Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel.

Liebreizender in ihrer Einsamkeit
– alt am griech'schen Bache
Najaden sind und am romant'schen Ufer
Das einsam wohnende Fräulein vom See.

Wordsworth.

 

Die Gedanken Ravenswoods waren von sehr gemischter Art. Er befand sich auf einmal in der Verlegenheit, die er seit einiger Zeit vorausgeahnet hatte. Das Wohlbehagen, das er in Luciens Gesellschaft fühlte, grenzte an's Zauberische, dennoch hatte er den inneren Widerwillen nicht ganz besiegen können, mit der Tochter seines Feindes zu verkehren; ja, obgleich er Sir William Ashton die Unbilde, die seine Familie durch denselben erfahren hatte, vergab, und obgleich er ihm sein Vertrauen schenkte für die guten Absichten, die derselbe gegen ihn zu nähren bekannte, dennoch vermochte er es nicht, eine Vereinigung zwischen den beiden Häusern für möglich anzusehen. Indeß er fühlte, daß Alice wahr spräche, und daß seine Ehre es erheische, Ravenswood Castle augenblicklich zu verlassen, oder sich als Freier von Lucie Ashton zu zeigen. Die Möglichkeit, abgewiesen zu werden, wenn er dem reichen und mächtigen Vater seinen Antrag machte, die Möglichkeit, verworfen zu werden, wenn er um eine Ashton freie – das wäre für ihn ein zu empfindlicher Ausgang gewesen. »Ich will ihr wohl,« sprach er zu sich selbst, »und ihretwegen vergesse ich die Unbilde, die ihr Vater meinem Hause angethan hat, aber ich will sie nimmer – ja nimmer wieder sehen.«

Mit einem bittern Gefühl faßte er diesen Vorsatz, grade als er sich an dem Orte befand, wo zwei Pfade sich schieden, der eine führte zum Nixenbrunnen, wo er wußte, daß Lucie auf ihn wartete, der andere auf einem Umweg nach dem Schlosse. Er hielt einen Augenblick inne, als er eben den letzten Pfad einschlagen wollte, und er daran dachte, was für eine Entschuldigung er für ein Betragen, das nothwendig auffallen müsse, geben wolle, und er murmelte vor sich: »Plötzliche Nachrichten von Edinburgh – jeder Vorwand wird gut sein – nur nicht lange hier gezögert,« als auf einmal der junge Heinrich auf ihn zugelaufen kam, und ihm keuchend zurief: »Herr, Herr, Ihr müßt Lucie auf's Schloß heimführen, denn ich habe keine Zeit. Norman wartet auf mich, ich will ihn auf seiner Runde begleiten, und ich nähme keinen Jakobus dafür, wegzubleiben. Lucie fürchtet sich, allein nach Hause zu gehen, obgleich die wilden Ochsen alle geschossen sind, und so müßt Ihr gleich herbeikommen.«

Wenn die zwei Wagschalen gleich beladen sind, so kann das Gewicht einer Feder den Ausschlag geben. »Es ist mir unmöglich, die junge Lady allein im Walde zu lassen,« sagte Ravenswood, »sie noch einmal zu sehen, will wenig heißen, nachdem wir so oft beisammen gewesen sind – dann will es auch die Höflichkeit, daß ich ihr meinen Vorsatz, das Schloß zu verlassen, mittheile.«

Und als er es sich so bewiesen hatte, daß er nicht nur einen weisen, sondern auch einen notwendigen Schritt thäte, nahm er den Weg nach dem verhängnisvollen Brunnen. Heinrich hatte ihn kaum die Richtung nach seiner Schwester nehmen sehen, als er wie der Blitz in einer anderen Richtung verschwand, um sich in der Gesellschaft des Försters des Jagdvergnügens zu erfreuen. Ravenswood nahm sich nicht Zeit, sein Betragen noch einmal zu überlegen, und wandelte mit schnellem Schritte zu der Quelle, wo er Lucie einsam bei den Trümmern sitzend fand.

Sie saß auf einem der zerstreuten Steine des alten Brunnens, und schien mit Aufmerksamkeit den hellen und glänzenden Bach zu betrachten, der unter dem gerippten, dunklen Gewölbe, womit Ehrfurcht oder Reue seine Quelle bedeckt hatte, zum Tageslichte hervorschoß. Einem abergläubischen Auge hätte Lucie Ashton, in ihren Plaidmantel gehüllt, mit ihrem langen Haar, das zum Theil dem Bande entwischend, über ihren Silbernacken fiel, das Bild der gemordeten Nymphe der Quelle gewährt. Aber Ravenswood sah nur ein ausgezeichnet schönes Weib, das – wie konnte es anders sein? – für ihn noch schöner wurde, da er wußte, daß sie ihn liebe. Als er sie anblickte, fühlte er seinen Vorsatz wie Wachs an der Sonne schmelzen, und darum eilte er aus dem Dickicht hervor, das ihn verbarg. Sie grüßte ihn, ohne sich von dem Steine, worauf sie saß, zu erheben.

»Mein Bruder, der Tollkopf,« sagte sie, »hat mich verlassen, aber ich erwarte ihn in ein Paar Minuten zurück, denn glücklicherweise, da ihm Alles für eine Minute gefällt, so gefällt ihm Nichts länger.«

Ravenswood fühlte sich nicht stark genug, Lucien zu erklären, daß ihr Bruder einen weiten Gang beabsichtige, und sobald nicht zurückkommen werde. Er setzte sich nieder auf das Gras in einiger Entfernung von Miß Ashton, und beide blieben eine Weile schweigend.

»Ich liebe diesen Platz,« sagte Lucie endlich, gleich als wenn dies Schweigen sie verlegen mache, »das schäumende Sprudeln der klaren Quelle, das Rauschen der Bäume, der Ueberfluß von Gras und wilden Blumen, von denen die Trümmer umgeben sind, machen den Ort romantisch. Ich habe gehört, daß er in der Legende vorkomme, die ich so sehr liebe.«

»Man hat ihn,« antwortete Ravenswood, »für einen meiner Familie Verderben bringenden Ort ausgegeben, und ich habe einige Ursache, ihn so zu nennen, denn es war hier, wo ich zum ersten Male Miß Ashton sah, und es ist hier, wo ich für immer Abschied von ihr nehme.«

Das Blut, welches der Anfang seiner Rede auf Luciens Wangen rief, wurde durch das Ende derselben bald verscheucht.

»Abschied von uns nehmen, Herr!« rief sie aus, »was ist vorgefallen, daß Ihr so fort eilt? – Ich weiß, Alice haßt – ich meine, liebt meinen Vater nicht – und ich habe ihre Laune heute nicht wohl verstanden, sie war so geheimnißvoll. Doch ich weiß, daß mein Vater für den großen Dienst, den Ihr uns erwiesen habt, von Herzen dankbar ist. Laßt mich hoffen, daß wir Eure Freundschaft, die wir schwer gewonnen haben, nicht so leicht verlieren.«

»Sie verlieren, Miß Ashton?« sagte der Herr von Ravenswood. »Nein, wohin auch das Schicksal mich ruft, was es auch über mich verhängt, es ist Euer Freund, Euer aufrichtiger Freund, der handeln oder leiden wird. Doch ein Verhängniß bedrohet mich, und ich muß gehen, oder ich werde das Verderben Anderer zu meinem eigenen fügen.«

»Nein, geht nicht von uns, Herr,« sagte Lucie, indem sie ihn mit kindlicher Unschuld am Saum seines Kleides faßte, als wolle sie ihn zurückhalten. »Ihr dürft uns nicht verlassen. Mein Vater ist einflußreich, er hat Freunde, die es noch mehr sind, als er – gehet nicht, bis Ihr sehet, was seine Dankbarkeit für Euch thut. Glaubet mir, daß er bereits für Euch bei dem Staatsrathe Schritte thut.«

»Das kann sein,« sagte Ravenswood stolz, »aber nicht Eurem Vater, Miß Ashton, sondern meinen eigenen Bemühungen möchte ich den Erfolg in der Laufbahn verdanken, in die ich zu treten gedenke, meine Voranstalten sind bereits gemacht – ein Schwert und ein Mantel, ein kühnes Herz und eine rüstige Hand.«

Lucie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, aber ihre Thränen drängten sich zwischen den Fingern hervor. »Verzeiht mir,« sagte Ravenswood, indem er ihre rechte Hand faßte, die sie ihm nach einigem Sträuben überließ, während sie fortfuhr, ihr Gesicht mit der linken zu bedecken, »ich bin zu schroff, zu hart, zu unbiegsam, um mit einem so sanften und lieblichen Wesen, wie Ihr seid, zu verkehren. Vergesset, daß eine so finstere Erscheinung Euren Lebenspfad durchkreuzt hat – und laßt mich meine Straße ziehen, denn ich bin gewiß, daß mir nach der Trennung von Euch kein größeres Unglück mehr begegnen kann.«

Lucie weinte fort, aber ihre Thränen waren weniger bitter. Jeder Versuch, den Ravenswood machte, ihr seinen Entschluß, abzureisen, zu erklären, war nur ein neuer Beweis seines Wunsches zu bleiben, bis er ihr endlich, anstatt Abschied zu nehmen, das Gelübde ewiger Treue gab, und das ihrige dagegen empfing. Das Alles geschah so schnell, und entsprang so unmittelbar aus der Gewalt des Augenblickes, daß, ehe noch der Herr von Ravenswood über die Folgen dieses Schrittes nachdenken konnte, ihre Hände und ihre Lippen die Aufrichtigkeit ihrer Neigung bekräftigt hatten.

»Und nun,« sagte er, nach kurzer Ueberlegung, »geziemt es sich, daß ich mit Sir William Ashton spreche – er muß unser Bündniß kennen lernen. Es soll nicht scheinen, als ob Ravenswood unter seinem Dache wohne, um heimlich die Liebe seiner Tochter zu gewinnen.«

»Ihr wolltet darüber mit meinem Vater sprechen?« sagte Lucie besorglich, und fügte dann wärmer hinzu: »O thut es nicht – thut es nicht! Wartet, bis das Loos Eures Lebens entschieden ist – bis Euer Stand und Eure Aussichten bekannt sind, und dann wendet Euch an meinen Vater. Ich weiß, er liebt Euch – ich glaube, er wird einwilligen – aber dann meine Mutter; –«

Sie hielt inne, und schämte sich, den Zweifel, den sie fühlte, auszudrücken, ob ihr Vater in einer so wichtigen Angelegenheit es wagen würde, einen festen Entschluß ohne die Genehmigung seiner Gemahlin zu fassen.

»Eure Mutter, meine Lucie?« versetzte Ravenswood, »sie ist aus dem Hause der Douglas, die sich mit dem meinigen verheirathet haben, als ihr Glanz und ihre Macht auf's Höchste gestiegen waren – was könnte Eure Mutter gegen eine Verbindung mit mir einwenden?«

»Ich sprach nicht von einwenden,« sagte Lucie, »aber sie ist eifersüchtig auf ihre Rechte, und könnte es fordern, daß man sie in ihrer Eigenschaft als Mutter zuerst anspreche.«

»Sei es so,« versetzte Ravenswood, »London ist weit, aber innerhalb vierzehn Tagen kann sie einen Brief erhalten und beantworten – ich will den Lord Keeper nicht drängen, mir einen augenblicklichen Bescheid auf meinen Antrag zu geben.«

»Aber,« sagte Lucie zögernd, »wäre es nicht besser zu warten – nur ein Paar Wochen zu warten? – Wenn meine Mutter Euch gesehen – Euch kennen gelernt hätte – ich bin gewiß, sie würde einwilligen, aber sie kennt Euch nicht persönlich, und der alte Familienstreit –«

Ravenswood richtete sein scharfes, dunkles Auge auf sie, als wenn er ihr Inneres zu erforschen sich bestrebe.

»Lucie,« sagte er, »ich habe Euch meine lang genährten Rachepläne geopfert, die ich mir mit wenig besseren als heidnischen Ceremonien beschworen hatte – ich habe sie in Eurem Bilde geopfert, ehe ich noch den inneren Werth desselben kannte. Den Abend, der auf meines armen Vaters Begräbniß folgte, schnitt ich eine Locke meines Haares ab, und während sie im Feuer verbrannte, schwur ich, meine Feinde mit heißer Rache zu verfolgen, bis dieselben vor mir zerstäuben würden wie dies verschrumpfte Sinnbild der Vernichtung.«

»Es war eine Todsünde,« sagte Lucie erblassend, »ein so schreckliches Gelübde zu thun.«

»Ich bekenne es,« sagte Ravenswood, »und es wäre ein noch größeres Verbrechen gewesen, es zu halten. Um Euretwillen gab ich diese Rachepläne auf, obgleich ich es kaum wußte, daß dies der Grund war, der mich bestimmte, bis ich Euch ein zweites Mal sah, und des Einflusses, den Ihr über mich besitzet, gewiß wurde.«

»Und wie möget Ihr nun,« sagte Lucie, »so schrecklicher Gedanken erwähnen, die sich so wenig mit der Gesinnung vertragen, die Ihr mir offenbart habt, und mit der, die Ihr mich genöthigt habt, Euch zu bekennen?«

»Weil ich es wünsche,« sagte ihr Liebhaber, »daß Ihr den Preis kennen lernet, wofür ich Eure Liebe erkauft habe – das Recht, das ich habe, Eure Standhaftigkeit zu erwarten. Ich sage nicht, daß ich die Ehre meines Hauses, meinen letzten Besitz, dafür in Tausch gegeben habe, aber obwohl ich es weder sage noch denke, verhehle ich es mir nicht, daß die Welt Beides thun wird.«

»Wenn das Eure Gesinnung ist,« sagte Lucie, »so habt Ihr ein grausames Spiel mit mir getrieben. Doch es ist noch nicht zu spät, davon abzustehen. Nehmt Euer Versprechen, das Ihr, ohne die Ehre Eures Hauses zu erniedrigen, nicht geben konntet, zurück – betrachtet das Vergangene wie nicht geschehen – vergeßt mich – ich will mich bemühen, mich selbst zu vergessen.«

»Ihr thut mir Unrecht,« sagte der Herr von Ravenswood, »bei Allem, was mir hoch und heilig ist, Ihr thut mir das größte Unrecht. Wenn ich des Preises gedachte, womit ich Eure Liebe erkaufte, so geschah es, um Euch zu zeigen, wie hoch ich dieselbe schätze, um das Band der Treue noch fester zu knüpfen, und um Euch zu zeigen, wie peinlich es für mich sein müsse, wenn Ihr je Eure Treue brechen solltet.«

»Und wie, Ravenswood,« antwortete Lucie, »könntet Ihr dies für möglich halten? – Wie wolltet Ihr nur an eine Untreue von meiner Seite denken? – Ist es darum, weil ich Euch bat, mit Eurem Antrag bei meinem Vater noch eine kurze Zeit zu warten? Bindet mich durch jedes Gelübde, das Ihr für gut haltet, wenn Gelübde zur Treue nichts hinzufügen, so können sie doch den Argwohn vermindern.«

Ravenswood vertheidigte und entschuldigte sich, ja er warf sich ihr zu Füßen, um ihren Unwillen zu begütigen, und Lucie, die eben so versöhnlich als offenherzig war, vergab ihm bald die Beleidigung, die er ihr durch seinen größern Zweifel zugefügt hatte. Der Streit jedoch endigte damit, daß die Liebenden eine sinnbildliche Ceremonie des Treuegelöbnisses vollzogen, von der man noch heute bei dem Volke Spuren findet. Sie zerbrachen zusammen das dünne Goldstück, welches Alice von Ravenswood nicht hatte annehmen wollen.

»Und nie soll das von meinem Busen kommen,« sagte Lucie, als sie einen Theil des Goldstücks um ihren Hals hing, und es mit ihrem Halstuche bedeckte, »bis Ihr, Edgar Ravenswood, mich auffordert, es Euch zurückzugeben – und, so lange ich es trage, soll mein Herz keine andere Liebe bekennen, als für Euch.«

Unter ähnlichen Betheuerungen hing Ravenswood den anderen Theil der Goldmünze auf sein Herz. Und nun endlich fiel es ihnen ein, daß die Zeit während ihres Zwiegespräches schnell verlaufen sei, und daß man auf dem Schlosse ihre Abwesenheit wenigstens bemerken würde, wenn man nicht darüber beunruhigt wäre. Als sie sich erhoben, um die Quelle, die Zeuge ihres gegenseitigen Versprechens gewesen war, zu verlassen, pfiff ein Pfeil durch die Luft, und traf einen Raben auf dem dürren Ast einer alten Eiche, in deren Nähe sie gesessen hatten. Der Vogel flatterte eine kleine Strecke, und fiel zu den Füßen Luciens nieder, deren Kleid er mit einigen Blutstropfen bespritzte.

Miß Ashton war sehr erschrocken, und Ravenswood sah sich befremdet und verdrießlich nach allen Seiten nach dem Schützen um, der ihnen einen eben so unerwarteten als unerwünschten Beweis von seiner Kunst abgelegt hatte. Derselbe war bald entdeckt, es war kein Anderer, als Heinrich Ashton, der mit einer Armbrust in der Hand herbeigesprungen kam.

»Ich wußte, daß ich Euch erschrecken würde,« sagte er, »und wißt ihr, ihr sahet so vertieft aus, daß ich glaubte, er würde euch auf den Kopf fallen, ehe ihr es merktet. – Was hat der Herr zu dir gesagt, Lucie?«

»Ich sagte zu Eurer Schwester, was für ein loser Schelm Ihr wäret, daß Ihr uns hier so lange warten ließet,« sagte Ravenswood, um Lucie aus der Verlegenheit zu bringen.

»Ihr habt auf mich gewartet? Ich hab' Euch doch gesagt, daß Ihr Lucie nach Hause führen solltet, und daß ich mit dem alten Norman die Runde im Hayberry-Dickicht machen wollte, und Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß man dazu eine gute Stunde braucht, und wir haben alle Spuren der Hirsche gewonnen, während Ihr hier mit Lucien sitzet, wie ein rechter Faullenzer.«

»Gut, gut, Mr. Heinrich,« sagte Ravenswood, »doch laßt sehen, wie Ihr es verantwortet, daß Ihr Raben tödtet. Wißt Ihr nicht, daß alle Raben unter dem Schutze des Lords von Ravenswood stehen, und daß es Unglück bringt, einen derselben in ihrer Gegenwart zu tödten?«

»Norman sagt das auch,« versetzte der Knabe, »er hat mich begleitet auf einen Pfeilschuß weit von Euch, und er hat gesagt, daß er nie einen Raben nahe bei den Leuten so still sitzen gesehen habe, und er hat gewünscht, daß es gutes Glück bedeuten möge, denn der Rabe ist einer der wildesten Vögel, die fliegen, wenn's kein zahmer ist – und so schlich ich mich langsam heran bis auf sechsunddreißig Schritte, und dann sauste der Pfeil davon, und da liegt er ganz und gar! – War das kein guter Schuß? – und, ich kann sagen, ich habe nicht mit der Armbrust geschossen – vielleicht nicht mehr als zehnmal.«

»Vortrefflich geschossen in der That,« sagte Ravenswood, »und Ihr werdet ein guter Schütze werden, wenn Ihr Euch tüchtig übt.«

»Norman sagt das grade auch,« antwortete der Knabe, »doch ich weiß, daß es nicht mein Fehler ist, wenn ich mich nicht genug übe, denn aus freien Stücken würde ich nichts Anderes thun. Nur mein Vater und mein Hofmeister werden zuweilen böse, und Miß Lucie gibt sich auch viel Mühe wegen meines Fleißes, obgleich sie selbst den lieben, langen Tag müßig am Brunnen sitzen kann, wenn sie einen schönen, jungen Herrn bei sich hat, der mit ihr plaudert – ich habe mehr als zwanzig Mal gesehen, daß sie dies gethan hat.«

Der Knabe sah, während er sprach, seine Schwester an und hatte bei seinem muthwilligen Geschwätze Gefühl genug, zu merken, daß er ihr wirklich Leid zufüge, ohne jedoch die Ursache oder den Grad desselben begreifen zu können.

»Komm her, Lucie,« sagte er, »und betrübe dich nicht, und wenn ich ein Wort zu viel gesagt habe, will ich es wieder zurücknehmen – und was liegt dem Herrn von Ravenswood daran, wenn du hundert Herzallerliebste hast? – Drum laß die Finger von den Augen – und gut.«

Der Herr von Ravenswood war für den Augenblick kaum erfreut über das, was er hörte, doch sein guter Verstand betrachtete es natürlich als das Geschwätz eines verzogenen Knaben, der seine Schwester von einer Seite anzugreifen strebte, wo es ihr gerade jetzt am empfindlichsten sein mochte. Doch, obwohl er ein Gemüth hatte, das Eindrücke eben so schwer aufnahm als fahren ließ, so erfüllte das Geschwätz Heinrichs seine Seele mit einer Art von Argwohn, seine eingegangene Verbindung möchte ihn am Ende dem Schicksale eines besiegten Feindes bei einem römischen Triumph aussetzen, wo der Gefangene dem Wagen des Siegers folgte, der seinen Ehrgeiz auf Unkosten des Besiegten zu sättigen strebte. Es war hier, wir wiederholen es, für allen solchen Argwohn kein Grund vorhanden, auch konnte man nicht sagen, daß er ihn für einen Augenblick ernstlich genährt habe. In der That, es war unmöglich, in das klare, blaue Auge von Lucie Ashton zu sehen, und den geringsten Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit länger zu unterhalten. Indeß Stolz und Armuth zusammen mochten ein Gemüth argwöhnisch machen, das in glücklicheren Umständen diesem Fehler, so wie jeder anderen Gemeinheit fremd geblieben sein würde.

Sie erreichten das Schloß, wo Sir William Ashton, über ihr langes Ausbleiben beunruhigt, sie in der Halle erwartete.

Wäre Lucie, sagte er, in irgend einer andern Gesellschaft gewesen, als in der eines Mannes, der es bewiesen habe, daß er vollkommen die Macht besitze, sie zu beschützen, so bekenne er, daß er sehr beunruhigt gewesen sein würde, und daß er Leute abgeschickt haben würde, sie aufzusuchen. Aber in der Gesellschaft des Herrn von Ravenswood habe seine Tochter, wie er wisse, nichts zu fürchten.

Lucie begann, sich wegen ihres langen Ausbleibens zu entschuldigen, aber da ihr Gewissen nicht frei war, so wurde sie bald verwirrt, und als Ravenswood, der ihr zu Hülfe kam, die Erklärung vervollständigen wollte, verwirrte er sich nur in dieselbe Unordnung; er glich einem Manne, der seinen Gefährten aus dem Sumpfe zu ziehen strebt, und der sich selbst in den zähen Schlamm verstrickt. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Verlegenheit des jungen Liebespaares der Aufmerksamkeit des feinen Staatsmannes entging, den Stand und Gewohnheit gleich befähigte, der menschlichen Natur durch alle Windungen nachzuspähen. Doch es gehörte nicht zu seiner jetzigen Politik, das, was er sah, zu bemerken. Sein Wunsch war, den Herrn von Ravenswood zu fesseln, und seine eigene Freiheit zu bewahren, und es fiel ihm nicht ein, daß sein Plan vereitelt werden könnte, wenn Lucie die Liebe, die sie, wie er hoffte, bloß einflößen sollte, wirklich erwiderte. Doch wenn sie einer romantischen Neigung für Ravenswood sich ergeben sollte, und wenn in diesem Falle der ausdrückliche Widerspruch der Lady Ashton diese Neigung unräthlich machen sollte, so glaubte der Lord Keeper, daß derselben leicht entgegengewirkt werden könne, sei es durch eine Reise nach Edinburgh oder selbst nach London, oder durch einen Besatz von Brüsseler Spitzen, oder durch die Seufzer von einem halben Dutzend Liebhaber, die sich bemühen würden, den zu ersetzen, dem sie nothgedrungen entsagen mußte. Dieß war sein Behelf auf den schlimmsten Fall. Doch dem wahrscheinlicheren Ausgang der Sache gemäß, möchte eine flüchtige Neigung, die sie für den Herrn von Ravenswood nähren möchte, eher Ermuthigung als Entmuthigung verdienen.

Das Letztere schien das wahrscheinlichere, da er erst noch diesen Morgen während ihrer Abwesenheit vom Schlosse einen Brief erhalten hatte, dessen Inhalt er Ravenswood mitzutheilen sich beeilte. Es war nämlich ein Bote mit einem Päckchen von jenem Freunde angekommen, der uns schon bekannt ist, und der heimlich daran arbeitete, eine patriotische Verbindung zu stiften, an deren Spitze Sir Williams größter Schrecken, der thätige und ehrgeizige Marquis von A– stand. Dieser Freund hatte zwar von Sir William Ashton keine bestimmte, günstige Antwort, aber gewiß ein sehr geneigtes Gehör erhalten. Er hatte dies seinem Chef mitgetheilt, und dieser letztere hatte mit dem alten, französischen Sprüchwort Château qui parle, et femme qui écoute, l'un et l'autre va se rendre darauf geantwortet. Ein Staatsmann, welcher den Vorschlag zu Veränderungen ohne Einwand anhört, war nach der Meinung des Marquis in dem Fall, worin sich eine Festung befindet, die unterhandelt, oder eine Dame, die zuhört, und also war er entschlossen, die Belagerung fortzusetzen.

Das Päckchen enthielt einen Brief von jenem Freund und einen andern von dem Marquis selbst an den Lord Keeper, worin diesem der Besuch jener beiden Personen ohne Umstände angekündigt wurde. Sie wären, hieß es in den Briefen, auf einer Reise nach dem Süden, die Straße wäre ihnen gleichgiltig, und die Bewirthung in den Gasthöfen so verhaßt als möglich; der Lord Keeper sei mit dem einen der Schreibenden seit lange genau bekannt, und obgleich er mit dem Marquis nicht in demselben vertrauten Verhältnisse stände, so wäre ihre Bekanntschaft doch hinlänglich, denen, welche diesem Besuch einen politischen Grund unterlegen wollten, den Mund zu stopfen. Der Lord Keeper nahm den Vorschlag ohne Bedenken an, aber er nahm sich vor, sich keinen Zoll breit weiter in die Förderung ihrer Pläne einzulassen, als die Vernunft (d. h. sein eigener Vortheil) ihm für räthlich andeuten sollte.

Zwei Umstände besonders machten ihm Freude, die Anwesenheit von Ravenswood und die Abwesenheit seiner Gemahlin. Dadurch, daß er jenen unter seinem Dache habe, glaubte er, aller gefährlichen und feindseligen Unternehmungen, in die sich jener auf Anstiften des Marquis einlassen könnte, überhoben zu sein, und Lucie, sah er voraus, würde für seine Zögerungs- und Vertagungspläne die Rolle der Wirthin weit besser spielen, als ihre Mutter, die in jener Eigenschaft durch ihr stolzes und unbeugsames Gemüth auf seine politischen Pläne gewiß nur störend einwirken könne.

Sein dringendes Ansuchen, daß Ravenswood die Ankunft seines Verwandten abwarten möchte, wurde alsbald befriedigt, denn die Erklärung am Nixenbrunnen hatte jeden Wunsch einer baldigen Abreise beseitigt. Lucie und Lockhard erhielten Befehl, alles Nöthige vorzubereiten, um die erwarteten Gäste mit einem Glanz und Pomp empfangen zu können, wie man sie in jener Zeit in Schottland selten sah.

 


 << zurück weiter >>