Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

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Siebzehntes Kapitel.

Cedrics Diener mochten etwa drei Stunden lang mit ihrem geheimnisvollen Führer gegangen sein, als sie auf eine kleine Lichtung kamen, in deren Mitte eine riesengroße Eiche ihre vielverschlungenen Äste nach allen Seiten ausbreitete. Unter diesem Baume lagen vier bis fünf Yeomen im Grase, und einer ging als Schildwache im Mondlicht hin und her. Als der Posten Schritte hörte, gab er sofort Alarm. Die Schlafenden fuhren empor und spannten blitzschnell die Bogen. Sechs Pfeile lagen auf der Sehne und waren nach dem Fleck gerichtet, von wo die drei Wanderer kamen. Aber sogleich erkannten die Schützen ihren Anführer und empfingen ihn in Ehrfurcht und voller Freude.

»Wo ist Miller?« war Locksleys erste Frage.

»Auf der Straße nach Rotherham.«

»Wieviel hat er mit?«

»Ihrer sechs, und er hat Aussicht auf gute Beute, wenn es dem heiligen Nikolaus so gefällt.«

»Fromm gesprochen,« sagte Locksley. »Und wo ist Allan-a-Dale?«

»Nach Watling-Street zu, er lauert dem Prior von Jorlvaux auf.«

»Das ist brav, und wo ist der Mönch?«

»In seiner Zelle.«

»So will ich dorthin,« sagte Locksley. »Ihr aber geht auseinander und sucht eure Gefährten. Schart euch zusammen, soweit es geht. Wir sind einem Wilde auf der Spur, das eine derbe Hatz verlangt. Bei Tagesanbruch will ich wieder da sein. Wartet,« setzte er hinzu, »bald hätte ich das Wichtigste vergessen. Zwei von euch müssen sogleich nach Torquilstone, Front-de-Boeufs Schloß. Eine Schar von Bravos, die sich wie unsereins in Masken getan hat, bringt eben eine Menge Gefangener dorthin. Habt genau acht auf sie. Wenn sie das Schloß erreichen, ehe wir unsere Truppen versammelt haben, so ist es Ehrensache für uns, ein Gericht an ihnen zu vollziehen, und wir werden schon dazu Mittel und Wege finden. – Habt deshalb scharf acht auf sie und schickt den flinkfüßigsten von euch aus, den Yeomen ringsherum die Kunde zu überbringen.«

Sie versicherten ihn ihres unbedingten Gehorsams und machten sich geschwind auf ihre verschiedenen Wege. Inzwischen begab sich der Anführer mit seinen zwei Gefährten, die nun mit großer Achtung, obwohl nicht ohne Furcht, den Grünrock betrachteten, nach der Kapelle von Copmanhurst. Als sie die freie, vom Monde beleuchtete Lichtung erreichten und die in ihrem Verfall noch ehrwürdige Kapelle und die rauhe, zu asketischer Frommheit wie geschaffene Einsiedelei vor sich sahen, flüsterte Wamba seinem Gefährten zu:

»Wenn das die Behausung eines Spitzbuben ist, so bewahrheitet sich wieder mal das alte Sprichwort: Je näher bei der Kirche, desto weiter von Gott, und bei meiner Schellenkappe!« setzte er hinzu, »ich glaube wahrlich, es ist so, hör bloß, was sie in der Einsiedelei da drin für'n tollen Choral singen.« In der Tat sangen der Anachoret und der schwarze Ritter mit aller Stärke ihrer gewaltigen Lungen ein altes Trinklied mit dem Refrain: Komm! reich mir den braunen Krug her – Dummes Mädel! Dummes Mädel!

»Hm!« schmunzelte Wamba, in den Kehrreim einstimmend, »das ist gar kein übler Singsang. Aber im Namen aller Heiligen, wer hätte sich's träumen lassen, um Mitternacht ein solches Lied aus einer Einsiedlerzelle zu vernehmen?«

»Ei, das ist gar nicht so verwunderlich,« versetzte Gurth. »Der fidele Mönch von Copmanhurst ist weit bekannt, die Hälfte von all dem Wild, das in diesem Forste gemaust wird, rechnet man auf ihn. Der Waldhüter soll auch schon Beschwerde gegen ihn geführt haben, und der Eremit wird Kutte und Kapuze ablegen müssen, wenn er die Ordensregeln nicht besser innehält.«

»Bei meinem Rosenkranze,« sagte drinnen der Einsiedler, als er endlich das laute und wiederholte Klopfen Locksleys gehört hatte, »hier kommen mehrere verspätete Gäste auf einmal, und ich sähe es bei meiner Kapuze nicht gern, wenn sie uns über dieser Fidelität anträfen. Alle Menschen, Herr Faulpelz, haben ihre Feinde, und es gibt ihrer, die boshaft und niederträchtig genug wären, mir's als Völlerei und Sauferei auszulegen, daß ich einen müden Reisenden drei Stunden lang gastfrei bewirtet habe.«

»Niedrige Verleumder, ich wollte, ich könnte es ihnen heimzahlen!« erwiderte der Ritter. »Aber Ihr habt recht, heiliger Mann, jeder hat seine Feinde, und es gibt hierzulande manche, mit denen ich lieber durch das Gitter meines Helmes als von Angesicht zu Angesicht reden möchte.«

»Dann setzt nur Euern eisernen Kochtopf wieder auf, Freund Faulpelz,« sagte der Eremit, »ich räume derweil die Flaschen hier weg, deren Inhalt mir gar toll im Schädel spukt, und damit die draußen das Geräusch nicht hören, – ich fühle mich nämlich ein bißchen wacklig auf den Beinen – so stimmt mit ein in das Verschen, das ich anschlagen werde, auf die Worte kommts nicht an, die weiß ich selber kaum.« Und sogleich stimmte er mit Stentorstimme ein De profundis an, während er die Überbleibsel ihres Festmahles hinwegtrug. Der Ritter, der seinen Spaß daran hatte, legte derweil Helm und Rüstung an und stimmte ab und zu mit ein, wenn er vor lauter Lachen einmal dazu kam.

»Was für Satansmessen werden hier noch zu so später Stunde gesungen?« fragte eine Stimme von draußen.

»Der Himmel verzeihe dir, Wandersmann,« sagte der Eremit, der schon so viel getrunken hatte, daß er die ihm sonst wohlvertraute Stimme nicht erkannte. »Zieh deines Weges, wer du auch seiest, und störe mich nicht und meinen heiligen Bruder in unserer Andacht.«

»Toller Priester, mach auf!« rief wieder die Stimme von draußen. »Locksley ist's.«

»Dann ist alles gut und keine Gefahr zu fürchten,« sagte der Mönch zu seinem Gefährten.

»Aber wer ist das?« fragte der Ritter. »Mir liegt daran, das zu wissen.«

»Wer es ist?« entgegnete der Einsiedler. »Gut Freund, sage ich Euch.«

»Aber wie heißt der Freund? Eure Freunde brauchen nicht auch die meinen zu sein.«

»Wie der Freund heißt?« erwiderte der Eremit. »Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Ei, jetzt besinne ich mich, es ist derselbe Waldhüter, von dem ich Euch erzählt habe.«

»Ei, es mag wohl ein ebenso ehrlicher Waldhüter sein, wie du ein frommer Eremit bist. Aber mach nur auf, sonst stößt der Kerl die Tür aus den Angeln.«

Die Hunde, die entsetzlich gebellt hatten, schienen nun auch den Mann draußen an seiner Stimme zu erkennen, sie kratzten und winselten jetzt, als könnten sie es nicht erwarten, daß der Fremde hereinkäme. Der Eremit machte schnell auf, und Locksley mit seinen zwei Gefährten trat ein.

»Wer leistet dir hier so tolle Gesellschaft?« war die erste Frage des Yeoman.

»Ein Bruder meines Ordens,« erwiderte der Mönch. »Die ganze Nacht über haben wir in Andacht gebetet.«

»Er ist ein Mönch von der streitbaren Kirche, nicht wahr?« fragte Locksley. »Deren sind jetzt mehrere auf den Beinen. Ich sage dir, Bruder, du mußt zum Kampfstock greifen, wir brauchen jetzt jeden unserer lustigen Kumpane, ob geistlich oder weltlich.«

Während der Mönch seiner Aufforderung gemäß die Kutte ablegte und die Weidmannstracht anzog, hatte Locksley den Ritter beiseite genommen.

»Leugnet es nicht, Herr Ritter,« sagte er zu ihm, »Ihr seid derselbe, der in Ashby den Engländern zum Siege verholfen hat.«

»Und wenn Ihr recht habt, was folgt daraus?« versetzte der Ritter.

»Dann halte ich Euch für einen Freund der schwächeren Partei.«

»Das zu sein, ist Pflicht jedes tapferen Ritters,« antwortete der schwarze Streiter. »Ich möchte nicht, daß Ihr mich für etwas anderes hieltet.«

»Wenn Ihr mir für meinen Zweck zu statten kommen wollt,« sagte der Yeoman, »so müßt Ihr nicht nur ein tapferer Ritter, sondern auch ein guter Engländer sein. Denn das, wovon ich jetzt mit Euch reden will, betrifft die Schuldigkeit jedes Ehrenmannes, vor allem jedes echten eingeborenen Engländers.«

»Ihr könnt zu keinem reden,« entgegnete der Ritter, »dem England und das Leben eines jeden Engländers mehr am Herzen lägen als mir.«

»Glaub's gern,« sagte der Weidmann. »Denn nie ist ein Land der Unterstützung aller derer, die es gut mit ihm meinen, bedürftiger gewesen. – Hört mich an. Ich will Euch ein Vorhaben mitteilen, woran Ihr Euch mit Ehren beteiligen könnt, wenn Ihr wirklich seid, was Ihr scheint. Eine Schar schändlicher Kerle, die sich die Masken ehrlicher Leute vorgebunden haben, haben einen englischen Edelherrn mit Namen Cedric der Sachse mitsamt seiner Tochter und seinem Freunde Athelstane von Conningsburgh gefangengenommen und nach dem festen Schlosse Torquilstone geschleppt. Ich frage Euch als guten Ritter und guten Engländer, wollt Ihr daran teilnehmen, sie zu befreien?«

»Schon mein Gelübde allein erheischt das,« antwortete der Ritter. »Nur möchte ich wissen, wer Ihr seid, der Ihr mich zum Beistand auffordert.«

»Ich bin,« erwiderte der Grünrock, »ein namenloser Mann, der ein Herz hat für sein Vaterland und seine Freunde. Mit diesem Bescheid müßt Ihr Euch fürs erste begnügen, zumal Ihr ja selber auch unerkannt bleiben wollt. Aber Ihr könnt glauben, wenn ich mein Wort gegeben habe, dann halte ich es ebenso, als ob ich goldene Sporen trüge.«

»Das glaube ich gern,« entgegnete der Ritter. »Es ist meine Gewohnheit, den Menschen nach seinem Gesicht zu beurteilen, und das Eure bekundet Entschlossenheit und Biedersinn, ich will daher nicht weiterfragen, sondern Euch Beistand leisten. Wenn das geschehen ist, so hoffe ich, werden wir einander besser kennen lernen und damit beide recht zufrieden sein.«

Inzwischen hatte sich der Mönch völlig als Yeoman umgekleidet, trug Schwert und Schild, Bogen und Pfeile und ein starkes Wehrgehänge über der Schulter. Er schritt mit den anderen zur Hütte hinaus, verschloß die Tür und legte den Schlüssel unter die Türschwelle.


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