gottes danke ichs, daß ich jetzt hier bin und Euch das erzählen kann!«

»Wie, edler Athelstane,« sprach der schwarze Ritter, »ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen, wie Euch der stolze Templer nach dem Fall von Torquilstone niederstreckte, und wie ich selber glaubte und wie auch Wamba erzählte, war Euch der Schädel bis an die Zähne gespalten.«

»Da wart Ihr im Irrtum, Herr Ritter,« versetzte Athelstane, »und Wamba hat gelogen. – Meine Zähne sind in trefflicher Ordnung, das soll meine Abendmahlzeit verspüren! – Ich bin dem Templer deswegen keinen Dank schuldig, denn sein Schwert drehte sich in seiner Hand, und infolgedessen traf er mich mit der flachen Klinge. Hätte ich die Sturmhaube aufgehabt, so hätte ich mich den Teufel drum geschert und ihm wieder eins versetzt, daß ihm der Rückzug erspart gewesen wäre. Aber da ich den Helm nicht hatte, so fiel ich zwar betäubt, doch unversehrt zu Boden. Von beiden Seiten stürzten Tote und Verwundete auf mich, und so kam ich nicht wieder zur Besinnung. Als ich endlich das Bewußtsein wieder erlangte, ward ich inne, daß ich vor dem Altar der Kirche zum heiligen Edmund in einem Sarge, zum Glück in einem offenen, lag. Ich mußte ein paarmal niesen, dann stöhnte ich, und dann ermunterte ich mich und wollte herausklettern, aber da kamen der Sakristan und der Abt, die bei dem Geräusch stutzig geworden waren, herzugelaufen. Sie schienen sehr erstaunt und durchaus nicht erbaut darüber zu sein, daß sie einen Mann, den sie doch gar zu gern beerbt hätten, wieder am Leben sahen. Ich verlangte Wein und sie gaben mir den auch, aber es muß wohl ein Schlaftrunk gewesen sein, denn ich versank in einen noch festeren Schlaf als zuvor und wachte erst nach mehreren Stunden wieder auf. Jetzt waren mir die Arme und die Beine so fest eingewickelt, daß mich die Gelenke noch schmerzen. Ich lag in einem finstern Loche, einer Art von Totengruft, wie ich aus der Moderluft schloß, die um mich her war. Seltsame Betrachtungen, was sich wohl mit mir zugetragen haben mochte, erwachten in mir, da ging die Tür mit Krachen auf, und zwei schurkische Mönche kamen herein. Sie wollten mir weismachen, ich sei im Fegfeuer, aber die keuchende kurzatmige Stimme des Vater Abtes war mir nur zu wohl bekannt. Heiliger Jeremias, wie anders aber war jetzt sein Ton, als wenn er mich noch um ein Stück Braten bat! Himmel und Hölle! Und dieser Hund hat sich von Weihnachten bis Neujahr hier bei mir dick und fett gefressen!«

»Faßt Euch, edler Athelstane,« sagte der König. »Verschnauft Euch und nehmt Euch Zeit zu Eurer Erzählung. Es läßt sich ihr wahrhaftig besser lauschen als einem Roman.«

»Beim Kreuz von Bromeholm, mir war anders zu Mute dabei – ein Gerstenbrot und ein Glas Wasser – das gaben mir die filzigen Schurken, die mein Vater und ich selber reich gemacht haben, als sie noch weiter keine Einkünfte hatten, als die Häppchen Schinken und die Metzen Korn, die sie armen Sklaven und Leibeigenen für ihre Gebete abnahmen. So eine undankbare Schlangenbrut! So ein Otterngezücht! Brot und Wasser einem, der es so gut mit ihnen gemeint hat! – Aber ich will sie aus ihrem Neste ausschwefeln, und sollte ich auch deshalb exkommuniziert werden!«

»Um unserer lieben Frau willen, wie bist du dieser Gefahr entronnen, edler Athelstane?« fragte Cedric, seinen Freund bei der Hand ergreifend. »Beschlich Mitleid ihre Herzen?«

»Ob Mitleid ihre Herzen beschlich?« versetzte Athelstane. »Schmelzen Felsen am Sonnenlicht? Ich wäre noch dort, wenn nicht ein Geräusch entstanden wäre, das, wie ich nun inne wurde, von dem Zuge herrührte, der zu meinem Leichenbegängnis kam. Da war denn der Schwarm mit einem Male ausgeflogen, und sie wußten doch recht gut, daß ich lebendig begraben war. Ich hörte, wie sie ihre Totenpsalmen brummten, und ich dachte bei mir, da singen nun die Hunde für meine Seele und hungern meinen Leib dabei aus. Sie waren also weg, und ich wartete lange, daß sie mir etwas zu essen bringen sollten. Kein Wunder, der gichtische Sakristan war viel zu sehr in seine eigne Fresserei vertieft, als daß er daran hätte denken können, daß ich auch was zu essen bekommen müßte. Endlich kam er wankenden Schrittes hereingetaumelt und stank gewaltig nach Wein und Gewürzen. Bei der guten Kost war sein Herz aufgetaut, er brachte mir ein Stück Pastete und eine Flasche Wein. Ich aß und trank und fühlte mich neu gestärkt, und zum Glück war der Sakristan so besoffen, daß er die Tür nicht richtig zuschloß, so daß sie nur angelehnt war. Da ich gegessen und getrunken hatte und Licht durch die Türspalte hereinfiel, wurde mein Erfindungsgeist wach. Der Ring, an den meine Ketten geschlossen waren, war vom Rost fast ganz zerfressen, das hatte freilich der schurkische Abt und ich selber auch nicht vermutet. Selbst das Eisen hatte den Dünsten in diesem höllischen Loche nicht widerstehen können.«

»Verschnauft Euch, edler Athelstane,« sagte Richard. »Nehmt etwas zu Euch, ehe Ihr in Eurer entsetzlichen Geschichte fortfahrt.«

»Etwas zu mir nehmen?« versetzte Athelstane. »Das hab ich heute schon fünfmal getan, aber ich glaube, ein Stück von diesem saftigen Schinken verträgt sich ganz gut mit meiner Erzählung, und ich bitte Euch, edle Herren, tut mir mit einem Becher Weins Bescheid.«

Die Gäste, noch immer starr vor Erstaunen, tranken ihrem auferstandenen Wirt zu, der dann in seinem Bericht fortfuhr. Er hatte jetzt weit mehr Zuhörer als zu Anfang; denn Editha war dem lebendigen Toten gefolgt, und hinter ihr drangen Männer und Frauen herein, soviel nur in dem engen Gemach Platz finden konnten. Bis auf die Treppe hinaus standen sie dicht gedrängt.

»Als ich mich von dem Ring an der Kette befreit hatte,« fuhr Athelstane fort, »schleppte ich mich die Treppen hinauf, so gut es ging, da ich ja ausgehungert und mit Ketten belastet war, und nachdem ich lange umhergeirrt war, ging ich den Klängen eines lustigen Rundgesanges nach, und so kam ich in ein Gemach, wo der würdige Sakristan eine Teufelsmesse, wenn ich so sagen darf, mit einem riesigen breitschultrigen Kapuzinermönch abhielt. Dieser Kerl sah eher aus wie ein Dieb als wie ein Diener Gottes. Ich stürzte auf sie los, meine Totengewänder und das Geklirr meiner Ketten gaben mir wohl eher das Aussehen einer Erscheinung von jener Welt als das eines Erdensohnes. Beide standen und glotzten mich an wie die Kühe das neue Tor, aber als ich den Sakristan mit der Faust zu Boden schmetterte, schlug der andere Kerl, sein Saufkumpan, mit einem gewaltigen Knüttel nach mir.«

»Das ist gewiß unser Bruder Tuck gewesen,« sagte Richard zu Ivanhoe.

»Meinetwegen mag es der Teufel gewesen sein,« sagte Athelstane. »Zum Glück hat er nicht getroffen, und als ich mit ihm handgemein werden wollte, nahm er Reißaus. Ich besann mich nicht lange und schloß mir die Ketten mit dem Schlüssel ab, den der Sakristan am Gürtel trug, und schon wollt ich ihm mit dem Schlüsselbund den Schädel einschlagen, da dachte ich aber an die Pastete und an die Flasche Wein, die er mir in den Kerker gebracht hatte, und so gab ich ihm denn nur ein paar tüchtige Püffe und ließ ihn liegen, und steckte mir etwas Gebacknes und die Lederflasche voll Wein ein, bei der sich die ehrwürdigen Herren gütlich getan hatten, und ging in die Ställe, wo ich meinen Zelter fand. Und so bin ich denn hierher gekommen, so schnell das Tier nur laufen konnte. Alles, was vom Weibe geboren war, riß vor mir aus, weil mich alles für ein Gespenst hielt, und dies um so mehr, als ich die Leichenkappe übers Gesicht gezogen hatte, um nicht erkannt zu werden. Und so kam ich denn her und entdeckte mich meiner Mutter, nahm rasch ein paar Bissen zu mir und bin dann zu Euch geeilt, mein edler Freund.«

»Und Ihr findet mich bereit, für unsre alten Pläne Ehre und Freiheit zurück zu erobern,« sagte Cedric. »Ich sage Euch, nie tagt wieder ein so günstiger Morgen für unser Befreiungswerk.«

»Laßt mich damit in Ruhe! Ich will nichts davon wissen, irgendwen zu befreien,« versetzte Athelstane. »Ich bin froh, daß ich selber befreit bin. Ich will lieber darüber nachdenken, wie ich den abscheulichen Abt bestrafe. Er soll an der höchsten Spitze des Schlosses von Conningsburgh hängen in Kutte und Stola, und wenn die Treppen zu eng sind für seinen feisten Kadaver, so laß ich ihn von außen hinaufleiern!«

»Aber, mein Sohn,« wandte Editha ein, »bedenke sein heiliges Amt!«

»Bedenke meine drei Fastentage,« erwiderte Athelstane. »Alle sollen sie mir dafür bluten! Front-de-Boeuf hatte weit weniger verbrochen und wurde bei lebendigem Leibe verbrannt. Er hat wenigstens seinen Gefangenen einen ordentlichen Tisch gedeckt, nur zu viel Knoblauch war in der Suppe. Die Hunde sterben, und wären sie die besten Mönche auf Erden!«

»Schämt Euch, edler Athelstane,« sagte Cedric, »vergeßt die erbärmlichen Kreaturen und gedenkt der ruhmvollen Laufbahn, die sich vor Euch auftut. Sagt diesem normänischen Fürsten, Richard von Anjou, daß, so löwenherzig er auch ist, er doch den Thron Alfreds nicht ohne Widerspruch inne haben wird, solange noch ein männlicher Abkömmling des heiligen Bekenners lebt.«

»Wie?« rief Athelstane.«Ist dies der edle König Richard?«

»Es ist Richard Plantagenet,« versetzte Cedric, »aber er weilt als Gast aus freien Stücken hier, und so wirst du einsehen, daß er weder beleidigt, noch etwa gefangen genommen werden darf. Du wirst deine Schuldigkeit als Wirt tun.«

»Bei meiner Treu,« rief Athelstane, »und meine Schuldigkeit als Untertan auch, denn hiermit schwöre ich ihm Treue mit Herz und Hand!«

»Mein Sohn, denk an deine Rechte auf den Königsthron!« rief Editha.

»Denk an die Freiheit Englands, entarteter Fürst!« rief Cedric.

»Mutter und Freund!« sprach Athelstane. »Laßt eure Vorwürfe. Brot und Wasser und ein Kerker machen den Ehrgeiz gar trefflich kirre, und ich steige weiser aus dem Grabe heraus als ich hineinstieg. Seitdem diese Pläne auf den Beinen sind, habe ich keine Ruhe mehr – Reisen über Hals und Kopf – schlechte Verdauung – Schläge – Püffe – Gefangenschaft und Hunger – und auszuführen sind sie schon gar nicht, ohne daß dabei einige tausend unschuldige Menschen ums Leben kommen. Ich sage Euch, ich will König sein, aber in meinen eigenen Besitzungen, nirgends sonst, und meine erste Herrschertat soll sein, daß ich den Abt hängen lasse.«

»Aber mein Mündel Rowena?« fragte Cedric. »Ihr wollt doch nicht etwa von ihr lassen?«

»Vater Cedric,« versetzte Athelstane, »nehmt doch Vernunft an. Lady Rowena fragt den Kuckuck nach mir. Der kleine Finger von Vetter Wilfrieds Handschuh ist ihr lieber als an mir der ganze Kerl. Nun, erröte nicht, Muhme. Gib mir deine Hand! Nur als Freund bitte ich darum. Hier, Vetter Wilfried von Ivanhoe, zu deinen Gunsten entsage ich und schwöre ab – heda! beim heiligen Dunstan, unser Vetter Wilfried ist verschwunden, und wenn nicht meine Augen vom Fasten schwach geworden sind, so habe ich ihn doch eben noch hier gesehen.«

Alle schauten sich um, Ivanhoe war fort. – Endlich erfuhr man, daß ein Jude nach ihm gefragt habe, und daß er nach kurzem Gespräch mit dem Mann in Gurths Begleitung das Schloß verlassen habe. Kaum hatte Athelstane Rowenas Hand losgelassen, so eilte die Lady in größter Bestürzung hinaus.

»Weiß der Geier!« rief Athelstane. »Ich hatte mir eigentlich eingebildet, einen Kuß zum Danke zu bekommen. Ich wende mich nun wieder zu Euch, edler König Richard . . .«

Aber König Richard war auch fort, und niemand wußte, wohin. Schließlich erfuhren sie, daß er in den Schloßhof geeilt sei und dort den Juden, der mit Ivanhoe gesprochen hätte, vor sich habe bringen lassen. Er habe kaum ein paar Worte mit ihm gewechselt, so sei er auf sein Pferd gestiegen, habe dem Juden befohlen, auch aufzusitzen, und sei in gestrecktem Galopp davongeritten.

»Nun, so wahr ich lebe!« rief Athelstane: »Zernebock hat in meiner Abwesenheit Besitz von meinem Schlosse genommen. Ich komme in meinen Totenkleidern zurück als ein aus dem Grabe Erstandener und jedermann, mit dem ich rede, verschwindet, sowie er meine Stimme hört. Doch was hilft es, davon zu reden? – Kommt, meine Freunde, die ihr noch da seid, folgt mir in das Speisezimmer, ehe noch jemand von uns verschwindet. Ich denke, es ist so reich besetzt, wie es das Leichenmahl eines alten sächsischen Edeln sein muß; wollten wir noch länger zögern, wer weiß, ob nicht der Teufel mit dem Abendessen davonfliegt?«


 << zurück weiter >>