Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

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Neunzehntes Kapitel.

Der arme Isaak von York war in ein Kellergewölbe des Schlosses geworfen worden, das tief unter der Erdoberfläche gelegen war. Eine dumpfe, feuchte Luft herrschte darin, und nur ein wenig Licht drang durch zwei kleine Luftlöcher, die so hoch angebracht waren, daß sie der Gefangene nicht mit der Hand erreichen konnte. Selbst zu Mittag ließen sie nur einen matten, ungewissen Schimmer herein, der lange, bevor das gesegnete Licht des Tages das Schloß verließ, zu tiefer Finsternis wurde. Von früheren Gefangenen her hingen noch Ketten und Fesseln verrostet an den Mauern, und an einer steckten sogar in den Ringen noch zwei modernde Menschenknochen, als sei hier unten ein Gefangener nicht nur gestorben, sondern auch zum Gerippe geworden. An dem einen Ende dieses unheimlichen Kerkers war ein großer Feuerrost angebracht worden, über dem ein paar vom Rost fast zerfressene Eisenstangen lagen.

Der Anblick dieses Raumes hätte auch ein mutigeres Herz, als in der Brust Isaaks saß, erschüttern können. Aber es war nicht das erstemal, daß sich Isaak in solcher Gefahr befand, und er hatte Erfahrung darin, so daß er gefaßt war und die Hoffnung hegte, es werde auch diesmal wie so oft nicht zum äußersten kommen. Vor allem kam ihm die Hartnäckigkeit seiner Rasse zustatten, und hier machte sich die starre, unbeugsame Festigkeit geltend, mit der das Volk der Juden schon öfter die schwersten Übel, die ihnen Macht und Grausamkeit haben auferlegen können, ertragen hat, ehe sie die an sie gestellten Forderungen bewilligt haben. Isaak saß, seinen pelzverbrämten Rock zusammenhaltend in einen Winkel gekauert da, die Hände gefaltet, Haupt- und Barthaar verwirrt, die hohe Mütze zerknüllt.

Drei Stunden lang blieb so der Jude regungslos sitzen, als sich endlich Schritte vernehmen ließen. Die Riegel knarrten, die Tür kreischte in ihren Angeln, und herein trat Reginald Front-de-Boeuf. Ihm folgten die beiden sarazenischen Diener des Templers. Front-de-Boeuf, ein langer, starker Mann, dessen Leben sich aus lauter Krieg, öffentlichen und Privatfehden, zusammengesetzt hatte, trug die Male seiner wilden und schlimmen Leidenschaften offen in seinem Antlitz. Es paßte vollkommen zu seinem Charakter. In einem anderen Gesicht hätten die vielen Narben Ehrfurcht und Interesse erweckt als Zeichen der echten Tapferkeit, in seinem Gesicht aber trugen sie nur dazu bei, das Wilde und Furchtbare des Eindrucks zu erhöhen. Der entsetzliche Mann trug ein Lederwams, das eng anlag und hie und da Flecke von der Rüstung zeigte, im Gürtel trug er nur einen Dolch und ein Bund rostiger Schlüssel. Die schwarzen Sklaven, die Front-de-Boeuf folgten, hatten jetzt an Stelle ihres prächtigen Kostümes Jacken und grobleinene Hosen an. Sie hatten die Hemdärmel aufgestreift wie Metzger, wenn sie schlachten wollen. Jeder hatte einen kleinen Korb in der Hand. Sie blieben an der Tür stehen, die Front-de-Boeuf sorgfältig hinter sich wieder abschloß.

Der Edelherr kam nun langsam auf den Juden zu, das Auge fest auf ihn geheftet, als wollte er ihn schon durch den Blick lähmen, wie es manche Tiere der Sage nach mit ihrer Beute machen sollen. Und wie es schien, machte der finstere und böse Blick auch einen solchen Eindruck auf den unglücklichen Juden. Er sperrte den Mund auf und sah den wilden Baron mit solchem Entsetzen an, daß in der Tat seine Gestalt in sich zusammenzuschrumpfen und kleiner zu werden schien. Der Bedauernswerte vermochte nicht einmal aufzustehen, um sich zu verbeugen, nicht einmal den Hut vermochte er abzunehmen oder ein bittendes Wort zu sprechen, so fest war er überzeugt, daß Tod und Marter seiner harrten.

Die riesige Gestalt des Normannen schien im Gegenteil immer größer zu werden, wie die eines Adlers, der sein Gefieder aufbläht, wenn er im Begriff ist, auf seine Beute herabzuschießen. Drei Schritte vor dem Winkel, in den sich der Jude zurückgezogen hatte, und von dem er den denkbar kleinsten Teil für sich in Anspruch nahm, blieb er stehen. Front-de-Boeuf gab den Sklaven ein Zeichen, heranzutreten, einer von ihnen kam näher und nahm aus seinem Korbe eine Wageschale und verschiedene Gewichte, er legte sie Front-de-Boeuf zu Füßen und entfernte sich dann wieder. Die Bewegungen dieser Menschen waren langsam und feierlich, als gingen sie mit einem Vorhaben grausamer und entsetzlicher Art um. Front-de-Boeuf leitete diesen Auftritt ein, indem er den unglücklichen Gefangenen folgendermaßen anredete:

»Verwünschter Hund aus verfluchtem Volke!« sagte er, mit tiefer, hohler Stimme das Echo des Kerkers weckend, »Siehst du die Wagschale dort?« Der arme Jude antwortete mit einem leisen Ja. »In dieser Wagschale sollst du mir tausend Pfund Silber abwägen,« fuhr der unbarmherzige Baron fort, »nach dem Maß und Gewicht vom Tower in London.«

»Heiliger Abraham!« versetzte der Jude, dem dieses gräßliche Verlangen die Sprache wiedergab. »Hat man je eine solche Forderung gehört? Welches Menschen Auge hat je die Seligkeit genossen, soviel Geld auf einmal zu sehen? Wer hat je selbst in den Märchen eines fahrenden Sängers gehört von tausend Pfund Silber? – Und wolltet Ihr mein und meiner Brüder Häuser plündern, in den Mauern von ganz York könntet Ihr die ungeheure Summe nicht zusammenbringen.«

»Ich lasse mit mir reden,« sagte Front-de-Boeuf, »was an Silber fehlt, nehme ich in Gold an, die Mark in Gold zu sechs Pfund Silber gerechnet. Wenn du das zahlst, kannst du dein ungläubiges Gerippe von einer Marter loskaufen, wie sie sich dein Sinn nie hat träumen lassen.«

»Habt Barmherzigkeit mit mir!« rief Isaak. »Ich bin alt und hilflos. Es ist Eurer unwürdig, über mich zu triumphieren. – Eine erbärmliche Tat ist es, zu zertreten einen Wurm.«

»Alt magst du sein,« versetzte der Ritter, »zur Schande für die, die dich in Wucher und Prellerei haben grau werden lassen. Schwach magst du auch sein, denn wann hätte ein Jude Herz und Hand gehabt? – Aber es ist auch weltbekannt, daß du reich bist.«

»Ich schwöre es Euch, edler Ritter, bei allem, was ich glaube, bei allem, was wir gemeinschaftlich glauben –«

»Werde nicht meineidig an dir selber,« fiel ihm der Normann ins Wort. »Denke nicht, daß ich nur Worte mache, um dir einen Schreck einzujagen und die niedrige Feigheit auszunutzen, die deinem ganzen Volke eigen ist. Ich schwöre dir bei allem, was du nicht glaubst, bei dem Evangelium, das unsere Kirche predigt, mein Vorsatz steht fest und wird schnell vollzogen. Dieser Kerker ist nicht zu Kinderpossen gemacht. Gefangene, tausendmal hervorragendere Männer als du, haben in diesen Mauern ihre Seele ausgehaucht, und nie hat jemand erfahren, was aus ihnen geworden ist. Dir aber ist ein langsamer, qualvoller Tod zugedacht, gegen den alle Leiden, die jene erduldet haben, ein Nichts sind.«

Wieder gab er den Sklaven ein Zeichen, näher zu treten, und sprach mit ihnen in ihrer Heimatsprache, denn auch er war in Palästina gewesen. Die Sarazenen nahmen jetzt Holzkohle aus ihren Körben, Blasebälge und eine Flasche voll Öl. Der eine machte ein Feuer an, der andere legte Kohlen unter den alten Rost und blies sie an, bis sie rot glühten.

»Isaak, siehst du die eisernen Stäbe über den glühenden Kohlen?« sagte Front-de-Boeuf. »Du wirst entkleidet und auf dieses heiße Lager gebettet. Einer der Sklaven unterhält das Feuer unter dir, der andere bestreicht deine elenden Glieder mit Öl, damit der Braten nicht anbrennt. – Nun wähle! – Entweder ein so qualvolles Bett oder tausend Pfund Silber bezahlen. Bei dem Haupte meines Vaters! eine andere Wahl hast du nicht.«

»So mögen mir beistehen alle Erzväter!« jammerte Isaak. »Ich kann keine Wahl treffen, denn ich habe die Mittel nicht, zu bezahlen Eure ungeheure Forderung.«

»Ergreift ihn und entkleidet ihn, Sklaven!« rief der Ritter. »Er mag sehen, ob ihm seine Erzväter beistehen.«

Die Diener kamen und legten Hand an den unglücklichen Isaak. Sie rissen ihn vom Boden empor und hielten ihn zwischen sich fest, der weiteren Winke des Barons gewärtig. Der arme Jude sah in ihre und Front-de-Boeufs Gesicht, ob er Zeichen von Mitleid gewahre. Aber der Baron sah mit kaltem spöttischen Lächeln drein, und das wilde Auge der Sarazenen rollte düster und blutgierig unter den finsteren Brauen. Sie schienen sich eher auf die Arbeit zu freuen, die ihnen zuerteilt war, als den geringsten Widerwillen dagegen zu empfinden. Dann sah der Jude auf die glühenden Kohlen, auf die er gelegt werden sollte, und da er einsah, daß er sich von seinem Peiniger keines Erbarmens versehen dürfte, änderte er seinen Entschluß.

»Ich will zahlen,« sagte er, »die tausend Pfund Silber, das heißt,« setzte er schnell hinzu, »ich will sie aufbringen mit Hilfe meiner Brüder, denn wie ein Bettler muß ich stehen an der Tür unserer Synagoge, bis ich die riesige Summe zusammenhabe. – Wann und wo soll sie abgeliefert werden?«

»Hier,« antwortete Front-de-Boeuf, »hier muß sie niedergelegt werden, hier in diesem Kerker wird sie gewogen und bezahlt. Denkst du, ich lasse dich frei, ehe mir das Lösegeld sicher ist?«

»Und was habe ich für Sicherheit,« entgegnete der Jude, »daß ich freigelassen werde, wenn ich das Lösegeld bezahlt habe?«

»Das Wort eines Normannen, du Wucherer,« versetzte Front-de-Boeuf, »das Ehrenwort eines normannischen Edelmannes, das mehr wert ist als all dein Gold und Silber, als alles Gold und Silber deiner Rasse.«

»Ich bitte um Verzeihung, edler Herr,« erwiderte Isaak furchtsam, »aber warum soll ich Vertrauen haben zum Worte eines Mannes, der zu dem meinen keines hat?«

»Weil dir nichts anderes übrigbleibt,« war die stolze Antwort des Normannen. »Hier habe ich den Vorteil über dir und daher schreibe ich dir die Bedingungen vor.«

Der Jude seufzte tief. »Gib wenigstens mit mir auch meine Reisegefährten frei. Sie haben mich verachtet, aber sie hatten doch Mitleid mit meiner Not.«

»Wenn du die sächsischen Bauern meinst, denen werden andere Bedingungen gestellt als dir. Ich warne dich, Jude, kümmere dich nur um deine Angelegenheiten und nicht um fremde.«

»Dann bitte ich Euch,« sagte Fsaak, »laßt wenigstens meinen verwundeten Freund mit mir frei.«

»Soll ich es einem Sohne Israels zweimal nahelegen,« fuhr Front-de-Boeuf auf, »sich nicht um fremde Angelegenheiten zu bekümmern? Du hast nichts weiter zu tun, als das Lösegeld zu beschaffen.«

»Höre mich an,« begann der Jude wieder, »bei dem Reichtum, den du dir auf Kosten deines –«

Er hielt inne, denn er fürchtete, den wilden Normannen zu beleidigen, aber Front-de-Boeuf ergänzte selber die Worte Isaaks.

»Auf Kosten meines Gewissens,« sagte er lachend, »sprich es aus, Isaak. – Ich sage dir, die Vorwürfe dessen, der im Nachteile ist, kann ich mit anhören, selbst wenn der Betreffende ein Jude ist. Die Hauptsache ist: wann bekomme ich mein Geld? wann soll ich das Silber haben?«

»Laßt meine Tochter Rebekka nach York gehen,« erwiderte Isaak, »und gebt ihr ein sicheres Geleit, edler Ritter, und sobald wie Mann und Roß den Weg zurücklegen können, soll der Schatz« – bei diesen Worten weinte er bitterlich, aber gleich darauf fügte er hinzu: – »soll der Schatz hier zu Euern Füßen liegen.«

»Deine Tochter?« sagte Front-de-Boeuf mit erkünsteltem Erstaunen. »Beim Himmel, Jude! Das hätte ich wissen sollen! Ich dachte, die schwarzäugige Dirne wäre deine Metze, und ich habe sie Brian de Bois-Guilbert als Dienerin gegeben.«

Das Gewölbe hallte wider von dem Schrei, den der Jude bei dieser ihm so grob und gefühllos mitgeteilten Nachricht ausstieß. Es erschreckte sogar die beiden Sarazenen in solchem Maße, daß sie ihren Gefangenen losließen, der diesen Vorteil auf der Stelle benützte, auf das Pflaster zu stürzen und Front-de-Boeufs Knie zu umfassen.

»Nehmt alles, Herr Ritter, was Ihr erwartet, ja nehmt noch zehnmal mehr!« rief er. »Macht mich meinetwegen zum Bettler – rennt mir den Dolch durch den Leib, bratet mich auf dem Roste! Aber – schont meine Tochter und liefert sie mir aus wohlbehalten und in Ehren! Sofern Ihr vom Weibe geboren seid, schonet ein hilfloses Mädchen! Sie ist das Abbild meiner verstorbenen Rahel, das letzte der sechs Pfänder ihrer Liebe – Wollt Ihr einem verlassenen Vater den letzten Trost rauben, der ihm noch übrig ist? Wollt Ihr, daß er wünsche, sein einziges Kind liege tot bei der Mutter im Sarge, im Grab meiner Väter?«

»Ich wünschte, ich hätte das früher gewußt,« sagte mit milderer Stimme der Normanne, »ich dachte, dein Stamm liebe nur den Geldsack.«

»Denke von uns nicht so niedrig,« sprach Isaak und griff gierig nach diesem Moment eines scheinbaren Mitgefühls – »liebt nicht der gejagte Fuchs sein Junges und die gequälte Wildkatze das ihrige? Wie soll der verachtete, verfolgte Stamm Abrahams nicht auch lieben seine Kinder?«

»Mag ja sein,« erwiderte Front-de-Boeuf, »und um deiner selbst willen, Isaak, will ich es künftighin glauben. Aber das bringt uns jetzt nicht weiter. Geschehenes gut zu machen, vermag ich nicht, auch nicht, was etwa noch geschehen kann. Mein Waffenbruder hat mein Wort, und Front-de-Boeuf bricht sein Wort um eines Dutzends von Juden und Jüdinnen nicht! – Was soll denn auch dem Mädchen Übles begegnen können, selbst wenn sie Bois-Guilberts Beutestück ist? He?«

»Ach Jehovah! Jehovah!« rief händeringend der Jude. »Wann haben die Templer auf anderes gesonnen als auf Grausamkeit gegen Männer – als auf Entehrung der Weiber?«

»Hund von einem Ungläubigen!« rief Front-de-Boeuf mit glühenden Augen, froh, einen Vorwand gefunden zu haben, daß er in Wut geraten konnte, »schmähe nicht den heiligen Orden des Tempels von Zion, denke vielmehr darüber nach, wie du dein Lösegeld herbeischaffen willst, sonst wehe dir!«

»Räuber und Bösewicht!« rief der Jude, die Schmähungen seines Peinigers mit wilder Leidenschaft zurückgebend, die er nicht länger zu unterdrücken vermochte, obgleich er hilflos war, »nichts will ich dir zahlen, nicht einen Silberling, bis nicht meine Tochter ausgeliefert ist!«

»Bist du von Sinnen, Jude? sagte der Normann fest. »Trägt dein Fleisch und Mut Verlangen nach glühendem Eisen und siedendem Öl?«

»Nichts frag ich danach!« schrie der Jude, den die Vaterliebe in Verzweiflung trieb. »Tu dein Ärgstes! Meine Tochter ist mein Fleisch und Blut und mir tausendmal teurer als diese Glieder, die du grausam bedrohst. Kein Silber will ich dir geben, ich könnte es dir denn in geschmolzenem Zustande in den geizigen Hals träufeln. – Nein, nicht einen Silberling will ich dir geben, Nazarener, und könnte ich dich damit erretten von der ewigen Verdammnis, die dir dein ganzes Leben gesichert hat. Nimm mein Leben, wenn du willst, und sieh, wie ein Jude inmitten seiner Qualen noch einen Christen verachtet!«

»Das wollen wir sehen!« rief Front de-Boeuf. »Denn bei dem heiligen Kreuze, das der Abscheu deiner Rasse ist, du sollst die schärfste Folter erleiden, die sich durch Feuer und Stahl schaffen läßt. – Entkleidet ihn, Sklaven, und legt ihn auf den Rost!«

Die Sarazenen machten sich ans Werk, als vor dem Schlosse ein zwiefaches Hornsignal erklang. Der Ton drang selbst bis in den Kerker, und gleich darauf riefen laute Stimmen nach Front-de-Boeuf. Dieser wollte sich nicht über seiner höllischen Beschäftigung antreffen lassen und gab den Sklaven ein Zeichen, daß sie dem Juden die Kleider wieder zuwerfen sollten, dann ging er mit ihnen hinaus.

Isaak war allein, er konnte nur Gott danken für die Errettung aus der Not oder jammern über das voraussichtliche Schicksal seiner Tochter, ob nun seine persönlichen oder seine väterlichen Gefühle stärker sein mochten.


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