Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel.

Während dieses in den andern Teilen des Schlosses vorging, erwartete die Jüdin Rebekka ihr Schicksal in einem hohen, abgelegenen Turme. Sie war von zwei verkleideten Räubern geführt worden und fand in der kleinen Zelle eine alte Frau, die ein sächsisches Lied vor sich hinmurmelte, zu welchem ihre auf dem Boden tanzende Spindel den Takt gab. Die Alte erhob ihr Haupt, als Rebekka eintrat, und sah die schöne Jüdin mit dem feindseligen Blick an, wie ihn Alter und Unglück auf Jugend und Schönheit zu werfen pflegen. –

»Du mußt fort von hier, alte Unke,« sagte einer der Männer, »unser edler Herr befiehlt es, und dieses Gemach einem schönern Gaste überlassen.« –

»So werden treue Dienste belohnt,« schrie die Alte, »ich weiß die Zeit, wo mein Wort den besten Mann in Waffen aus Sattel und Dienst gehoben hätte und nun muß ich fort auf den Befehl eines Flegels, wie du bist.«

»Gute Frau Urfried,« sagte der Mann, »sprich nicht darüber, sondern steh auf und packe dich. – Unsers Herrn Gebote müssen schnell erfüllt werden. Du hast deine Zeit gehabt, alte Dame, doch deine Sonne ist längst untergegangen. Du hast zu deiner Zeit einen guten Schritt gehabt, aber jetzt kannst du nur humpeln. Komm, humple mit mir.«

»Mögen Euch die Hunde zerreißen,« sagte die Alte, »und ein Hundestall euer Grab werden. Der böse Zernebock soll mir Glied für Glied zerreißen, wenn ich diese Halle verlasse, bis ich den Hanf von meinem Rocken abgesponnen habe.«

»Verantworte es vor unserm Herrn, alter Hausdrache,« sagte der Diener und ging. Rebekka blieb mit dem alten Weib, in dessen Gesellschaft man sie so unfreundlich gezwungen hatte, allein. »Welche Teufelstat haben sie nun vollbracht?« sagte die Alte vor sich hin, indem sie der Jüdin von Zeit zu Zeit einen boshaften Blick zuwarf; »es ist leicht zu erraten. – Glänzende Augen, schwarze Locken, eine Haut weiß wie das Papier, ehe es der Schreiber mit Tinte färbt – ja, es ist leicht zu erraten, warum sie die in den einsamen Turm sperren, wo ein Schrei so wenig gehört wird, wie fünfhundert Klafter tief unter der Erde. Du wirst Eulen zu Nachbarn haben, meine Schöne; ihr Geschrei wird ebenso weit hin klingen als das deine und ebenso beachtet werden. – Ausländisch obendrein,« setzte sie hinzu, Rebekkas Kleidung und Turban bemerkend. »Aus welchem Lande bist du? – eine Sarazenin? eine Ägypterin? – Warum antwortest du nicht, kannst du nur weinen und nicht reden.«

»Zürne mir nicht, gute Mutter,« sagte Rebekka.

»Du brauchst nicht mehr zu sagen,« sagte Urfried, »den Fuchs erkennt man an der Spur, die Jüdin an der Sprache.«

»Um der ewigen Barmherzigkeit willen,« rief Rebekka. »Was wird das Ende der Gewalttätigkeit sein, die mich hierher führte? Will man mir, um meines Glaubens willen, das Leben nehmen, so will ich es hingeben.«

»Dir das Leben nehmen, Schätzchen?« antwortete die Alte, »was könnte ihnen das für ein Vergnügen machen? – Verlasse dich darauf, dein Leben ist nicht in Gefahr. Man wird dich so behandeln, wie man einst eine edle Sachsentochter behandelt hat; eine Jüdin, wie du, darf sich nicht beklagen, daß es ihr nicht besser geht, sieh mich an. – Ich war so jung und noch einmal so schön wie du, als Front-de-Boeuf, der Vater dieses Reginald mit seinen Normannen das Schloß stürmte. Mein Vater und seine sieben Söhne verteidigten ihr Erbteil von Stufe zu Stufe, von Gemach zu Gemach, da war kein Zimmer, keine Treppe, wo nicht Blut floß. Sie fielen bis auf den letzten Mann, und ehe ihre Leichname erkalteten und ihr Blut erstarrte, war ich schon eine Beute und der Spott des Siegers geworden.«

»Ist denn keine Hilfe möglich? kein Mittel zur Flucht?« fragte Rebekka; »ich wollte deinen Beistand reichlich vergelten.«

»Denke nicht an die Flucht,« sagte die Alte, »von hier ist kein Ausweg, als durch die Pforten des Todes, und es wird spät, spät,« setzte sie, das graue Haupt schüttelnd, hinzu, »ehe sie sich uns auftun; doch es tröstet mich, daß die, so wir auf der Erde zurücklassen, ebenso elend sind, als wir selbst. Leb wohl, Jüdin! – Jüdin oder Heidin, dein Schicksal wird dasselbe sein; denn du hast mit Menschen zu tun, die weder Gewissen noch Erbarmen kennen. Fahr wohl, sage ich, mein Faden ist abgesponnen, dein Tagewerk geht erst an.«

»Bleib, bleib, um Himmels willen,« rief Rebekka, »geschieht es auch, um mir zu fluchen. – Deine Gegenwart ist doch ein Schutz.«

»Selbst die Gegenwart der Mutter Gottes wird hier kein Schutz sein,« antwortete die Alte, indem sie auf ein Marienbild zeigte; »hier steht sie, schau, ob sie das Schicksal abwenden wird, das dich erwartet.«

Sie verließ das Zimmer, indem sie ihr Gesicht zu einem höhnischen Lächeln verzog. Sie verschloß die Türe hinter sich und Rebekka konnte bei jedem Schritt, den sie langsam und mühsam die steile Turmtreppe hinunter tat, ihre Flüche und Verwünschungen hören.

Rebekka hatte ein weit furchtbareres Schicksal als Rowena zu erwarten; denn wie konnte sie hoffen, daß man Milde und Anstand gegen ein Mädchen ihres Stammes üben würde, von denen man der sächsischen Erbin doch nur einen Schatten zeigte? Sie hatte als Jüdin den Vorteil, daß sie durch Nachdenken und Charakterstärke besser auf die ihr drohenden Gefahren vorbereitet war. Schon in früher Jugend hatte sich bei ihr ein ernster Charakter offenbart, der es liebte, den Dingen auf den Grund zu sehen. Die Pracht und der Reichtum, den sie im Hause des Vaters sah, hatten sie nicht blenden können, und wohl erkannte sie die Gefahr, in der sie inmitten all dieses Glanzes lebten. Wie Damokles bei seinem berühmten Gastmahle, sah Rebekka immer das Schwert, das über dem Haupte ihres Volkes an einem einzigen Haare hing. Unter solchen Betrachtungen war ihr Gemüt – während ein anderes Herz in ihren Verhältnissen vielleicht stolz, trotzig und hochfahrend geworden wäre – zu stiller Nachdenklichkeit und sanfter Denkweise gekommen. Das Vorbild ihres Vaters hatte sie gelehrt, gegen alle, die ihr nahten, höflich zu sein. Sie konnte zwar nicht seine tiefe Unterwürfigkeit zeigen, weil ihr alle Niedrigkeit der Gesinnung wie auch gewohnheitsmäßige Furchtsamkeit fremd war, aber in ihrem Wesen lag eine stolze Demut, als unterwerfe sie sich den traurigen Verhältnissen, mit denen sie sich als eine Tochter eines verachteten Volkes abfinden müsse, während sie sich in ihrem Innern bewußt war, daß sie nach Verdienst auf einer höheren Rangstufe stehen müsse. Also gefaßt auf widrige Schicksalswendungen, war die Kraft in ihr, sich dagegen zu wappnen. Bei ihrer gegenwärtigen Lage mußte sie ihre volle Geistesgegenwart bewahren und faßte sich rasch.

Zunächst untersuchte sie das Gemach, in das sie gebracht worden war. Sie konnte nicht hoffen, daraus entfliehen zu können, denn es fand sich darin weder ein geheimer Gang noch eine Falltür, die Tür selber hatte innen weder Schloß noch Riegel. Das einzige Fenster führte auf einen kleinen, von Zinnen umgebenen Söller hinaus, in dessen Brustwehr ein paar Plätze für Bogenschützen angebracht waren. Er lag einsam und in steiler Höhe. Rebekka hatte daher keine Hoffnung, aber sie bewahrte ihre Fassung. Nichtsdestoweniger erzitterte sie und erbleichte, als ein Schritt auf der Treppe erklang und sich gleich darauf die Tür langsam öffnete.

Ein großer Mann trat zaudernd herein, der die Kleidung jener Banditen trug, von denen sie geraubt worden war. Er schloß die Tür hinter sich. Die Mütze hatte er tief im Gesicht, und ein Mantel, den er dicht umgehüllt hatte, verhüllte seine Gestalt. In dieser Verkleidung trat er vor die erschrockene Gefangene, ganz als führe er etwas im Schilde, dessen er sich schämte und wisse nicht recht, wie er sein Vorhaben beginnen sollte. So war es Rebekka möglich, ihm zuvorzukommen. Schnell hatte sie zwei kostbare Armbänder und ein Halsgeschmeide losgemacht, und bot dies dem Geächteten an, um seine Habsucht zufriedenzustellen und ihn für sich zu gewinnen.

»Nimm das,« sagte sie, »und habe um Gottes willen Erbarmen mit mir und meinem alten Vater. Diese Schmucksachen sind sehr wertvoll, aber sie sind nur eine Kleinigkeit gegen das, was wir geben wollen, wenn man uns frei und unangetastet aus diesem Schlosse läßt.«

»Schöne Blume Palästinas,« versetzte der Räuber, »diese Perlen sind zwar aus dem Orient, aber sie sind nichts gegen deine weißen Zähne, diese Diamanten haben zwar ein herrliches Feuer, aber sie können doch nicht verglichen werden mit deinen Augen, und solange ich dieses wilde Handwerk treibe, habe ich ein Gelübde getan, die Schönheit dem Reichtum vorzuziehen. – Dein Lösegeld,« setzte er auf französisch hinzu, »muß in Liebe und Schönheit bezahlt werden, kein anderes nehme ich an.«

»Du bist kein Geächteter,« antwortete Rebekka in derselben Sprache, »kein Geächteter hätte ein solches Anerbieten verschmäht. Kein Geächteter in diesem Lande spricht die Sprache, die du sprichst. Du bist kein Geächteter, sondern ein Normann – wohl gar von edler Herkunft. O, so sei auch edel in deinen Handlungen und wirf die erschreckende Maske der Gewalttätigkeit ab.«

»Und du, die du so gut raten kannst,« sagte Brian de Bois-Guilbert, den Mantel abwerfend, »du bist keine Tochter von Israel, sondern in allem, Jugend und Schönheit ausgenommen, eine wahre Hexe von Endor. Ich bin kein Geächteter, nein, du schöne Rose Sarons, ich bin ein Mann, der dir lieber Hals und Arme mit Diamanten, die dich so reizend kleiden, überladen möchte, als dich ihrer berauben.«

»Was kannst du von mir haben wollen, wenn es nicht mein Reichtum ist?« entgegnete Rebekka. »Wir können nichts miteinander gemein haben, du bist ein Christ, ich bin eine Jüdin. Deine Kirche wie meine Synagoge sind gegen eine solche Verbindung.«

»Da hast du recht,« versetzte der Templer lachend. »Eine Jüdin heiraten? Despardieux! – Nicht, wenn sie die Königin von Saba wäre. Und wisse überdies, holde Tochter Zions, wenn mir der allerchristlichste König selber seine allerchristlichste Tochter anböte, und ganz Languedoc zur Mitgift, ich könnte sie doch nicht heiraten. Es ist gegen mein Gelübde, ein Mädchen anders als nur per amour zu lieben – und so will ich dich auch lieben, denn ich bin ein Templer – siehst du das heilige Kreuz des Ordens?«

»Darfst du dich bei solcher Gelegenheit darauf berufen?« sagte Rebekka.

»Wenn ich es tue, was gehts dich an?« versetzte der Templer. »Du glaubst ja doch nicht an das gebenedeite Zeichen unserer Erlösung.«

»Ich glaube, was mich meine Väter lehrten. Verzeihe mir Gott, wenn mein Glaube irrig ist. Was aber, Herr Ritter, ist Euer Glaube, da Ihr ohne Bedenken das Heiligste anruft, wo Ihr doch eben im Begriffe steht, Euer heiligstes Gelübde als Ritter und Diener der Religion zu brechen?«

»Du predigst allerliebst, Tochter Sirachs,« erwiderte der Templer, »nur bleibst du infolge deiner jüdischen Vorurteile ohne Verständnis für die ausgedehnten Freiheiten, die wir haben. Eine Ehe freilich wäre ein unverzeihliches Verbrechen für einen Templer, aber für alle die kleinen Liebestorheiten, die ich zu begehen Lust hätte, erhalte ich sofort Absolution. Du, Rebekka, bist die Gefangene, die ich mir mit Bogen und Speer gemacht habe, nach dem Gesetz der Völker meinem Willen unterworfen. Und nicht einen Zoll breit will ich von meinem Rechte zurücktreten, und nichts soll mich hindern, mir mit Gewalt zu nehmen, was meinen Bitten und der Notwendigkeit versagt wird.«

»Zurück!« rief Rebekka. »Zurück! Und höre mich, ehe du eine solche Todsünde begehst. Meine Kraft wirst du leicht brechen, denn Gott hat das Weib schwach erschaffen und es dem Edelsinne des Mannes überlassen, es zu beschützen. Aber deine Schändlichkeit will ich, Templer, von einem Ende Europas bis zum andern verkünden lassen. Der Aberglaube deiner Brüder soll mir verschaffen, was ich von deiner Barmherzigkeit nicht erreichen kann. – Jedes Präzeptorium, jedes Kapitel deines Ordens soll erfahren, daß du dich wie ein Ketzer mit einer Jüdin vergangen hast, und wer dein Verbrechen nicht verabscheut, der soll dich für verflucht halten, weil du das Kreuz, das du trägst, so tief erniedrigt hast, daß du einer Jüdin nachgegangen bist.«

»Dein Verstand ist kühn,« entgegnete der Templer, denn er wußte wohl, daß sie die Wahrheit sagte und daß die Bestimmungen seines Ordens Vergehen wie eines, das er jetzt vorhatte, mit den strengsten Strafen belegte, ja daß bisweilen Ausstoßung erfolgt war, »du bist sehr klug – aber deine Klage muß laut ertönen, wenn sie jenseits der eisernen Mauern dieses Schlosses vernommen werden soll. Hier verklingt ungehört jede Klage und jedes Hilfegeschrei. – Eins allein kann dich retten, Rebekka, unterwirf dich deinem Schicksal, nimm unsere Religion an, und du sollst ein Leben führen, daß sich manche Dame an Schönheit und Pracht mit der Geliebten des besten Streiters unter den Templern nicht soll messen können.«

»Mich meinem Schicksal unterwerfen?« antwortete Rebekka. »Und heiliger Himmel, welchem Schicksal! Deine Religion annehmen? Was kann das für eine Religion sein, zu der sich ein so abscheulicher Mensch bekennt! Du, der beste Streiter unter den Templern? Erbärmlicher Ritter! Meineidiger Priester! Ich verachte dich und biete dir Trotz!« Der Gott Abrahams hat seiner Tochter einen Ausweg gezeigt aus diesem Abgrund der Schande!«

Mit diesen Worten riß sie das Gitterfenster auf, das auf den Söller hinausführte, und war im Nu an den Rand der Brustwehr getreten, und nicht der geringste Schutz lag zwischen ihr und der gähnenden Tiefe. Nicht im mindesten gefaßt auf einen so jähen und verzweifelten Entschluß, hatte Bois-Guilbert weder Zeit, sie daran zu hindern, noch sie aufzuhalten. Als er sich ihr nähern wollte, rief sie:

»Bleibe, wo du stehst, stolzer Templer, oder wenn du willst, tritt herzu! Einen Schritt nur – und ich werfe mich in den Abgrund. Eher soll mein Leib an den Steinen des Schloßhofes zerschmettern und alle menschliche Form verlieren, ehe er deiner Gewalttätigkeit zum Opfer fallen soll!« Sie faltete die Hände und hob sie zum Himmel empor, als wolle sie Gnade für ihre Seele erflehen, ehe sie den tödlichen Sprung täte. Der Templer zauderte, und sein kühner Starrsinn, der im Unglück nie versagte, noch sich je von Mitleid hatte beugen lassen, schmolz in Bewunderung ihrer Seelenstärke.

»Komm herunter, unbesonnenes Mädchen,« sagte er, »ich schwöre dir bei Erde, Meer und Himmel, ich will dir kein Leid tun.«

»Ich mag dir nicht trauen,« erwiderte Rebekka, »du hast mich gelehrt, wie hoch ich die Tugenden deines Ordens zu veranschlagen habe.«

»Du tust mir unrecht,« sagte der Templer, »und so schwöre ich dir denn bei dem Namen, den ich trage, bei dem Kreuz auf meiner Brust, bei dem Schwert an meiner Seite, bei dem alten Wappen meiner Väter: ich will dir nicht das mindeste zuleide tun. Töte dich nicht, wenn nicht um deiner selbst willen, so doch um deines Vaters willen, ich will sein Freund sein, denn in diesem Schlosse bedarf er eines mächtigen Schutzes.«

»Ach!« seufzte Rebekka. »Das weiß ich nur zu gut. – Darf ich dir trauen?«

»Man soll mein Wappen umdrehen und mein Name soll entehrt sein,« sagte Bois-Guilbert, »wenn du noch Ursache haben sollst, über mich zu klagen. Wohl habe ich gegen manches Gesetz und manchen Befehl verstoßen, aber mein Wort habe ich noch nie gebrochen.«

»Wohl, ich will dir trauen,« antwortete Rebekka, »aber nur so weit,« und sie kam von dem Söller herab, blieb aber in dem Mauerausschnitt stehen. »Hier,« sagte sie, »will ich stehen. Du bleibe an deinem Fleck. Wenn du versuchst, die Entfernung zwischen uns auch nur um einen Schritt zu verringern, so sollst du sehen, daß ein jüdisches Mädchen eher ihre Seele Gott anvertraut, als ihre Ehre einem Templer.« Der hohe und feste Entschluß gab der ausdrucksvollen Schönheit ihres Angesichts, ihren Blicken und ihrem ganzen Wesen eine fast übermenschliche Erhabenheit. Ihr Blick war nicht angstvoll, noch war ihre Wange bleich aus Furcht vor einem so raschen und entsetzlichen Ende, sondern das Bewußtsein, daß ihr Schicksal in ihrer Hand lag, verlieh ihren Wangen höhere Farbe und ihren Augen lichteren Glanz. So stolz und mutig Bois-Guilbert auch war, so mußte er sich doch gestehen, daß er eine so herrliche und majestätische Schönheit noch nie gesehen hatte.

»Laß Friede zwischen uns sein, Rebekka!« sagte er.

»Friede, so du es willst,« entgegnete sie, »aber dieser Raum bleibt zwischen uns.«

»Du hast mich nicht länger zu fürchten.«

»Ich fürchte dich auch nicht, und dem danke ich es, der diesen Turm so hoch gebaut hat, daß, wer sich hier herunterstürzt, den Tod findet. Dank ihm und dem Gotte Israels, ich fürchte dich nicht.«

»Du tust mir unrecht,« wiederholte der Templer. »Bei Erde, Himmel und Meer, du tust mir unrecht. Von Natur bin ich nicht hart, selbstsüchtig und grausam, wie du mich in diesem Augenblick geschaut hast, ein Weib hat mich dazu gemacht, ein Weib hat mich gelehrt grausam zu sein, und ich bin wieder grausam gewesen, aber nicht gegen solche, wie du eine bist. Ich habe mich vom Leben und seinen Banden getrennt. – Meine Mannheit soll mir kein Weib sänftigen, und häusliches Glück soll mir nicht lachen. Meine alten Tage will ich an keiner heimischen Stätte in Ruhe verleben – einsam bleiben wird mein Grab, und keine Nachkommenschaft wird den Namen Bois-Guilbert in künftige Geschlechter hinübertragen. Das Recht der Unabhängigkeit und Selbständigkeit habe ich zu den Füßen meiner Oberen niedergelegt. Ein Leibeigener in allem, wenn auch nicht dem Namen nach, kann der Templer weder Land noch Gut besitzen, er lebt, bewegt sich und atmet nur nach dem Willen eines anderen.«

»Ach,« sagte Rebekka, »welche Vorteile können denn für so große Opfer Ersatz geben?«

»Die Macht der Rache und die Aussicht auf Ehre.«

»Ein trauriger Ersatz für Rechte, die die teuersten der Menschheit sind.«

»Das sage nicht, Mädchen,« antwortete der Templer. »Rache ist ein Fest für Götter. Und die Ehre ist eine Versuchung, gegen die selbst die Seligkeit des Himmels nichts ist.« Er hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er fort: »Rebekka, wer den Tod der Schande vorzieht, muß eine starke Seele haben. – Du mußt mein werden. Nein, starre mich nicht so an, nur mit deiner Einwilligung und auf die Bedingungen hin, die du stellen wirst. Du sollst mit mir Hoffnungen teilen, die weiter gehen als die eines Monarchen auf dem Throne. – Höre mich an, ehe du Antwort gibst, und bilde dir erst ein Urteil, statt gleich nein zu sagen. Der Templer verliert alle gesellschaftlichen Rechte, alle Selbständigkeit, aber dafür wird er ein Glied eines gewaltigen Körpers, vor dem Throne zittern. Eine schwellende Flut ist unser Orden, und ich bin kein geringes Glied in ihm, sondem schon einer der ersten Befehlshaber. Bald kann ich die Hand nach des Großmeisters Stabe ausstrecken. Die Herrschaft des von euch lange erwarteten Messias wird euern Stämmen keine so große Macht verleihen als die, nach der ich trachte. Und lange habe ich nach einem verwandten Geiste gesucht, der sie mit mir teilen sollte, den habe ich nun in dir gefunden.«

»Sprichst du so zu einer aus meinem Volke?« fragte Rebekka. »Überlege dirs.«

»Antworte nicht mir so,« erwiderte der Templer, »führe nicht den Religionsunterschied zwischen uns beiden an. In unseren geheimen Konklaven lachen wir über solche Ammenmärchen. Unser Orden hat lange kühnere und weitere Gesichtspunkte angenommen, als sie noch unsere Stifter in ihrem blinden Götzendienste hatten, und für bessere Entschädigung unserer Opfer ist jetzt gesorgt. Unsere unermeßlichen Besitzungen in jedem Königreiche Europas, unser hoher, militärischer Ruhm, der alle ersten und besten Ritter jedes christlichen Landes in unseren Kreis führt, all das wollen wir zu Zwecken ausnutzen, von denen sich unsere frommen Stifter nicht haben träumen lassen. Weiter aber will ich dir den Schleier unserer Geheimnisse nicht lüften. – Da ruft ein Horn! – Seine Töne verkünden, daß man meiner bedarf. Denke an das, was ich dir gesagt habe. Lebe wohl! Ich bitte nicht um Verzeihung, daß ich dir mit solcher Gewalttat drohte. Das war nötig, damit sich mir dein Charakter offenbarte. Gold wird nur durch den Prüfstein erkannt. Ich komme bald wieder und rede weiter mit dir.«

Er ging aus dem Turmgemach und die Treppe hinunter. Rebekka blieb zurück. Ihr Schrecken über einen so furchtbaren Tod, der ihr so nahe gedroht hatte, war nicht weniger nachdrücklich als ihr Grausen vor dem wilden Ehrgeiz des Mannes, in dessen Gewalt sie zu ihrem Unglück war. Sie stieg in das Turmgemach hinab und verrichtete ein Gebet des Dankes für den Schutz, den ihr der Gott ihrer Väter gewährt hatte, und flehte diesen Schutz auch in Zukunft für sich und ihren Vater herab. Und noch ein Name schlich sich in ihr Gebet – der des verwundeten Christen, der in die Hände seiner blutdürstigsten Feinde gefallen war. Wohl machte sie sich Vorwürfe darüber, daß sie für einen mitbetete, dessen Schicksal nie mit dem ihren verbunden werden konnte – für einen Nazarener, einen Feind ihres Glaubens, aber sie hatte ihr Gebet einmal gesprochen, und selbst die strengsten Vorurteile ihres Glaubens vermochten Rebekka nicht zu veranlassen, daß sie das einmal Erflehte widerrufen hätte.


 << zurück weiter >>