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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Es war die Handschrift unsrer Uebereinkunft,
Sie schlief im Bett nicht, ich bestand darauf;
Sie aß am Tisch nicht, ich bestand darauf;
Allein war es der Hauptsatz meiner Rede
Und in Gesellschaft spielt' ich oft drauf an.

Komödie der Irrthümer.

 

Der nächste Morgen sah Bucklaw und seinen getreuen Achates, Craigengelt, auf dem Schlosse Ravenswood. Sie wurden sehr artig empfangen von dem Schloßherrn und seiner Dame, und von dem Sohn und Erben derselben, dem Colonel Ashton. Nach vielem Stottern und Erröthen (denn Bucklaw hatte trotz seiner gewöhnlichen Dreistigkeit alle die linkische Schüchternheit, welche denen eigen ist, die wenig in guter Gesellschaft gelebt haben) gelang es ihm endlich, den Wunsch vorzubringen, daß ihm eine Unterredung mit Miß Ashton in Bezug auf ihre bevorstehende Verbindung vergönnt werden möchte. Sir William und sein Sohn blickten auf Lady Ashton, die mit der größten Gelassenheit versetzte, daß Lucie alsbald dem Herrn Hayston aufwarten würde. »Ich hoffe,« fügte sie mit einem Lächeln hinzu, »daß, da Lucie sehr jung ist, und vor Kurzem in eine Verbindung verstrickt war, deren sie sich nun herzlich schämt, unser werther Bucklaw ihren Wunsch verzeihen wird, mich bei der Unterredung gegenwärtig zu sehen.«

»Gewiß, meine theure Lady,« sagte Bucklaw, »das ist es gerade, was ich gewünscht habe, denn ich verstehe mich so wenig auf die sogenannte Galanterie, daß ich leicht einen verwünschten Mißgriff thun könnte, wenn mir Ew. Herrlichkeit nicht zu Hülfe kommt.«

Auf diese Weise vergaß Bucklaw in seiner augenblicklichen Verlegenheit den gerechten Verdacht, den er genährt hatte, daß nämlich Lady Ashton dem Herzen ihrer Tochter Gewalt anthue, und er verlor die Gelegenheit, sich durch eigene Prüfung von dem wahren Gefühle Luciens zu überzeugen.

Die übrigen Herren verließen das Zimmer, und bald darauf trat Lady Ashton in Begleitung ihrer Tochter herein. Sie erschien wie bei früheren Gelegenheiten eher gefaßt als beunruhigt, aber ein besserer Richter als Bucklaw hätte es kaum entschieden, ob ihre Gelassenheit aus Verzweiflung oder aus Gleichgültigkeit herstamme. Bucklaw hatte mit seinen eigenen Gefühlen zu viel zu schaffen, als daß er die der jungen Dame genau hätte beobachten können. Er stotterte eine unzusammenhängende Anrede, er verwechselte die Dinge, die er vorbrachte, mit einander, und er blieb kurz stecken, ehe er ausgeredet hatte. Miß Ashton horchte oder schien zu horchen, aber sie gab keine Sylbe zur Antwort, und fuhr fort, ihre Augen auf eine kleine Stickerei zu heften, mit welcher, wie unwillkürlich, ihre Finger emsig beschäftigt waren. Lady Ashton saß in einiger Entfernung, und war durch die Fenstervertiefung, in die sie ihren Stuhl gesetzt hatte, fast ganz versteckt. Von da flüsterte sie mit einer Stimme, die, wiewohl sanft und süß, doch etwas Gebieterisches und Befehlendes hatte: »Lucie, meine Theure, bedenke – hast du gehört, was Bucklaw sagt?«

Der Gedanke an die Anwesenheit ihrer Mutter schien dem armen Mädchen entfallen gewesen zu sein. Sie fuhr zusammen, ließ ihre Nadel fallen und gab hastig, fast in einem Athem, die sich widersprechende Antwort: »Ja, Madame, nein, Mylady, ich bitte um Verzeihung, ich habe nicht gehört.«

»Du brauchst nicht zu erröthen, meine Liebe, und noch weniger brauchst du so bleich und erschrocken zu sein,« sagte Lady Ashton, indem sie sich näherte, »wir wissen, daß das Ohr eines Mädchens die Rede eines Herrn langsam aufnehmen soll, doch du mußt bedenken, daß Mr. Hayston dir von einem Gegenstande spricht, für den du ihn schon längst ein günstiges Gehör hast hoffen lassen. Du weißt, wie sehr es deinem Vater und mir am Herzen liegt, bald den glücklichen Ausgang dieser Sache zu sehen.«

In dem Ausdruck von Lady Ashton war ein eindringlicher, ja strenger Wink geschickt unter dem Anschein der größten mütterlichen Zärtlichkeit verborgen. Die Hülle war für Bucklaw, der sich leicht genug hintergehen ließ; der Kern war für die erschreckte Lucie, die es wohl wußte, wie sie die Winke ihrer Mutter auszulegen hätte, auch wenn der Sinn derselben noch so geschickt für fremde Augen verhüllt war.

Miß Ashton saß unbeweglich auf ihrem Stuhl, in den Blicken, die sie um sich warf, war Furcht mit einem weit heftigeren Ausdruck gemischt, aber sie blieb vollkommen stumm. Bucklaw, der unterdessen im Zimmer auf und ab geschritten war, bis er seine Fassung wieder erlangt hatte, blieb nun auf einige Schritte von ihrem Stuhle stehen, und äußerte sich folgendermaßen: »Ich bin, scheint es, ein verwünschter Thor gewesen, Miß Ashton, ich habe zu Euch zu sprechen versucht, wie die Leute mir sagten, daß es jungen Damen gefiele, und ich glaube nicht, daß Ihr verstehet, was ich gesagt habe, und das ist kein Wunder, denn verdammt bin ich, wenn ich mich selbst verstehe! Doch einmal für allemal und auf gut schottisch, Euer Vater und Eure Mutter sind mit dem Vorschlag zufrieden, und wenn Ihr einen offenen jungen Burschen, der Euch nie durch den Sinn fahren will, zum Manne nehmen wollt, so will ich Euch an die Spitze des besten Hauses in den drei Lothians stellen, Ihr sollt die Wohnung von Lady Girnington im Canongate zu Edinburgh haben, hingehen, wo's Euch gefällt, thun, was Euch gefällt, und sehen, was Euch gefällt, und das ist hübsch. Nur eine Ecke muß ich haben unten am Tische für einen schlechten, alten Spielgesellen von mir, dessen Gesellschaft ich eher entbehren als haben möchte, hätte mir der verwünschte Kerl nicht weiß gemacht, daß ich ohne ihn Nichts thun könnte, und so hoffe ich, Ihr werdet mir den Craigie nicht vertreiben, obwohl man leicht bessere Gesellschaft finden könnte.«

»Nun, seht mir doch, Bucklaw,« sagte Lady Ashton, sich von Neuem in's Mittel schlagend, »wie könnt Ihr glauben, daß Lucie an dem offenen, ehrlichen und gutherzigen Geschöpf, dem Kapitän Craigengelt, etwas auszusetzen hätte?«

»Ei, Madame,« versetzte Bucklaw, »was Craigie's Offenheit, Ehrlichkeit und Gutherzigkeit betrifft, so sind sich dieselben, glaube ich, so ziemlich gleich – doch hier handelt es sich davon nicht – der Kerl kennt meine Weise, er hat mir Dienst erzeigt, und ich kann nicht ohne ihn sein, wie ich schon gesagt habe. Doch dies Alles führt mich zum Zwecke, denn da ich nun Muth genug gesammelt habe, einen offenen Antrag zu machen, so möchte ich gerne hören, daß mir Miß Ashton eine offene Antwort von ihren eigenen Lippen gäbe.«

»Mein werther Bucklaw,« sagte Lady Ashton, »laßt mich Luciens Schüchternheit entschuldigen. Ich sage Euch in ihrer Gegenwart, daß sie bereits eingewilligt hat, sich durch ihren Vater und mich in dieser Sache leiten zu lassen. – Lucie, meine Liebe,« fügte sie hinzu mit jener Zartheit des Tones und der festen Entschlossenheit, die wir bereits bemerkt haben, »Lucie, meine Theuerste! sprich für dich selbst, ist es nicht so, wie ich sage?«

Ihr Opfer antwortete mit zitternder und hohler Stimme: »Ich habe versprochen, Euch zu gehorchen – doch unter einer Bedingung.«

»Sie meint,« sagte Lady Ashton, an Bucklaw sich wendend, »daß sie eine Antwort auf die Forderung erwartet, die sie an den Mann in Wien oder Regensburg oder Paris oder wo er ist, gestellt hat, damit er sie des Versprechens entbinde, wozu er sie listig verlockt hat. Ich bin davon überzeugt, mein theurer Freund, Ihr werdet es nicht für Unrecht halten, daß sie es mit dieser Sache so genau nimmt, denn wahrhaftig, es betrifft uns Alle.«

»Sehr wahr, vollkommen richtig,« sagte Bucklaw, und halb sang er, halb sprach er den Schluß des alten Liedes –

»Die alte Lieb' sei abgethan,
Eh' man fängt mit der neuen an«

»Doch ich dachte,« fuhr er fort, »Ihr könntet schon sechsmal von Ravenswood eine Antwort haben. Verdammt, wenn ich nicht Lust habe, selbst eine zu holen, wenn mich Miß Ashton mit dem Auftrag beehren will.«

»Bei Leibe,« sagte Lady Ashton, »wir haben die größte Mühe gehabt, Douglas, für den es sich besser geschickt haben würde, von einem so raschen Schritte abzuhalten, und glaubt Ihr, daß wir es Euch erlauben würden, mein guter Freund, der uns fast eben so theuer ist, zu einem verzweifelten Manne in so verzweifelter Sache zu gehen? In der That, alle Freunde der Familie sind der Meinung, und meine liebe Lucie selbst muß so denken, daß, da diese unwürdige Person keine Antwort auf ihren Brief gegeben hat, das Stillschweigen in diesem Falle wie in allen anderen Fällen für eine Einwilligung zu halten ist, und daß ein Vertrag für aufgelöst gehalten werden muß, wenn die Parteien nicht mehr darauf bestehen. Sir William, der es am besten weiß, ist hierüber im Reinen, und also, meine theure Lucie –«

»Madame,« sagte Lucie mit ungewohnter Energie, »drängt mich nicht weiter. Wenn dies unglückliche Versprechen zurückgegeben sein wird, dann sollt Ihr über mich verfügen, wie ich Euch schon gesagt habe. Bis dahin wäre es eine schwere Sünde vor Gott und Menschen, wenn ich thäte, was Ihr verlangt.«

»Aber, meine Liebe, wenn dieser Mann in seinem Schweigen eigensinnig verharrt –«

»Er wird nicht schweigen,« antwortete Lucie, »es sind sechs Wochen, daß ich ihm eine Abschrift meines früheren Briefes durch eine sichere Hand zuschickte.«

»Du hast es nicht – du konntest es nicht – du durftest es nicht,« sagte Lady Ashton mit einer Heftigkeit, die sich mit dem Tone, den sie angenommen hatte, wenig vertrug, doch sie verbesserte sich augenblicklich, und sagte in dem gelindesten Tone des Vorwurfs: »Meine theuerste Lucie, wie hast du an so etwas denken können?«

»Laßt das,« sagte Bucklaw, »ich achte Miß Ashton wegen ihrer Denkweise, und ich wünsche nur, ich wäre selbst ihr Bote gewesen.«

»Und sagt, Miß Ashton,« sagte ihre Mutter spöttisch, »wie lange müssen wir auf die Rückkehr Eures Geisterboten, Eures Pacolets warten, da unsere gemeinen Boten von Fleisch und Blut mit dieser Sache nicht beauftragt werden konnten?«

»Ich habe Wochen, Tage, Stunden und Minuten gezählt,« sagte Miß Ashton, »ehe noch eine Woche vergeht, muß ich eine Antwort haben, wenn er nicht todt ist. – Bis dahin, Sir,« sagte sie, an Bucklaw sich wendend, »habt so viel Nachsicht für mich, meine Mutter zu bitten, mich mit dieser Sache zu verschonen.«

»Es soll meine inständigste Bitte an Lady Ashton sein,« sagte Bucklaw. »Bei meiner Ehre, Madame, ich achte Euer Gefühl, und, wiewohl der Abschluß dieser Sache mir wünschenswerther als je ist, so würde ich doch, so wahr ich ein Edelmann bin, ganz darauf verzichten, wenn die Betreibung dieser Sache Euch nur eine trübe Minute machen könnte.«

»Mr. Hayston hat das, denke ich, nicht zu fürchten,« sagte Lady Ashton, vor Zorn bleich, »wenn das Glück der Tochter im Herzen der Mutter liegt. – Laßt mich Euch fragen, Miß Ashton, in welchen Worten Euer letzter Brief verfaßt war?«

»Genau in denselben, Madame,« antwortete Lucie, »die Ihr mir bei früheren Gelegenheiten vorsagtet.«

»In acht Tagen also,« sagte ihre Mutter, die den Ton der Zärtlichkeit von Neuem annahm, »hoffen wir, meine theuerste Freundin, daß du diesem Zögern ein Ende machen wirst.«

»Miß Ashton darf nicht übereilt werden, Madame,« sagte Bucklaw, dessen derbe Gemüthsart nicht der Herzensgüte ermangelte, »Boten können aufgehalten werden. Ein verlornes Hufeisen hat mich einmal einen ganzen Tag gekostet. – Halt, laßt mich meinen Kalender sehen – in zwanzig Tagen haben wir St. Judä, und den Tag zuvor muß ich zu Caverton Edge sein, um das Wettrennen zu sehen zwischen der schwarzen Stute vom Laird von Kittlegirth und dem vierjährigen Hengstfüllen des Mehlhändlers Johnston, aber ich kann die ganze Nacht reiten, oder Craigie kann mir Nachricht bringen, wie die Wette steht. Ich hoffe, bis dahin werde ich selbst der Miß Ashton keine weiteren Ungelegenheiten machen, und Euer Gnaden und Sir William und der Colonel Douglas werden die Güte haben, ihr ungeschmälert die Zeit zu vergönnen, um ihren Entschluß zu fassen.«

»Sir,« sagte Miß Ashton, »Ihr seid großmüthig.«

»Was das belangt, Madame,« antwortete Bucklaw, »so will ich weiter nichts sein, als ein offener, gutherziger Kerl, der Euch, wie schon gesagt, gerne glücklich machen will, wenn Ihr es ihm erlauben wollt, und wenn Ihr ihm zeiget, wie er's zu machen hat.«

Nachdem er dies gesagt hatte, grüßte er sie mit mehr Theilnahme, als sich mit seiner gewöhnlichen Stimmung vertrug, und nahm Abschied. Lady Ashton, die ihn begleitete, versicherte ihn, daß ihre Tochter seiner aufrichtigen Neigung volle Gerechtigkeit widerfahren ließe, und sie bat ihn, vor seiner Abreise Sir William zu sprechen, »da wir,« sagte sie, indem sie einen scharfen Blick auf Lucie zurückwarf, »auf St. Judä alle bereit sein müssen, zu unterzeichnen und zu siegeln.«

»Zu unterzeichnen und zu siegeln!« wiederholte Lucie mit dumpfer Stimme, als die Thüre des Zimmers zugemacht war – »zu unterzeichnen und zu siegeln – es zu thun und zu sterben!« und ihre abgemagerten Hände faltend, sank sie erstarrt in ihren Sessel zurück.

Aus diesem Zustande wurde sie erweckt durch das Hereinstürmen ihres Bruders Heinrich, der sie schreiend an das Versprechen erinnerte, ihm zwei Ellen fleischfarbiges Band für die Schleifen seiner neuen Strumpfbänder zu geben. Lucie stand auf mit der geduldigsten Fassung, und nachdem sie ein kleines elfenbeinernes Kästchen geöffnet hatte, suchte sie das Band, das der Knabe brauchte, maß es genau, zerschnitt es in die gehörigen Längen, und knüpfte es, wie es die Laune des Knaben heischte.

»Mache das Kästchen noch nicht zu,« sagte Heinrich, »denn ich muß ein wenig von deinem Silberdraht haben, um die Schellen an den Fußbändern meines Falken zu befestigen, und doch ist der neue Falke ihrer gar nicht werth. Denn weißt du, nach all' der Plage, die wir hatten, ihn aus seinem Nest zu kriegen, all' dem Weg beim Posso in Wannor Water, hat er sich hintendrein nicht besser als ein Raubvogel gezeigt. Er macht seine Krallen in dem Blute eines Rebhuhns naß, zieht sie dann heraus, und läßt den Vogel fliegen. Und was der arme Vogel dann thun kann, das weißt du, er muß Schmerzen leiden und sterben unter dem ersten Farngebüsch oder Stechginster, worunter er sich verkriecht.«

»Wahr, Heinrich, wahr, sehr wahr,« sagte Lucie schwermüthig, indem sie den Knaben fest bei der Hand hielt, nachdem sie ihm den Silberdraht, den er brauchte, gegeben hatte; »aber es gibt mehr Raubvögel in der Welt als dein Falke, und mehr verwundete Vögel, die nichts suchen, als in Frieden zu sterben, und die weder Farngebüsch noch Stechginster finden, um ihr Haupt darunter zu verbergen.«

»Ah! das ist wieder etwas aus deinen Romanen,« sagte der Knabe, »und Sholto sagt, sie hätten dir den Kopf verrückt. Doch horch, Norman pfeift dem Falken – ich muß fort, und ihm die Fußbänder anlegen.«

Er lief davon mit der frohen Ausgelassenheit seines Alters, und überließ seine Schwester ihren peinigenden Betrachtungen.

»Es ist mein Schicksal,« sagte sie, »daß jedes lebende Wesen, selbst die, welche mir die meiste Liebe schuldig sind, mich meiden, und mich denen überlassen, die mich plagen. Doch es ist Recht, daß es so ist. Allein und unberathen habe ich mich in diese Gefahren verstrickt – allein und unberathen muß ich mich aus ihnen herauswinden.«

 


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