Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

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Neuntes Kapitel.

Gurths nächtliche Abenteuer waren aber noch nicht zu Ende, und er kam selbst auf diesen Gedanken, nachdem er an ein oder zwei einsam stehenden Häusern, die an der Grenze des Dorfs lagen, vorübergegangen war und sich nun in einem tiefen Hohlwege befand, der mit Haselsträuchen und Hollunder überwachsen war.

Gurth beschleunigte seine Schritte, um in die offene Gegend zu gelangen. Aber als er am oberen Ende des Hohlweges angelangt war, wo das dichteste Gestrüpp stand, sprangen vier Männer auf ihn los und hielten ihn so fest, daß aller Widerstand umsonst gewesen wäre. – »Gib her, was du bei dir hast,« schrie einer, »wir sind die Empfänger des allgemeinen Reichtums, ein jeder muß uns seine Bürden geben.«

»Meine solltet ihr nicht so leicht kriegen,« murmelte Gurth, »könnt ich euch nur'n paar Püffe geben, um sie zu retten.«

»Das wollen wir gleich sehen,« sagte der Räuber, und zu seinen Gefährten redend, sprach er: »bringt den Schurken her, ich sehe, er will seinen Schädel eingeschlagen und seinen Beutel aufgeschnitten haben.«

Gurth wurde nach des Räubers Befehl fortgeschleppt und mußte seinen unfreundlichen Führern bis in die Tiefe des Gehölzes folgen; auf einmal machten sie in einem offenen Raume, der, nur in einiger Entfernung von Bäumen umkränzt, das volle Mondlicht in sich aufnahm, halt. Hier kamen noch zwei Männer zu den Räubern, die wahrscheinlich zur Bande gehörten. Sie hatten kurze Schwerter an der Seite und große Stöcke in den Händen, und Gurth bemerkte erst jetzt, daß alle sechs Larven trugen.

»Wie viel Geld hast du, Kerl?« fragte ihn einer von den Dieben.

»Dreißig Dukaten gehören mir,« erwiderte Gurth mürrisch.

»Verfallen, verfallen!« riefen die Räuber. »Ein Sachse hat dreißig Dukaten und kommt nüchtern aus einer Ortschaft? Sie sind uns unwiderruflich verfallen mit allem, was er sonst noch bei sich hat.«

»Ich sammelte sie mir, meine Freiheit damit zu erkaufen,« sagte Gurth.

»Du bist'n Esel,« erwiderte einer der Diebe, »drei Flaschen Doppelbier hätten dich ebenso frei gemacht wie deinen Herrn, und freier noch, wenn er ein Sachse ist wie du.«

»Leider wahr,« versetzte Gurth, »aber wenn mich dreißig Dukaten von euch loskaufen können, so gebt mir die Hände frei, und ich will sie euch bezahlen.«

»Halt,« sagte der eine, der bei den andern in Ansehn zu stehen schien, »dieser Beutel enthält, wie ich durch den Rock fühlen kann, mehr Gold, als du gesagt hast.«

»Das gehört dem guten Ritter, meinem Herrn,« antwortete Gurth; »gewiß hätt ich nicht ein Wort davon gesprochen, hättet ihr euern Willen an meinem Eigentum ausgeübt.«

»Du bist 'ne ehrliche Haut,« erwiderte der Räuber; »wir verehren den heiligen Nikolaus nicht so genau, und ich versichere dich, deine dreißig Dukaten werden dir bleiben, wenn du aufrichtig gegen uns bist. Einstweilen aber gib uns dein anvertrautes Gut in Verwahrsam.« Dies sagend, nahm er von Gurths Brust die breite lederne Tasche, darin der Beutel von Rebekka mit den übrigen Dukaten eingeschlossen war; dann fuhr er fort zu fragen:

»Wer ist dein Herr?«

»Der enterbte Ritter,« sagte Gurth.

»Dessen gute Lanze den Preis im letzten Turnier gewann? Wie ist sein Name und sein Stammbaum?«

»Das soll verborgen bleiben,« antwortete Gurth, »und von mir soll es wahrlich niemand erfahren.«

»Was ist dein eigener Name und deine Herkunft?«

»Wenn ich Euch das sagte,« erwiderte Gurth, »so würdet Ihr das Geheimnis meines Herrn erraten.«

»Du bist ein frecher Bursche,« sagte der Räuber; »doch davon nachher. Wie kommt dein Herr zu dem Gelde, hat er es ererbt oder sonst wo erworben?«

»Durch seine gute Lanze,« erwiderte Gurth. »Diese Beutel enthalten das Lösegeld für vier gute Pferde und vier gute Rüstungen.«

»Wieviel ist drin?« fragte der Räuber.

»Zweihundert Dukaten.«

»Nur zweihundert Dukaten?« fragte der Bandit. »Euer Herr ist freigebig mit Überwundenen umgegangen und hat ihnen ein geringes Lösegeld auferlegt. Wer hat das Geld bezahlt?«

Gurth nannte die Namen der besiegten Ritter.

»Was galten die Rüstung und die Pferde des Templers Brian de Vois-Guilbert an Lösegeld? Du siehst, betrügen kannst du mich nicht!«

»Mein Herr will vom Templer nichts haben als sein Herzblut,« erwiderte Gurth. »Sie haben sich auf den Tod herausgefordert und können in Güte kein Geschäft zusammen machen.«

»Wahrhaftig!« sagte der Räuber und schwieg eine Weile. »Und was tatest du zu Ashby mit einer solchen Summe?«

»Ich bezahlte den Isaak,« sagte der Sachse, »achtzig Dukaten – und er gab mir hundert dafür wieder.«

»Wie? Was?« riefen alle Räuber auf einmal, »darfst du uns zum besten haben, daß du solche unverschämte Lügen hervorbringst?«

»Was ich euch sage,« erwiderte Gurth, »ist so wahr, wie der Mond am Himmel steht. Ihr werdet die richtige Summe in einem seidenen Beutel finden, von dem übrigen Gold geschieden.«

»Besinne dich, Mann!« sagte der Kapitän, »du sprichst von einem Juden, von einem Israeliten, der so wenig Geld wiedergeben kann, als der trockene Sand der Wüste einen Becher Wasser, den der Wanderer drauf ausgießt.«

»In ihnen ist nicht mehr Barmherzigkeit,« sagte ein anderer Bandit, »als in einem unbestochenen Sheriff.«

»Es ist demungeachtet, wie ich euch sage,« erwiderte Gurth.

»Macht gleich Licht an,« sagte der Hauptmann. »Ich will den Beutel untersuchen, und wenn es so ist, wie der Bursche behauptet, so ist dieses Juden Milde nicht viel weniger wunderbar als der Strom, der seine Väter in der Wüste tränkte.«

Es wurde Licht gebracht, und der Räuber fuhr fort, den Beutel zu untersuchen. Die andern drängten sich um ihn her, und zwei, die erst Gurth festhielten, ließen ihn los, weil sie ihre Hälse ausstreckten, um den Ausgang der Untersuchung mit anzusehen. Gurth machte sich durch schnelle Kraftanstrengung völlig von ihnen los und hätte sich davon machen können, wenn er seines Herrn Eigentum im Stich lassen wollte. Doch dies war keineswegs sein Wille. Er riß einem der Burschen seinen Knüttel weg, schlug den Hauptmann nieder, der sich dessen nicht versah, und hätte sich beinahe des Beutels und des Schatzes wieder bemächtigt, aber die Diebe waren auch sehr flink und wurden bald wieder Meister des Beutels und des treuen Gurth.

»Schelm,« sagte der Hauptmann aufstehend, »du hast mir den Kopf zerbeult, und mit andern Männern unsers Schlags würde deine Unverschämtheit schlecht ankommen. Allein du sollst gleich dein Schicksal wissen. – Erst laß uns von deinem Herrn reden, des Ritters Sache geht vor der des Knappen her, so will es die Ritterlichkeit. Steh still – wenn du dich regst, so machen wir dich für dein Lebelang ruhig. – Kameraden!« sagte er dann, zu seiner Bande gewandt, »dieser Beutel ist mit hebräischen Buchstaben gestickt, und wohl glaube ich, daß der Yeoman nicht lügt! Der irrende Ritter, sein Herr, muß bei uns ungeplündert frei ausgehen. Er ist uns zu ähnlich, um Beute von ihm zu nehmen, weil Hunde nicht Hunde beißen sollen, solange noch Wölfe und Füchse im Überfluß vorhanden sind.«

»Gleich uns?« sagte einer von der Bande. »Ich möchte wissen, wie das zugehen sollte!«

»Warum, du Narr?« antwortete der Hauptmann; »ist er denn nicht arm und enterbt wie wir? – Gewinnt er nicht sein Brot wie wir, mit der Schärfe des Schwertes? – Hat er nicht Front-de-Boeuf und Malvoisin geschlagen, wie wir ihn schlagen würden, wenn wir könnten? Ist er nicht auf Leben und Tod der Feind von Brian de Bois-Guilbert, den wir fürchten müssen? Und wenn dies alles nicht wäre, sollten wir denn ein schlechteres Gewissen zeigen als der ungläubige Jude?«

»Nein! das wäre eine Schande,« murmelte der andere Kerl; »und doch, als ich unter der Bande des tapfern alten Gaudelyn diente, hatten wir keine solchen Gewissenszweifel. Und dieser grobe Bauer – ihr sollt es sehen, der geht prügelfrei aus.«

»Nicht, wenn du ihn prügeln kannst,« rief der Hauptmann. »Hier, Kerl!« sagte er zu Gurth, »kannst du den Stock gebrauchen, daß du so darauf hinstarrst?«

»Ich denke,« sagte Gurth; »denn auf diese Frage könntest du wohl am besten Antwort geben.«

»Nu wahrlich! du gabst mir'n tüchtigen Schlag,« erwiderte der Hauptmann; »tue diesem Kerl ebensoviel, und du sollst ganz frei ausgehen. Kannst du's nicht, nu wahrlich, da du ein so handfester Kerl bist, so muß ich wohl selbst dein Lösegeld bezahlen. Nimm deinen Stock, Müller,« fügte er hinzu, »und wahre deinen Kopf, und ihr andern, laßt den Burschen gehen und gebt ihm einen Stock; hier ist Licht genug, um aufeinander los zu schlagen.«

Beide Kämpfer, mit Stöcken bewaffnet, traten hierauf in den Mittelpunkt des offenen Raumes, um das volle Mondlicht zu benutzen. Die Diebe lachten und schrieen zugleich ihrem Kameraden zu: »Müller, nimm deinen Zollstock in acht!« Der Müller auf der andern Seite hielt seinen Knüttel in der Mitte fest und schwang ihn rund um den Kopf, auf die Art, die die Franzosen Moulinet nennen, dazu rief er trotzig: »Komm ran, Schurke, wenn du's wagst; du sollst die Stärke von Müllers Daumen fühlen.«

»Wenn du'n Müller bist,« antwortete Gurth, »so bist du auch gewiß 'n Schurke,« und schwang mit derselben Geschwindigkeit seine Waffe um sein Haupt. »Du bist ein doppelter Dieb, und ich als ehrlicher Mann biete dir Trotz.«

Mit diesen Worten rannten die beiden Kämpfer gegen einander, und einige Minuten lang zeigten sie gleiche Stärke, Mut und Gewandtheit, die Streiche ihres Gegners mit der größten Geschwindigkeit auffangend und zurückgebend, während sich das beständige Zusammenschlagen ihrer Waffen so anhörte, als ob wenigstens sechs Männer miteinander im Streite wären. Sie fochten lange mit gleichem Glück, aber Müller kam aus der Fassung, weil er einen so starken Gegner fand, und auch durch das Gelächter seiner Gefährten, die sich über seine Verlegenheit belustigten, während Gurth, dessen Gemüt ruhig, obgleich unfreundlich war, dadurch bald ein entschiedenes Übergewicht erhielt.

Müller drang wütend auf ihn ein, mit beiden Enden seines Stockes Schläge austeilend; er strebte danach, in halben Stockes Weite zu kommen, während Gurth sich selbst gegen den Angriff verteidigte. Eine Elle weit hielt ihn Gurth von sich entfernt und schützte mit seiner Waffe sehr geschickt Kopf und Körper; so behielt er die Defensive und hielt Auge, Fuß und Hand im richtigen Takt, bis er gewahrte, daß sein Gegner außer Atem sei, und nun zielte er mit aller Stärke, den Stab in der linken Hand, nach dessen Gesicht. Müller wollte dem Schlage begegnen, da ließ Gurth die rechte Hand auf die linke fallen, und mit der ganzen Gewalt seiner Waffe traf er ihn dergestalt an die linke Seite des Kopfes, daß er der Länge nach auf den grünen Nasen niederfiel.

»Brav! ein echter Yeomansschlag!« schrieen die Räuber. »Hoch lebe guter Streit und Altengland! Der Sachse hat sowohl seinen Beutel, als seine Haut gerettet, und der Müller hat seinen Mann gefunden.«

»Du kannst nu deiner Wege gehen, mein Freund,« sagte der Hauptmann zu Gurth, um die allgemeine Stimme zu bestätigen. »Zwei von meinen Kameraden sollen dich auf dem besten Wege zu deines Herrn Zelt geleiten, um dich vor Nachtwandlern zu bewahren, die ein weniger zartes Gewissen haben könnten als wir; es gibt deren viele auf dem Weg in einer solchen Nacht. Bedenke,« fügte er ernst hinzu, »daß du uns versagt hast, deinen Namen zu nennen, darum frage nicht nach den unsrigen, noch bemühe dich zu entdecken, wer wir sind. Wenn du einen solchen Versuch machst, so wird dich ärgeres Unglück treffen als je zuvor.«

Gurth dankte dem Hauptmann für seine Höflichkeit und versprach, seinem Rate zu folgen. Zwei der Räuber nahmen ihre Stöcke und sagten, Gurth soll ihnen auf dem Fuße folgen; sie gingen auf einem Fußsteig durch das Dickicht fort und durch das angrenzende Tal. Am Ausgang des Pfades trafen zwei Männer auf Gurths Führer, diese sagten ihnen einige Worte und gingen vorüber. Dieser Umstand veranlaßte Gurth zu glauben, die Bande sei sehr zahlreich und halte regelmäßig aufgestellte Wachen rings um ihre Versammlungsplätze. Als sie in die offene Heide kamen, wo Gurth Mühe gehabt haben würde, seinen Weg zu finden, geleiteten ihn die Diebe zu der Höhe eines kleinen Hügels, von wo aus er im Mondlicht die Pfähle der Schranken mit den glänzenden Zelten an ihrem Ende schimmern sah; ihre Wimpel und Flaggen flatterten im Mondlicht und die Gesänge, womit die Schildwachen ihre Nacht kürzten, schlugen an sein Ohr. Hier machten die Diebe Halt.

»Wir gehen nicht weiter mit,« sagten sie; »es würde gefährlich für uns sein. – Gedenke der Warnung, die du erhalten hast; halte geheim, was dir diese Nacht begegnet ist und du wirst keine Ursache haben, es zu bereuen. Vernachlässige nicht, was dir gesagt worden ist, sonst könnte dich selbst der Tower zu London nicht vor unserer Rache schützen.«

»Gute Nacht, gütige Herren,« sagte Gurth. »Ich werde an eure Befehle denken und tue nichts Böses, wenn ich euch ein ehrenvolles und sicheres Gewerbe wünsche.«

So schieden sie. Die Räuber gingen den Weg zurück, den sie gekommen waren und Gurth schritt nach dem Zelt seines Herrn zu, dem er, trotz dem erhaltenen Verbote, die Begebenheiten dieser Nacht mitteilte. Der enterbte Ritter war erstaunt, sowohl über Rebekkas Großmut, als auch über die der Räuber, da solches ihrem Gewerbe ganz fremd war. Seine Betrachtungen über diese sonderbaren Umstände wurden indessen durch die Notwendigkeit unterbrochen, sich Ruhe zu gönnen, die die Anstrengung des vergangenen Tages und die für morgen nötige Kraft erheischte. Der Ritter streckte sich also auf ein weiches Lager nieder, das im Zelt war; der treue Gurth legte seine abgehärteten Glieder auf eine Bärenhaut, die eine Art Teppich des Zeltes ausmachte. – Er wählte seine Lagerstelle quer vor der Türe, damit niemand hereintreten konnte, ohne ihn aufzuwecken.


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