Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

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Vierunddreißigstes Kapitel.

Die neuen Ankömmlinge waren Wilfried von Ivanhoe auf dem Klepper des Priors von Botolph und Gurth, der ihm auf des Ritters eignem Streitrosse folgte. Ivanhoes Erstaunen war ohne Grenzen, als er seinen Herrn mit Blut bespritzt und sechs oder sieben blutige Leichname auf dem kleinen Grasplatze liegen sah, wo das Gefecht stattgefunden hatte; nicht weniger wunderte er sich darüber, daß den König viele Waldgesellen umgaben, die Geächtete zu sein schienen, und darum ein gefährliches Gefolge für einen Fürsten waren. Er wußte nicht, ob er den König als den irrenden schwarzen Ritter anreden sollte, oder nicht. Richard bemerkte seine Verlegenheit.

»Fürchte nichts, Wilfried,« sprach er, »wenn du Richard Plantagenet als solchen anredest; du findest ihn in der Gesellschaft treuer englischer Herzen, obgleich sie hier warmes englisches Blut vergossen haben.«

»Herr Wilfried von Ivanhoe,« sprach der tapfere Hauptmann, »meine Versicherungen können der unsers Königs nicht mehr Gewicht geben, indessen kann ich wohl mit dem Stolz der Menschen, die viel gelitten haben, sagen, daß er keine treueren Untertanen hat, wie die, so jetzt um ihn stehen.«

»Ich zweifle nicht daran, tapfrer Mann,« erwiderte Wilfried, »weil du darunter bist. Doch was bedeuten diese Spuren von Tod und Gefahr, die Erschlagenen und die blutige Rüstung meines Königs?«

»Das war Verrat, Ivanhoe,« sprach Richard: »doch, Dank sei den braven Männern, er hat seinen Lohn gefunden. Aber jetzt fällt mir ein, daß du selbst ein Verräter bist, ein sehr ungehorsamer Verräter,« fuhr er lächelnd fort; »denn lautete nicht Unser ausdrücklicher Befehl, daß du in St. Botolphs Abtei bleiben solltest, bis deine Wunde völlig geheilt?«

»Sie ist geheilt,« sagte Ivanhoe; »und nur noch unbedeutend, wie der Stich einer Haarnadel. Aber, mein edler Fürst, warum ängstigt Ihr die Herzen Eurer treuen Untertanen, indem Ihr Euer Leben auf einsamen Reisen und wilden Abenteuern aussetzt, als hätte es nicht mehr Wert, als das eines irrenden Ritters, der auf Erden nichts hat, wie Lanze und Schwert?«

»Richard Plantagenet,« antwortete der König, »begehrt nicht mehr Ruhm, als ihm seine gute Lanze und sein Schwert verschaffen können, und ist stolzer auf ein Abenteuer, das er mit seinem guten Arm und seinem guten Schwert bestanden hat, als auf ein Heer von Hunderttausenden, das er zur Schlacht führt.«

»Aber Euer Königreich, Herr,« sprach Ivanhoe, »dem Bürgerkrieg und Auflösung drohen, Eure Untertanen, die jedem Unglück preisgegeben sind, wenn sie ihren König in solchen Gefahren verlieren, in die Ihr Euch täglich zu Euerm Vergnügen stürzt, und denen Ihr eben mit Not entkommen seid.«

»Mein Königreich und meine Untertanen?« antwortete Richard ungeduldig. »Ich sage dir, Herr Wilfried, die besten unter ihnen üben ärgere Torheiten aus, als ich; – zum Beispiel hier mein treuer Diener Wilfried von Ivanhoe, der meinen bestimmten Befehlen nicht gehorcht, und doch seinem Könige eine Predigt hält, weil er nicht nach seiner Meinung handelt. Welcher von uns beiden hat die meiste Ursache, dem andern Vorwürfe zu machen? Doch vergib mir, mein treuer Wilfried. Die Zeit, die ich in der Verborgenheit zubringen muß, ist, wie ich dir schon zu Sankt Botolph sagte, notwendig, um meinen Freunden und treuen Edelleuten Zeit zur Sammlung ihrer Kräfte zu lassen, damit er, wenn Richards Rückkehr angekündigt wird, an der Spitze einer Macht steht, die den Feinden Schrecken einflößen und jede Verräterei unterdrücken kann, ohne das Schwert zu ziehen. Estoteville und Bohun werden nicht stark genug sein, um in vierundzwanzig Stunden nach York vorzurücken. Ich muß von Salisbury im Süden, von Beauchamp, von Warwickshire und von Multon und Percy im Norden Nachricht haben. Der Kanzler muß sich Londons bemächtigen. – Meine plötzliche Erscheinung würde mich Gefahren aussetzen, denen meine Lanze und mein Schwert nicht gewachsen wären, obgleich ich durch den Bogen des braven Robin unterstützt bin, sowie durch Bruder Tucks Streitaxt und das Horn des weisen Wamba.«

Wilfried verbeugte sich unterwürfig, wohl wissend, daß es vergebens wäre, mit dem wilden ritterlichen Geiste zu streiten, der seinen Herrn oft zu Gefahren fortriß, die er leicht vermeiden konnte, oder besser gesagt, die er unverzeihlicherweise aufsuchte.

Wilfried seufzte und schwieg, während König Richard, zufrieden, seinen Ratgeber zum Schweigen gebracht zu haben, obgleich er im Herzen fühlte, daß jener recht hatte, eine Unterhaltung mit Robin Hood anknüpfte. »König der Geächteten,« fragte er, »hast du deinem Bruder König keine Erfrischung anzubieten? denn diese toten Schelme haben mir Arbeit und Appetit gemacht.«

»Wahrhaftig!« rief Robin, »ich verschmähe es, Eure Majestät zu täuschen, unser Vorrat enthält hauptsächlich –« er stockte und wurde verlegen.

»Wildbret? wie ich glaube,« fiel Richard fröhlich ein; »nun, eine bessere Speise für den Hunger gibt es nicht, und wenn ein König nicht zuhause bleiben und selbst sein Wild schießen will, so darf er auch nichts sagen, wenn er es von fremder Hand erlegt findet.«

»Wenn Eure Majestät noch einmal einen von Robin Hoods Sammelplätzen mit Dero Gegenwart beehren wollen, so soll es an Wildbret nicht fehlen, auch ein Trunk Bier und ein Becher voll gutem Wein wird zu Befehl stehen.«

Der Geächtete zeigte nun dem heitern König den Weg, und Richard war über dieses unerwartete Zusammentreffen mit Robin Hood und seinen Waldgesellen glücklicher als in seiner Königsrolle, wenn er sich als der erste unter einem vornehmen Kreis von Edlen und Pairs befunden hätte. Stets neue Gesellschaft und Abenteuer waren die Würze des Lebens für den löwenherzigen Richard, und sein größtes Glück war, Gefahren zu begegnen und zu überwinden. In Löwenherz war die glänzende, aber nutzlose Tätigkeit eines romantischen Ritters verwirklicht und der persönliche Ruhm, den er durch seine eignen Waffentaten erwarb, war seiner überspannten Einbildungskraft teurer, als der, den er sich durch eine weise Regierung erworben hätte. Er glich einem glänzenden Meteor, das schnell am Himmel hinzieht und ein unnützes und furchtbares Licht verbreitet, das plötzlich durch die tiefste Dunkelheit verschlungen wird. Seine Rittertaten gaben den Minnesängern und Harfenspielern Stoff zu Romanzen, verschafften aber seinem Lande keine bleibenden Vorteile, bei denen die Geschichte gern verweilt und sie der Nachwelt als Beispiel erzählt. In seiner gegenwärtigen Gesellschaft erschien Richard im besten Licht. Er war heiter, guter Laune und liebte die Mannheit, wo er sie fand. Unter einem großen Eichbaum wurde eilig das ländliche Mahl für den König von England bereitet: Männer, die von der Regierung geächtet waren, bildeten jetzt seinen Hofstaat und seine Leibwache. Als die Flasche herumging, verloren die rauhen Gesellen allmählich ihre Furcht vor der Gegenwart des Königs: Sang und Scherze wurden gewechselt, frühere Taten erzählt, und während sie sich ihrer glücklichen Gesetzlosigkeit rühmten, verloren sie zuletzt ganz und gar das Bewußtsein, daß sie in Gegenwart des natürlichen Schirmvogts der Gesetze redeten. Der lustige König, der seine Würde nicht mehr achtete als die Gesellschaft, lachte, trank und scherzte. Der verständige Robin Hood dagegen wünschte, daß das Mahl beendigt werde, ehe sich etwas zutragen könnte, was es stören würde, um so mehr, da er gewahrte, daß Ivanhoes Stirn von Sorgen bewölkt war. »Die Gegenwart unsers tapfern Königs macht uns viel Ehre,« sagte er beiseite zum Baron, »aber ich wollte doch, daß er sparsamer mit der Zeit umginge, die wegen der Verhältnisse des Königsreichs so kostbar ist.«

»Das ist gut und weise gesprochen, braver Robin Hood,« sagte der Ritter; »wisse überdem, daß die, die mit dem König scherzen, doch immer mit den Mähnen des Löwen spielen, der, sobald er gereizt wird, Klauen und Zähne zeigt.«

»Ihr habt die wahre Ursache meiner Besorgnis berührt,« sagte der Geächtete; »meine Leute sind roh von Natur und durch ihr Gewerbe, der König ist ebenso jähzornig als gutmütig, wie bald kann sich eine Ursache zum Streit finden, und wie hitzig könnte dieser werden? – Es ist darum Zeit, daß das Mahl aufgehoben wird.«

»Ihr müßt das einleiten, braver Yeoman,« sagte Ivanhoe; »denn jeder Wink, den ich ihm gebe, scheint das Mahl zu verlängern.«

»Muß ich denn schon so schnell die Gunst und Verzeihung meines Monarchen in Anspruch nehmen?« sagte Robin Hood und schwieg einen Augenblick; »aber beim heiligen Christoph! ich muß es tun. Ich wäre seiner Gnade unwürdig, wenn ich für sein Bestes nichts wagen wollte. Scathlock, geh hinter jenes Gebüsch und blase eine normannische Weise auf deinem Horn; tue es sogleich, bei Gefahr deines Lebens.«

Scathlock gehorchte seinem Hauptmann und in weniger als fünf Minuten wurden die Schmausenden durch den Schall eines Hornes auf die Beine gebracht.

»Das ist Malvoisins Horn,« sprach der Müller aufspringend und seinen Bogen ergreifend. Wamba hielt mitten in einem Scherz inne und ergriff Schild und Schwert. Der Mönch ließ die Flasche fallen und nahm seinen Kampfknüppel zur Hand. Alle andern ergriffen ihre Waffen. Männer, deren Leben der Zufall bestimmt, vertauschen schnell den Schmaus mit der Schlacht, und dieser Wechsel war für Richard eine Erhöhung seines Vergnügens; er rief nach seinem Helm und den abgelegten schweren Teilen seiner Rüstung, und während Gurth sie ihm anlegte, befahl er bei seiner höchsten Ungnade, daß sich Wilfried fern vom Kampfe halte, der, wie er glaubte, stattfinden sollte.

»Du hast hundertmal für mich gefochten, Wilfried, und ich habe zugesehen. Heute sollst du zusehen, wie Richard für seinen Freund und Untertan fechten wird.«

Unterdessen hatte Robin mehrere seiner Anhänger in verschiedenen Richtungen ausgesandt, als sollten sie den Feind suchen, und als er sah, daß die Gesellschaft aufgebrochen war, näherte er sich dem Könige, der vollständig gewappnet war, und sich auf ein Knie vor ihm niederlassend, bat er um Verzeihung.

»Weshalb, guter Yeoman?« sprach Richard etwas ungeduldig. »Haben wir dir nicht schon volle Vergebung für alle deine Verletzungen des Gesetzes zugestanden, glaubst du, daß unser Wort eine Feder ist, die vor- und rückwärts geblasen werden kann? Du hast seitdem noch keine Zeit gehabt, neues Unrecht zu begehen.«

»Ich habe es dennoch getan,« antwortete der Yeoman, »wenn es nämlich unrecht ist, den Fürsten zu seinem eigenen Vorteil zu betrügen. Das Horn, das Ihr gehört habt, war nicht Malvoisins Horn, sondern wurde auf meinen Befehl geblasen, um das Mahl aufzuheben, denn es konnten Stunden verloren gehen, die zu kostbar sind, um verscherzt zu werden.« Er stand von seinen Knien auf, faltete die Arme über seiner Brust, und in einer mehr ehrfurchtsvollen als unterwürfigen Haltung erwartete er die Antwort des Königs, wie einer, der wohl weiß, daß er kühn war, aber gerechten Grund dazu hatte. Richard errötete vor Zorn, doch dies war nur eine Aufwallung, und sein Gerechtigkeitsgefühl unterdrückte sie sogleich.

»Der König von Sherwood,« sprach er, »mißgönnt dem König von England seinen Wein und sein Wildbret. Doch du hast wohl getan, kühner Robin! – Aber wenn du mich einmal in dem heitern London besuchst, so sei überzeugt, daß ich kein so knickriger Wirt sein werde. Demungeachtet hast du recht, guter Bursche. – Laß uns darum zu Pferde steigen und forteilen. Wilfried ist diese ganze Zeit über ungeduldig gewesen. Sag' mir, kühner Robin, hattest du nie einen Freund in deiner Gesellschaft, der, nicht zufrieden, dein Ratgeber zu sein, auch durchaus deine Handlungen lenken will und eine erbärmliche Miene macht, wenn du selbständig handelst?«

»Solch einer,« sagte Robin, »ist mein Leutnant, der kleine Johann, der eben an Schottlands Küsten mit einer Expedition beschäftigt ist, und ich will Euer Majestät gestehen, daß mich sein kühner Rat oft unwillig macht. Wenn ich es aber überlege, so kann ich nicht lange mit ihm zürnen, der für seine Zudringlichkeiten keinen andern Grund haben kann, als den Wunsch für mein Wohl.«

»Du hast recht, guter Yeoman,« antwortete Richard; »und hätte ich Ivanhoe an der einen Seite, um ernsten Rat mit düstrer Stirne zu erteilen, und dich an der andern, um mich zu meinem Besten zu zwingen, so würde ich ebenso wenig Freiheit haben, als irgend ein König im Christen- oder Heidentum. Doch kommt, meine Herren, laßt uns fröhlich nach Conningsburgh eilen und nicht mehr daran denken.«

Robin Hood versicherte, daß er eine Abteilung seiner Leute auf dem Wege, den sie nehmen wollten, vorangeschickt habe, die jeden Hinterhalt entdecken würden, und daß er nicht an der Sicherheit der Wege zweifle; wo nicht, so könnten die Ritter die Gefahr zeitig genug entdecken, um einen Trupp Bogenschützen zu rufen, mit denen er selbst ihnen auf demselben Wege folgen wollte. Diese weisen Vorsichtsmaßregeln für Richards Sicherheit rührten diesen, und verscheuchten den leichten Groll über den Betrug, den ihm der Hauptmann der Geächteten gespielt hatte. Er reichte Robin Hood noch einmal seine Hand, versicherte ihn gegenwärtiger Verzeihung und zukünftiger Gunst; auch daß es sein fester Entschluß sei, die tyrannische Ausübung des Forstrechts und anderer harter Gesetze zu beschränken, weil dadurch die englischen Yeomen in einen Zustand der Empörung versetzt würden.

Die Anordnung des Geächteten erwies sich als richtig, und der König, von Ivanhoe, Gurth und Wamba begleitet, kam auf dem Schlosse Conningsburgh ohne allen Unfall an, als die Sonne noch am Horizont stand.


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