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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Wer trüg' im Busen ein so hartes Herz,
Das unerfüllt vom allertiefsten Schmerz
Bei diesem fürchterlichen Unglück bliebe,
Zu sehen, wie ein edler, junger Mann
Zu einem Augenblick ward hingerafft
Bei einem Ritt auf unbekannter Bahn!

Gedicht in Risbet's Heraldry, V. 2.

 

Wir haben durch die Erwähnung von Bucklaws Genesung und Schicksalen dem Zeitlaufe vorgegriffen, damit wir nicht nöthig haben möchten, die Vorfälle zu unterbrechen, welche auf das Leichenbegängniß der unglücklichen Lucie Ashton folgten. Diese traurige Feierlichkeit wurde an einem nebeligen Herbstmorgen mit so wenig Pomp und Aufwand vollbracht, als man möglicher Weise nicht entbehren konnte. Eine kleine Zahl der nächsten Verwandten folgte ihrer Leiche zu dem nämlichen Kirchhof, wohin sie erst jüngst als Braut geführt worden war, damals vielleicht mit so wenig Willen, als sie jetzt in ihrem entseelten Zustande haben konnte. Der Chorgang der Kirche war von Sir William Ashton zum Familienbegräbniß eingerichtet worden, und hier wurden in einem Sarge, der weder Namen noch Datum trug, die Ueberreste derjenigen der Verwesung übergeben, die einst lieblich, schön und unschuldig war, obgleich eine lange und anhaltende Verfolgung sie zum Wahnsinn getrieben hatte. Während die Leidtragenden in dem Grabgewölbe beschäftigt waren, saßen die drei Dorfhexen, die trotz der ungewöhnlich frühen Stunde gleich Geiern die Leiche gerochen hatten, auf dem platten Grabsteine, mit ruchloser Unterhaltung beschäftigt.

»Hab' ich's nicht gesagt,« sagte Frau Gourlay, »daß auf die schöne Hochzeit bald eine schöne Leiche folgen würde?«

»Ich denke,« antwortete Frau Winnie, »es ist wenig Schönheit dabei, weder Essen noch Trinken, und grade nur ein paar Silberstüber für die Armen. Es war nicht der Mühe werth, einen so weiten Weg für so wenig auf unseren alten Beinen zu laufen.«

»Dummes Mensch!« versetzte Frau Gourlay, »können alle Leckerbissen, die sie uns geben, halb so gut schmecken, als so ein Augenblick der Vergeltung? Dieselben, die vor vier Tagen auf ihren geputzten Pferden groß thaten, gehen heute zu Fuß so trocken und so nüchtern wie wir. Sie glitzerten alle von Gold und Silber, und nun sind sie schwarz wie ein Feuerhaken. Und die Miß Lucie Ashton, die sich sträubte, wenn ein ehrliches Weib ihr nahe kam, heute kann sich eine Kröte auf ihren Sarg setzen, und sie kann sich nicht mehr fürchten, wenn sie quackt. Und die Lady Ashton hat jetzt Höllenfeuer in der Brust – und Sir William mit seinen Galgen, Scheiterhaufen und Ketten, wie gefallen ihm die Hexereien in seinem eigenen Hause?«

»Ist es denn wahr,« murmelte das gliederlahme Weib, »daß die Braut von bösen Geistern aus dem Bett und durch den Schornstein gerissen, und daß dem Bräutigam das Gesicht auf den Rücken gedreht worden ist?«

»Was kümmert's Euch, wer's gethan hat, und wie es gethan worden ist,« sagte Ailsie Gourlay, »aber ich halte es für keinen schlechten Spaß, und die Herren und Damen wissen das heute wohl.«

»Und ist es wahr,« sagte Annie Winnie, »weil Ihr doch Alles wißt, daß das Bild von dem alten Sir William Ravenswood auf den Tanzplan herunterkam, und einen Ringeltanz vor ihnen Allen ausführte?«

»Nein,« sagte Ailsie, »aber in die Halle kam das Bild, und ich weiß es wohl, wie es dahin kam, um ihnen eine Warnung zu geben, daß Hochmuth vor dem Fall kommt. Aber da giebt's noch einen seltsameren Spaß, Gevatterinnen, als die anderen waren, und der fängt grade jetzt dort in der Todtengruft an – habt ihr die zwölf Leidtrager gesehen, die mit Flor und Mantel paarweise die Treppe hinunterstiegen?«

»Was liegt uns daran, sie zu sehen?« sagte die andere Alte.

»Ich habe sie gezählt,« sagte die dritte mit der Lebhaftigkeit einer Person, welcher dies Schauspiel zu angenehm war, als daß sie es hätte übersehen können.

»Aber Ihr habt nicht gesehen,« sagte Ailsie, über ihre genauere Beobachtung frohlockend, »daß ein Dreizehnter unter ihnen ist, den Niemand kennt, und wenn alle Sprüche wahr sind, so ist einer in der Gesellschaft, der nicht mehr lange auf dieser Welt sein wird. Doch kommt fort, Gevatterinnen, denn wenn wir hier bleiben, so bin ich gewiß, daß man uns alles Böse, was daraus erfolgt, vorwerfen wird, und das Gute, das daraus kommt, keiner von ihnen braucht je darnach zu sehen.«

Und krächzend wie Raben, welche giftige Seuchen verkündigen, verließen die häßlichen Sibyllen den Kirchhof.

In der That, die Leidtragenden bemerkten, als die Bestattung beendigt war, daß ein Ueberzähliger unter ihnen sei, und man flüsterte sich diese Bemerkung leise zu. Der Verdacht fiel auf eine Person, welche in die nämlichen Trauerkleider wie die Anderen gehüllt war, und sich wie in einem Zustand von Fühllosigkeit gegen einen Pfeiler des Grabgewölbes lehnte. Die Verwandten der Familie Ashton drückten flüsternd ihr Erstaunen und Mißfallen über dies Eindringen aus, als sie von dem Colonel Ashton, der in Abwesenheit seines Vaters der Hauptleidträger war, unterbrochen wurden. »Ich weiß es,« sagte er flüsternd, »wer diese Person ist, er hat oder wird bald eine so große Ursache zu trauern haben als wir – laßt mich mit ihm reden, und stört nicht die Feierlichkeit durch unnöthigen Lärm.« Nachdem er dies gesagt hatte, verließ er die Gruppe seiner Verwandten, und indem er den unbekannten Leidträger beim Mantel faßte, sagte er mit unterdrückter Heftigkeit; »Folgt mir.«

Der Fremde, der bei dieser Stimme wie aus einer Erstarrung erwachte, folgte ihm unwillkürlich, und sie stiegen die zerfallene Treppe hinauf, die aus der Gruft nach dem Kirchhofe führte. Die anderen Leidträger folgten, doch machten sie an der Thüre des Grabgewölbes Halt, und beobachteten ängstlich die Bewegungen des Colonels Ashton und des Fremden, die jetzt in dem abgelegensten Theil des Kirchhofs unter dem Schatten eines Eibenbaumes enge mit einander verkehrten.

Zu diesem einsamen Orte hatte der Colonel Ashton den Fremden geleitet, sich dann umgewandt, und ihn mit ernster und ruhiger Stimme angesprochen: »Ich zweifle nicht, daß ich zu dem Herrn von Ravenswood spreche?« – Keine Antwort erfolgte. »Ich zweifle nicht, «begann der Colonel wieder, vor wachsender Leidenschaft zitternd, »daß ich zu dem Mörder meiner Schwester spreche?«

»Ihr habt mich nur zu wahr genannt,« sagte Ravenswood mit hohler, zitternder Stimme.

»Wenn Ihr bereuet, was Ihr gethan habt,« sagte der Colonel, »so mag Euch Eure Reue vor Gott nützen, bei mir wird sie Euch zu nichts helfen. Hier,« sagte er, ihm ein Papier gebend, »ist die Länge von meinem Schwert, und die Angabe von Zeit und Ort für das Zusammentreffen. Morgen um Sonnenaufgang, auf den Hügeln im Osten von Wolf's Hope.«

Der Herr von Ravenswood hielt das Papier in der Hand, und schien unschlüssig. Endlich sprach er: »Treibt nicht zu weiterer Verzweiflung einen Mann, der schon verzweifelt ist. Spart Euer Leben, weil Ihr's könnt, und laßt mich den Tod von anderer Hand suchen.«

»Das sollt Ihr nimmer, nimmer!« sagte Douglas Ashton. »Ihr sollt durch meine Hand fallen, oder den Untergang meiner Familie durch meinen Fall vervollständigen. Wenn Ihr mir offenen Zweikampf verweigert, dann ist kein Vortheil, den ich verschmähen werde, keine Schmach, womit ich Euch nicht beladen werde, bis der Name Ravenswood alles Ehrlose bezeichnen wird, wie er bereits schon alles Bübische bezeichnet.«

»Und das soll er nie,« sagte Ravenswood zornig, »wenn ich der letzte bin, der ihn führen muß, ich bin es denen schuldig, die ihn einst führten, daß der Name ohne Schandfleck erlösche. Ich nehme Euere Herausforderung, Zeit und Ort des Zusammentreffens an. Wir treffen uns hoffentlich allein?«

»Wir treffen uns,« sagte der Colonel Ashton, »allein, und allein wird der Ueberlebende vom Kampfplatz zurückkehren.«

»Dann sei Gott der Seele dessen gnädig, der fällt,« sagte Ravenswood.

»So sei es!« sagte der Colonel Ashton, »so weit kann meine Barmherzigkeit selbst für den Mann gehen, den ich mit dem gültigsten Grunde am stärksten hasse. Nun geht, denn man wird uns unterbrechen. Der Hügel am Seeufer östlich von Wolf's Hope – die Zeit Sonnenaufgang – unsere Schwerter unsre einzigen Waffen.«

»Genug,« sagte Ravenswood, »Ihr sollt nicht auf mich warten.«

So trennten sie sich, der Colonel Ashton gesellte sich den übrigen Leidträgern zu, und der Herr von Ravenswood nahm sein Pferd, das er an einem Baum hinter der Kirche gebunden hatte. Der Colonel Ashton kehrte mit den Leichengästen zum Schlosse zurück, doch unter einem Vorwand trennte er sich am Abend von ihnen, und nachdem er seinen Anzug gegen ein Reitkleid vertauscht hatte, ritt er nach Wolf's Hope, wo er sein Nachtquartier in dem kleinen Gasthofe nahm, um den Morgen sein Stelldichein nicht zu verfehlen.

Man weiß es nicht, wie der Herr von Ravenswood den Rest dieses unglücklichen Tages hinbrachte. Spät in der Nacht jedoch kam er zu Wolf's Crag an, und weckte seinen alten Diener Caleb Balderstone, der seine Rückkehr nicht mehr erwartet hatte. Unsichere und schwankende Gerüchte von dem traurigen Tode der Miß Ashton und von der geheimen Ursache desselben, hatten das Ohr des Alten erreicht, und ihn in Hinsicht des Einflusses, den dies auf das Gemüth seines Herrn haben müsse, mit der größten Unruhe erfüllt.

Das Benehmen Ravenswoods war nicht geeignet, diese Besorgnisse zu beschwichtigen. Auf des Kellermeisters ängstliches Zureden, daß er eine Erfrischung nehmen möchte, gab er zuerst keine Antwort, und dann verlangte er plötzlich und ungestüm Wein, von dem er gegen seine Gewohnheit in starken Zügen trank. Da der Alte sah, daß sein Herr nichts essen wollte, so bat er ihn inständig, ihm zu erlauben, daß er ihm nach seinem Zimmer leuchte. Erst nachdem das Gesuch drei- oder viermal wiederholt worden war, gab Ravenswood seine Einwilligung durch ein stummes Zeichen. Doch als Balderstone ihn nach einem Zimmer führte, das bequem eingerichtet war, und das er seit seiner Rückkehr gewöhnlich bewohnt hatte, blieb Ravenswood an der Schwelle plötzlich stehen.

»Nicht hier,« sagte er mürrisch, »zeigt mir das Gemach, worin mein Vater starb – worin sie schlief, als sie auf dem Schlosse waren.«

»Wer, Sir?« sagte Caleb, der zu sehr bestürzt war, um seine Geistesgegenwart zu behaupten.

»Sie, Lucie Ashton! – wollt Ihr mich tödten, Alter, indem Ihr mich zwingt, ihren Namen zu wiederholen?«

Caleb wollte etwas von der Unordnung des Zimmers sagen, aber die sichtbare Ungeduld in den Zügen seines Herrn legte ihm Schweigen auf, zitternd und schweigend leuchtete er ihm den Weg, stellte die Lampe auf den Tisch des ärmlichen Gemachs, und war im Begriff, das Bett in Ordnung zu bringen, als ihm sein Herr in einem Ton, der keinen Widerspruch erlaubte, gebot, fortzugehen. Der Alte zog sich zurück, nicht zur Ruhe, sondern zum Gebet, und schlich sich von Zeit zu Zeit zu der Thüre des Gemachs, um zu sehen, ob sich Ravenswood zur Ruhe begeben habe. Er hörte die schweren Tritte desselben auf dem Fußboden, die von tiefem Stöhnen unterbrochen wurden, er hörte es, wie er mit dem Absatz seiner schweren Stiefel den Boden stampfte, und erkannte in diesen Zeichen die Ausbrüche der heftigsten Verzweiflung. Der Alte glaubte, daß der Morgen, den er so sehnlich erwartete, nimmer dämmern wollte, doch die Zeit, die gleichmäßig verfließt, wie flüchtig oder wie zögernd sie auch der menschlichen Vorstellung erscheinen mag, brachte endlich die Dämmerung herbei, und ließ den weiten Ocean im Morgenroth schimmern. Es war Anfangs November und das Wetter war heiter für die Jahreszeit. Der Wind hatte während der Nacht von Osten geweht, und wälzte die Flut näher gegen die Klippen, worauf das Schloß stand.

Beim ersten Morgenschimmer begab sich Caleb Balderstone wieder zu der Thüre von Ravenswoods Schlafgemach. Durch eine Ritze derselben sah er ihn damit beschäftigt, zwei oder drei Schwerter zu messen, die in einem anstoßenden Cabinette lagen, und er hörte ihn, als er eine dieser Waffen erwählte, die Worte murmeln: »Es ist kürzer – mag er diesen Vortheil haben, wie er jeden andern hat.«

Aus diesem Allem erkannte Caleb Balderstone nur zu wohl, was sein Herr vorhabe, und wie vergeblich seine Dazwischenkunft sein müsse. Kaum hatte er die Zeit, sich von der Thüre zurückzuziehen, so schnell trat sein Herr aus dem Gemach, um nach dem Stalle hinunterzugehen. Der treue Diener folgte, und durch den unordentlichen Anzug und die hohlen Blicke seines Herrn wurde seine Vermuthung bestätigt, daß derselbe die Nacht ohne Schlaf und Ruhe hingebracht habe. Er fand ihn damit beschäftigt, sein Pferd zu satteln, und mit stotternder Stimme und zitternden Händen bat er ihn, dies Geschäft ihm zu überlassen. Ravenswood lehnte seinen Beistand durch ein stummes Zeichen ab. Er führte sein Thier in den Hof, und war gerade im Begriff aufzusteigen, als der alte Diener, dessen Furcht nun der Haupteigenschaft seines Gemüthes, der festen Treue gewichen war, sich zu Ravenswood's Füßen warf, und die Kniee desselben umfaßte, während er ausrief: »Ach, Sir! ach, Herr! tödtet mich, wenn Ihr wollt, aber geht nicht diesen gefährlichen Gang! Ach, mein lieber Herr, nur heute wartet noch – der Marquis von A– kommt morgen, und Alles wird gut werden.«

»Ihr habt keinen Herrn mehr, Caleb,« sagte Ravenswood, indem er sich bestrebte, sich loszumachen, »wollt Ihr Euch an einem einstürzenden Thurme festhalten, alter Mann?«

»Ja, ich habe einen Herrn,« schrie Caleb, ihn immer festhaltend, »so lange der Erbe von Ravenswood athmet. Ich bin nur ein Diener, aber ich ward geboren, Eures Vaters, Eures Großvaters Diener zu sein, ich wurde für die Familie geboren, ich habe für sie gelebt, ich möchte für sie sterben! – Bleibt nur heute zu Haus, und Alles wird gut gehen!«

»Gut, Thor! gut?« sagte Ravenswood, »thörichter Alter, in diesem Leben wird nichts Gutes mehr für mich sein, und glücklich ist die Stunde, die ihm ein Ende macht!«

So sprechend machte er sich von dem Alten los, schwang sich auf sein Pferd, und ritt zum Thor hinaus, doch alsobald kehrte er um und warf Caleb, der eiligst ihm entgegen kam, eine schwere Goldbörse zu.

»Caleb!« sagte er mit einem unheimlichen Lächeln, »ich mache Euch zu meinem Testamentsvollstrecker.« Und nachdem er den Zügel wieder gewandt hatte, nahm er seinen Weg den Hügel hinab.

Das Gold fiel unbeachtet auf das Pflaster, denn der Alte rannte, den Weg zu sehen, den sein Herr nehme. Er sah, daß er links einen schmalen und verschütteten Pfad hinunterritt, der durch eine Felsenspalte zum Seeufer und zu einer Bucht führte, wo in vorigen Zeiten die Boote des Schlosses zu ankern pflegten. Nachdem Caleb ihn diese Richtung nehmen gesehen hatte, lief er nach den östlichen Zinnen, von wo man den ganzen Sand fast bis zum Dorfe Wolf's Hope übersah. Deutlich sah er seinen Herrn in dieser Richtung reiten, so schnell das Pferd ihn tragen konnte. Die Prophezeiung fiel Balderstone plötzlich ein, daß der Lord von Ravenswood in der Kelpiesfluth umkommen würde, die sich halbwegs zwischen dem Thurme und den Sandhügeln, nordwärts von Wolf's Hope befand. Er sah ihn den verhängnißvollen Ort erreichen, aber er sah ihn nicht mehr über denselben hinaus.

Der Colonel Ashton, vor Rachsucht wüthend, war schon im Feld. Er durcheilte das Moorland mit Ungestüm und warf ungeduldige Blicke nach dem Thurme, ob sein Gegner bald erschiene. Die Sonne war aufgegangen und ihre große Scheibe zeigte sich im Osten über der See, so daß er leicht den Reiter bemerken konnte, der mit einer Eile, die der seinigen nichts nachgab, auf ihn zuritt. Mit einmal wurde die Gestalt unsichtbar, als wäre sie in die Lüfte verschwunden. Er rieb sich die Augen, als wenn er eine Erscheinung gesehen hätte, und eilte dann dem Orte zu, in dessen Nähe sich Balderstone zu ihm gesellte, der von der anderen Seite herbeikam. Man fand keine Spur mehr von Roß oder Reiter, man bemerkte nur, daß die letzten Winde und die hohe Fluth das gewöhnliche Bereich des Triebsandes sehr ausgedehnt, und daß der unglückliche Reiter, wie die Spuren des Huftritts bewiesen, in seiner ungestümen Eile den festen Sand an dem Fuße des Felsens verfehlt, und den kürzesten und gefährlichsten Weg genommen hatte. Ein einziges Zeichen seines Schicksals wurde entdeckt. Eine große schwarze Feder von seinem Hute wurde von den spielenden Wellen und der schwellenden Fluth zu Calebs Füßen getrieben. Der alte Mann hob sie auf, trocknete sie, und steckte sie in seinen Busen.

Die Bewohner von Wolf's Hope wurden nun zu Hülfe gerufen, und versammelten sich am Orte, einige am Ufer, andere in ihren Booten, aber ihr Suchen führte zu nichts. Der tiefe Triebsand gab, wie es in einem solchen Fall zu sein pflegt, seine festerfaßte Beute nicht zurück.

Unsere Erzählung geht zu Ende. Der Marquis von A– durch die fürchterlichen Gerüchte, die umliefen, erschreckt, und um das Wohl seines Verwandten besorgt, kam den folgenden Tag an, um seinen Verlust zu betrauern, und nachdem er ohne Erfolg die Nachsuchung nach dem Leichnam erneuert hatte, kehrte er heim, um in dem Geräusche der Staatsgeschäfte das, was vorgefallen war, zu vergessen.

Nicht so Caleb Balderstone. Wenn weltlicher Vortheil den alten Mann hätte trösten können, er war in seinem letzten Alter besser damit versehen, als in früheren Jahren. Aber das Leben hatte seinen Reiz und Geschmack für ihn verloren. All sein Denken und Fühlen, sein Hoffen und Fürchten, sein Vergnügen und Leiden hatte seinen Ursprung in der engen Verbindung mit der Familie, die nun erloschen war. Er hielt sein Haupt nicht länger aufrecht, er entsagte seinen gewöhnlichen Gängen und Beschäftigungen, und schien nur Vergnügen darin zu finden, in den Gemächern des alten Schlosses herumzuschleichen, die der Herr von Ravenswood zuletzt bewohnt hatte. Er aß ohne Stärkung, er schlummerte ohne Erfrischung, und mit einer Treue, die oft von Hunden und selten von Menschen gezeigt worden ist, härmte er sich und starb innerhalb des Jahres, das auf den erzählten Unglücksfall folgte.

Die Familie Ashton überlebte nicht lange die von Ravenswood. Sir William Ashton überlebte seinen ältesten Sohn, den Colonel, der in Flandern in einem Zweikampf fiel, und Heinrich, der ihn beerbte, starb unverheirathet. Lady Ashton wurde sehr alt, und überlebte allein alle die unglücklichen Personen, die ihr Mißgeschick ihrer Unversöhnlichkeit verdankten. Daß sie innerlich Reue gefühlt, und sich mit dem Himmel, den sie beleidigt hatte, versöhnt haben möge, wir können und wollen es nicht läugnen, doch die Personen ihrer Umgebung bemerkten nicht das geringste Zeichen weder von Reue noch Gewissensbissen. Allem äußeren Anschein nach bewahrte sie den nämlichen kühnen, stolzen, unbändigen Charakter, den sie vor diesen unglücklichen Ereignissen gezeigt hatte. Ein prächtiges Marmordenkmal zeigt ihren Namen, Titel und ihre Tugenden an, während ihre Opfer unbezeichnet liegen von Grabmal und Epitaph.

 

Ende


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