Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Die Alte führte Cedric in ein kleines Gemach und schloß hinter sich sorgfältig die Tür. Dann holte sie von einem Kredenztische einen Becher und zwei Flaschen und sagte mehr im Tone der Gewißheit als der Frage: »Du bist ein Sachse, Vater; streit es nicht ab,« setzte sie hinzu, als sie sah, daß Cedric mit der Antwort nicht recht herauswollte. »Meine Muttersprache ist Musik in meinen Ohren, wenngleich ich sie aus den Lippen der entwürdigten, erbärmlichen Sklaven nur selten höre, denen in diesem Schlosse die stolzen Normannen die niedrigsten Arbeiten auftragen. – Du bist ein Sachse, Vater, du bist nicht nur ein Diener Gottes, du bist auch ein heiliger Mann. O, wie süß klingt deine Stimme mir im Ohr!«

»Kommen denn keine sächsischen Priester in dieses Schloß?« entgegnete Cedric. »Ich dächte, es wäre ihre Pflicht, die ausgestoßenen und geknechteten Kinder dieses Landes zu trösten.«

»Es kommt keiner,« antwortete Urfried. »Oder, wenn einige kommen, dann schmausen sie lieber an der Tafel der Eroberer, als daß sie sich von ihren Landsleuten etwas vorseufzen lassen – so geht wenigstens das Gerede, denn ich selber weiß davon nichts. Seit zehn Jahren ist kein Priester in dieses Schloß gekommen, der letzte war unser ausschweifender normännischer Kaplan, der mit Front-de-Boeuf die Nächte durchschwärmte und der nun schon lange dahingegangen ist, Rechenschaft von seinem Amte abzulegen. Du aber bist ein Sachse, ein sächsischer Priester, ich muß dich etwas fragen.«

»Ich bin ein Sachse,« antwortete Cedric, »aber nicht würdig, ein Priester zu heißen. Laß mich jetzt meiner Wege ziehen. – Ich gebe dir mein Wort, ich komme wieder, oder ich schicke dir einen unserer Väter, der würdiger ist als ich, deine Beichte entgegenzunehmen.«

»Verweile noch ein wenig,« sagte Urfried. »Die Stimme, die du jetzt hörst, wird bald unter der kalten Erde verstummen. Gelebt habe ich wie ein Vieh, nun möchte ich nicht einem Viehe gleich in die Grube fahren. Aber ich muß mir Kraft holen im Wein, daß ich meine grausige Geschichte zu erzählen vermag.« Mit furchtbarer Gier goß sie einen Becher voll hinab bis auf die Neige. »Du wunderst dich, Vater,« sagte sie und sah auf, »aber da kann ich dir nicht helfen. Trink mit mir, wenn du stark genug sein willst, meine Geschichte anzuhören, du könntest sonst zu Boden sinken.« Cedric hätte es ihr gern versagt, ihr in dieser unheimlichen Zecherei Bescheid zu tun, aber in ihrem ganzen Wesen lag eine so große Verzweiflung und Ungeduld, daß er sich ein Herz faßte und ihr zu Willen war. Er leerte einen vollen Becher, und sanfter gestimmt, als er sich ihr fügte, begann die Alte:

»Vater, das jammervolle Wesen, das vor dir steht, ist nicht von Geburt an so elend gewesen. Auch ich war frei, glücklich, geehrt – ich habe geliebt und bin geliebt worden. Jetzt bin ich eine Sklavin, arm, elend, verworfen. Als ich noch schön war, war ich das Spielzeug meiner Gebieter, seit ich nicht mehr schön bin, ward ich das Ziel ihres Hohnes, ihres Hasses, ihrer Verachtung. – Wunderst du dich noch, Vater, daß ich die Menschen hasse? Besonders das Volk, das das aus mir gemacht hat? – Kann das verschrumpelte, ausgemergelte Wesen, das du vor dir siehst, jemals vergessen, daß sie die Tochter des mächtigen Thane von Torquilstone war, vor dessen Macht tausend Vasallen zitterten?«

»Du Torquil Wolfgangers Tochter!« rief Cedric und bebte zurück. »Du die Tochter jenes edeln Sachsen, der meines Vaters Freund und Waffenkamerad war?«

»Deines Vaters Freund!« wiederholte Urfried. »So steht Cedric vor mir, den sie den Sachsen nennen! Denn der edle Hereward von Rotherwood hatte nur einen Sohn. Aber wenn du Cedric von Rotherwood bist, wie kommst du zu diesem Mönchskittel? Hast du daran gezweifelt, daß dein Vaterland wieder befreit werden könnte und dich vor der Unterdrückung und Knechtung in die Stille des Klosters gerettet?«

»Wer ich bin, ist einerlei,« sagte Cedric, »fahre du fort, du Unglückliche in deiner Erzählung von Schuld und Jammer – Schuld mußt du haben, denn schon eine Schuld ist es, daß du leben geblieben bist, solches zu erzählen.«

»Freilich, freilich,« versetzte die Elende, »tiefe, schwarze, verdammenswerte Schuld lastet zentnerschwer auf meiner Seele – alle Fegefeuer können mich nicht davon rein brennen. Ja, daß ich in diesen Hallen, deren Boden das edle, reine Blut meines Vaters und meiner Brüder getrunken hat, als die Metze ihres Mörders, und zugleich seine Sklavin, als die Genossin seiner wollüstigen Schwelgereien gelebt habe, das hat jeden Atemzug, den ich hier getan habe, zum Verbrechen und zum Fluche gemacht!«

»Du Auswurf!« rief Cedric. »Wenn deines Vaters Freunde, wenn jedes sächsische Herz für seine Seele und die seiner tapferen Söhne betete, so vergaßen sie nicht, auch für die hingemordete Ulrika zu beten – denn alle betrauerten sie als tot und ehrten sie im Tode – und dabei war sie noch am Leben und war wert, daß wir sie mit Haß und Abscheu überschütteten, lebte vereint mit dem schändlichen Tyrannen, der ihr das teuerste und ihrem Herzen nächste hingemordet hatte, der der Kinder Blut vergossen hatte, damit kein männlicher Erbe des Geschlechts Torquil Wolfgangers am Leben bleibe – und mit diesem hast du gelebt, in ungesetzlichem Liebesbunde?«

»Wohl in ungesetzlichem Bunde, aber nicht im Bunde der Liebe!« entgegnete die Alte. »Eher wohnt Liebe in der ewigen Verdammnis als in diesen Hallen. – Nein, das wenigstens brauche ich mir nicht vorzuwerfen. Haß gegen Front-de-Boeuf und sein ganzes Geschlecht hat meine Seele stets erfüllt, selbst in den Stunden verbrecherischer Lust.«

»So hast du ihn gehaßt und doch gelebt!« rief Cedric. »Erbärmliche! war denn kein Dolch da, kein Messer – nicht einmal eine Haarnadel? An solch einem Dasein konntest du noch hängen? Nur gut dann für dich, daß die Geheimnisse eines normännischen Schlosses verschlossen sind wie die eines Grabes. Hätte ich's mir nur träumen lassen, daß Torquils Tochter in verbrecherischer Gemeinschaft mit dem Mörder ihres Vaters lebte, das Schwert eines echten Sachsen hätte sie selbst in den Armen ihres Buhlen zu treffen gewußt.«

»Hättest du wirklich dem Namen Torquils zu dieser Gerechtigkeit verholfen?« erwiderte Ulrika, »dann bist du wirklich der Sachse, so wie ihn das Gerücht darstellt, denn selbst in diese verfluchten Mauern hinein, wo die Schuld in undurchdringliches Geheimnis gehüllt ist, wie du sagst, selbst bis hierher ist Cedrics Name gedrungen, und ob ich auch elend und verworfen bin, so habe ich mich doch gefreut, daß unserm Volke ein Rächer lebt. – Auch ich habe meine Stunden gehabt, da ich der Rache frönte. Ich habe die Streitigkeiten zwischen unseren Feinden zu Flammen geschürt – ich habe trunkene Zecher zu wütenden Mördern gemacht – ihr Blut habe ich fließen sehen – ihr Todesröcheln vernommen. Schau mich an, Cedric, sind nicht in diesem verwelkten, vor Schande entarteten Antlitz noch Spuren von Torquils Zügen?«

»Nicht danach frage mich, Ulrika,« erwiderte Cedric in einem Tone zwischen Haß und Abscheu. »Mir erscheinen diese Züge wie die eines Verstorbenen, in dessen Leichnam ein böser Geist gefahren ist.«

»Mag schon sein,« sagte Ulrika. »Und doch haben diese höllischen Züge einst die Larve eines heiteren Genius getragen, als um meinetwillen der ältere Front-de-Boeuf und sein Sohn Reginald in Streit gerieten. Wohl sollte die Hölle mit all ihrer Finsternis verhüllen, was nun geschah, aber die Rache lüftet den Schleier und zeigt, was selbst die Toten reden machen könnte. – Lange hatte unter der Asche die Glut der Zwietracht zwischen dem tyrannischen Vater und seinem wilden Sohne geglommen, lange hatte ich insgeheim den widernatürlichen Haß genährt. In einer Stunde wüster Trunkenheit brach er lodernd aus, und an seinem eigenen Tische fiel mein Peiniger von der Hand seines eigenen Sohnes. Das sind die Geheimnisse, die die Hallen hier verschließen. – Stürzt ein, ihr fluchbeladenen Gewölbe!« setzte sie hinzu, mit einem Blick nach oben, »und in euerm Fall begrabt alle, die um das abscheuliche Geheimnis wissen!«

»Und du schuldvolles und jammervolles Wesen,« sagte Cedric, »wie erging es dir, nachdem der Räuber deiner Ehre gefallen war?«

»Errat es, doch frage nicht danach! Hier hab ich gehaust, bis Alter, vorzeitiges Alter mir seine gräßlichen Male ins Gesicht grub. Da, wo man mir ehedem gehorcht hatte, war ich verachtet und verhöhnt, und meine Rache, die einst ein so weites Feld gehabt hatte, war nun eingeschränkt auf die kleinliche Bosheit einer mißvergnügten Hausgenossin und auf die unbeachteten Flüche eines alten Weibes. – Verdammt dazu war ich, von meinem Turm herab das Gelärm der Zechgelage zu hören oder das Jammern der neuen Opfer ihrer Grausamkeit.«

»Ulrika, ich fürchte, dein Herz verlangt nach einem Lohne für deine Schandtaten, um den du gekommen bist. Wie kannst du es wagen, dich an einen zu wenden, der dieses Gewand trägt? – Bedenke, Unglückliche, was vermöchte der heilige Eduard für dich zu tun, stünde er in fleischlicher Gestalt jetzt hier? Der königliche Bekenner hatte wohl von Gott die Gnade, den Körper von Wunden zu heilen, aber nur der Allmächtige selber kann die Seele vom Aussatz reinigen.«

»Nicht so wende dich von mir, ernster Prophet des Zornes!« rief sie. »Sage mir, wenn es in deinem Wissen liegt, was wird das Ende sein der ungekannten schrecklichen Empfindungen, die jetzt in meine Einsamkeit schleichen? Warum stehen längst vergangene Taten in neuem Grausen deutlich vor mir auf? Was wird jenseit des Grabes das Schicksal der Elenden sein, die Gott schon hinieden mit so unsäglichem Elend gestraft hat?«

»Ich bin kein Priester,« sagte Cedric, indem er sich voller Abscheu von diesem gräßlichen Bilde der Schuld, des Jammers und der Verzweiflung abwendete, »ich bin kein Priester, wenn ich auch das Gewand eines Priesters trage.«

»Du seiest Priester oder Laie,« war die Antwort, »du bist der erste, der mir seit zwanzig Jahren vor Augen kommt, der Gott fürchtet und die Menschen achtet, und du willst mich der Verzweiflung überlassen?«

»Der Reue!« erwiderte Cedric. »Bete und tu Buße! Würde dir nur Erhörung! Aber ich kann und will nicht länger bei dir verweilen.«

»Noch einen Augenblick verweile!« sagte Ulrika. »Geh nicht also von mir, du Sohn des besten Freundes, den mein Vater hatte, sonst könnte mir der Teufel, der in meinem Leben die Oberhand hat, eingeben, daß ich mich räche für deine hartherzige Verachtung. – Glaubst du nicht, wenn Front-de-Boeuf Cedric den Sachsen in seinem Schlosse fände, in solcher Verkleidung, daß dein Leben nicht verloren wäre? Sein Auge hat dich schon angeblitzt wie ein Falke, der seine Beute schaut.«

»Und wäre dem so,« antwortete Cedric, »eher möge er mich zerreißen mit Schnabel und Krallen, ehe ich ein Wort sagte, von dem mein Herz nichts wüßte. So will ich sterben als Sachse, wahr in Worten, offen in Taten. Hebe dich weg – rühr mich nicht an – halt mich nicht auf – selbst der Anblick Front-de-Boeufs ist mir nicht so verhaßt wie deiner, du elendes, verworfenes Weib!«

»Wenn dem so ist,« versetzte Ulrika, ihn nicht länger zurückhaltend, »so geh deines Wegs und vergiß im Dünkel deiner Erhabenheit, daß das elende Weib, das vor dir steht, die Tochter des besten Freundes ist, den dein Vater gehabt hat. – Mach, daß du fortkommst! Wenn mich meine Leiden vom Geschlechte der Menschen scheiden, von denen die mir von Rechts wegen helfen sollten, so soll doch keine Scheidung sein zwischen ihnen und meiner Rache. Helfen soll mir niemand, aber alle Welt soll auflauschen, wenn meine Rachetat ruchbar wird! – Fahr wohl! Das letzte Band, das mich noch mit meinem Volke zu verknüpfen schien, ist durch deine Verachtung zerrissen, indem du mir die Hoffnung nahmst, daß ich in meinem Jammer bei ihm Erbarmen finden würde.«

»Ulrika,« sagte Cedric, durch diese Worte sanfter gestimmt, »so lange hast du dein Leben durch Schuld und Elend getragen, und nun, da dir die Augen geöffnet werden, daß du deine Verbrechen erkennst, daß du die Reue als deine Aufgabe einsiehst, willst du dich der Verzweiflung hingeben?«

»Cedric,« erwiderte Ulrika, »schlecht kennst du das menschliche Herz. Wer leben will, wie ich gelebt habe, der muß einen wahnwitzigen Hang zur Wollust haben, gepaart mit brennendem Durst nach Rache, und muß sich seiner Macht bewußt sein. Zaubertränke sind das, sie berauschen das menschliche Herz, daß ihm die Kraft zur Reue genommen wird. Längst ist ihre Macht dahin. Das Alter kennt keine Wonne, und Runzeln vermögen nicht zu reizen, in ohnmächtigen Verwünschungen stirbt selbst die Rache dahin. Dann kommen die Gewissensbisse den Nattern gleich angeschlichen, dazu die Sehnsucht nach der Vergangenheit und das Grausen beim Gedanken an die Zukunft. Wenn dann alle anderen mächtigen Antriebe ihre Kraft verloren haben, dann werden wir den höllischen Feinden gleich, die wohl Gewissensqualen, doch nimmer Reue fühlen können. Aber deine Worte haben mir eine neue Seele eingeflößt. Du hast gesagt, denen die zu sterben wissen, ist alles möglich. Damit hast du mir den Weg zur Rache gezeigt, und sei gewiß, ich werde ihn einschlagen. Bis auf den heutigen Tag hat der Durst danach den Platz in dieser Brust geteilt mit anderen Leidenschaften, die ihm die Herrschaft streitig machten, jetzt aber soll er allein in mir wohnen, und du selber sollst sagen, daß sich Ulrika, wie auch ihr Leben war, im Tode als würdige Tochter Torquils gezeigt hat. Draußen steht ein Feind, der dieses fluchwürdige Schloß belagern will. Eile du, daß du sie zum Kampfe führst, und wenn du von dem Turme dort, der den Westwinkel dieses Kerkers bildet, eine rote Fahne wehen siehst, dann dränge hart auf die Normannen ein. Sie sollen dann drinnen im Schlosse genug zu schaffen haben, und ihr könnt trotz allen Bogen und Steinschleudern die Mauern ersteigen. Ich bitte dich, geh – folge du deinem Schicksal und überlaß mich dem meinen.«

Gern hätte sich Cedric noch näher danach erkundigt, was sie im Schilde führe, aber er vernahm eben die donnernde Stimme Front-de-Boeufs: »Wo schleicht der saumselige Priester herum? Beim heiligen Jakob von Compostella, einen Märtyrer mach ich aus ihm, wenn er unter meinem Dienstvolk Verrat anzettelt.«

»Ein böses Gewissen ist ein wahrer Prophet,« flüsterte Ulrika. »Fürchte dich nicht vor ihm – hinaus zu den deinen! Laß erklingen den Kriegsruf der Sachsen!«

Mit diesen Worten verschwand sie durch eine geheime Seitentür, und Reginald Front-de-Boeuf trat herein. Cedric tat sich Gewalt an und bezeigte dem hochmütigen Baron seine Untertänigkeit, Front-de-Boeuf erwiderte mit einem flüchtigen Kopfnicken. »Deine Beichte hat lange gedauert, Vater!« sagte er. »Um so besser für meine Gefangenen, denn es ist ihre letzte. Hast du sie auf den Tod vorbereitet?«

»Ich fand sie,« antwortete Cedric, in so gutem Französisch, wie er konnte, »in Fassung, sie hatten sowieso das Schlimmste erwartet, seit sie wußten, in wessen Hände sie gefallen waren.«

»Ei, ei, Herr Mönch,« sagte Front-de-Boeuf, »mir scheint, Eure Redeweise hat einen sächsischen Beigeschmack.«

»Ich bin erzogen worden im Kloster des heiligen Withold zu Burston,« erwiderte Cedric.

»So? Für das, was ich mit dir vorhabe, und auch für dich selber wäre es besser, wenn du ein Normann wärst. Aber in der Not darf man mit den Boten nicht wählerisch sein. Das Kloster zum heiligen Withold in Burston ist ein rechtes Eulennest und muß ausgeschwefelt werden. Aber der Tag ist nicht mehr fern, daß der Sachse in der Kutte ebenso wenig sicher sein soll wie im Panzer.«

»Gottes Wille möge geschehen!« versetzte Cedric, vor Wut zitternd. Aber Front-de-Boeuf dachte, er zittre aus Furcht.

»Ich glaube, du siehst im Geiste schon unsere Krieger in euerm Bierkeller und Refektorium. Aber um meinetwillen sollst du jetzt einmal dein heiliges Amt ablegen und eine andere Verrichtung auf dich nehmen. Wie es dann auch den andern ergehen mag, du sollst in deiner Zelle so sicher schlafen wie eine Schnecke in ihrem Häuschen.«

»Nennt Euern Befehl,« sagte Cedric, seinen Ingrimm unterdrückend.

»Folge mir durch diesen Gang, ich will dich zur Hinterpforte hinauslassen.« Während Front-de-Boeuf vor dem vermeintlichen Mönch herschritt, teilte er ihm den Auftrag mit, den er ihm zu geben beabsichtigte.

»Du siehst die Herde sächsischer Schweine, Mönch, die Schloß Torquilstone zu belagern wagt. Sage ihnen, was dir gerade einfällt. Wie schwach die Besatzung sei oder sonst was, daß du sie nur dazu bringst, noch vierundzwanzig Stunden zu warten. Inzwischen trägst du den Zettel hier – doch halt! – kannst du lesen, Priester?«

»Kein Jota,« erwiderte Cedric, »nur in meinem Gebetbuche kann ich lesen, weil ich da die Buchstaben kenne und den Dienst der Andachten auswendig kann. Gelobt sei unsere Frau und der heilige Withold!«

»Um so besser für meinen Zweck! Diesen Zettel hier bringst du zum Schlosse Philipps von Malvoisin, sage ihm, ich schicke ihn und der Templer Brian de Bois-Guilbert hätte ihn geschrieben. Er möchte dieses Blatt Papier nach York senden so rasch, als Mann und Roß reiten können. Gib ihm die Versicherung, er werde uns alle sicher und wohlbehalten hinter unsern Verschanzungen antreffen. – Eine Schande ist es, daß wir uns hier von dieser Bande von Strauchdieben müssen einschließen lassen, das Volk kennt es sonst nicht anders, als daß es beim bloßen Geklirr unserer Waffen oder beim Getrappel unserer Pferde auf und davon rennt. Ich sage dir, Priester, biete alle deine Kunst auf, um die Spitzbuben noch zurückzuhalten, bis unsere Freunde ihre Mannen beisammen haben. Meine Rache ist nimmer müde, sie gleicht dem Falken, der nicht eher Ruhe findet, als bis er sich gesättigt hat.«

»Bei meinem Schutzpatron,« sagte Cedric mit größerer Energie, als sich mit seiner angenommenen Rolle vertrug, »bei allen Heiligen, die jemals in England gelebt haben und gestorben sind, Euer Befehl soll ausgeführt werden, kein Sachse soll den Platz vor diesen Mauern verlassen, sofern mir nur ein wenig Macht gegeben ist.«

»Ha!« fiel ihm Front-de-Boeuf ins Wort, »du änderst deinen Ton, Priester, und sprichst stolz und kühn, als sei dir etwas daran gelegen, daß diese sächsischen Schweine unterliegen, und doch bist du mit ihnen verwandt.«

Cedric war wenig bewandert in der Kunst, sich zu verstellen, und jetzt hätte er etwas um einen Einfall Wambas gegeben, aber Not macht erfinderisch, wie das alte Sprichwort lautet, und er murmelte in seine Kutte, die Belagerer wären ja Geächtete, die von Staat und Kirche exkommuniziert seien.

»Despardieux!« rief Front-ds-Boeuf. »Da sagst du die Wahrheit. Ich hatte gar nicht daran gedacht, daß dieses Gesindel auch einen fetten Pfaffen ausrauben könne. – Doch mach dich nur auf den Weg,« setzte er hinzu, denn sie waren jetzt an der Pforte angelangt. Hier führte ein schmales Brett über den Graben nach einem Außenwerk, von dem aus eine stark verteidigte Zugbrücke auf das offene Feld hinausführte. »Mach dich auf den Weg,« wiederholte Front-de-Boeuf. »Wenn du wiederkommen willst, sobald du deinen Auftrag ausgerichtet hast, so soll Sachsenfleisch hier so wohlfeil sein als je das Schweinefleisch auf den Schlächterbänken von Sheffield. Und höre – mir scheint, du bist ein lustiger Bruder, komm wieder, und du sollst soviel Malvoisier haben, daß sich dein ganzes Kloster daran besaufen kann.«

»Gewiß,« entgegnete Cedric, »wir sehen einander wieder.«

»Hier hast du Handgeld,« fuhr der Normann fort und drückte dem Sachsen einen goldenen Byzantiner in die Hand, »und denke fein daran, daß ich dir die Kutte mitsamt deinem Felle abziehen lasse, wenn du meinen Auftrag nicht ausführst.«

»Und es soll dir völlig freistehen, beides zu tun,« versetzte Cedric, indem er durch das Tor schritt und freudigen Fußes über das Feld eilte, »sofern ich, wenn wir uns wiedersehen, nichts Besseres von deiner Hand verdiene.« Dann wandte er sich nach dem Schlosse um und warf das Goldstück nach dem Ritter und rief: »Falscher Normann, dein Geld gehe unter mit dir!« Front-de-Boeuf verstand die Worte nicht, aber die Gebärde erschien ihm verdächtig. »Bogenschützen,« rief er den Wachen zu, die auf dem Außenwerke standen, »sendet dem Mönch einen Pfeil nach!« Aber als sie schon den Bogen spannten, setzte er hinzu: »Doch nein, haltet inne! lohnt nicht der Mühe! Wir haben keinen bessern und müssen ihm schon trauen. Ich denke, er wird es nicht wagen, mich zu hintergehen. Im schlimmsten Falle kann ich immer noch mit den sächsischen Hunden verhandeln, die ich sicher in der Falle habe. – Kerkermeister, laß den Cedric von Rotherwood herbringen und den andern Bauer, den von Conningsburgh – Athelstane oder wie sie ihn nennen! Ihr Name selbst ist eine Last für die Zunge eines Normanns, und man hat einen Geschmack davon, als kaute man Schweinefleisch. Holt mir eine Flasche Wein, daß ich mir, wie der lustige Prinz Johann sagt, den Geschmack hinunterspülen kann. Tragt sie in den Waffensaal und dorthin bringt auch die Gefangenen.«

Seine Befehle wurden befolgt. Als er in die gotische Halle trat, wo mancher Waffenzierat hing, den er oder sein Vater erbeutet hatte, stand auf dem eichenen Tische eine Flasche Wein, und seine Gefangenen harrten sein, bewacht von vier Dienern. Wamba hatte die Mütze ins Gesicht gezogen, er war außerdem in Cedrics Kleidern, und das düstere Zwielicht und der Umstand, daß der Baron den Cedric von Angesicht gar nicht einmal genau kannte, denn Cedric mied jeden Umgang mit seinen normannischen Nachbarn und kam selten aus seinen Besitzungen heraus, hinderten Front-de-Boeuf, sogleich zu entdecken, daß ihm der bedeutendste seiner Gefangenen entkommen war.

»Nun, ihr Tapfern von England, wie behagt es euch zu Torquilstone?« redete sie Front-de-Boeuf an. »Spürt ihrs nun, was ihr euch mit euerm Hochmut beim Gastmahle eines Prinzen aus dem Hause Anjou eingebrockt habt? Habt ihr vergessen, wie ihr die Gastfreundschaft des königlichen Prinzen Johann, deren ihr gar nicht wert waret, vergolten habt? Bei Gott und dem heiligen Dionys, wenn ihr dafür nicht ein größeres Lösegeld zahlt, so laß ich euch an den Eisenstäben dieser Fenster an den Beinen aufhängen, bis euch die Geier und Raben zu Gerippen abgenagt haben. – So sprecht, ihr Hunde von Sachsen, was bietet ihr für euer wertloses Leben? Was sagt Ihr, von Rotherwood?«

»Ich gebe nicht 'n Deut,« versetzte der arme Wamba, »und was Euern Gedanken betrifft, uns bei den Beinen aufzuhängen, so habe ich mir sagen lassen, mir sei das Gehirn schon, als ich die erste Kindermütze aufbekam, umgedreht worden. Da kommt es auf diese Weise vielleicht wieder richtig ins Lot.«

»Heilige Genoveva!« rief Front-de-Boeuf. »Wen haben wir da?« Und mit dem Handrücken warf er dem Narren die Kappe herunter, riß ihm den Kragen auf und sah nun das Zeichen der Knechtschaft, das Halsband von Eisen.

»Kerkermeister! Mohrenelement!« schrie er. »Hunde von Vasallen! Wen habt Ihr mir da hergebracht?« In diesem Augenblicke trat de Bracy herein.

»Ich glaube, das kann ich Euch sagen,« sprach er. »Das ist Cedrics Hausnarr, der sich so tapfer den Isaak von York vom Leibe gehalten hat.«

»So sollen sie nun beide an einen Galgen,« rief der Normann, »wenn nicht dieser Eber von Conningsburgh und der Herr des Narren tüchtig für ihr Leben bezahlen. Ihr Reichtum allein langt nicht aus, sie müssen auch mit dem Schwarm abziehen, der ums Schloß herumlungert, und schriftlich Verzicht leisten auf all ihre Rechtsame, so daß sie als Leibeigene unter uns leben. In dieser neuen Verfassung, die nun bald in Kraft treten wird, können sie sich glücklich schätzen, wenn wir ihnen noch das Luftschnappen erlauben. Geht,« setzte er zu zweien seiner Diener hinzu, »holt mir den richtigen Cedric her, und ich will euch euern Irrtum um so eher verzeihen, als ihr einen Narren für einen sächsischen Franklin gehalten habt.«

»Ach,« versetzte Wamba, »Eure ritterliche Exzellenz wird finden, daß unter uns mehr Narren als Franklins sind.«

»Was sagt der Schelm?« fragte Front-de-Boeuf, seine Diener anblickend, die stammelnd und zaudernd hervorbrachten, daß sie nicht wüßten, was aus ihm geworden sei, wenn das nicht der richtige Cedric sei.

»Heilige des Himmels!« rief de Bracy, »so muß er in den Kleidern des Mönches entkommen sein.«

»Teufel der Hölle!« schrie Front-de-Boeuf. »Also hab ich den Eber von Rotherwood zur Hintertür geführt und sie ihm mit eigenen Händen aufgemacht. Und du,« sagte er zu Wamba, »dessen Narrheit die Weisheit von größeren Dummköpfen, als du bist, überboten hat, ich will dich zum Priester machen – ich will dir den Schädel scheren – hier, reißt dem Hallunken die Haut vom Schädel und stürzt ihn kopfüber von den Zinnen herab. Es ist dein Beruf, Spaß zu machen, was? kannst du das auch jetzt?«

»Ihr machts noch besser mit mir, als Eure Reden andeuten,« stammelte der arme Wamba, der selbst angesichts des nahen Todes nicht von der Gewohnheit, zu scherzen, ablassen konnte. »Wenn Ihr mir, wie Ihr vorhabt, eine rote Kappe gebt, so macht Ihr mich nicht bloß zum Mönch, sondern sogar zum Kardinal.«

»Der arme Schächer,« sagte de Bracy, »will in seinem Berufe sterben. Front-de-Boeuf, Ihr dürft ihn nicht umbringen. Schenkt ihn mir, ich will ihn zum Spaßmacher für meine Freischar haben. Was meinst du, Schelm, willst du Pardon annehmen und mit mir in den Krieg ziehen?«

»Ja, aber nur, wenns mein Herr erlaubt,« sagte Wamba, »denn seht,« und er deutete auf sein Halsband, »das hier kann ich nicht abtun wider den Willen meines Herrn.«

»Ihr treibt es sauber, de Bracy,« sagte Front-de-Boeuf. »Haltet Euch mit dem Gewäsch eines Narren auf, und draußen bricht die Vernichtung gegen uns los. Begreift Ihr denn nicht, daß wir überlistet sind und daß unser Plan, uns mit unsern Freunden zu verbinden, durch eben denselben buntscheckigen Edelmann vereitelt worden ist, den Ihr jetzt so brüderlich behandelt. Was haben wir zu gewärtigen als jeden Augenblick den Sturmangriff?«

»Auf die Mauern denn!« rief de Bracy, »wenn es zu kämpfen gilt, so bin ich stets ernsthaft bei der Sache. Rufe den Templer her, er mag hier nur halb so tapfer, wie er für den Orden gekämpft hat, um sein Leben fechten – Ihr selbst mit Euerm Riesenleibe stellt Euch auf die Mauer – und auch ich will meinen Mann stellen, und dann sage ich Euch, eher werden die sächsischen Geächteten den Himmel erstürmen als Schloß Torquilstone. Wenn Ihr sonst mit den Banditen verhandeln wollt, warum braucht Ihr nicht den würdigen Franklin da zum Vermittler, der in ernste Betrachtungen der Weinflasche versunken zu sein scheint? Hier, Sachse,« fuhr er fort und reichte Athelstane einen Becher Wein, »spüle deine Kehle aus mit diesem edeln Getränk und rüttle deine Seele auf, daß du uns sagen kannst, was du für deine Freiheit tun willst.«

»Was ein Mann vom Stande vermag,« erwiderte Athelstane, »ohne seiner Männlichkeit nahezutreten. Wenn Ihr mich mitsamt meinen Gefährten frei laßt, so will ich tausend Mark Lösegeld zahlen.«

»Und willst du dich außerdem verpflichten, dafür zu sorgen, daß der Menschenschwarm dort abzieht?« fragte Front-de-Boeuf.

»Soweit es in meinen Kräften steht,« entgegnete Athelstane. »Ich will sie zum Rückzuge auffordern und zweifle nicht daran, daß mich Vater Cedric dabei unterstützen wird.«

»So sind wir einig,« sagte Front-de-Boeuf. »Du und die andern werden in Freiheit gesetzt, und gegen ein Lösegeld von tausend Mark soll Friede sein auf beiden Seiten. Das ist eine sehr geringe Summe, Sachse, und du kannst uns dankbar sein, daß wir so bescheiden sind. Aber merke wohl, in dieser Summe ist der Jude Isaak nicht einbegriffen.«

»Auch seine Tochter nicht,« sagte der Templer, der eben hereintrat.

»Beide nicht,« stimmte Reginald bei, »sie gehören nicht zur Gesellschaft dieses Sachsen.«

»Auch Lady Rowena ist nicht mit einbegriffen,« sagte de Bracy. »Es soll mir nicht nachgesagt werden, ich hätte einen so schönen Preis ohne Schwertstreich hingegeben.«

»Auch der erbärmliche Hausnarr nicht,« setzte Front-de-Boeuf hinzu, »den will ich behalten, um für jeden Narren, der sichs herausnimmt, aus Scherz Ernst zu machen, ein abschreckendes Beispiel zu geben.«

»Die Lady Rowena,« erwiderte Athelstane fest, »ist meine Braut. Eher sollen mich wilde Pferde zerreißen, ehe ich sie mir nehmen lasse. Der Sklave Wamba hat heute das Leben des guten Vaters Cedric gerettet. Eher will ich meines hingeben, ehe ich dulde, daß ihm auch nur ein Haar gekrümmt werde.«

»Lady Rowena deine Braut?« rief de Bracy. »Die Braut eines Vasallen wie du einer bist? Sachse, die Zeiten sind vorüber! Die Prinzen aus dem Hause Anjou geben ihre Pflegebefohlenen nicht an einen Mann von deiner Herkunft.«

»Meine Herkunft, hochnäsiger Normann,« versetzte Athelstane, »ist von reinerer und älterer Quelle als die eines bettelarmen Franzmanns, der seinen armseligen Lebensunterhalt gewinnt, indem er das Leben der Diebe verkauft, die er unter seiner kläglichen Fahne versammelt. Meine Vorfahren waren Könige, tapfer im Felde und weise im Rat, sie haben tagtäglich in ihrer Halle mehr Hunderte von Männern gespeist, als du einzelne Anhänger hast. Minnesänger haben ihre Namen der Ewigkeit überliefert, ihre Gesetze sind unvergänglich, ihre Gebeine wurden unter den Gebeten der Heiligen zur Ruhe bestattet, und über ihren Gräbern türmen sich Münster.«

»Da hast du dein Fett,« höhnte Front-de-Boeuf, zufrieden, daß de Bracy so derb abgefertigt wurde. »Das hat dir der Sachse gut gegeben.«

»So gut es einer kann, der in Ketten ist,« erwiderte de Bracy mit erkünstelter Gleichgültigkeit. »Wem die Hände gebunden sind, der muß die Zunge frei haben. – Aber deine spitze Antwort,« wandte er sich an Athelstane, »vermag dir die Freiheit der Lady Rowena doch nicht zu erwirken.«

Athelstane gab keine Antwort, er hatte in der Tat schon viel mehr gesprochen, als sonst seine Gepflogenheit war. Auch erschien jetzt ein Dienstbote mit der Meldung, ein Mönch bitte am Tore um Einlaß. »Im Namen des heiligen Bennet, des obersten dieser Popanze,« rief Front-de-Boeuf, »haben wir uns diesmal eines echten Mönches oder wieder eines Betrügers zu versehen? Untersucht mir das, Sklaven. Wenn ihr mir einen zweiten Schwindler hereinlaßt, so lasse ich euch die Augen ausreißen und glühende Kohlen in die Höhlen stecken.«

»Euer Zorn treffe mich in all seiner Schwere, Gebieter,« sagte der Kerkermeister Giles, »wenn dieser nicht ein echter Glatzkopf ist. Euer Knappe Jocelyn kennt ihn genau, es ist der Bruder Ambrosius, der beim Prior von Jorlvaux in Diensten ist.«

»Schafft ihn her,« sagte Reginald, »er bringt uns wahrscheinlich Botschaft von seinem lustigen Herrn. Mir scheint, der Teufel hat sich jetzt zum Oberhaupt der Kirche aufgeschwungen und die Priester sind ihres Dienstes entlassen, daß sie so wild durchs Land streifen. Die Gefangenen hier bringt wieder weg, und du, Sachse, denke daran, was du gehört hast.«

»Ich verlange ein anständiges Gefängnis,« sagte Athelstane, »mit einem ordentlichen Bett und einem ordentlichen Tisch, wie es meinem Range zukommt und wie es sich für einen gehört, der wegen Lösegeld in Unterhandlung steht. Außerdem mache ich den Besten unter Euch verbindlich, mir mit dem Leibe Genugtuung zu geben für diese Freiheitsberaubung. Diese Herausforderung ist Euch bereits übersendet worden. Euch geht sie an, Front-de-Boeuf, Ihr müßt Euch mir stellen. Da liegt mein Handschuh.«

»Auf die Herausforderung meines Gefangenen stelle ich mich nicht,« entgegnete der Normann, »und auch Ihr dürft es nicht, de Bracy. Giles,« setzte er hinzu, »hänge den Handschuh dort an die Enden des Hirschgeweihes auf, er mag da hängen, bis sein Herr wieder ein freier Mann ist. Wenn er ihn dann wiederfordert oder mir nachweist, daß ich ihn widerrechtlich zu meinem Gefangenen gemacht habe, dann soll er in mir einen Mann finden, der sich nie davor gescheut hat, sich seinem Feinde zu stellen, ob er nun zu Fuß oder zu Roß, allein oder mit seinen Vasallen gekommen ist.«

Die sächsischen Gefangenen wurden weggebracht, und gleichzeitig trat der Mönch Ambrosius herein, der in größter Aufregung zu sein schien.

»Das ist der wahre Deus vobiscum,« sagte Wamba, »die anderen waren alle unecht.«

»Heilige Mutter Gottes!« rief der Mönch, indem er die versammelten Ritter begrüßte, »endlich bin ich sicher und unter Christen.«

»In Sicherheit bist du,« antwortete de Bracy, »und was das Christliche anbelangt, hier steht der tapfere Front-de-Boeuf, dessen größter Abscheu ein Jude ist, und der edle Tempelritter Brian de Bois-Guilbert, dessen Lieblingsbeschäftigung es ist, Sarazenen totzuschlagen – sofern das keine echten Zeichen der Christlichkeit sind, haben wir nicht andere.«

»Ihr seid Freunde und Verbündete unseres ehrwürdigen Vaters in Gott, des Priors von Jorlvaux,« sprach der Mönch. »Ihr seid ihm Hilfe schuldig, nicht nur aus ritterlicher Treue, sondern auch aus christlicher Liebe. Wisset, tapfere Ritter, ein paar mörderische Schurken haben ohne Furcht vor Gott und der Kirche meinen Herrn gefangen genommen. Er ist in den Händen der Kinder Belials, Räuber in den Wäldern und Sünder gegen die Heilige Schrift. Denn wie steht geschrieben? Taste meine Gesalbten nicht an und tu kein Leid meinen Propheten.«

»Neue Arbeit für unsere Schwerter, meine Herren!« rief Front-de-Boeuf. »Statt daß uns der Prior von Jorlvaux zu Hilfe kommt, will er Hilfe von uns. Man ist übel dran mit diesen feigen Dienern der Kirche – immer gerade, wenn man selber alle Hände voll zu tun hat! Sage uns, Priester, was erwartet dein Herr von uns?«

»Wehe!« sagte Ambrosius. »Von rohen gewalttätigen Händen ist mein würdiger Herr, der heiligen Schrift zum Hohne, geplündert worden. Die Kinder Belials haben ihm die Mantelsäcke und sein ganzes Gepäck, dazu zweihundert Mark seinen Goldes abgenommen, und nun verlangen sie von ihm eine hohe Summe, ehe sie ihn wieder aus ihren unreinen Händen lassen. Der ehrwürdige Vater in Gott bittet daher Euch, die Ihr seine liebsten Freunde seid, Ihr möchtet entweder das Lösegeld für ihn zahlen oder ihn mit Waffengewalt befreien.«

»Der Teufel soll den Prior holen!« versetzte Front-de-Boeuf, »er hat entschieden heute morgen zu viel getrunken. Wann hätte dein Herr je gehört, daß ein normannischer Baron den Beutel gezogen hätte, um einen Diener der Kirche loszukaufen, dessen Geldsäcke zehnmal so schwer sind wie unsere, und wie sollen wir ihn mit dem Schwert befreien können, da wir hier von einer zehnmal so großen Anzahl, wie wir selber haben, eingeschlossen sind und jeden Augenblick auf einen Sturmangriff gefaßt sein müssen?«

»Richtig, das wollte ich sagen,« sprach der Mönch, »über Euerm Ungestüm bin ich gar nicht zu Worte gekommen. Gott sei mir gnädig, ich bin alt und dieser Kriegslärm verwirrt mir die Sinne. Aber es ist gewiß wahr, sie schlagen ein Lager auf und werfen einen Wall auf gegen die Schloßmauern!«

»Auf die Zinnen!« rief Bracy, »wir wollen sehen, was die Schurken draußen treiben.« Er riß ein Giebelfenster auf und rief denen in der Halle zu: »Beim heiligen Dionys! der Mönch hat die Wahrheit gesagt! Sie schleppen Schutzdächer und breite Schilde heran, und die Bogenschützen stehen am Waldsaum wie finstere Wolken vor einem Hagelsturm.« Reginald Front-de-Boeuf sah auch hinaus und stieß in sein Horn. Ein lautes langes Signal gebot den Bewaffneten, ihre Plätze auf den Wällen einzunehmen.

»De Bracy, geht Ihr an die Ostseite, dort sind die Mauern am niedrigsten. – Edler Bois-Guilbert, Euch hat das Leben erfahren gemacht in der Verteidigung und im Angriff, übernehmt Ihr die Westseite. Ich selbst will auf dem Außenwerk Posten fassen. – Aber bleibt nicht auf Euern Plätzen allein, meine Freunde, wir müssen heute überall sein. Wir müssen uns vervielfältigen, wenn es geht, so daß einer dem andern Hilfe bringen kann, wo der Ansturm am heftigsten ist. Wir sind unserer wenig, aber Mut und Tatkraft muß ersetzen, was an Mannschaft fehlt. Wir haben es ja auch nur mit Schurken von Bauern zu tun.«

»Aber, edler Ritter,« rief Vater Ambrosius, in das Getümmel hinein, »will denn niemand die Botschaft des ehrwürdigen Vaters in Gott, meines Herrn, des Priors von Jorlvaux, hören? Ich bitte Euch, edler Reginald Front-de-Boeuf, hört mich an!«

»Ruf du den Himmel an, wir auf Erden haben für dich keine Zeit!« war die Antwort des wilden Normann. »Hollah, Anselm! Sorge dafür, daß es nicht an Pech und siedendem Öl fehlt, wir wollen den frechen Verrätern weidlich die Schädel salben. Sorge auch dafür, daß die Armbrustschützen Bolzen genug haben. Laß mein Banner mit dem Stierkopf wehen, die Schurken sollen bald inne werden, mit wem sie es zu tun haben.«

»Aber, edler Herr,« rief wieder der Mönch dazwischen, bemüht, sich Gehör zu verschaffen, »bedenkt, daß ich ein Gelübde des Gehorsams getan habe und laßt mich den Auftrag meines Herrn ausrichten.«

»Weg mit diesem faselnden Dummkopf!« rief Reginald. »Sperrt ihn in die Kapelle, dort mag er seine Rosenkränze herunterplappern, bis der Krakehl vorüber ist. Die Heiligen von Torquilstone werden sich wundern, wenn sie wiedermal ein paar Aves und Paternosters zu hören kriegen: die Ehre ist ihnen, glaube ich, nicht mehr wiederfahren, seit sie in Stein gehauen worden sind.«

»Lästert die Heiligen nicht!« rief de Bracy. »Bis wir die Schurken zersprengt haben, werden wir heute ihre Hilfe brauchen.«

»Ich halte nicht viel von ihrer Hilfe,« antwortete Front-de-Boeuf. »Höchstens müßten wir sie von den Zinnen herab den Belagerern auf die Köpfe werfen, da ist zum Beispiel ein riesiger St. Christoph, mit dem könnten wir allein eine ganze Kompagnie zermalmen.«

Inzwischen hatte der Templer mit mehr Besonnenheit als der rohe Front-de-Boeuf und sein leichtfertiger Gefährte den Veranstaltungen der Belagerer zugeschaut. »Bei der Treue meines Ordens!« rief er. »Diese Kerle gehen mit einer Planmäßigkeit und Kriegskenntnis vor, daß man gar nicht begreifen kann, wie sie nur dazu kommen. Seht nur, wie gewandt sie jede Deckung ausnutzen, die ihnen Bäume oder Sträucher bieten. Die Bolzen unserer Armbrüste erreichen sie nicht. Ein Banner oder Wappenschild kann ich nicht entdecken, und doch möchte ich meine goldene Kette dransetzen, daß sie ein edler Ritter oder ein kriegskundiger Edelmann anführt.«

»Ich hab's!« rief de Bracy. »Dort weht der Helmbusch eines Ritters, und eine Rüstung blinkt. Seht Ihr den Riesen im schwarzen Panzer? Er führt den vordersten Trupp der schurkischen Yeomen an. Beim heiligen Dionys! Ich glaube gar, das ist derselbe, den wir den schwarzen Faulpelz nannten und der Euch, Front-de-Boeuf, in den Schranken zu Ashby aus dem Sattel geworfen hat.«

»Um so besser für mich!« sagte Reginald. »Da kann er mir hier gleich Revanche geben. Ein schofler Kerl muß es sein, daß er sich nicht zu dem Preise bekannte, den ihn der Zufall erbeuten ließ. Wo Ritter und Edle ihre Feinde suchen, da hätte ich ihn gewiß nimmermehr gefunden, so bin ich nur froh, daß er sich jetzt unter diesen gemeinen Yeomen zeigt.«

Die Bewegungen des Feindes wurden jetzt so drohend, daß jedes weitere Gespräch unmöglich wurde. Jeder Ritter ging an seinen Posten und stellte sich an die Spitze seiner paar Männlein. Die geringe Anzahl reichte nicht aus, die Mauern in ihrer ganzen Ausdehnung zu besetzen, dennoch erwarteten sie mit ruhiger Entschlossenheit den Sturmangriff.


 << zurück weiter >>