Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

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Zehntes Kapitel.

In wolkenloser Klarheit brach der neue Morgen an. Die Sonne stand noch nicht weit über dem Horizont, da war auch schon der faulste wie der lebendigste Zuschauer unterwegs, um sich einen guten Platz zu sichern. Die Marschälle und die Herolde waren die ersten auf dem Platze, um die Namen der Ritter, die sich zum Turnier meldeten, aufzuschreiben und zu vermerken, bei welcher Partei die einzelnen zu fechten wünschten. Den Vorschriften gemäß war der enterbte Ritter der Führer der einen und Bois-Guilbert, als zweiter Sieger des vorigen Tages, der Führer der andern Partei. Die Herausforderer waren alle aus seiner Partei, bis auf Ralph de Vipont, der infolge seines Sturzes unfähig war, Waffen zu tragen. Obgleich die Waffengänge zu Parteien eigentlich gefährlicher waren als die einzelnen Zweikämpfe, so wurden sie doch zahlreicher besucht und waren bei der damaligen Ritterschaft weit beliebter. An diesem Tage waren wohl fünfzig Ritter für jede Partei eingeschrieben, und die Marschälle erklärten, daß niemand mehr zugelassen werden könne – zum größten Unwillen derer, die zu spät kamen. Gegen zehn Uhr war die Ebene rings von Reitern, Reiterinnen und Fußgängern bedeckt, die alle zum Turnier eilten. Kurz darauf kündete ein Trompetenstoß die Ankunft des Prinzen Johann und seines Gefolges an.

Um diese Zeit kam auch Cedric der Sachse mit Lady Rowena, aber Athelstane war nicht bei ihnen. Dieser Baron hatte seine lange und starke Person in eine Rüstung gezwängt, denn er wollte mitkämpfen, und zwar zur größten Verwunderung Cedrics auf der Seite Brians de Bois-Guilbert. Er hatte ihm freilich nachdrücklich vorgehalten, wie unpassend diese Wahl sei, aber Athelstane hatte mit Ausflüchten geantwortet und seinen eigentlichen und einzigen Grund wohlweislich für sich behalten. Obgleich er bei seiner apathischen Natur nicht der Mann dazu war, auf Lady Rowena einen angenehmen Eindruck zu machen, so war er doch nichts weniger als unempfindlich für ihre Reize, und es war für ihn schon ganz außer Zweifel, daß sie seine Gattin würde, da er die Einwilligung Cedrics und ihrer anderen Anverwandten hatte. Es hatte ihn daher mit schwer verhohlenem Unwillen erfüllt, daß der Sieger des vorigen Tages seiner Braut eine Auszeichnung erwies, die zu verleihen seiner Meinung nach nur er berechtigt war. Um nun den fremden Ritter für einen solchen Eingriff in seine Gerechtsame zu strafen, wollte Athelstane voller Zuversicht auf seine Körperkraft und Waffentüchtigkeit, von denen seine Schmeichler viel Rühmens machten, nicht nur der Partei des enterbten Ritters seine schätzenswerte Hilfe entziehen, sondern auch ihren Führer die Wucht seiner Streitaxt fühlen lassen.

Mehrere Ritter aus dem Gefolge des Prinzen Johann hatten sich auf einen Wink von ihm zur Partei der Herausforderer gemeldet, und der Prinz wünschte dieser Partei zum Siege zu verhelfen. Andererseits hatten aber auch viele normannische wie englische Ritter die Partei des Enterbten ergriffen. Als Prinz Johann die ernannte Königin des Tages am Platze anlangen sah, zeigte er jene Galanterie, die ihm so gut stand. Er ritt ihr entgegen, nahm sein Barett ab, stieg vom Pferde und half der Lady aus dem Sattel. Sein Gefolge entblößte gleichzeitig das Haupt, und der oberste darunter stieg vom Pferde und hielt den Zelter der Dame.

»So,« sagte der Prinz, »erweisen wir der Königin der Minne und des Liebreizes die schuldige Ehrerbietung und führen sie in eigener Person zum Throne, der für sie bereitet ist. – Ladies,« setzte er hinzu, »folgt Eurer Königin, wenn ihr selber einmal gleicher Ehre teilhaftig werden wollt.«

Mit diesen Worten führte der Prinz Lady Rowena feierlich zu dem Ehrenplatze, während sich die schönsten und vornehmsten Damen herzudrängten, um möglichst nah bei ihrer jetzigen Königin zu sitzen. Kaum hatte Rowena Platz genommen, so ertönte laute Musik ihr zum Gruße, und die Sonne schien hell und funkelnd auf die blanken Waffen der Ritter beider Parteien.

Nun geboten die Herolde Ruhe, denn die Bestimmungen des Turniers wurden verlesen. Diese waren in der Hauptsache auf die Verringerung der Gefahren des Kampfes berechnet, denn dieses Turnier wurde mit scharfen Waffen ausgefochten. Es war den Streitern untersagt, Schwertstöße zu tun, nur der Hieb war gestattet. Kolben und Streitaxt waren zulässig, dagegen Dolche verboten. Wer vom Pferde geworfen worden war, konnte zu Fuß weiter kämpfen, doch auch nur gegen einen Gegner zu Fuß, berittene Gegner durften ihn nicht mehr angreifen. Wurde ein Ritter bis ans äußerste Ende der Schranken gedrängt, so daß er mit dem Pferd oder den Waffen das Holzwerk berührte, so galt er für besiegt, und sein Pferd und seine Rüstung waren dem Sieger verfallen. Wer auf diese Weise überwunden worden war, blieb von weiterer Teilnahme am Turnier ausgeschlossen. War ein Ritter zu Boden gefallen, so durfte ihn sein Knappe aus den Schranken tragen, er galt dann aber für geschlagen, und Rüstung und Pferd waren verfallen. Sobald Prinz Johann den Stab senken würde, sollte der Kampf ein Ende nehmen.

Dies war eine wohlangebrachte Vorsichtsmaßregel, um bei der langen Dauer des so gefährlichen Spieles das unnütze Blutvergießen zu vermeiden. Wer gegen die Gesetze des Turniers oder der Ritterlichkeit verstieß, sollte der Rüstung beraubt und mit verkehrtem Schild auf den Rand der Pallisaden gesetzt werden, zum öffentlichen Gespött wegen seines unritterlichen Benehmens. Den Schluß dieser Bekanntmachung bildete die Ermahnung, jeder edle Ritter solle seine Schuldigkeit tun, um sich die Gunst der Königin des Liebreizes und der Minne zu erwerben. Dann zogen sich die Herolde auf ihre Plätze zurück, und die Ritter kamen in langen Zügen in die Schranken und stellten sich in Doppelreihen einander gegenüber auf, der Führer jeder Partei hatte den Mittelplatz der vorderen Reihe inne.

Es war ein schöner und doch etwas beklemmender Anblick, so manchen tapferen, wohlgerüsteten Streiter ein so gefahrvolles Spiel beginnen zu sehen. Sie saßen in ihren Sätteln wie aus Eisen und warteten auf das Signal zum Beginn ebenso ungeduldig wie die feurigen Rosse, die den Boden mit den Hufen zerwühlten. Die Ritter hielten die Lanzen senkrecht, deren Spitzen im Sonnenlichte gleißten, das Gefieder der Helme und die zierlichen Fähnlein wehten im Winde. Die Marschälle musterten die Reihen, ob nicht eine von ihnen mehr oder weniger als die festgesetzte Anzahl hätte. Als alles für richtig befunden worden war, verließen die Marschälle die Schranken, und William de Wywil rief mit Donnerstimme die Worte für das Signal: Laisser aller! Und mit einem Schlage senkten sich die Lanzen der Ritter, sie drückten die Sporen in die Weichen ihrer Rosse, und die beiden vorderen Reihen der Parteien stürzten in vollem Galopp aufeinander los und prasselten in der Mitte des Platzes aufeinander mit einem Krach, daß man es sehr weit vernehmen konnte. Es ließ sich nicht sofort übersehen, wie dieser Zusammenstoß abgelaufen war. Die Pferde hatten eine Staubwolke aufgewirbelt, die die Luft verfinsterte, es verging wohl eine Minute, ehe die hochgespannten Zuschauer erkennen konnten, welchen Ausgang der Zweikampf hatte.

Auf jeder Partei war etwa die Hälfte der Kämpen vom Pferde gestürzt, einige lagen am Boden, als hätten sie für immer das Aufstehen vergessen, einige hatten sich bereits wieder aufgerafft und standen ihren Gegnern Brust gegen Brust gegenüber. Zwei oder drei waren verletzt und suchten das strömende Blut mit den Schärpen zu stillen und aus dem Wirrwarr zu entrinnen. Die Streiter, die sich zu Roß gehalten hatten, und deren Lanzen in der Wucht des ersten Anpralls allesamt zersplittert waren, fochten nun hitzigen Schwerterkampf miteinander, ließen ihr Kriegsgeschrei erschallen und schlugen aufeinander los, als hinge Ehre und Leben vom Ausgange des Straußes ab. Der Tumult steigerte sich nun noch, denn von jeder Partei nahm die zweite Reihe jetzt an dem Gefechte teil, den Bedrängten zu Hilfe kommend. Die Genossen Brians de Bois-Guilbert riefen: »Für den Tempel! für den Tempel!« Die Gegenpartei hatte die Devise auf dem Schilde ihres Führers zu ihrem Schlachtgeschrei gemacht und rief: »Desdichado! Desdichado!«

Mit größtem Ingrimm und wechselndem Glücke rannten die Kämpfer aufeinander los, das Feld schien sich bald nach dem nördlichen, bald nach dem südlichen Ende der Schranken hinzuziehen, je nachdem ob die eine oder die andere Partei im Vorteil war. In das Geschmetter der Trompeten mischte sich jetzt in furchtbarem Getöse das Krachen der Hiebe und das Geschrei der Streiter und übertönte das Ächzen derer, die stürzten, und derer, die hilflos unter den Pferden lagen. Mit Blut und Staub waren jetzt die glänzenden Rüstungen bedeckt, die Axt- und Schwertstreiche spalteten die Fugen, und das prunkende Gefieder der Helmbüsche flog zerpflückt und zerzaust wie Schneeflocken umher. Alle Schönheit und Anmut des kriegerischen Anblickes war geschwunden, und nichts mehr war zu schauen als Roheit und Grausen, die das Herz vor Entsetzen und Erbarmen erschaudern machen mußten. Aber die Macht der Gewohnheit ist groß, und nicht nur die Zuschauer der geringeren Klassen, die ja gewöhnlich aufregende Schauspiele lieben, verfolgten den Gang des Kampfes mit Interesse, sondern auch die Damen auf den Tribünen wandten den Blick nicht von dem erschütternden Bilde ab. Hin und wieder wurde wohl eine zarte Wange bleich oder ein Schrei ertönte, dann war ein Geliebter oder ein Bruder oder ein Ehegatte hingestreckt worden. Im allgemeinen aber spornten die Damen die Streiter sogar noch an, durch Händeklatschen oder den Zuruf: »Tapfere Lanze! Gutes Schwert!«

Noch energischer äußerte sich der Anteil der Männer, denn bei jedem Wechsel des Kampfes erscholl lauter Beifall, und die Augen waren an die Schranken festgebannt. In jeder Pause, die für kurze Augenblicke entstand, hörte man die Herolde rufen:

»Kämpft, wackere Ritter! Es stirbt der Mensch, es lebt der Ruhm! – Auf und streitet weiter! – Lieber gestorben, als unterlegen! Streitet mit Mut und Kraft! – Schöne Augen blicken auf Eure Taten!«


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