Walter Scott
Ivanhoe
Walter Scott

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Der Morgen dämmerte auf den Grasplätzen im Eichenwalde. Wie Perlen blitzten Tautropfen auf den grünen Zweigen. Das Reh kam aus seinem Schlupfwinkel hervor und führte die Zicklein auf die Lichtungen, und kein Jäger war da, den stolzen Hirsch zu beobachten, der an der Spitze seiner gehörnten Herde dahinschritt. Die Geächteten waren um den Gerichtsbaum von Harthilwalk versammelt, wo sie die Nacht verbracht hatten, teils hatten sie gezecht, teils geschlafen, teils sich von den Begebenheiten des Tages unterhalten und die Beute überschlagen, die dieser Sieg ihrem Hauptmanne verschafft hatte und die nun an dieser Stätte ihrer Wahrsprüche verteilt werden sollte. Die Beute war reich. Wenn auch manches verbrannt war, so hatten doch die Geächteten, deren Kühnheit, wenn ihrer solcher Lohn harrte, vor keiner Gefahr zurückschreckte, vieles Silbergeschirr, reiche Waffenstücke und Kleider gerettet. So strenge waren die Gesetze ihrer Vereinigung, daß es keiner unter ihnen wagte, sich an der Beute zu vergreifen, die zu einem großen Haufen zusammengetragen war.

Der Platz dieser Zusammenkunft war eine uralte Eiche, die eine halbe Meile von Schloß Torquilstone entfernt stand. Unter den dicht verwachsenen Ästen des riesigen Baumes saß hier Locksley auf einem Thron von Rasen. Um ihn her standen seine Getreuen. Zu seiner Rechten saß der schwarze Ritter, zu seiner Linken der edle Cedric.

»Vergebt, edle Herren,« sagte er. »In diesen Wäldern bin ich König. Diese meine rauhen Untertanen würden es mir sehr verübeln, wenn ich meinen Platz irgend einem andern einräumen würde. Aber wo steckt unser Kaplan, unser wackerer Mönch? Ein Christ tut gut daran, sein Tagewerk mit einer Messe einzuleiten. Hat niemand den Mönch von Copmanhurst gesehen?«

»Mit Verlaub,« sagte einer der Hauptleute, »ich glaube, der fidele Priester ist zu lange bei der Weinflasche gewesen.«

»Wer hat ihn gesehen, seit das Schloß erobert ist?«

»Ich habe ihn an der Kellertür gesehen,« antwortete einer. »Er verschwur sich bei allen Heiligen des Kalenders, er wolle den Gaskognerwein des Normannen kosten.«

»So mögen es alle Heiligen verhüten, daß er zuviel Wein getrunken hat und beim Einsturz des Schlosses umgekommen ist! Sucht nach ihm! Gießt Wasser aus dem Graben auf die brennenden Trümmer. Ich will eher jeden Stein umdrehen, ehe ich meinen Mönch verloren gebe. Inzwischen wollen wir an die Austeilung der Beute gehen, denn wenn diese kühne Tat ruchbar wird, so werden sich de Bracys Freischar und Malvoisin und andere Verbündete Front-de-Boeufs gegen uns aufmachen. Da müssen wir das Unsrige in Sicherheit bringen. – Edler Cedric,« wandte er sich an den Sachsen, »die Beute ist in zwei Teile geteilt, wähle dir den, der dir am besten gefällt, um deine Leute zu belohnen, die dir bei diesem Unternehmen geholfen haben.«

»Guter Yeomen,« antwortete Cedric, »mir ist das Herz schwer vor Kummer. Athelstane von Conningsburgh ist dahin – der letzte Sproß des heiligen Bekehrers – mit ihm sind Hoffnungen, die nie wieder aufleben können, in die Grube gefahren. Mit seinem Blute ist ein Funke erloschen, den keines Menschen Hauch wieder anzufachen vermag. Meine Leute, die außer den wenigen, die hier bei mir sind, meiner daheim harren, warten nur auf mich, um seine verehrte Leiche zur letzten Ruhe zu bestatten. Lady Rowena will nach Notherwood zurückkehren, und ein ansehnliches Gefolge muß sie begleiten. Ich selber wäre auch schon längst weg, wenn ich nicht hätte warten wollen, nicht auf die Verteilung der Beute, denn meiner Treu, ich und die meinigen nehmen nicht einen Heller davon, sondern um dir und deinen tapfern Bogenschützen unsern Dank abzustatten, daß ihr uns Leben und Ehre gerettet habt.«

»Aber wir haben höchstens nur die Hälfte der Arbeit getan, nimm wenigstens soviel von der Beute, daß du deine Nachbarn und Anhänger belohnen kannst.«

»Ich bin reich genug, daß ich dies aus eigenen Mitteln tun kann,« erwiderte Cedric.

»Und manch einer,« sagte Wamba, »war schon allein so schlau und hat gesehen, wo er bleibt, es haben nicht alle Narrenkappen auf.«

»Meinetwegen,« versetzte Locksley. »Unsere Bestimmungen gelten nur für die Unserigen.«

»Aber du, mein armer Schelm,« sagte Cedric, wandte sich um und schloß seinen Narren in die Arme. »Wie soll ich dich belohnen, der du dich für mich in Ketten schlagen ließest und dem Tode preisgabst? – Alle hatten mich verlassen, mein Narr ist mir treu geblieben.« Bei diesen Worten glänzte dem rauhen Than eine Träne im Auge. Eine solche Gefühlsäußerung hatte ihm nicht einmal Athelstanes Tod entlockt.

»Nein,« sprach der Narr und machte sich aus den Armen seines Herrn los, »wenn Ihr meine Dienste mit'm Wasser Eurer Augen lohnt, so muß der Narr mitweinen und dann wird er seinem Beruf untreu. Aber, wenn du mir wirklich 'nen Gefallen tun willst, Onkelchen, so vergib meinem Kameraden Gurth, daß er dir 'ne Woche den Dienst gekündigt hatte, um deinem Sohne zu dienen.«

»Ihm vergeben?« antwortete Cedric. »Ich will ihm Vergebung und Lohn zugleich gewähren. Gurth, knie nieder!« Der Schweinehirt fiel seinem Herrn zu Füßen. »Hinfort sollst du kein Leibeigener mehr sein, sondern ein freier Mann in Wald und Feld.« Und er berührte ihn mit seinem Stabe. »Ich gebe dir ein Stück Land für dich und deine Nachkommenschaft, und Gottes Fluch über die, so dem jemals widersprechen.« Gurth, der nun kein Sklave mehr, sondern ein freier Mann und Eigentümer war, sprang vor Freude so hoch, wie er selber war.

»Einen Schmied her und 'ne Feile!« rief er. »Der Nacken eines freien Mannes darf kein Band mehr tragen. – Edler Herr! doppelt stark habt Ihr mich durch Euer Geschenk gemacht. So kann ich doppelt stark für Euch kämpfen. In meiner Brust ist jetzt freier Mut. Ich bin ein Mann! mir selber und gewiß auch allen andern komm ich ganz verändert vor. He! Packan!« fuhr er fort. »Kennst du mich noch? Kennst du deinen Herrn noch?« Der treue Hund sah, wie sich sein Gebieter freute und sprang an ihm in die Höhe.

»Jawohl,« sagte Wamba, »Packan und ich, wir werden dich noch immer erkennen, Gurth, weil wir noch 's Halsband umhaben, aber du wirst vielleicht uns und dich selber vergessen.«

»Sicherlich eher mich selber als dich, treuer Gefährte,« sagte Gurth, »und wenn dir die Freiheit was nützte, so hätte sie dir dein Herr auch gegeben.«

»Denke ja nicht, Bruder Gurth,« versetzte Wamba, »daß ich dich beneidete. Der Leibeigene sitzt am Herd in der Halle, der freie Mann muß ins Feld hinaus. Besser ein Narr und sichs wohl sein lassen, als ein Weiser und sich plagen müssen.«

Jetzt ließen sich Hufschläge vernehmen und Lady Rowena, von Reitern umgeben, erschien. Mit ihr kamen auch mehrere Bewaffnete zu Fuß an. Sie schlugen die Waffen gegeneinander, um ihre Freude über die Befreiung der Lady auszudrücken. Sie selber saß auf einem kastanienbraunen Zelter in all ihrer Anmut und Würde, und nur ihre Blässe zeigte, was sie gelitten hatte. Auf ihrer schönen Stirn lagen Wolken des Kummers, aber dazwischen strahlte auch ein Schimmer der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie wußte, daß Ivanhoe gerettet und Athelstane tot war. Über das erstere empfand sie das innigste Entzücken, und wenn sie sich über das letztere auch nicht gerade freute, so mag man ihr doch verzeihen, wenn sie sich nicht verhehlte, daß ihr diese Wendung nur willkommen sein müsse, da sie nun vor der Betreibung der einzigen Sache gesichert war, über die sie mit ihrem Vormund nicht eines Sinnes war. Und als Rowena auf Locksley zuritt, erhob sich dieser mit all seinen Gesellen und begrüßte sie. Das Blut stieg ihr in die Wangen, als sie freundlich mit der Hand winkte und sich so tief herabneigte, daß sich ihr langes loses Haar mit der Mähne ihres Rosses vermischte, während sie mit kurzen Worten Locksley und den andern Befreiern ihren Dank aussprach. »Gott segne Euch, ihr wackern Männer,« sagte sie. »Gott und die heilige Jungfrau mögen mit euch sein und euch dafür belohnen, daß ihr so tapfer den Gefahren die Stirn geboten und die Bedrückten errettet habt. So einen unter euch hungert, denkt daran, Rowena hat Speise für euch, und so es einen dürstet, Rowena hat manches Faß Wein und Braunbier für euch, und so euch die Normannen aus diesen Wäldern treiben, Rowena hat Wälder, wo ihre tapfern Befreier in voller Freiheit leben können.«

»Habt Dank, gütige Lady,« sagte Locksley. »Dank in meinem und meiner Genossen Namen. Aber es ist allein schon Lohnes genug, Euch gerettet zu haben. Wir begehen in unsem Wäldern manche rohe Tat. Möge die Befreiung der Lady Rowena ein kleiner Entgelt dafür sein.«

Sie verneigte sich wieder, wie um wegzureiten, als sie aber noch einen Augenblick zauderte, da sie sich von Cedric verabschieden wollte, sah sie plötzlich neben sich den gefangenen de Bracy. Die Arme über der Brust gekreuzt stand er in tiefem Sinnen unter einem Baume, und Rowena hoffte, unbemerkt an ihm vorüberzukommen, aber er blickte auf, und als er Rowena sah, überzog tiefe Schamröte sein hübsches Gesicht. Ein kleines Weilchen wußte er nicht, was er tun sollte, dann trat er vor und ergriff die Zügel ihres Pferdes und lieh sich auf ein Knie nieder. »Will Lady Rowena,« sagte er, »den gefangenen Ritter, den entehrten Soldaten eines Blickes würdigen?«

»Herr Ritter,« erwiederte sie, »in Unternehmungen, wie die Eure war, liegt die Entehrung nicht im Fehlschlagen, sondern im Gelingen.«

»Laßt mich nur wissen, daß Lady Rowena die Gewalttat verzeiht, zu der mich eine unglückliche Leidenschaft getrieben hat, und Ihr sollt bald vernehmen, daß de Bracy Euch auf edleren Wegen dienen kann.«

»Ich vergebe Euch, Herr Ritter, aber nur soweit als ich Christin bin.«

»Das heißt soviel wie ganz und gar nicht,« sagte Wamba.

»Nie aber werde ich den Kummer und das Elend vergessen, die Ihr mir durch Euern Wahnwitz bereitet habt,« fuhr Rowena fort.

»Laßt den Zügel der Lady los,« rief Cedric, der jetzt hinzu kam. »Bei dem hellen Sonnenschein über uns, wenn ich mich nicht schämte, ich nagelte dich mit meinem Wurfspieß an die Erde. Doch seid versichert, Moritz de Bracy, für diese schändliche Tat empfangt Ihr noch Euer Teil!«

»Wer einem Gefangenen droht, braucht keine Angst zu haben,« erwiderte der Normann. – »Aber wann hätte je ein Sachse einen Begriff von Ritterlichkeit gehabt?« Er trat zurück und ließ die Lady weiterreiten.

Cedric gab vor seinem Aufbruch dem schwarzen Ritter die Versicherung seines herzlichen Dankes und lud ihn dringend ein, mit nach Rotherwood zu kommen. »Ich weiß,« sagte er, »Ihr fahrenden Ritter tragt Euer Glück auf der Spitze Euers Schwertes und fragt nicht nach Land und Gut, aber manchmal ist auch dem wandernden Krieger ein Heim angenehm. Ihr habt Euch eins in Rotherwood gesichert, edler Ritter. Cedric ist reich, aber alles, was sein ist, gehört auch dem, der ihn befreit hat. Kommt nach Rotherwood, und Ihr werdet nicht wie ein Gast, sondern wie ein Sohn und Bruder empfangen werden.«

»Cedric hat mich schon reich gemacht,« erwiderte der Ritter. »Er hat mich den Wert sächsischer Tugend erkennen gelehrt. Nach Rotherwood will ich kommen, einstweilen aber halten mich ernste Geschäfte von Euern Hallen fern. Wenn ich komme, so verlange ich vielleicht eine Gunst von Euch, die Eure Großmut auf die Probe stellen wird.«

»Noch ehe Ihr sie ausgesprochen habt, ist sie gewährt,« erwiderte Cedric, die bloße Hand in die des Ritters legend, der den eisernen Handschuh trug. »Sie ist gewährt, und gelte es mein halbes Vermögen.«

»Gebt Euer Versprechen nicht so vorschnell,« sagte der Ritter vom Fesselschloß. »Einstweilen lebt wohl!«

Rowena verneigte sich anmutsvoll gegen den schwarzen Ritter, der Sachse befahl ihn dem Schutze Gottes, und fort ritten sie über den Rasenplatz des Waldes.

Sie waren kaum weggeritten, da erschien im Waldesgrün ein Zug, der sich in derselben Richtung wie der der Lady Rowena vorwärtsbewegte. Die Priester eines benachharten Klosters, bewogen durch das Versprechen eines reichen Geschenkes von Cedric, folgten der Bahre, auf der der Leichnam Athelstanes lag. Er wurde in langsamem feierlichen Schritt auf den Schultern seiner Vasallen nach seinem Schlosse Conningsburgh getragen, und Grabgesänge wurden dazu gesungen. In der Gruft, wo Hengist lag, von dem der Tote seine Herkunft ableitete, sollte er bestattet werden. Die Geächteten erhoben sich und bezeugten dem Leichenzuge die gleiche ungeschlachte Huldigung, die sie soeben der lebenden Schönheit gezollt hatten. Der Trauergesang und der feierlich abgemessene Schritt rief ihnen die im Kampfe des verflossenen Tages gefallenen Kameraden ins Gedächtnis. Solche Erinnerungen waren jedoch nicht von langem Bestand bei denen, die ein Leben steter Gefahr und Abenteuer führten. Ehe noch die Klänge der Hymne verhallt waren, hatten sich die Geächteten schon wieder an die Verteilung ihrer Beute gemacht.

»Tapferer Ritter,« sagte Locksley, »hätte uns nicht dein Mut und dein tapferer Arm zur Seite gestanden, so wäre unser Unternehmen gewiß mißglückt. Wenn du willst, so wähle dir von dieser Masse an Beute, was dir gefällt.«

»Ich nehme das Anerbieten so freimütig an, wie es getan ist,« antwortete der vom Fesselschloß. »Ich bitte Euch, daß ich über Moritz de Bracy nach Gefallen verfügen darf.«

»Der ist sowieso dein, und das ist ein Glück für ihn; denn sonst hätte der Tyrann die höchsten Zweige dieser Eiche geziert, und so viele deiner Freischärler, wie wir nur hätten fangen können, sollten wie Eicheln um ihn her hängen. – Aber er ist dein Gefangener, und deshalb ist er in Sicherheit, obgleich er mir den Vater erschlagen hat.«

»De Bracy,« sagte der Ritter, »Ihr seid frei – geht Eurer Wege! Er, dessen Gefangener Ihr seid, will für das Vergangene keine Rache an Euch nehmen. Doch hütet Euch für die Zukunft, sonst möchte es Euch übel ergehen. Moritz de Bracy, ich sage Euch, seid auf der Hut!« De Bracy verneigte sich tief, ohne zu antworten. Als er gehen wollte, stimmten die Yeomen plötzlich ein Geschrei des Hohnes und der Verachtung an. Der stolze Ritter wandte sich um, blieb stehen, kreuzte die Arme, richtete sich hoch auf und rief: »Schweigt still, ihr kläffenden Köter! So durftet ihr nicht lärmen, als der Hirsch gehetzt wurde. De Bracy verachtet euern Spott, wie er euern Beifall verachten würde. Hinein in eure Büsche und Höhlen, Gesindel in Acht und Bann! Verhaltet euch still, wo von einem Ritter oder einem Edelmann eine Meile weit von euern Fuchslöchern auch nur gesprochen wird.« Dieser schlecht angebrachte Hohn hätte dem Ritter sicher einen Regen von Pfeilen zugezogen, wenn der Hauptmann die Yeomen nicht daran gehindert hätte. Inzwischen hatte de Bracy eines der Pferde, die als ein Teil der Beute aufgezäumt herumstanden, ergriffen, schwang sich darauf und verschwand im Galopp in den Wald.

Als der Lärm, den dieser Auftritt verursacht hatte, wieder verstummt war, nahm der Hauptmann der Geächteten das reiche Jagdhorn und die Tasche, die er im Bogenschießen zu Ashby gewonnen hatte, von den Schultern.

»Edler Ritter,« sagte er zu dem vom Fesselschloß, »wenn Ihr es nicht verschmäht, ein Jagdhorn anzunehmen, das ich einst getragen habe, so nehmt das hier zum Andenken an mich, und wenn es Euch einmal hart ergeht, und Ihr bedrängt seid, so blast dieses Signal: Wasa–hoa! und es wird Euch schnelle Hilfe werden.« Er setzte das Horn an die Lippen und blies ein paarmal vor, bis der Ritter das Signal wiedergeben konnte.

»Dank für deine Gabe, kühner Yeoman,« sagte er dann. »Eine bessere Hilfe als die deine und der Deinen wünschte ich mir nie und wäre ich in der größten Gefahr. Darauf ließ er selber das Horn laut erschallen.

»Ihr blast gut und rein,« sagte Locksley. »Wahrlich, Ihr versteht Euch auf das Weidwerk ebensogut wie auf den Krieg.– Ich meine, Ihr habt auch schon mal dem Wilde nachgestellt. Kameraden merkt euch dieses Signal. Es ist der Ruf des Ritters vom Fesselschloß. Wer ihn hört und nicht hineilt, ihm zu helfen, den will ich mit den Sehnen seines eigenen Bogens aus der Bande peitschen.«

»Lange lebe unser Hauptmann und der schwarze Ritter vom Fesselschloß!« riefen die Yeomen. Der Hauptmann fuhr nun fort, die Beute zu verteilen, was mit der größten Unparteilichkeit geschah. Ein Teil, der zehnte, wurde für die Kirche und die frommen Gebräuche zurückgelegt, ein Teil kam zu einer Art gemeinsamen Schatzes, ein Teil war für die Witwen und Weisen gefallener Kameraden bestimmt, und der Rest wurde unter die Geächteten verteilt nach Rang und Verdienst. In streitigen Fällen wurde die Entscheidung des Hauptmannes, der kategorisch sein Urteil fällte, mit Gehorsam aufgenommen. Der schwarze Ritter wunderte sich nicht wenig, daß Menschen, die jedem Gesetze Hohn sprachen, untereinander so einig und gerecht waren, und was er sah, erhöhte seine gute Meinung von der Gerechtigkeit und Urteilsfähigkeit des Anführers. Als ein jeder seinen Anteil erhalten hatte, schafften vier Yeomen mit dem Schatzmeister den Teil, der für den Schatz bestimmt war, hinweg, während der Teil für die Kirche unangetastet liegen blieb.

»Wenn wir nur bald etwas von unserm fröhlichen Kaplan hörten,« sagte Locksley. »Es ist sonst nicht seine Art, bei Mahlzeiten und Beuteverteilungen zu fehlen. Er muß diesen Zehnten, der bei unserer glücklichen Unternehmung herausgekommen ist, wegschaffen. Ich habe auch hier in der Nähe einen heiligen Bruder und möchte gern, daß mir der Mönch helfe, damit ich richtig mit ihm umgehe. Es wird ihm doch nichts zugestoßen sein?«

»Das täte mir leid,« sagte der Ritter. »Ich bin ihm noch Dank schuldig für seine Gastfreundschaft und für die vergnügte Nacht, die er mir in seiner Zelle bereitet hat. Wir wollen in die Trümmer des Schlosses gehen, vielleicht finden wir eine Spur von ihm.«

Während er noch so sprach, erscholl lauter Jubel und verkündete die Ankunft dessen, um den sie so in Sorge waren. Sie erkannten den Mönch an seiner Stentorstimme, denn sie hörten ihn schon lange, ehe sie seine robuste Gestalt sahen.

»Platz, brave Gesellen!« rief er. »Platz für euern heiligen Bruder und seinen Gefangenen! – Ruft noch einmal Willkommen! – Ich komme, edler Hauptmann, wie ein Adler mit der Beute in den Klauen.« Unter allgemeinem Gelächter drängte er sich durch den Kreis. In der einen Hand hielt er seinen wuchtigen Streitkolben, in der andern ein Halfterband, an dessen Ende der unglückliche Isaak von York gebunden war, der, von Kummer und Schrecken gebrochen, von dem Priester dahergeschleppt wurde.

»Fröhlicher Priester,« sagte der Hauptmann, »du hast heute morgen eine feuchte Messe gehalten, wennschon es noch früh an der Stunde ist. Wen bringst du uns da?«

»Einen Gefangenen, den ich selber mit Schwert und Lanze gemacht habe,« versetzte der Mönch von Copmanhurst, »mit Bogen und Streitkolben. Aus arger Gefangenschaft habe ich ihn erlöst. Sprich, Jude! Habe ich dich nicht vom Satan befreit? Habe ich dich nicht den Glauben, das Pater und das Ave gelehrt? – Habe ich dir nicht die ganze Nacht zugetrunken und dich in den Mysterien unterrichtet?«

»Um Gottes willen,« jammerte der Jude. »Will mich denn niemand aus der Gewalt dieses verrückten – ich wollte sagen, heiligen Mannes befreien?«

»Was, Itzig?« rief der Mönch mit drohender Gebärde. »Willst du etwa widerrufen? Denke daran, wenn du in deinen vorigen Unglauben verfällst, so bist du, wenn du auch nicht so zart bist wie ein Spanferkel – ich wollt', ich hätte eins zum Frühstück – doch nicht zu zähe, daß man dich nicht schmoren könnte. Sei vernünftig, Jude, und sprich nach, was ich sage: Ave Maria!«

»Nein! keine Entweihung, toller Priester!« sagte Locksley. »Laß uns lieber wissen, wo du diesen Gefangenen aufgegabelt hast.«

»Beim heiligen Dunstan!« sagte der Mönch. »Dort, wo ich nach besserm Funde suchte. In den Keller bin ich gestiegen, weil ich hatte retten wollen, was unten ist. Ein Becher gebrannten Weines mit Gewürz ist zwar der Abendtrunk eines Kaisers, mir aber erschien es unnütz, daß so viel Wein auf einmal verbrannt werden sollte, und ich ergriff einen Schlauch mit Sekt und wollte noch mehr von der Sorte suchen, da entdeckte ich eine stark versicherte Tür. Aha, dachte ich: hier haben wir erst den richtigen auserlesenen Wein, und der Schelm von Kellermeister, den wir gerade gestört haben, hat den Schlüssel stecken lassen. Ich eile hinein und finde nichts wie verrostete Ketten und diesen Hund von einem Juden, der sich mir ohne weiteres auf Gnade oder Ungnade ergeben hat. Durch einen schäumenden Becher Sekt habe ich ihn erst ein wenig auf die Beine gebracht. Eben wollte ich meinen Gefangenen wegschleppen, da gab es einen furchtbaren Krach, ein Turm stürzte ein und der Ausweg war uns verschüttet, wir hörten das Donnergepolter, ich gab jeden Gedanken an das Leben auf, und da ich es für eine Unehre hielt, mit einem Juden zusammen ins Jenseits einzuziehen, so erhob ich meinen Streitknüttel und wollte ihm schon den Schädel einschlagen, aber sein graues Haar dauerte mich, und ich hielt es für christlicher, meine geistlichen Waffen an ihm zu erproben. So versuchte ich, ihn zu bekehren. Es gelang, der Same fiel auf fruchtbares Land. Aber der Kopf ist mir ganz wüst von dem vielen Reden über die Mysterien – denn die paar Schluck Sekt haben nichts zu sagen, und so war ich völlig erschöpft, als mich Gilbert und Willibald fanden – sie wissen, in was für einer Verfassung.«

»Das können wir bestätigen,« sagte Gilbert. »Denn wie wir die Trümmer weggeräumt und die Kellertreppe entdeckt hatten, da war der Schlauch Sekt halb leer, der Jude halb tot und der Mönch – wie er es nennt – völlig erschöpft.«

»Ihr Schelme lügt!« rief der beleidigte Mönch. »Ihr gierigen Schufte habt den Sekt ausgesoffen und habt gesagt, das wäre ein feiner Frühtrunk. Ich will ein Heide sein, wenn ich ihn nicht für die Kehle des Hauptmannes aufgespart hatte. Aber was machts? Der Jude ist bekehrt.«

»Ist es wahr, Jude,« fragte Locksley, »hast du von deinem Unglauben gelassen?«

»Kein Sterbenswort weiß ich von alledem,« antwortete Isaak, »was der ehrwürdige Prälat mir vorgegröhlt hat in dieser entsetzlichen Nacht. Ich war so von Sinnen vor Furcht, Schmerzen und Herzeleid daß der heilige Abraham selber, wenn er wäre gekommen, mir Lehren zu geben, gepredigt hätte tauben Ohren.«

»Jude, du lügst! Und das weißt du recht gut!« rief der Mönch. »Ich will dich nur daran erinnern, daß du versprochen hast, all dein Gut der heiligen Kirche zu vermachen.«

»So wahr ich baue auf den Trost der Verheißung,« sagte Isaak in größerer Unruhe als zuvor, »solche Worte sind nimmer gekommen über meine Lippen. Ich bin ein armer alter Mann, auch kinderlos nun, wie ich fürchte, ich bitte euch, laßt mich meines Weges gehen.«

»Was soll ich dir erst sagen,« sprach der Hauptmann, »daß dein Volk verflucht ist bei allen Christen und daß wir nicht lange deine Anwesenheit ertragen können. Denke daher daran, was du uns als Lösegeld bietest, inzwischen will ich einen Gefangenen anderer Art vernehmen.«

»Sind von Front-de-Boeufs Leuten viele gefangen genommen worden?« fragte der schwarze Ritter.

»Nicht der Rede wert,« erwiderte der Hauptmann. »Von den paar elenden Kerlen können wir kein Lösegeld fordern, es ist auch schon ohnehin für Rache und Gewinn genug geschehen, der Rest ist keinen Heller wert. Der Gefangene, von dem ich rede, ist eine bessere Beute – ein lustiger Mönch, der eben, wie mir scheint, zu seinem Liebchen unterwegs war, wenn man nach seinem prachtvollen Anzug und Sattelzeug schließen soll. Hier kommt der würdige Prälat – er stolziert daher wie ein Pfauhahn.«

Von zwei Yeomen bewacht, erschien jetzt unser alter Freund der Prior Aymer von Jorlvaux, vor dem Waldesthrone des Hauptmanns der Geächteten. Die Miene des gefangenen Abtes war eine komische Mischung von beleidigtem Stolz, gekränkter Eitelkeit, zerzauster Toilette und Furcht um sein leibliches Wohl.

»Wie, meine Herren,« sprach er mit einer Stimme, in der all diese Empfindungen zum Ausdruck kamen »was ist das für eine Ordnung? Seid ihr Türken oder seid ihr Christen, daß ihr mit einem Diener der Kirche so umspringt? Ihr habt mein Felleisen geplündert, meinen Spitzenkragen zerrissen. Ein anderer an meiner Stelle hätte sein Excommunicabo vos gesprochen. Ich aber bin friedlichen Sinnes, und wenn ihr mir meine Pferde zurückgebt, meine Brüder freilaßt, mir die Felleisen wieder füllt und auf der Stelle hundert Kronen für den Hochaltar der Abtei von Jorlvaux zahlt, fernerhin das Gelübde leistet, bis zum nächsten Pfingsten kein Wild zu essen, so kann es am Ende möglich sein, daß euch dieser tolle Streich weiter keine Unannehmlichkeiten macht.«

»Heiliger Vater!« erwiderte der Hauptmann. »Es tut mir leid, daß meine Leute Euch so unhöflich behandelt haben.«

»Behandelt?« versetzte der Priester, ermutigt durch den sanften Ton des Anführers. »So wie sie mich behandelt haben, so behandelt man keinen Hund – geschweige denn einen Christen – gar einen Priester – am wenigsten aber den Abt von Jorlvaux. Ein gottloser Minnesänger ist unter euch, der hat mir mit körperlicher Züchtigung, ja mit dem Tode gedroht, wenn ich nicht vierhundert Kronen als Lösegeld zahlte, ungerechnet alles, was sie mir geraubt haben. – Goldene Ketten und Juwelenringe von unschätzbarem Werte – und alles, was unter ihren Händen zerbrochen ist, so meine Dose und mein silbernes Kräuseleisen.«

»Wirklich? – So hättet Ihr wohlgetan, heiliger Vater, die Forderung zu erfüllen, denn meine Leute halten ihr Wort.«

»Ihr scherzet!« rief der bestürzte Mönch mit erzwungenem Lachen. »Einen guten Spaß liebe ich sehr, aber hahaha! wenn der Scherz die liebe lange Nacht kein Ende genommen hat, so wird es am Morgen Zeit, daß wieder der Ernst an die Reihe kommt.«

»Und mir ist es auch Ernst wie einem Beichtvater,« versetzte der Hauptmann. »Ihr müßt ein stattliches Lösegeld zahlen, Herr Prior, sonst dürfte Euer Kloster einen neuen Prälaten zu wählen haben, denn dann nehmt Ihr Eure Stelle nie wieder ein.«

»Seid ihr denn Christen?« sagte der Prior, »und redet so zu einem Diener der Kirche?«

»Freilich sind wir Christen,« war die Antwort, »und halten unter uns auf Religion. Unser fideler Kaplan mag vortreten und dem ehrwürdigen Vater den Text lesen, um den es sich hier handelt.«

Halb nüchtern, halb betrunken, warf der Mönch die Kutte über sein grünes Weidmannswams und raffte alle Brocken Gelehrsamkeit zusammen, die ihm noch aus früherer Zeit erinnerlich waren. »Heiliger Vater,« begann er, »deus faciet salvum beningnitatem vestrum. Willkommen im grünen Walde!«

»Was soll der ketzerische Mummenschanz?« fragte der Prior. »Freund, so du wirklich zur Kirche gehörst, so tätest du besser daran, mir zu zeigen, wie ich aus den Händen dieser Männer entkommen kann, statt daß du dich hier bückst und heulst wie ein Fetischmann der Kannibalen.«

»Wahrlich, ehrwürdiger Vater,« erwiderte der Mönch, »ich weiß nur einen Weg, wie Ihr entkommen könnt. Heut ist für uns Sankt Andreastag – wir ziehen unsern Zehnten ein.«

»Doch nicht von der Kirche, will ich hoffen, guter Bruder?«

»Von Kirche und Welt. Ich rate Euch daher, Herr Prior, macht Euch Freunde mit dem ungerechten Mammon – facite vobis amicos de Mammoni iniquitatis – hier kann Euch keine andere Freundschaft etwas nützen.«

»Gut,« fügte sich der Abt, »da ich einmal dafür büßen soll, daß ich ohne Begleitung nach Wallingstreet geritten bin, was soll ich zahlen?«

»Wäre es nicht ratsam,« fragte einer der Männer den Hauptmann, »daß wir das Lösegeld für den Prior von dem Juden und das für den Juden von dem Prior festsetzen ließen?«

»Du bist ein toller Vogel,« sagte der Hauptmann, »aber dein Vorschlag ist entzückend! Komm her, Jude! Sieh dort den heiligen Vater Aymer, den Prior der reichen Abtei Jorlvaux. Sage uns, wie hoch können wir sein Lösegeld berechnen? – Du kennst doch gewiß die Einkünfte seines Klosters.«

»Gewiß,« versetzte Isaak. »Ich habe gehandelt von den guten Vätern Weizen, Gerste und Erdfrüchte, auch Wolle viel. – O, eine reiche Abtei ist das! Sie leben dort gut und trinken den köstlichsten Wein, die guten Väter von Jorlvaux. Ach, wenn doch ein armer, ausgestoßener Mann so reich wäre und ein solches Einkommen hätte alle Jahre und Monate – Gold und Silber wollte ich zahlen, um mich loszukaufen aus der Gefangenschaft.«

»Du Hund von einem Juden!« rief der Prior. »Wer weiß denn besser als du, daß unser Kloster vom letzten Kanzelbau her verschuldet ist?«

»Und von der letzten Füllung Euers Kellers her, wo ihr den Gaskognerwein bezogen habt,« fiel der Jude ein, »aber das hat hier zu sagen.«

»So etwas hören Christen mit an, und sie züchtigen den beschnittenen Hund nicht?« rief der Prior.

»Damit kommen wir nicht weiter,« sagte Locksley. »Sage uns, Isaak, was kann er bezahlen, ohne daß es ihm Schaden tut?«

»Sechshundert Kronen etwa kann der heilige Prior zahlen und sitzt dann noch ebenso warm wie zuvor,« antwortete Isaak.

»Sechshundert Kronen,« sagte der Hauptmann ernst. »Damit bin ich zufrieden. Du hast gut gesprochen, Isaak. – Sechshundert Kronen. Das ist gerecht und billig, Herr Prior.«

»Seid ihr toll, ihr Herren?« rief der Prior. »Wo sollte ich eine solche Summe hernehmen? Kaum die Hälfte könnte ich aufbringen und wenn ich die Leuchter und die silberne Monstranz der Abtei veräußerte! Auch muß ich dann vorher nach Jorlvaux, ihr könnt meine beiden Mönche als Pfand behalten.«

»Das wäre ein schlechtes Pfand,« versetzte der Hauptmann. »Nein, Prior, Euch wollen wir hier behalten und die Mönche nach dem Lösegeld schicken.«

»Wenn es Euch recht wäre,« sagte Isaak, der sich die Geächteten zu Freunden machen wollte, »so könnte ich um die sechshundert Kronen nach York schicken, ich habe gerade ein bißchen Geld zur Verfügung, der ehrwürdige Abt brauchte mir dann nur einen Wechsel darüber auszustellen.«

»Das soll er,« stimmte der Hauptmann bei, »und du sollst das Lösegeld für den Abt und für dich selber hier hinterlegen.«

»Für mich?« entgegnete der Jude. »Ach, ihr tapfern Herren ich bin ein armer ruinierter Mann, und auf immer brächtet ihr mich an den Bettelstab, wenn ich auch nur fünfzig Kronen an Euch zahlen sollte.«

»Darüber soll nun der Prior urteilen,« versetzte der Hauptmann. »Was meint Ihr, Prior Aymer, kann der Jude ein ordentliches Lösegeld zahlen?«

»Ob er zahlen kann!« versetzte der Abt. »Ist er nicht Isaak von York? Reich genug, daß er die zehn Stämme Israels aus der Gefangenschaft loskaufen könnte, die einst unter dem Joche der Assyrer schmachteten? Ich selber habe nur wenig davon gesehen, aber unser Kellermeister und unser Schatzmeister haben viel Geschäfte mit ihm abgeschlossen, sein Haus, sagen sie, stecke so voll von Gold und Silber, daß es eine wahre Schande sei für ein Christenland. Jedes christliche Herz muß sich darüber wundem, daß solche blutsaugenden Nattern an den Eingeweiden des Staates, ja selbst der heiligen Kirche mit ihrem Wucher saugen dürfen.«

»Haltet ein, Vater!« rief der Jude. »Laßt nach in Euerm Zorn! Ich bitte Euer Hochwürden, bedenket, daß ich ja doch niemand aufdränge mein Geld. Aber wenn geistliche und weltliche Fürsten, Ritter und Priester klopfen an die Tür Isaaks, so sind sie nicht so unhöflich, wenn sie von ihm haben wollen Geld. Dann heißt es wohl, Freund Isaak, willst du uns helfen? und: Guter Isaak, wenn du je ein Freund derer warst, die in Not sind, so hilf jetzt mir, der Zahltag soll pünktlich innegehalten werden, so wahr Gott lebt! – Kommt der Tag aber und fordre ich zurück mein Eigentum, so bin ich ein verdammter Jüd, der Fluch Ägyptens wird herabbeschworen über mein Volk!«

»Prior,« sagte der Hauptmann, »er ist nur ein Jude, aber darin muß ich ihm doch recht geben. – Setze also sein Lösegeld fest, wie er das deine festgesetzt hat, und laß die harten Worte beiseite.«

»So sage ich denn, Ihr tut Euch selber unrecht, wenn Ihr weniger als tausend Kronen von ihm fordert.«

»Gut gesprochen!« sagte der Hauptmann.

»Der Gott meiner Väter erbarme sich mein!« rief der Jude. »Wollt Ihr vollends zugrunde richten einen armen Mann? – Kinderlos bin ich schon – wollt Ihr mir auch noch nehmen, wovon ich friste mein Leben?«

»Wenn du keine Kinder hast,« sagte Prior Aymer, »so hast du auch weniger Sorgen.«

»Ihr könnt Euch freilich nicht denken, wie das Kind meiner Liebe mir liegt am Herzen! O Rebekka, Rebekka, Tochter meiner geliebten Rahel! – Wäre jedes Blatt auf diesem Baum eine Zechine und mein Eigentum, all diese Zechinen, all diesen Reichtum wollt ich hingeben, könnt' ich dich lebend befreien aus den Händen der Nazarenerl«

»Hatte nicht deine Tochter schwarzes Haar?« fragte einer der Geächteten. »Und trug sie nicht einen Schleier von seidnem Flor, der mit Silber durchwirkt war?«

»Jawohl, jawohl!« rief der alte Mann, der jetzt vor Begierde zitterte wie zuvor aus Furcht. »Der Segen Jakobs sei mit dir. – Kannst du mir sagen, daß sie ist in Sicherheit?«

»Sicherlich ist sie es gewesen,« sagte der Yeoman, »der stolze Templer hat so eine mitgenommen, als er gestern durch unsere Reihen brach. Ich wollte schon einen Pfeil abschießen, aber ich ließ es sein, weil ich fürchtete, ich könnte dem Mädchen Schaden tun.«

»Wollte Gott, du hättest ihn abgeschossen,« jammerte der Jude. »Und hätte er ihr den Busen durchbohrt! Besser sie läge im Grabe ihrer Väter als im Bette eines stolzen grausamen Templers! Ischobad! Ischobad! Vernichtet ist die Ehre meines Hauses!«

»Meine Freunde!« sagte Locksley. »Der alte Mann ist freilich nur ein Jude, aber sein Kummer rührt mich. – Isaak, sag uns ehrlich, wenn du uns tausend Kronen Lösegeld zahlst, bleibt dir dann gar nichts mehr?« Isaak dachte an seine irdischen Güter und seine Liebe zu ihnen war so groß, daß sie selbst seiner Vaterliebe den Rang streitig machte. Er erblaßte, stammelte und konnte nicht in Abrede stellen, daß ihm noch ein wenig bleiben würde.

»Gut,« sagte Locksley. – »was dir bleibt, wollen wir nicht in Anrechnung bringen. Ohne Geld kannst du deine Tochter ebensowenig aus den Klauen des Templers befreien, wie wir einen Königshirsch mit einem Pfeil ohne Kopf schießen können. Wir wollen von dir dasselbe Lösegeld nehmen wie von dem Abt, oder lieber noch hundert Kronen weniger. Es bleiben dir dann immer noch fünfhundert Kronen übrig, die du für deine Tochter verwenden kannst. Templer sind in den Glanz von Gold und Silber ebenso vernarrt wie in den von schwarzen Augen. Laß deine Kronen vor Bois-Guilberts Ohren erklingen, sonst geht es nicht gut. Du findest ihn, wie unsere Spione melden, im nächsten Präzeptorium seines Ordens.«

»Jude,« sagte Prior Aymer, »vielleicht könntest du mit einigen Gaben für den Altar des heiligen Robert Gnade finden für deine Tochter Rebekka. Das Mädchen dauert mich, denn sie ist schön und wohlgebaut, in den Schranken von Ashby habe ich sie gesehen. Denke darüber nach, wie du meine Fürsprache gewinnen magst, ich habe großen Einfluß auf Bois-Guilbert.«

»Wehe!« rief der Jude. »Überall dringen Räuber auf mich ein, ich bin eine Beute der Assyrer und Ägypter!« Er seufzte und rang die Hände, aber der Anführer der Geächteten nahm ihn zur Seite. »Überlege dir, Isaak,« sagte er, »was du in dieser Sache tun willst. Ich kann dir nur raten, mache dir den Mann der Kirche zum Freunde, er ist geizig und braucht viel, so kannst du leicht seine Gunst gewinnen. Denke ja nicht, daß ich dir glaube, was du mir von deiner Armut vorlügst. Ich kenne den eisernen Kasten, darin du deine Geldsäcke aufbewahrst, und ich kenne den großen Stein in deinem Garten zu York, wo es in das geheime Gewölbe hinuntergeht.« Der Jude wurde totenbleich. »Fürchte nichts von mir,« fuhr der Yeoman fort. »Wir sind alte Bekannte. Erinnerst du dich noch des kranken Yeoman, den deine schöne Tochter Rebekka aus dem Fußblock erlöste und zu Hause behielt, bis sie ihn gesund gepflegt hatte? Als ich ging, hast du mir noch eine Silbermünze mit auf den Weg gegeben. So sehr du auch ein Wucherer bist, nie hat dir Geld so gute Zinsen getragen als dieses Silberstück, heute hat es dir fünfhundert Kronen eingebracht.«

»So bist du der, den wir Diccon, den Bogenspanner nannten? Deine Stimme ist mir gleich bekannt vorgekommen.«

»Der bin ich, und heiße auch Locksley, und einen andern guten Namen habe ich auch noch.«

»Aber guter Bogenspanner,« sagte der Jude, »wegen des Gewölbes bist du im Irrtum. Es ist nichts weiter darin wie ein paar Waren, die ich gern mit dir teilen will – hundert Ellen grünes Tuch zu Wämsern für deine Leute, hundert Stöcke spanisches Rohr zu Bogen und schöne seidene Schnüre – ich will sie dir gern schicken, wenn du nur wegen des Gewölbes nichts verraten willst, ehrlicher Diccon.«

»Schweigen will ich wie das Grab,« sagte Locksley. – »Aber um deine Tochter ist mir bange und doch kann ich ihr nicht helfen. Du mußt die Klugheit zu Hilfe nehmen. Soll ich für dich mit dem Prior verhandeln?«

»In Gottes Namen, Diccon, wenn ich dadurch mein Kind wiederbekommen kann.«

»Prior Aymer,« sagte der Hauptmann, während ihm der Jude wie sein Schatten folgte, »kommt mit mir unter diesen Baum! Man sagt, Ihr liebet den Wein und das Lächeln der Weiber mehr, als Euerm Orden zukomme. Das kann mir aber einerlei sein. Auch weiß ich, daß Ihr schöne Hunde und stolze Pferde gern habt, auch einen Beutel voll Gold nehmt Ihr gern. Nie aber hörte ich von Euch sagen, daß Ihr ein Freund von Grausamkeit und Mißhandlung seid. Nun, hier steht Isaak, er will Euch hundert Mark in Silber geben, wenn Ihr den Templer durch Eure Fürsprache bestimmen wollt, daß er ihm seine Tochter wiedergebe.«

»In Züchten und Ehren, wie sie von mir geraubt wurde,« sprach der Jude, »sonst gilt der Handel nicht.«

»Schweig, Isaak!« rief der Geächtete; »oder ich mische mich nicht mehr in deine Sache. – Was sagt Ihr zu meinem Vorschlag, Prior Aymer?«

»Die Sache ist heikel,« sagte der Abt, »wenn ich auch einerseits eine gute Tat tue, so erweise ich sie andererseits doch einem Juden, aber wenn der Israelit etwas zum Bau unseres Schlafsaales geben will, so will ich es auf mein Gewissen nehmen, ihm in dieser Sache beizustehen.«

»Es kommt auf ein paar Dutzend Mark mehr oder weniger nicht an,« sagte der Hauptmann. »Schweig, Isaak, – auch nicht auf ein paar silberne Leuchter auf den Altar – wir wollen nicht mit Euch feilschen –«

«Aber guter Diccon!« unterbrach ihn Isaak.

»Guter Jude – gute Bestie!« rief der Yeoman. »Wenn du noch länger deine schmutzige Habsucht mit der Ehre und dem Leben deiner Tochter in die Wagschale tust, so will ich dich, ehe drei Tage um sind, jedes Pfennigs berauben, den du auf Erden dein eigen nennst.«

Isaak erschrak und schwieg.

»Und was bekomme ich zum Unterpfand?« fragte der Abt.

»Wenn Isaak durch Eure Vermittlung seinen Zweck erreicht,« sagte Locksley, »so schwöre ich bei dem heiligen Hubert, er soll Euch in gutem Silber bezahlen, sonst will ich mit ihm abrechnen, daß er wünschen soll, er hätte lieber zehnmal mehr gegeben.«

»Gut!« sagte Prior Aymer. »Wenn ich mich einmal in diese Sache mischen soll, so leihe mir deine Schreibtafel, Isaak – aber deine Feder will ich nicht benutzen, lieber fastete ich zwanzig Stunden! Woher bekomme ich aber eine andere?«

»Wenn Euer heiliges Gewissen nur gestattet, des Juden Schreibtafel zu benutzen,« sagte der Geächtete, »um eine Feder wollen wir nicht lange in Verlegenheit sein.« Und er spannte den Bogen und schoß eine wilde Gans, die eben an der Spitze eines ganzes Zuges zu ihren Häuptern vorüberflog. Vom Pfeil getroffen, fiel das Tier herab.

»Hier, Prior,« sagte der Hauptmann, »sind Kiele genug, daß die Mönche von Jorlvaux hundert Jahre lang versorgt wären, auch wenn sie Chroniken schrieben.«

Der Prior setzte sich und schrieb in Gemächlichkeit eine Epistel an Brian de Bois-Guilbert, versiegelte den Brief und gab ihn dem Juden mit den Worten: »Ich denke, hiermit wirst du in das Präzeptorium von Templestowe kommen und auch die Befreiung deiner Tochter erreichen, wenn du ein gutes Gebot machst, denn bedenke, der gute Ritter Bois-Guilbert gehört zu einer Brüderschaft, die nichts umsonst tut.«

»Gut, Prior,« sagte der Hauptmann, »nun will ich Euch nicht länger aufhalten, nur den Wechsel unterschreibt noch dem Juden, weil wir uns von ihm das Lösegeld für Euch mitbezahlen lassen wollen. Wenn mir zu Ohren kommt, daß Ihr Schwierigkeiten mit der Rückzahlung macht, so schwöre ich Euch bei der heiligen Jungfrau, ich brenne Euch Eure Abtei über dem Kopfe an, und käme ich deswegen zehn Jahre früher an den Galgen!« Mit weniger gutem Willen, als er eben den Brief an den Templer geschrieben hatte, schrieb der Abt von Jorlvaux den Wechsel über sein Lösegeld und versprach, pünktliche Zahlung zu leisten.

»Nun, Ihr Herren, bitte ich Euch,« sagte der Prior dann, »gebt mir meinen Zelter und meine Saumtiere wieder, auch laßt die ehrwürdigen Brüder, die mich begleitet haben, frei. Gebt mir die Juwelenringe, die goldenen Ketten und die kostbaren Kleider wieder, da ich Euch nun wie ein ehrlicher Gefangener mein Lösegeld bezahlt habe.«

»Eure Brüder, Herr Prior,« entgegnete Locksley, »sollen wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Es wäre ungerecht, sie zurückzubehalten, desgleichen Eure Pferde und Maultiere, auch sollt Ihr so viel Reisegeld bekommen, wie Ihr bis York braucht. Es wäre grausam, Euch der Mittel zum Reisen zu berauben. Was aber die Ringe, Ketten und den sonstigen Tand betrifft, so haben wir darin ein gar zartes Gewissen, und wir können es nicht übers Herz bringen, einen ehrwürdigen Herrn, der für die Eitelkeiten der Welt nichts übrig haben darf, einer so starken Versuchung auszusetzen, daß er derlei eitle Dinge trägt, die durch die Bestimmungen seines Ordens verpönt sind.« Dagegen war nichts zu machen, und da jetzt die Leute des Abtes herankamen, so ritt er mit ihnen davon, weniger prunkvoll freilich, als er gekommen war, dafür aber mehr wie ein echter schlichter schmuckloser Mann der Kirche.

Nun verblieb nur noch, daß man von dem Juden eine Sicherheit erhielt für das Lösegeld, das er für sich und den Abt bezahlte. Isaak stellte einen versiegelten Brief an einen Bruder seines Stammes zu York aus, in dem er die Anweisung gab, dem Überbringer die Summe von tausend Kronen und einige näher angegebene Waren auszuhändigen.

Von zwei Grünröcken begleitet, machte sich dann Isaak auf den Weg.

Der schwarze Ritter, der mit großem Anteil all diesen Vorgängen gefolgt war, nahm nun auch Abschied von den Geächteten. Er konnte nicht umhin, seiner Verwunderung Ausdruck zu geben, daß unter diesen gesetzlosen Menschen so viel Gesetz und Ordnung herrsche.

»Herr Ritter,« sagte der Hauptmann, »auf schlechten Bäumen wachsen manchmal gute Früchte, und unter denen, die in diesem gesetzwidrigen Zustande leben, sind manche, die es beklagen, ein solches Handwerk betreiben zu müssen.«

»Und ohne Frage spreche ich zu einem solchen?«

»Herr Ritter, wir haben jeder unser Geheimnis. Da ich aber nicht in das Eure zu dringen begehre, so laßt mich auch meines für mich behalten.«

»Verzeih' mir, wackrer Geächteter! dein Vorwurf ist berechtigt. Aber es fügt sich vielleicht, daß wir später einmal mit größerer Offenherzigkeit einander gegenübertreten. Einstweilen scheiden wir als Freunde?«

»Von ganzem Herzen!« versicherte Locksley mit festem Handschlag. »Hier meine Hand darauf, es ist die eines echten Engländers, wenn er auch jetzt ein Geächteter ist.«

»Und hier die meine!« versetzte der Ritter. »Sie schätzt es als Ehre, von der deinen gedrückt zu werden. – Wer Gutes tut, wo ihm doch die unumschränkte Macht zu Gebote steht, Böses zu tun, der muß nicht nur wegen des Guten gelobt werden, sondern auch wegen des Bösen, das er unterläßt. – Lebe wohl, tapferer Geächteter!«

So schieden die beiden Tapfern, und der Ritter vom Fesselschloß stieg auf sein gewaltiges Streitroß und ritt in den Wald hinein.


 << zurück weiter >>